Ilias - Kapitel 20 by Homer
Ilias - Kapitel 20 by Homer

Ilias - Kapitel 20

Homer * Track #20 On Ilias (Übersetzt von Johann Heinrich Voß)

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Homer

Ilias - Kapitel 20 Annotated

Jener sprach's; ihm erwiderte nichts der gewaltige Hektor.
Aber Helena sprach mit hold liebkosenden Worten:

O mein Schwager, des schnöden, des unheilstiftenden                   Weibes!

345   Hätte doch jenes Tags, da zuerst mich die Mutter geboren,
Ungestüm ein Orkan mich entführt auf ein ödes Gebirg' hin,
Oder hinab in die Wogen des weitaufrauschenden Meeres,
Daß mich die Woge verschlang', eh solche Taten geschahen!
Aber nachdem dies Übel im Rat der Götter verhängt ward;
350   Wär' ich wenigstens doch des besseren Mannes Gemahlin,
Welcher empfände die Schmach und die kränkenden Reden             der Menschen!
Dem ist jetzo kein Herz voll Männlichkeit, noch wird hinfort               ihm
Solches verliehn; und ich meine, genießen werd' er der                       Früchte!
Aber o komm doch herein, und setze dich hier auf den                       Sessel,
355   Schwager; dieweil dir am meisten die Arbeit liegt an der                     Seele,
Um mich schändliches Weib und die Freveltat Alexandros:
Welchen ein trauriges Los Zeus sendete, daß wir hinfort                     auch
Bleiben umher ein Gesang der kommenden                                           Menschengeschlechter!

Ihr antwortete drauf der helmumflatterte Hektor:

360   Heiße mich, Helena, nicht so freundlich sitzen; ich darf nicht
Denn schon dringt mir das Herz mit Heftigkeit, daß ich den               Troern
Helfe, die sehnsuchtsvoll nach mir Abwesenden umschaun.
Aber du muntere diesen nur auf, auch treib' er sich selber;
Daß er noch in den Mauren der Stadt mich wieder erreiche.
365   Denn ich will in mein Haus zuvor eingehn, um zu schauen
Mein Gesind', und das liebende Weib, und das stammelnde               Söhnlein.
Denn wer weiß, ob ich wieder zurück zu den Meinigen kehre,
Oder jetzt durch der Danaer Hand mich die Götter                               bezwingen.

Dieses gesagt, enteilte der helmumflatterte Hektor.

370   Bald erreicht' er darauf die wohlgebauete Wohnung.
Doch nicht fand er die schöne Andromache dort in den                       Kammern;
Sondern zugleich mit dem Kind und der Dienerin, schönes                 Gewandes,
Stand sie annoch auf dem Turm, und jammerte, seufzend                   und weinend.
Als nun Hektor daheim nicht fand die untadliche Gattin,
375   Trat er zur Schwelle hinan, und rief den Mägden des Hauses:

Auf wohlan, ihr Mägde, verkündiget schnell mir die                         Wahrheit.
Wohin ging die schöne Andromache aus dem Palaste?
Ob sie zu Schwestern des Manns, ob zu stattlichen Frauen                 der Schwäger,
Oder zum Haus Athenens sie eilete, wo auch die andern

380   Lockigen Troerinnen die schreckliche Göttin versöhnen?

Ihm antwortete drauf die emsige Schaffnerin also:
Hektor, weil du gebeutst, die Wahrheit dir zu verkünden;
Nicht zu Schwestern des Manns, noch zu stattlichen Frauen             der Schwäger,
Oder zum Haus Athenens enteilte sie, wo auch die andern

385   Lockigen Troerinnen die schreckliche Göttin versöhnen;
Sondern den Turm erstieg sie von Ilios, weil sie gehöret,
Daß der Achaier Macht siegreich die Troer bestürme.
Eben geht sie hinaus mit eilendem Schritte zur Mauer,
Einer Rasenden gleich; und die Wärterin trägt ihr das Kind                 nach.

390        Also sprach zu Hektor die Schaffnerin; schnell aus der                   Wohnung
Eilt' er den Weg zurück durch die wohlbebaueten Gassen.
Als er das skäische Tor, die gewaltige Feste durchwandelnd,
Jetzo erreicht, wo hinaus sein Weg ihn führt' ins Gefilde;
Kam die reiche Gemahlin Andromache eilendes Laufes

395   Gegen ihn her, des edlen Eëtions blühende Tochter:
Denn Eëtion wohnt' am waldigen Hange des Plakos,
In der plakischen Thebe, Kilikiens Männer beherrschend,
Und er vermählte die Tochter dem erzumschimmerten                       Hektor,
Diese begegnet' ihm jetzt; die Dienerin aber ihr folgend
400   Trug an der Brust das zarte, noch ganz unmündige Knäblein;
Hektors einzigen Sohn, dem schimmernden Sterne                             vergleichbar.
Hektor nannte den Sohn Skamandrios, aber die andern
Nannten Astyanax ihn, denn allein schirmt' Ilios Hektor.
Siehe mit Lächeln blickte der Vater still auf das Knäblein,
405   Aber neben ihn trat Andromache, Tränen vergießend,
Drückt' ihm freundlich die Hand, und redete, also beginnend:

Trautester Mann, dich tötet dein Mut noch! und du                         erbarmst dich
Nicht des stammelnden Kindes, noch mein des elenden                     Weibes,
Ach bald Witwe von dir! denn dich töten gewiß die Achaier,

410    Alle daher dir stürmend! Allein mir wäre das beste,
Deiner beraubt, in die Erde hinabzusinken; denn weiter
Ist kein Trost mir übrig, wenn du dein Schicksal vollendest,
Sondern Weh! und ich habe nicht Vater mehr noch Mutter!
Meinen Vater erschlug ja der göttliche Streiter Achilleus,
415    Und verhehrte die Stadt, von kilikischen Männern bevölkert,
Thebe mit ragendem Tor: den Eëtion selber erschlug er,
Doch nicht nahm er die Waffen; denn graunvoll war der                     Gedank' ihm;
Sondern verbrannte den Held mit dem künstlichen                               Waffengeschmeide,
Häufte darauf ihm einmal; und rings mit Ulmen                                     umpflanzten's
420   Bergbewohnende Nymphen, des Ägiserschütterers Töchter.
Sieben waren der Brüder mir dort in unserer Wohnung;
Diese wandelten all' am selbigen Tage zum Aïs;
Denn sie all' erlegte der mutige Renner Achilleus
Bei weißwolligen Schafen und schwerhinwandelnden                         Rindern.
425   Meine Mutter, die Fürstin am waldigen Hange des Plakos,
Führet' er zwar hieher mit anderer Beute des Krieges;
Doch befreit' er sie wieder, und nahm unendliche Lösung:
Aber sie starb durch Artemis Pfeil im Palaste des Vaters.
Hektor, siehe du bist mir Vater jetzo und Mutter,
430   Und mein Bruder allein, o du mein blühender Gatte!
Aber erbarme dich nun, und bleib' allhier auf dem Turme!
Mache nicht zur Waise das Kind, und zur Witwe die Gattin!
Stelle das Heer dorthin bei dem Feigenbaume; denn dort ist
Leichter die Stadt zu ersteigen, und frei die Mauer dem                       Angriff.
435   Dreimal haben ja dort es versucht die tapfersten Krieger,
Kühn um die Ajas beid', und den hohen Idomeneus                             strebend,
Auch um des Atreus' Söhn', und den starken Held                               Diomedes:
Ob nun jenen vielleicht ein kundiger Seher geweissagt,
Oder auch selbst ihr Herz aus eigener Regung sie antreibt.

440        Ihr antwortete drauf der helmumflatterte Hektor:
Mich auch härmt das alles, o Trauteste; aber ich scheue
Trojas Männer zu sehr, und die saumnachschleppenden                     Weiber,
Wenn ich hier, wie ein Feiger, entfernt das Treffen vermeide.
Auch verbeut es mein Herz; denn ich lernete tapferes Mutes

445   Immer zu sein, und voran mit Trojas Helden zu kämpfen,
Schirmend zugleich des Vaters erhabenen Ruhm, und den                 meinen!
Zwar das erkenn' ich gewiß in des Herzens Geist und                          Empfindung:
Einst wird kommen der Tag, da die heilige Ilios hinsinkt,
Priamos selbst, und das Volk des lanzenkundigen Königs.
450   Doch nicht kümmert mich so der Troer künftiges Elend,
Nicht der Hekabe selbst, noch Priamos auch des                                   Beherrschers,
Noch der Brüder umher, die dann, so viel und so tapfer,
All' in den Staub hinsinken, von feindlichen Händen getötet:
Als wie dein's, wenn ein Mann der erzumschirmten Achaier
455   Weg die Weinende führt, der Freiheit Tag dir entreißend;
Wenn du in Argos webst für die Herrscherin, oder auch                     mühsam
Wasser trägst aus dem Quell Hypereia, oder Messeïs,
Sehr unwilliges Muts; doch hart belastet der Zwang dich!
Künftig sagt dann einer, die Tränenvergießende schauend:
460   Hektors Weib war diese, des tapfersten Helden im Volke
Rossebezähmender Troer, da Ilios Stadt sie umkämpften!
Also spricht man hinfort; und neu erwacht dir der Kummer,
Solchen Mann zu vermissen, der retten dich könnt' aus der               Knechtschaft!
Aber es decke mich Toten der aufgeworfene Hügel,
465   Eh' ich deines Geschreies vernehm', und deiner Entführung!

Also der Held, und hin nach dem Knäblein streckt' er die                 Arme;
Aber zurück an den Busen der schöngegürteten Amme
Schmiegte sich schreiend das Kind, erschreckt von dem                     liebenden Vater,
Scheuend des Erzes Glanz, und die flatternde Mähne des                   Busches,

470   Welchen es fürchterlich sah von des Helmes Spitze                            herabwehn.
Lächelnd schaute der Vater das Kind, und die zärtliche                       Mutter.
Schleunig nahm vom Haupte den Helm der strahlende                       Hektor,
Legete dann auf die Erde den schimmernden; aber er selber
Küßte sein liebes Kind, und wiegt' es sanft in den Armen;
475   Dann erhob er die Stimme zu Zeus und den anderen                           Göttern:

Zeus und ihr anderen Götter, o laßt doch dieses mein                     Knäblein
Werden dereinst, wie ich selbst, vorstrebend im Volk der                   Troer,
Auch so stark an Gewalt, und Ilios mächtig beherrschen!
Und man sage hinfort: Der ragt noch weit vor dem Vater!

480   Wann er vom Streit heimkehrt, mit der blutigen Beute                         beladen
Eines erschlagenen Feinds! Dann freue sich herzlich die                     Mutter!

Jener sprach's, und reicht' in die Arme der liebenden Gattin
Seinen Sohn; und sie drückt' ihn an ihren duftenden Busen,
Lächelnd mit Tränen im Blick; und ihr Mann voll inniger                       Wehmut

485   Streichelte sie mit der Hand, und redete, also beginnend:

Armes Weib, nicht mußt du zu sehr mir trauren im Herzen!
Keiner wird gegen Geschick hinab mich senden zum Aïs.
Doch dem Verhängnis entrann wohl nie der Sterblichen                     einer,
Edel oder geringe, nachdem er einmal gezeugt ward.

490   Doch zum Gemach hingehend besorge du deine Geschäfte,
Spindel und Webestuhl, und gebeut den dienenden                             Weibern,
Fleißig am Werke zu sein. Der Krieg gebühret den Männern
Allen, und mir am meisten, die Ilios Feste bewohnen.

Als er dieses gesagt, da erhob der strahlende Hektor

495   Seinen umflatterten Helm; und es ging die liebende Gattin
Heim, oft rückwärts gewandt, und häufige Tränen                               vergießend.
Bald erreichte sie nun die wohlgebauete Wohnung
Hektors des Männervertilgers, und fand die Mägd' in der                   Kammer
Viel an der Zahl; und allen erregte sie Kummer und Tränen.
500   Lebend noch ward Hektor beweint in seinem Palaste;
Denn sie glaubten gewiß, er kehre nie aus der Feldschlacht
Wieder heim, der Achaier gewaltigen Händen entrinnend.

Paris auch zauderte nicht in der hochgewölbeten                             Wohnung;
Sondern sobald er in Waffen von strahlendem Erz sich                       gehüllet,

505   Eilt' er daher durch die Stadt, den hurtigen Füßen vertrauend.
Wie wenn im Stall ein Roß, mit Gerste genährt an der Krippe,
Mutig die Halfter zerreißt, und stampfendes Laufs in die                     Felder
Eilt, zum Bade gewöhnt des lieblich wallenden Stromes,
Trotzender Kraft; hoch trägt es das Haupt, und rings an den               Schultern
510    Fliegen die Mähnen umher; doch stolz auf den Adel der                     Jugend,
Tragen die Schenkel es leicht zur bekannteren Weide der                   Stuten:
Also wandelte Paris daher von Pergamos Höhe,
Priamos' Sohn, umstrahlt von Waffenglanz, wie die Sonne,
Freudiges Muts; und es flogen die Schenkel ihm. Eilend nun               hatt' er
515    Hektor den Bruder erreicht, den Erhabenen, als er sich                         wenden
Wollte vom Ort, wo vertraulich mit seinem Weib' er geredet.
Also begann zu jenem der göttliche Held Alexandros:

Wahrlich, mein älterer Bruder, dich Eilenden hielt ich zu                 lange
Zaudernd auf, und kam nicht ordentlich, wie du befahlest.

520        Ihm antwortete drauf der helmumflatterte Hektor:
Guter, dir darf kein sterblicher Mann, der Billigkeit achtet,
Tadeln die Werke der Schlacht, du bist ein tapferer Streiter.
Oft nur säumest du gern, und willst nicht. Aber es kränkt mir
Innig das Herz, von dir die schmähliche Rede zu hören

525   Unter dem troischen Volk, das um dich so manches erduldet.
Komm, dies wollen hinfort wir berichtigen, wann uns einmal             Zeus
Gönnen wird, des Himmels unendlich waltenden Göttern
Dankend den Krug zu stellen der Freiheit in dem Palaste,
Weil wir aus Troja verjagt die hellumschienten Achaier.

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