Ilias - Kapitel 6 by Homer
Ilias - Kapitel 6 by Homer

Ilias - Kapitel 6

Homer * Track #6 On Ilias (Übersetzt von Johann Heinrich Voß)

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Ilias - Kapitel 6 by Homer

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Homer

Ilias - Kapitel 6 Annotated

Alles saß nun ruhig, umher auf den Sitzen sich haltend;
Nur Thersites erhob sein zügelloses Geschrei noch:
Dessen Herz mit vielen und törichten Worten erfüllt war,
Immer verkehrt, nicht der Ordnung gemäß, mit den Fürsten               zu hadern,
215    Wo ihm nur etwas erschien, das lächerlich vor den Argeiern
Wäre. Der häßlichste Mann vor Ilios war er gekommen:
Schielend war er, und lahm am anderen Fuß; und die                           Schultern
Höckerig, gegen die Brust ihm geengt; und oben erhub sich
Spitz sein Haupt, auf der Scheitel mit dünnlicher Wolle                       besäet.
220   Widerlich war er vor allen des Peleus Sohn' und Odysseus;
Denn sie lästert' er stets. Doch jetzt Agamemnon dem                       Herrscher
Kreischt' er hell entgegen mit Schmähungen. Rings die                       Achaier
Zürnten ihm heftig empört, und ärgerten sich in der Seele.
Aber der Lästerer schalt mit lautem Geschrei Agamemnon:

225        Atreus Sohn, was klagst du denn nun, und wessen bedarfst           du?
Voll sind dir von Erz die Gezelt', und viele der Weiber
Sind in deinen Gezelten, erlesene, die wir Achaier
Immer zuerst dir schenken, vom Raub eroberter Städte.
Mangelt dir auch noch Gold, das ein rossebezähmender                     Troer

230   Her aus Ilios bringe, zum Lösungswerte des Sohnes,
Welchen ich selbst in Banden geführt, auch sonst ein                         Achaier?
Oder ein jugendlich Weib, ihr beizuwohnen in Wollust,
Wann du allein in der Stille sie hegst? Traun, wenig geziemt               sich's,
Führer zu sein, und in Jammer Achaias Söhne zu leiten!
235   Weichlinge, zag' und verworfen, Achai'rinnen, nicht mehr                   Achaier!
Laßt doch heim in den Schiffen uns gehn, und diesen vor                   Troja
Hier an Ehrengeschenken sich sättigen: daß er erkenne,
Ob auch wir mit Taten ihm beistehn, oder nicht also!
Hat er Achilleus doch, den weit erhabeneren Krieger,
240   Jetzo entehrt, und behält sein Geschenk, das er selber                         geraubet!
Aber er hat nicht Gall' in der Brust, der träge Achilleus!
Oder du hättest, Atreide, das letztemal heute gefrevelt!

Also schalt Thersites den Hirten des Volks Agamemnon,
Atreus Sohn. Ihm nahte sofort der edle Odysseus;

245   Finster schaut' er auf jenen, und rief die drohenden                             Worte:

Törichter Schwätzer Thersites, obgleich ein tönender                    Redner,
Schweig', und enthalte dich, immer allein mit den Fürsten zu             hadern!
Denn nicht mein' ich, daß irgend ein schlechterer Mensch                 wie du selber
Wandle, so viel herzogen mit Atreus Söhnen vor Troja!

250   Nie drum nenne dein Mund die Könige vor der                                     Versammlung!
Schreie sie nicht mit Schmähungen an, noch laur' auf die                   Heimfahrt!
Denn noch wissen wir nicht, wohin sich wende die Sache:
Ob wir zum Glück heimkehren, wir Danaer, oder zum                         Unglück.
Sitzest du, Atreus Sohn, den Hirten des Volks Agamemnon,
255   Darum zu schmähn allhier, weil ihm die Helden Achaias
Schätze so reichlich geschenkt, und lästerst ihn vor der                       Versammlung?
Aber ich sage dir an, und das wird wahrlich vollendet!
Find' ich noch einmal dich vor Wahnsinn toben, wie jetzo;
Dann soll Odysseus Haupt nicht länger stehn auf den                         Schultern,
260   Dann soll keiner hinfort des Telemachos Vater mich nennen:
Wenn ich nicht dich ergreif, und jedes Gewand dir entreiße,
Deinen Mantel und Rock, und was die Scham dir umhüllet,
Und mit lautem Geheul zu den rüstigen Schiffen dich sende,
Aus der Versammlung gestäupt mit schmählichen                               Geißelhieben!

265     Also der Held; und zugleich mit dem Scepter ihm Rücken                und Schultern
Schlug er; da wand sich jener, und häufig stürzt' ihm die                     Träne.
Eine Striem' erhub sich mit Blut aufschwellend am Rücken
Unter des Scepters Gold. Er setzte sich nun, und bebte,
Murrend vor Schmerz, mit entstelltem Gesicht, und wischte              die Trän' ab.

Rings, wie betrübt sie waren, doch lachten sie herzlich um                 jenen.
Also redete mancher, gewandt zum anderen Nachbar:

Trau, gar vieles bereits hat Odysseus gutes vollendet,
Heilsamen Rat zu reden berühmt, und Schlachten zu ordnen;
Aber anjetzt vollbracht er das Trefflichste vor den Argeiern,

275   Daß er den ungestümen und lästernden Redner                                   geschweiget!
Schwerlich möcht' er hinfort, wie das mutige Herz ihn auch               antreibt,
Wider die Könige sich mit schmähenden Worten empören!

Also das Volk. Da erhub sich der Städteverwüster                           Odysseus,
Haltend den Herrscherstab; und neben ihm Pallas Athene,

280   Gleich an Gestalt dem Herold, gebot Stillschweigen den                     Völkern:
Daß die Nächsten zugleich und die äußersten Männer                       Achaias
Hörten des Redenden Wort, und wohl nachdächten dem                   Rate.
Jener begann wohlmeinend, und redete vor der                                   Versammlung:

Atreus Sohn, nun bereiten die Danaer dir, o Gebieter,

285   Hohn und Schmach vor den Völkern des redenden                               Menschengeschlechtes;
Und vollenden dir nicht die Verheißungen, die man gelobet,
Als man hieher dir folgt' aus der rossenährenden Argos:
Heimzugehn ein Vertilger der festummauerten Troja.
Denn wie zarte Kindelein tun, und verwitwete Weiber,
290   Klagen sie dort einander ihr Leid, und jammern um                             Heimkehr.
Freilich ringt wohl jeder, wer Trübsal duldet, nach Heimkehr.
Denn wer auch einen Mond nur entfernt ist seiner Gemahlin,
Weilet ja schon unmutig am vielgeruderten Schiffe,
Welches der winternde Sturm aufhält, und des Meeres                       Empörung.
295   Doch uns schwand das neunte der rollenden Jahre vorüber,
Seit wir allhier ausharren. Ich tadele nicht die Achaier,
Daß man traurt bei den Schiffen, und heimstrebt. Aber                       es wär' uns
Schändlich doch, die so lange geweilt, leer wiederzukehren!
Duldet, o Freund', und harrt noch ein weniges, daß wir                       erkennen,
300   Ob uns Wahrheit von Kalchas enthüllt ward, oder nicht also.
Denn wohl denken wir jenes im Geiste noch, und ihr bezeugt             es
Alle, die nicht wegführten die graulichen Keren des Todes.
Gestern war's, wie mir daucht, da sich unsere Schiffe bei                   Aulis
Sammelten, Böses zu bringen dem Priamos selbst und den                 Troern.
305   Ringsher opferten wir um den Quell den unsterblichen                       Göttern
Auf geweihten Altären vollkommene Festhekatomben,
Unter des Ahorns Grün, dem blinkendes Wasser                                 entsprudelt.
Sich, und ein Zeichen geschah. Ein purpurschuppiger                           Drache,
Gräßlich zu schaun, den selber ans Licht der Olympier                       sandte,
310   Unten entschlüpft dem Altar, fuhr schlängelnd empor an                     dem Ahorn.
Dort nun ruhten im Neste des Sperlings nackende Kindlein,
Oben auf schwankendem Ast, und schmiegten sich unter                   den Blättern,
Acht; und die neunte war der Vögelchen brütende Mutter.
Jener nunmehr verschlang die kläglich Zwitschernden alle;
315    Nur die Mutter umflog mit jammernder Klage die Kindlein,
Bis er das Haupt hindreht', und am Flügel die Schreiende                   haschte.
Aber nachdem er die Jungen verzehrt, und das Weibchen                 des Sperlings;
Stellte zum Wunderzeichen der Gott ihn, der ihn gesendet:
Denn zum Stein erschuf ihn der Sohn des verborgenen                       Kronos.
320   Wir nun standen umher, und stauneten ob der Erscheinung,
Wie doch solcherlei Graun eindrang in der Himmlischen                     Opfer.
Schleunig vor allem Volk weissagete Kalchas der Seher:
Warum steht ihr verstummt, ihr hauptumlockten Achaier?
Uns erschuf dies Wunder der Macht Zeus' waltende                           Vorsicht,
325   Spät von Dauer, und spät erfüllt, zu ewigem Nachruhm!
Gleichwie jener die Jungen verzehrt, und das Weibchen des               Sperlings,
Acht; und die neunte war der Vögelchen brütende Mutter:
Also werden wir dort neun Jahr auch kriegen um Troja,
Doch im zehnten die Stadt voll prächtiger Gassen erobern.
330   So weissagete jener; und nun wird alles vollendet.
Auf denn, bleibt miteinander, ihr hellumschienten Achaier,
Hier nun, bis wir gewonnen des Priamos türmende Feste!

Jener sprach's; auf schrieen die Danaer laut, und umher                 scholl
Ungestüm von den Schiffen das Jubelgetön der Achaier,

335   Alle das Wort hochpreisend des göttergleichen Odysseus.
Drauf vor jenen begann der gerenische reisige Nestor:

Götter! ja traun ihr redet wie Knäbelein hier in                                 Versammlung,
Die unmündig noch nichts um Taten des Kriegs sich                           bekümmern!
Wo sind unsere Verheißungen nun, und die heiligen                           Schwüre?

340   Soll denn in Rauch aufgehen der Rat, und die Sorge der                      Männer,
Opfer des lauteren Weins, und der Handschlag, dem wir                     vertrauet?
Denn mit eiteler Rede ja zanken wir; aber vergebens
Spähen wir heilsam Rat, wie lange wir hier auch verweilen!
Atreus Sohn, du künftig, wie vor, unerschüttertes Herzens,
345   Führe der Danaer Volk in wütendes Waffengetümmel.
Aber dahin laß schwinden die einzelnen, welche gesondert
Etwa von uns ratschlagen, (denn nie wird solchen Erfüllung!)
Heim gen Argos zu kehren, bevor vom Ägiserschüttrer
Wir erkannt, ob er Täuschung gelobete, oder nicht also.
350   Denn ich sag', uns winkte der hocherhabne Kronion
Jenes Tags, da wir stiegen in meerdurchgleitende Schiffe,
Argos' Volk, die Troer mit Mord und Verderben bedrohend:
Rechtshin zuckte sein Blitz, ein heilsweissagendes Zeichen!
Drum daß keiner zuvor wegdräng' und strebe zur Heimkehr,
355   Eh' er allhier mit einer der troischen Frauen geruhet,
Eh' er gerächt der Helena Angst und einsame Seufzer!
Sehnt sich einer indes so gar unbändig nach Heimkehr,
Wag' er mir's, sein schwarzes gebogenes Schiff zu berühren:
Daß er zuerst vor allen den Tod und das Schicksal erreiche!
360   Sinne denn selbst, o König, auf Rat, und hör' ihn von andern.
Nicht wird dir verwerflich das Wort sein, welches ich rede.
Sondere rings die Männer nach Stamm und Geschlecht,                     Agamemnon:
Daß ein Geschlecht dem Geschlecht beisteh', und Stämme               den Stämmen.
Tust du das, und gehorchen die Danaer dir; dann erkennst                 du,
365   Wer von den Führern des Heers der Feigere, wer von den                   Völkern,
Und wer tapferer sei: denn es kämpft nun jeder das Seine.
Auch erkennst du, ob Göttergewalt die Eroberung hindert,
Oder des Heers Feigheit, und mangelnde Kriegserfahrung.

Ihm antwortete drauf der Völkerfürst Agamemnon:

370   Wahrlich im Rat besiegst du, o Greis, die Männer Achaias.
Wenn doch, o Vater Zeus, und Pallas Athen', und Apollon,
Noch zehn andere Räte wie du mir wären im Volke!
Bald dann neigte sich uns des herrschenden Priamos Feste,
Unter unseren Händen besiegt und zu Boden getrümmert!
375   Aber Zeus Kronion, der Donnerer, sandte mir Unheil,
Der in ein eitles Gewirr von Hader und Zank mich verwickelt.
Denn ich selbst und Achilleus entzweiten uns, wegen des                 Mägdleins,
Mit feindseligen Worten; ich aber begann die Entrüstung.
Wenn wir je uns wieder vereinigen; traun nicht länger
380   Säumt dann noch das Verderben von Ilios, auch nicht ein                   kleines!
Doch nun geht zum Mahle, damit wir rüsten den Angriff.
Wohl bereite sich jeder den Schild, wohl schärf' er die Lanze;
Wohl auch reich' er die Kost den leichtgeschenkelten                         Rossen;
Wohl auch späh' er den Wagen umher, und gedenke der                   Feldschlacht:
385   Daß wir den ganzen Tag im schrecklichen Kampf uns                         versuchen.
Denn nicht wenden wir uns zum Ausruhn, auch nicht ein                   kleines,
Ehe die Nacht herkommend den Mut der Männer gesondert.
Triefen vom Schweiß wird manchem das Riemengehenk um             den Busen
Am ringsdeckenden Schild, und starren die Hand an der                     Lanze;
390   Triefen auch manchem das Roß, vor den zierlichen Wagen                 gespannet.
Aber wofern mir einer, der Schlacht mit Fleiß sich enthaltend,
Bei den geschnäbelten Schiffen zurückbleibt; wahrlich                         umsonst wird
Dieser umher dann schaun, zu entfliehn den Hunden und                   Vögeln!

Jener sprach's; auf schrien die Danaer laut: wie die                          Meerflut

395   Brüllt um den hohen Strand, wann kommend der Süd sie                     emporwühlt
Am vorragenden Fels, der nie von Wogen verschont ist,
Aller Wind' umher, ob sie dorthin wehen, ob dorthin.
Schnell nun sprangen sie auf, und liefen umher durch die                   Schiffe;
Rings entstieg den Gezelten der Rauch, und sie nahmen das             Frühmahl.
400   Andere opferten andern der ewig währenden Götter,
Flehend, dem Tode der Schlacht zu entgehn, und denn                       Toben des Ares.
Jener selbst auch weihte, der Völkerfürst Agamemnon,
Einen Stier, fünfjährig und feist, dem starken Kronion.
Und er berief die ältesten, die edleren aller Achaier:
405    Nestor zuerst vor allen, Idomeneus dann, den Beherrscher,
Auch die Ajas beid', und Tydeus Sohn Diomedes,
Auch den sechsten Odysseus, an Ratschluß gleich dem                     Kronion.
Aber es kam freiwillig der Rufer im Streit Menelaos;
Denn er erkannt' im Herzen, wie viel dem Bruder zu tun war.
410    Und sie umstanden den Stier, und nahmen sich heilige                       Gerste;
Betend erhub die Stimme der Völkerfürst Agamemnon:

Zeus, ruhmwürdig und hehr, schwarzwolkiger, Herrscher               des Äthers!
Nicht bevor laß sinken die Sonn', und das Dunkel                                 heraufziehn,
Eh' ich hinab von der Höhe gestürzt des Priamos Wohnung,

415   Dunkel von Rauch, und die Tore mit feindlicher Flamme                       verwüstet;
Eh' ich vor Hektors Brust ringsher zerrissen den Panzer
Mit eindringendem Erz, und viel um ihn der Genossen,
Vorwärts liegend im Staub, mit Geknirsch in die Erde                            gebissen!

Jener sprach's; doch mit nichten gewährt' ihm solches                    Kronion;

420   Sondern er nahm sein Opfer, und häuft' ihm unnennbare                   Drangsal.
Aber nachdem sie gefleht, und heilige Gerste gestreuet;
Beugten zurück sie den Hals, und schlachteten, zogen die                   Haut ab,
Sonderten dann die Schenkel, umwickelten solche mit Fette
Zwiefach umher, und bedeckten sie dann mit Stücken der                 Glieder.
425   Dies verbrannten sie alles, gelegt auf entblätterte Scheiter;
Wendeten dann durchspießt die Eingeweid' an der Flamme.
Als sie die Schenkel verbrannt, und die Eingeweide gekostet;
Schnitten sie auch das übrige klein, und steckten's an                         Spieße,
Brieten es dann vorsichtig, und zogen es alles herunter.
430   Aber nachdem sie ruhten vom Werk, und das Mahl sich                     bereitet;
Schmausten sie, und nicht mangelt' ihr Herz des                                   gemeinsamen Mahles.
Aber nachdem die Begierde des Tranks und der Speise                       gestillt war;
Jetzo begann das Gespräch der gerenische reisige Nestor:

Atreus Sohn, ruhmvoller, du Völkerfürst Agamemnon:

435   Laß uns nicht hier redend die Zeit verlieren, und länger
Nicht aufschieben das Werk, das jetzo der Gott uns                             vertrauet.
Auf denn und heiß ausrufend die Herolde, rings der Achaier
Erzumpanzertes Volk umher bei den Schiffen versammeln.
Wir dann wollen gesellt das weite Heer der Achaier
440   Alle durchgehn, um schneller die wütende Schlacht zu                       erregen.

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