Ilias - Kapitel 76 by Homer
Ilias - Kapitel 76 by Homer

Ilias - Kapitel 76

Homer * Track #76 On Ilias (Übersetzt von Johann Heinrich Voß)

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Ilias - Kapitel 76 by Homer

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Homer

Ilias - Kapitel 76 Annotated

Also sprach und entflog die windschnell eilende Iris.
Aber Priamos hieß die Söhn' ihm den rollenden Wagen
190    Rüsten mit Mäulergespann, und den Korb auf den Wagen                 ihm binden.
Selbst dann stieg er hinab in die lieblich duftende Kammer,
Hoch, mit Cedern getäfelt, die viel Kleinode verwahrte;
Rief dann Hekabe her, sein edeles Weib, und begann so:

Armes Weib, mir nahte von Zeus olympische Botschaft,

195    Daß ich löse den Sohn, zu den Schiffen der Danaer                               wandelnd,
Und mit gefälligen Gaben Achilleus' Seele versöhne.
Aber sage mir nun, wie deucht dir solches im Herzen?
Denn mir selber entflammt ein gewaltigen Eifer die Seele,
Hinzugehn zu den Schiffen, ins weite Heer der Achaier.
200   Also der Greis; doch schluchzend erwiderte jenem die                       Gattin:

Wehe, wohin doch entfloh der Verstand dir, der so                        gepriesen
Ehemals war bei Menschen der Fremd', und deines                             Gebietes?
Welch ein Mut, so allein zu der Danaer Schiffen zu wandeln,
Jenem Mann vor die Augen, der dir so viel und so tapfre

205   Söhn' erschlug? Du trägst ja ein eisernes Herz in dem Busen!
Denn sobald er dich hält und dort erblickt mit den Augen,
Jener Mann, blutgierig und falsch; nie heget er Mitleid
Oder Erbarmen mit dir! Drum laß uns fern ihn beweinen,
Sitzend in unserm Palast: so hat's ihm das grause                                 Verhängnis,
210    Als ich selbst ihn gebar, in den werdenden Faden gesponnen,
Einst schnellfüßige Hunde zu sättigen, fern von den Eltern,
Dort bei dem schrecklichen Mann, dem ich gern ans dem                   Busen die Leber
Roh verschläng' einbeißend! Das wär' ihm gerechte                             Vergeltung
Meines Sohns! Denn nicht der Verworfenen einen erschlug               er;
215    Sondern für Trojas Männer und tiefgegürtete Weiber
Stand der Held, nicht achtend der Flucht, noch des zagen                   Vermeidens!

Ihr antwortete Priamos drauf, der göttliche Herrscher:
Halte mich nicht, der zu gehen beschloß, noch werde du                   selber
Zum wehdrohenden Vogel im Hause mir; nimmer gehorch'               ich!

220   Hätt' es ein anderer mir der Erdbewohner geboten,
Etwa ein Zeichendeuter, ein Opferprophet, und ein Priester;
Lug wohl nennten wir solches, und wendeten uns mit                         Verachtung.
Nun (denn ich hörte die Göttin ja selbst, und schaut' ihr ins               Antlitz,)
Geh' ich, und nicht umsonst sei die Rede mir! Droht denn                   das Schicksal
225   Mir den Tod bei den Schiffen der erzumschirmten Achaier;
Wohl! er ermorde mich gleich, der Wüterich; halt' ich nur                   meinen
Lieben Sohn in den Armen, das Herz mit Tränen gesättigt!

Sprach's, und öffnete schnell die zierlichen Deckel der                     Kisten.
Dorther wählt er sich zwölf der köstlichen Feiergewande,

230   Zwölf der Teppiche dann, und einfache Hüllen des Schlafes,
Auch Leibröcke so viel, und so viel der prächtigen Mäntel.
Hierauf wog er des Goldes, und nahm zehn volle Talente;
Auch vier schimmernde Becken, und zween dreifüßige                       Kessel;
Auch den köstlichen Becher, den thrakische Männer ihm                   schenkten,
235   Als er gesandt hinkam, ein Kleinod! aber auch sein nicht
Schonete jetzt im Palaste der Greis; denn er wollte so                         herzlich
Lösen den trauten Sohn. Doch jetzt die sämtlichen Troer
Scheucht' aus der Hall' er hinweg, mit schmählichen Worten             bedrohend:

Fort, ihr versuchtes Gezücht, Nichtswürdige! Habt ihr nicht           selber

240   Trauer im Hause genug, daß ihr herkommt, mich zu                           bekümmern?
Achtet ihr's klein, daß Zeus mir den Jammer beschied, zu                   verlieren
Meinen tapfersten Sohn? Wohlan, ihr erfahrt es schon                       selber!
Denn viel leichter hinfort wird's wohl den Söhnen Achaias,
Euch, da jener geschieden, zu bändigen! Aber o möcht' ich,
245   Eh' ich die Trümmerhaufen der Stadt, und die grause                           Verwüstung,
Selbst mit den Augen geschaut, eingeht in Aïdes Wohnung!

Sprach's, und hinaus mit dem Stabe zerscheucht' er sie;                 und sie enteilten
Weg vor dem eifernden Greis. Dann ruft' er scheltend die                   Söhne,
Helenos her, und Paris, und Agathon, göttlicher Bildung,

250   Pammon, Antiphonos auch, und Deïphobos, auch den                         Polites,
Tapfer im Streit, Hippothoos auch, und den mutigen Dios;
Diesen neun gebot mit scheltendem Rufe der Vater:

Eilt, untüchtige Söhn', ihr schändlichen! daß ihr zugleich                 doch
Alle für Hektor lägt bei den hurtigen Schiffen getötet!

255    Ich unglücklicher Mann! die tapfersten Söhn' erzeugt' ich
Weit in Troja umher, und nun ist keiner mir übrig!
Mestor den göttlichen Held, und Troilos, froh des                                 Gespannes,
Hektor auch, der ein Gott bei Sterblichen war, und an Tugend
Nicht wie des sterblichen Manns, wie ein Sohn der Götter                 einherging!
260   Diese mir raffte der Krieg; nur die Schandfleck' alle sind                     übrig,
Lügener all' und Gaukler und treffliche Reigentänzer,
Räuber des Volks, nur schwelgend im Fett der Lämmer und               Zicklein!
Wollt ihr nicht mir den Wagen sogleich ausrüsten, und alles
Dies in den Korb einlegen, daß unseren Weg wir vollenden?

265        Jener sprach's; und geschreckt vom scheltenden Rufe des             Vaters,
Trugen sie schnell aus der Halle den rollenden Wagen der                 Mäuler,
Schön und neugefügt, und banden den Korb auf den Wagen;
Huben sodann vom Pflocke das Joch der Mäuler von                           Buchsbaum,
Glatt, mit Buckeln erhöht, und wohl mit Ringen befestigt;

270   Brachten zugleich mit dem Joche sein Band, neun Ellen an                 Länge,
Legeten dieses behend' auf die wohlgeglättete Deichsel,
Vorn am äußersten End', und fügten den Ring auf den Nagel;
Dreimal umschlangen sie jetzo des Jochs vorragende                         Buckeln,
Banden dann grade sie fest, und knüpfeten unten die                           Schlinge.
275   Emsig darauf aus der Kammer, den zierlichen Wagen                           beladend,
Trugen sie Hektors Lösegeschenk', unendliches Wertes;
Fügeten dann die Mäuler, die stampfenden, rüstig zur Arbeit,
Welche dem Priamos einst die ehrenden Myser geschenket.
Rosse für Priamos' Joch nun führten sie, welche der Alte
280   Selbst mit Sorge gepflegt an schöngeglätteter Krippe;
Beid' itzt fügten die Ross' im Hof des hohen Palastes,
Priamos selbst und der Herold, des Rats allkundige Greise.
Ihnen nahete Hekabe nun mit bekümmertem Herzen;
Einen goldenen Becher des herzerfreuenden Weines
285   Trug sie daher in der Rechten, zum Opfertrank vor der Reise,
Trat hinzu vor die Ross', und redete, also beginnend:

Nimm, und sprenge für Zeus, und fleh' ihm, daß du                         zurückkehrst
Heim aus der feindlichen Männer Gewalt, da das mutige                   Herz dich
Doch hintreibt zu den Schiffen, wie sehr ungern ich es wollte.

290   Aber wohlan, nun bete zum schwarzumwölkten Kronion,
Idas Gott, der umher auf Trojas Fluren herabschaut:
Senden woll' er zum Zeichen den raschgeflügelten Vogel,
Welcher, ihm lieb vor allen, an mächtiger Stärke hervorragt,
Rechts einher; damit du, ihn selbst mit den Augen                               erkennend,
295   Seiner getrost zu dem Schiffen der reisigen Danaer gehest.
Doch wenn nicht dir gewährt der Donnerer seinen                               Gesandten;
Nie dann möcht' ich hinfort durch meinen Rat dich bewegen,
Hin zu der Danaer Schiffen zu gehn, wie sehr du es                             wünschest.

Ihr antwortete Priamos drauf, der göttliche Herrscher:

300   Liebes Weib, gern will ich auf diesen Rat dir gehorchen;
Wohl erhebt man die Hände zu Zeus, um Erbarmen ihn                     flehend.

Also der Greis, und berief die Schaffnerin, daß sie die                      Hände
Ihm mit lauterem Wasser besprengete; jene nun nahte,
Haltend das Waschgefäß und die Kanne zugleich in den                     Händen.

305   Als sich der Greis nun gewaschen, empfing er den Becher                   der Gattin,
Stand in der Mitte des Hofs, und betete, sprengte den Wein               dann,
Schauend zum Himmel empor, und rief mit erhobener                       Stimme:

Vater Zeus, ruhmwürdig und hehr, du Herrscher vom Ida,
Laß mich vor Peleus' Sohn doch Mitleid finden und Gnade!

310    Sende mir auch zum Zeichen den raschgeflügelten Vogel,
Welcher, dir lieb vor allen, an mächtiger Stärke hervorragt,
Rechts einher; damit ich, ihn selbst mit den Augen                               erkennend,
Seiner getrost zu den Schiffen der reisigen Danaer gehe.

Also sprach er flehend; ihn hörete Zeus Kronion.

315    Schnell dem Adler entsandt' er, die edelste Vorbedeutung,
Wohnend in Tal und Gesümpf, den schwarzgeflügelten                       Jäger.
Weit wie die Türe sich öffnet der hochgewölbeten Kammer,
Eines begüterten Manns, mit festem Schlosse gefüget:
Also breitete jener die Fittiche, als er am Himmel
320   Rechtsher über der Stadt anstürmete. Jen' ihn erblickend
Freueten sich, und allen durchglühete Wonne die Herzen.

Eilend betrat nun der Greis den zierlichen Sessel des                       Wagens,
Lenkte darauf aus dem Tor, und der dumpfumtönenden                     Halle.
Vor ihm zogen die Mäuler der Last vierrädrigen Wagen,

325   Von Idäos gelenkt, dem feurigen; aber von hinten
Stampfte der Rosse Gespann, die der Greis antrieb mit der                 Geißel,
Hurtig einher durch die Stadt; und alle die Seinigen folgten
Laut wehklagend ihm nach als ob er zum Tod hinginge.
Als sie nunmehr von der Höhe der Stadt in die Ebene kamen,
330   Kehrten zurück die Eidam' und Söhn' in Ilios Feste.
Doch nicht ihrer vergaß des Zeus' allwaltende Vorsicht,
Welche das Feld durchfuhren; er schaute den Greis mit                       Erbarmung;
Schnell zu Hermeias darauf, dem lieben Sohne, begann er:

Hermes, o Sohn, (denn dir ja das angenehmste Geschäft               ist's,

335    Männern gesellig zu nahn, auch hörest du, wen dir geliebet;)
Eil', und den Priamos dort zu den räumigen Schiffen Achaias
Führe mir, daß ihn keiner erseh', und keiner bemerke,
Rings in der Danaer Volk, bis Peleus' Sohn er erreichet.

Jener sprach's; ihm gehorchte der tätige Argoswürger;

340   Eilte sofort, und unter die Füße sich band er die Sohlen,
Schön, ambrosisch und golden, womit er über die Wasser
Und das unendliche Land hinfährt, wie im Hauche des                         Windes.
Hierauf nahm er den Stab, womit er der Sterblichen Augen
Zuschließt, welcher er will, und die Schlummernden wieder               erwecket;
345   Diesen trug und entflog der tapfere Argoswürger.
Schnell nun Trojas Gefild' und den Hellespontos erreicht' er;
Ging dann einher, an Gestalt wie ein blühender Sohn des                   Beherrschers,
Dem die Wange sich bräunt, im holdesten Reize der Jugend.

Als nun jene vorbei an Ilos Male gelenket,

350   Hielten sie beid' ein wenig, die Ross' und die Mäuler zu                       tränken
Unten am Strom; schon lag in Dämmerung rings das Gefilde.
Ihn nunmehr in der Näh' ersah der bemerkende Herold,
Hermes dort, und gewandt zu Priamos redet' er also:

Merke doch, Dardanion'; hier gilt's aufmerksame Klugheit.

355   Schaue den Mann; ich sorge, der wird uns beide vertilgen
Laß uns schnell mit den Rossen hinwegfliehn, oder auch                     nahend
Jenem die Knie' umfassen, und flehn um Gnad' und                             Erbarmung!

Sprach's; und die Seele des Greises durchschauerte banges           Entsetzen.
Aufrecht starrten die Haar', und gelähmt an den biegsamen               Gliedern,

360   Stand er erstaunt. Da nahte der freundliche Bringer des                       Heiles,
Faßte die Hand des Greises, und fragt' ihn, also beginnend:

Vater, wohin gedenkst du die Ross' und die Mäuler zu                     lenken,
Durch die ambrosische Nacht, da andere Sterbliche                             schlafen?
Gar nicht fürchtest du denn die mutbeseelten Achaier,

365   Welche ja nahe dir drohn, so feindlich gesinnt und erbittert?
Sähe dich einer davon in der Nacht schnellfliehendem                         Dunkel
Führen so köstliche Habe, wie wär' alsdann dir zu Mute?
Selbst ja bist du nicht jung, und ein Greis ist jener Begleiter,
Einem Mann zu wehren, wer etwa zuerst euch beleidigt.
370   Doch ich werde dir nichts zuleide tun, und auch andre
Möcht' ich von dir abwehren dem lieben Vater ja gleichst du.

Ihm antwortete Priamos drauf, der göttliche Herrscher:
Also ist es fürwahr, mein lieber Sohn, wie du sagest.
Aber auch mich noch decket ein Gott mit schirmender                       Rechte,

375    Daß mir solch ein Gefährt auf meinem Wege begegnet,
Mir zum Heil, so wie du, an Gestalt und Bildung ein Wunder,
Und so verständig an Geist; du entstammst glückseligen                   Eltern.

Wieder begann dagegen der tätige Argoswürger:
Wahrlich, o Greis, du hast wohlziemende Worte geredet.

380   Aber sage mir jetzt, und verkündige lautete Wahrheit.
Sendest du etwa hinweg so viel und erlesene Güter
Fern in ein Fremdlingsvolk, daß dir dies wenigstens bleibe?
Oder verlaßt ihr alle bereits die heilige Troja
Angstvoll? denn solch einen, den tapfersten Mann ja verlort             ihr,
385   Deinen Sohn! Nichts wich er an mutigem Kampf den                           Achaiern!

Ihm antwortete Priamos drauf, der göttliche Herrscher:
Aber wer bist du, o Bester, und welchen Eltern entstammst               du,
Der du so schön vom Tode des armen Sohns mir geredet?

Wieder begann dagegen der tätige Argoswürger:

390        Siehe du prüfst mich, o Greis, und fragst nach dem                         göttlichen Hektor.
Jenen hab' ich so oft in männerehrender Feldschlacht
Selbst mit den Augen gesehn, auch als er gedrängt zu den                 Schiffen
Argos Männer erschlug, mit scharfem Erz sie zerfleischend.
Wir dann standen von fern, und bewunderten; weil uns                       Achilleus

395   Wehrt' in den Kampf zu gehn, dem Atreionen noch zürnend.
Denn ich bin sein Genoß, in dem selbigen Schiffe                                 gekommen,
Myrmidonisches Stamms, und es heißt mein Vater Polyktor.
Reich ist jener an Gut, doch ein Greis schon, so wie du                       selber.
Sechs noch hat er der Söhn', ich selbst bin der siebente                       Bruder.
400   Als mit diesen ich loste, da traf mich's, hieher zu folgen.
Jetzo ging ich ins Feld von dem Schiffsheer; denn mit dem                 Morgen
Ziehn in die Schlacht um die Stadt frohblickende Männer                   Achaias.
Denn mit Verdruß schon harren die Sitzenden; und es                         bezähmen
Kaum den kampfbegierigen Mut die Fürsten Achaias.

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