Ilias - Kapitel 70 by Homer
Ilias - Kapitel 70 by Homer

Ilias - Kapitel 70

Homer * Track #70 On Ilias (Übersetzt von Johann Heinrich Voß)

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Ilias - Kapitel 70 by Homer

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Homer

Ilias - Kapitel 70 Annotated

Also redete jener, und zog das geschliffene Schwert aus,
Welches ihm längs der Hüfte herabhing, groß und gewaltig;
An nun stürmt' er gefaßt, wie ein hochherfliegender Adler,
Welcher herab auf die Ebne gesenkt aus nächtlichen Wolken
310    Raubt den Hasen im Busch, wo der hinduckt, oder ein                         Lämmlein:
Also stürmete Hektor, das hauende Schwert in der Rechten.
Gegen ihn drang der Peleid', und Wut erfüllte das Herz ihm
Ungestüm: er streckte der Brust den gerundeten Schild vor,
Schön und prangend an Kunst; und der Helm, viergipflig und             strahlend,
315    Nickt' auf dem Haupt; und die stattliche Mähn' aus                             gesponnenem Golde
Flatterte, welche der Gott auf dem Kegel ihm häufig                             geordnet.
Hell wie der Stern vorstrahlet in dämmernder Stunde des                   Melkens,
Hesperos, der am schönsten erscheint vor den Sternen des               Himmels:
So von der Schärfe des Speers auch strahlet' es, welchen                   Achilleus
320   Schwenkt' in der rechten Hand, wutvoll dem göttlichen                       Hektor,
Spähend den schönen Leib, wo die Wund' am leichtesten                   hafte.
Rings zwar sonst umhüllt' ihm den Leib die eherne Rüstung,
Blank und schön, die er raubte, die Kraft des Patroklos                         ermordend;
Nur wo das Schlüsselbein den Hals begrenzt und die Achsel,
325   Schien die Kehl' ihm entblößt, die gefährlichste Stelle des                   Lebens:
Dort mit dem Speer anstürmend durchstach ihn der edle                   Achilleus,
Daß ihm hindurch aus dem zarten Genick die Spitze                           hervordrang.
Doch nicht gänzlich den Schlund durchschnitt der eherne                   Speer ihm,
Daß er noch zu reden vermocht' im Wechselgespräche;
330   Und er entsank in den Staub; da rief frohlockend Achilleus:

Hektor, du glaubtest gewiß, da Patrokleus' Wehr du                       geraubet,
Sicher zu sein, und achtetest nicht des entfernten Achilleus.
Törichter! Jenem entfernt war ein weit machtvollerer Rächer
Bei den gebogenen Schiffen, ich selbst, zurück ihm                               geblieben,

335   Der dir die Kniee gelöst! Dich zerren nun Hund' und Gevögel,
Schmählich entstellt; ihn aber bestatten mit Ruhm die                         Achaier.

Wieder begann schwachatmend der helmumflatterte                   Hektor:
Dich beschwör' ich beim Leben, bei deinen Knien, und den                 Eltern,
Laß mich nicht an den Schiffen der Danaer Hunde zerreißen;

340   Sondern nimm des Erzes genug und des köstlichen Goldes
Zum Geschenk, das der Vater dir beut, und die würdige                     Mutter.
Aber den Leib entsende gen Ilios, daß in der Heimat
Trojas Männer und Fraun des Feuers Ehre mir geben.

Finster schaut' und begann der mutige Renner Achilleus:

345   Nicht beschwöre mich, Hund, bei meinen Knien, und den                   Eltern!
Daß doch Zorn und Wut mich erbitterte, roh zu verschlingen
Dein zerschnittenes Fleisch, für das Unheil, das du mir                       brachtest!
So sei fern, der die Hunde von deinem Haupt dir                                   verscheuche!
Wenn sie auch zehnmal so viel, und zwanzigfältige                             Sühnung,
350   Hergebracht darwögen, und mehreres noch mir verhießen!
Ja wenn dich selber mit Gold auch aufzuwägen geböte
Priamos, Dardanos' Sohn; auch so nicht bettet die Mutter
Dich auf Leichengewand', und wehklagt, den sie geboren;
Sondern Hund' und Gevögel umher zerreißen den Leichnam!

355        Wieder begann schon sterbend der helmumflatterte                       Hektor:
Ach ich kenne dich wohl, und ahndete, nicht zu erweichen
Wärest du mir; denn eisern ist traun dem Herz in dem Busen.
Denke nunmehr, daß nicht dir Götterzorn ich erwecke,
Jenes Tags, wann Paris dich dort und Phöbos Apollon

360   Töten, wie tapfer du bist, am hohen skäischen Tore!

Als er dieses geredet, umschloß ihn das Ende des Todes;
Aber die Seel' aus den Gliedern entflog in die Tiefe des Aïs,
Klagend ihr Jammergeschick, getrennt von Jugend und                       Mannkraft.
Auch dem Toten erwiderte noch der edle Achilleus:

365        Stirb! mein eigenes Los, das empfang' ich, wann es auch               immer
Zeus zu vollenden beschließt, und die andern unsterblichen             Götter!

Also sprach er und zog die eherne Lanz' aus dem                            Leichnam;
Sie dann legt' er zur Seit', und raubte die Wehr von den                       Schultern,
Blutbefleckt. Da umliefen ihn andere Männer Achaias,

370   Die ringsher anstaunten den Wuchs und die herrliche                         Bildung
Hektors; und auch keiner umstand ihn ohne Verwundung.
Also redete mancher, gewandt zum anderen Nachbar:

Wunder doch! viel sanfter fürwahr ist nun zu betasten
Hektor, als da die Schiff' in lodernder Glut er verbrannte!

375   Also redete mancher, und nahte sich, ihn zu verwunden.
Aber nachdem ihn entwaffnet der mutige Renner Achilleus,
Stand er in Argos Volk, und sprach die geflügelten Worte:

Freund', ihr Helden des Danaerstamms, o Genossen des                 Ares,
Jetzo da diesen Mann mir die Götter verliehn zu bezähmen,

380   Der viel Böses getan, weit mehr denn die anderen alle;
Auf, nun laßt uns die Stadt in Rüstungen rings versuchen,
Bis wir ein wenig erkannt den Sinn, den die Troer bewahren:
Ob sie vielleicht uns räumen die Burg, weil dieser dahinsank;
Oder zu stehn sich erkühnen, wiewohl nicht Hektor begleitet.
385   Aber warum bewegte das Herz mir solche Gedanken?
Liegt doch tot bei den Schiffen, und ohne Klag' und                             Bestattung,
Unser Freund Patroklos, den nie ich werde vergessen,
Weil ich mit Lebenden geh', und Kraft in den Knieen sich                   reget!
Wenn man auch der Toten vergißt in Aïdes Wohnung,
390   Dennoch werd' ich auch dort des trautesten Freundes                         gedenken!
Auf nun, mit Siegesgesang des Päeon, Männer Achaias,
Kehren wir, Hektor führend, hinab zu den räumigen Schiffen!
Groß ist der Ruhm des Sieges; uns sank der göttliche Hektor,
Welchem die Troer der Stadt, wie einem Gott, sich                             vertrauten!

395        Sprach's, und schändlichen Frevel ersann er dem                           göttlichen Hektor.
Beiden Füßen nunmehr durchbohret' er hinten die Sehnen,
Zwischen Knöchel und Fers', und durchzog sie mit Riemen                 von Stierhaut
Band am Sessel sie fest, und ließ nachschleppen die Scheitel;
Trat dann selber hinein, und erhob die prangende Rüstung;

400   Treibend schwang er die Geißel, und rasch hinflogen die                   Rosse.
Staubgewölk umwallte den Schleppenden; rings auch                         zerrüttet
Rollte sein finsteres Haar, da ganz sein Haupt in dem Staube
Lag, so lieblich zuvor! allein nun hatt' es den Feinden
Zeus zu entstellen verliehn in seiner Väter Gefilde.
405   Also bestaubt ward jenem das Haupt ganz. Aber die Mutter
Rauft' ihr Haar, und warf den glänzenden Schleier des                         Hauptes
Weit hinweg, und blickte mit Jammergeschrei nach dem                   Sohne.
Kläglich weint' auch der Vater und jammerte; doch von den               Völkern
Tönte Geheul ringsher und Angstgeschrei durch die Feste.
410   Weniger nicht scholl jetzo die Wehklag', als wenn die ganze
Ilios hochgetürmt in Glut hinsänke vom Gipfel.
Kaum noch hielten die Völker den Greis, der in zürnender                   Wehmut
Strebte hinauszugehn ans dem hohen dardanischen Tore.
Allen fleht' er umher, auf schmutzigem Boden sich wälzend,
415    Nannte jeglichen Mann mit seinem Namen, und sagte:

Haltet, o Freund', und laßt mich allein, wie sehr ihr besorgt             seid,
Gehn vor die Feste hinaus, und nahn den Schiffen Achaias!
Anflehn will ich den Mann, den entsetzlichen Täter des                       Frevels:
Ob er vielleicht mein Alter mit Ehrfurcht und mit Erbarmung

420   Anschaut; denn auch jenem ist schon grauhaarig der Vater,
Peleus, der ihn erzeugt' und nährete, ach zum Verderben
Trojas; doch vor allen mir selbst bereitet' er Jammer!
Denn so viele Söhn' erschlug er mir, blühender Jugend!
Alle jedoch betraur' ich nicht so sehr, herzlich betrübt zwar,
425   Als ihn allein, des wütender Schmerz mich zum Aïs                             hinabführt,
Hektor! Wär' er doch mir in meinen Armen gestorben!
Satt darin hätten wir uns das Herz geweint und gejammert,
Ich, und die ihn gebar, die unglückselige Mutter!

Also sprach er weinend; und ringsum seufzten die Bürger.

430   Hekabe aber erhub die Wehklag' unter den Weibern:

Sohn, was soll ich Arme hinfort noch leben in Jammer,
Da du Trauter mir starbst? der mir bei Nacht und bei Tage
Ruhm und Trost in Ilios war, und allen Errettung,
Trojas Männern und Fraun, die dich, wie einen der Götter,

435   Achteten! Traun du würdest mit großer Ehre sie krönen,
Lebtest du noch! Nun aber hat Tod und Geschick dich                         ereilet!

Also sprach sie weinend. Doch nichts noch hörte die Gattin
Hektors; denn nicht kam ihr ein Kundiger, welcher die                         Botschaft
Meldete, daß der Gemahl ihr auswärts blieb vor dem Tore;

440   Sendern sie webt' ein Gewand, im innern Gemach des                       Palastes,
Doppelt und blendend weiß, und durchwirkt mit mancherlei             Bildwerk.
Jetzo rief sie umher den lockigen Mägden des Hauses,
Eilend ein groß dreifüßig Geschirr auf Feuer zu stellen,
Zum erwärmenden Bade, wann Hektor kehrt' aus der                         Feldschlacht:
445   Törin! sie wußte nicht, daß weit entfernt von den Bädern
Ihn durch Achilleus' Hände besiegt Zeus' Tochter Athene.
Aber Geheul vernahm sie und Jammergeschrei von dem                     Turme;
Und ihr erbebten die Glieder, es sank zur Erde das                               Webschiff,
Ängstlich nunmehr in dem Kreis schönlockiger Mägde                       begann sie:

450        Auf, ihr zwo mir gefolgt; ich eile zu schaun, was geschehn             ist!
Eben vernahm ich die Stimme der Schwäherin; ich, und mir               selber
Schlägt das Herz im Busen zum Hals' empor, und die Kniee
Starren mir! Sicherlich naht ein Unheil Priamos' Söhnen!
Fern sei meinem Ohr die Verkündigung! aber mit Unruh

455   Sorg' ich, den mutigen Hektor hab' itzt der edle Achilleus
Abgeschnitten allein von der Stadt, ins Gefilde verfolgend,
Und wohl schon ihn gehemmt in seiner entsetzlichen                         Kühnheit,
Welche stets ihn beseelt! Denn niemals weilt' er im Haufen;
Sondern voran flog mutig der Held, und zagte vor niemand!

460        Sprach's, und hinweg aus der Kammer enteilte sie, gleich             der Mänade,
Wild ihr pochendes Herz; und es folgten ihr dienende                         Weiber.
Aber nachdem sie den Turm und die Schar der Männer                       erreichet;
Stand sie und blickt' auf die Mauer umher, und schauete                   jenen
Hingeschleift vor Ilios Stadt; und die hurtigen Rosse

465   Schleiften ihn sorglos hin zu den räumigen Schiffen Achaias.
Schnell umhüllt' ihr die Augen ein mitternächtliches Dunkel;
Und sie entsank rückwärts, und lag entatmet in Ohnmacht.
Weithin flog vom Haupte der köstlich prangende                                 Haarschmuck,
Vorn das Band, und die Haub', und die schöngeflochtene                   Binde,
470   Auch der Schleier, geschenkt von der goldenen Aphrodite,
Jenes Tags, da sie führte der helmumflatterte Hektor
Aus Eëtions Burg, nach unendlicher Bräutigamsgabe.
Rings auch stunden ihr Schwestern des Manns und Frauen                 der Schwäger,
Haltend die Atemlose, vom Kummer betäubt wie zum Tode.
475   Als sie zu atmen begann, und der Geist dem Herzen                           zurückkam;
Jetzt mit gebrochener Klage vor Trojas Frauen begann sie:

Hektor, o weh mir Armen! zu gleichem Geschick ja geboren
Wurden wir einst: du selber in Priamos' Hause zu Troja;
Aber ich zu Thebe, am waldigen Hange des Plakos,

480   In Eëtions Burg; der mich erzog, da ich klein war,
Elend ein elendes Kind! Ach hätt' er mich nimmer erzeuget!
Du nun gehst zu Aïdes Burg in die Tiefen der Erde,
Scheidend von mir; ich bleib', in Schmerz und Jammer                         verlassen,
Eine Witw' im Haus', und das ganz unmündige Söhnlein,
485   Welches wir beide gezeugt, wir Elenden! Nimmer, o Hektor,
Wirst du jenem ein Trost, da du tot bist, oder dir jener!
Überlebt er auch etwa den traurigen Krieg der Achaier,
Dennoch wird ja beständig ihm Sorg' und Gram in der                         Zukunft
Siehe der Tag der Verwaisung beraubt ein Kind der                             Gespielen;
Immer senkt es die Augen beschämt, mit Tränen im Antlitz.
Darbend gehet das Kind umher zu den Freunden des Vaters,
Fleht und faßt den einen am Rock, und den andern am                       Mantel;
Aber erbarmt sich einer, der reicht ihm das Schälchen ein                 wenig,
495   Daß er die Lippen ihm netz', und nicht den Gaumen ihm                     netze.
Oft verstößt es vom Schmaus' ein Kind noch blühender                     ltern,
Das mit Fäusten es schlägt, und mit kränkenden Worten es               anfährt:
Hebe dich weg! dein Vater ist nicht bei unserem Gastmahl!
Weinend geht von dannen das Kind zur verwitweten Mutter,
500   Unser Astyanax, der sonst auf den Knieen des Vaters
Nur mit Mark sich genährt, und fettem Fleische der Lämmer;
Und wann, müde des Spiels, er auszuruhen sich sehnte,
Schlummert' er süß im schönen Gestell, in den Armen der                 Amme,
Auf sanftschwellendem Lager, das Herz mit Freude gesättigt.
505   Doch viel duldet er künftig, beraubt des liebenden Vaters,
Unser Astyanax, wie Trojas Männer ihn nennen:
Denn du allein beschirmtest die Tor' und die türmenden                     Mauern.
Nun wird dort an den Schiffen der Danaer, fern von den                     Eltern,
Reges Gewürm dich verzehren, nachdem du die Hunde                       gesättigt,
510    Nackt! Doch liegen genug der Gewand' in deinem Palaste,
Fein und zierlich gewebt von künstlichen Händen der                         Weiber!
Aber ich werde sie all' in lodernder Flamme verbrennen!
Nichts ja frommen sie dir; denn niemals ruhst du auf ihnen!
Brennen sie denn vor Troern und Troerinnen zum Ruhm dir!

515        Also sprach sie weinend; und ringsum seufzten die Weiber.

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