Theodor Fontane
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Vierzehntes Kapitel
Es geschieht etwas
Sankt Jonathan, der 29. Dezember, war von alter Zeit her der Tag der Umzüge in Hohen-Vietz, allerhand Mummenschanz wurde getrieben, und bei Beginn des Nachmittags zogen außer Knecht Ruprecht und dem Christkinde auch Joseph und Maria und die Heiligen Drei Könige von Haus zu Haus. Zu diesem alten Bestande traten aber auch neue Figuren hinzu, so heute der »Sommer« und der »Winter«, von denen jener zu seinem leichten Strohhut Harke und Sense, dieser zu Pelz und Holzpantinen einen Dreschflegel trug. Sie führten ein Zwiegespräch:
Ich bin der Winter stolz,
Ich baue Brücken ohne Holz –
und rühmten sich ihrer gegenseitigen Vorzüge, bis zuletzt Versöhnung und Segenswünsche für das jedesmalige Haus, in dem sie sich befanden, ihren langausgesponnenen Streit beendeten.
Ein besonderes Glück machten heut auch die Schulkinder, deren mehrere als »Schneewittchen und ihre Zwerge« ihren Umzug hielten; Schneewittchen mit langem blonden Haar, die Zwerge mit Flachsbärten und braunen Kapuzen. Als sie zuletzt auf den Gutshof kamen, fanden sie die jungen Herrschaften samt Tante Schorlemmer in derselben großen Halle, in der auch der Weihnachtsaufbau stattgefunden hatte, versammelt, und nach kurzer Ansprache, worin Schneewittchen für ihre Begleiter um die Erlaubnis zum Rätselaufgeben gebeten hatte, traten die Zwerge vor und taten ihre Fragen:
»Was kann kein Mensch erzählen?«
Daß er gestorben ist.
»Wer kann alle Sprachen reden?«
Der Widerhall.
»Wer ist stärker, der Reiche oder der Arme?«
Der Arme; denn er hat Not, und Not bricht Eisen.
So gingen die Fragen, aber die hier gegebenen Antworten blieben aus, und Maline Kubalke, die mit in der Halle war, mußte manchen Teller voller Äpfel und Nüsse herbeischaffen, um die Quersäcke der Zwerge zu füllen.
So verging der Nachmittag. Als es dunkelte, wurd' es still in Hohen-Vietz, weil alt und jung zu Tanz und festlichem Beisammensein im Scharwenkaschen Krug sich putzte, und erst um die sechste Stunde, als von den ausgebauten Losen her, die zum Teil weit ins Bruch hineinlagen, Wagen und Schlitten unter Peitschenknall und Schellengeläut herangefahren kamen, war es mit dieser Stille wieder vorbei.
Auch auf dem Herrenhofe rüstete sich alles zum Aufbruch, Herrschaft und Dienerschaft, und wer eine halbe Stunde nach Beginn des Tanzes von der Dorfstraße her auf die lange Front des Vitzewitzschen Wohnhauses geblickt hätte, hätte nur an zwei Fenstern Licht gesehen. Diese zwei Fenster lagen neben der Amts- und Gerichtsstube und zogen die Aufmerksamkeit nicht bloß dadurch auf sich, daß sie die einzig erleuchteten waren, sondern mehr noch durch das dunkle Weingeäst, das sich von dem starken Spalier aus in zwei, drei phantastischen Linien quer über die Lichtöffnung ausspannte. Hinter diesen Fenstern, an einem mit einem roten Stück Fries überdeckten Sofatisch, saßen Renate und Kathinka, zu denen sich seit einer Viertelstunde, um den Abend mit ihnen zu verplaudern, auch Marie gesellt hatte. Allen dreien, selbst Kathinka nicht ausgeschlossen, war es eine herzliche Freude, sich einmal allein und ganz unter sich zu wissen, und um diese Freude noch zu steigern, hatten sie sich aus dem großen Gesellschaftszimmer des Erdgeschosses in diese viel kleinere Stube des ersten Stockes zurückgezogen.
Tante Schorlemmer fehlte. Sie war gegen ihre Gewohnheit ausgeflogen und saß plaudernd in der Pfarre, während der alte Vitzewitz abwechselnd vom Schulzen Kniehase und dann wieder von Lewin und Tubal unterstützt, im Kruge seinen politischen Diskurs hatte. Die Bauern zeigten sich in allem willig; es war so recht ein Abend, um das Eisen zu schmieden.
Sehr anders, wie sich denken läßt, verliefen mittlerweile die Plaudereien unserer drei jungen Mädchen, von denen Renate durch besondere Lebhaftigkeit, Marie durch besondere Zurückhaltung sich auszeichnete. Sie hatte – aller Herzlichkeit unerachtet, mit der sich ihr Kathinka, wie schon bei früheren Gelegenheiten, so auch diesmal wieder genähert hatte – doch ein bestimmtes Gefühl, daß es sich für sie zieme, ihre schwesterlich-intime Stellung zu Renaten so wenig wie möglich geltend zu machen und nur bei gegebener Veranlassung, am liebsten, wenn aufgefordert, sich an dem Gespräche der beiden Cousinen zu beteiligen. Dieses Gespräch selbst war ihr Freude genug und wurd' es mit jedem Augenblicke mehr, seit Kathinka, die halb sitzend, halb liegend, den rechten Fuß auf die Sofapolster gezogen hatte, von Berliner Gesellschaftszuständen und zuletzt von einer großen Soiree bei dem alten Prinzen Ferdinand zu sprechen begann.
»Das ist der Vater von dem Prinzen Louis, der bei Saalfeld fiel?« fragte Renate. »Was gäb' ich drum«, fuhr sie fort, nachdem ihre Frage bejaht worden war, »wenn ich einer solchen Soiree beiwohnen könnte! Papa hat es mir für diesen Winter versprochen; aber die Zeiten sehen nicht darnach aus.«
»Du verlierst weniger dabei, als du meinst. Es sind Gesellschaften wie andere mehr. Du siehst Generale, Grafen, Präsidenten, als wärest du in Ziebingen oder in Guse; die Schleppen sind etwas länger, und ein paar hundert Lichter brennen mehr. Das ist alles.«
»Aber der Prinz wird doch keine Krachs und Bammes um sich versammeln?«
»Nicht ausschließlich; aber ebensowenig kann er sie vermeiden. Er hat keine Wahl; Stellung und Geburt entscheiden, nicht der Mann. Du siehst auf die Auserwählten von Schloß Guse mit so wenig Respekt, weil du sie kennst; aber laß deine Neugier und Eitelkeit erst einen einzigen Winter lang befriedigt sein, und es ist mit dem Zauber dieser Hofgesellschaften für immer vorbei.«
»Ich zweifle daran, wenn ich auch glaube, daß du persönlich nicht anders sprechen kannst. Du erhebst eben Ansprüche, die mir fremd sind. Ich für meinen Teil würde zufrieden sein, einen Blick in diese Welt tun zu dürfen, in der jeder etwas bedeutet. Nimm den alten Prinzen selbst; er ist der Bruder Friedrich des Großen; das allein genügt, ihn mir wert zu machen; ich könnte nicht ohne Ehrfurcht auf ihn blicken. Er würde mich vielleicht ignorieren oder ein an und für sich gleichgiltiges Wort an mich richten, aber es würde mir nicht gleichgiltig sein, ihn gesehen oder gesprochen zu haben.«
Kathinka lächelte.
»Du lachst mich aus«, fuhr Renate fort, »aber denke, daß ich das Leben eines armen Landfräuleins führe, öde und einsam, und statt der Mutter nur die gute Schorlemmer im Haus. Gib mir die Hand, Marie; du bist mir Trost und Freude, aber du kannst mir keinen Hofball ersetzen. Wie das alles blitzen und rauschen muß! Und dann der König selbst. Nenne mir ein paar Namen, Kathinka, daß ich mir eine Vorstellung machen kann.«
»O da ist der alte Graf Reale, der Gemahl der Oberhofmeisterin, der vor zwei Jahren auf Besuch in Guse war, und der Hofmarschall von Massow auf Steinhöfel, und der Herr von Eckardtstein auf Prötzel, und Herr von Burgsdorff auf Ziebingen, und Graf Drosselstein auf Hohen-Ziesar.«
»Aber die kenn' ich ja alle.«
»Eben darum hab' ich sie dir genannt.«
»Und die fremden Gesandten!« sagte Renate, der kurzen Unterbrechung nicht achtend. »Wie gern säh' ich den Grafen von St. Marsan und den Minister Hardenberg, an dem Papa beständig zu mäkeln und zu tadeln hat. Ich denke mir ihn liebenswürdig. Apropos! Ist auch dein Graf Bninski, verzeihe, daß ich ihn so nenne, bei Hofe vorgestellt worden?«
»Nein. Er lehnte es ab.«
»Ach, nun weiß ich, warum die Hofgesellschaften so wenig Gnade vor dir finden. Lewin hat mir den Grafen beschrieben; aber ich möcht' ihn gern von dir geschildert hören.«
»Denk ihn dir als das Gegenteil von dem Konrektor, dem ich heute vormittag das Glück hatte vorgestellt zu werden. Wie hieß er doch?«
»Othegraven!«
»Richtig, Othegraven. Ein hübscher Name, ursprünglich adlig. Aber diese bürgerliche Abart, welche pedantische Figur! Er hält sich gerade, aber es ist die Geradheit eines Lineals.«
»Du mußt ihn auf das hin ansehen, was er ist.«
»Dann kann er als vollkommen gelten; denn er ist der Schulmeister, wie er im Buche steht.«
»Ich sehe doch, wie recht Tante Amelie hatte, als sie neulich von dir sagte: Kathinka ist eine Polin. Nur die Deutschen, wie mir erst gestern wieder unser Seidentopf versicherte, verstehen es, von äußerlichen Dingen abzusehen. Meinst du nicht auch?«
»Nein, Närrchen, ich meine es nicht; es ist nur deutsch, sich in diesen und ähnlichen Eitelkeiten zu gefallen. Und ich will auch nicht daran rütteln, ebensowenig wie an den Verketzerungen, die über uns Polen von langer Zeit her im Schwunge sind. Nur zweierlei wird man uns lassen müssen: Leidenschaft und Phantasie. Und nun laß dir sagen, Schatz, wenn es etwas in der Welt gibt, das imstande ist, über Äußerlichkeiten hinwegzusehen, so sind es diese beiden. Der Graf ist ein schöner Mann, aber ich versichere dich, er wäre mir derselbe, wenn er auch diesem Othegraven wie sein leiblicher Zwillingsbruder gliche. Denn bei der vollkommensten äußeren Ähnlichkeit würde diese Ähnlichkeit doch aufhören, weil er eben innerlich von Grund aus ein anderer ist.«
»Ein anderer. Aber ob ein besserer?«
»Es genügt ein anderer. Es gibt prosaische und poetische Tugenden. Laß uns über den Wert beider nicht rechten. Ich möchte dich nur dahin bekehren, daß es nicht Form und Erscheinung ist, wiewohl ich beide zu schätzen weiß, was mir den Grafen wert und angenehm macht.«
»Und so wär' es denn was?«
»Beispielsweise seine Treue. Denn, unglaublich zu sagen, die Polen können auch treu sein.«
»Es gilt wenigstens nicht als ihre hervorragendste Eigenschaft.«
»Um so mehr ziert sie den, der sie hat. Und ich möchte Bninski dahin zählen. Als Kosciuszko im letzten Treffen, das über Polen entschied, am Saume eines Tannenwäldchens lag, das er drei Stunden lang gegen Übermacht verteidigt hatte, stand ein Fahnenjunker, ein halbes Kind noch, neben ihm und deckte den von Blutverlust ohnmächtig Gewordenen mit seinem jungen Leben. Er hätte sich retten können, aber er verschmähte es. Endlich überwältigt, bat er um eines nur: seinen gefangenen General pflegen und dieselbe Zelle mit ihm teilen zu dürfen. Dieser Fahnenjunker war der Graf.«
Marie, die bis dahin von ihrer Handarbeit nicht aufgeblickt hatte, sah Kathinka mit ihren großen Augen an.
Kathinka aber, den Blick freundlich erwidernd, fuhr fort: »Siehe, Renate, das war Treue; nicht solche, wie ihr sie liebt, die jeden heimlichen Kuß zu einer Kette für Zeit und Ewigkeit machen möchte, aber doch auch eine Treue und nicht der schlechtesten eine. Und wie der Fahnenjunker war, so blieb er. Er war mit in Spanien. Das polnische Lancierregiment, das er führte, Tubal hat mir davon erzählt, nahm einen Engpaß; den Namen hab' ich vergessen; aber sie sagen, der Fall stehe einzig da in der Kriegsgeschichte. Unter den wenigen, die den Tag überlebten, war der Graf. Nach Paris schwerverwundet zurückgeschafft, empfing er aus des Kaisers Hand das rote Band der Ehrenlegion. Und ich darf sagen, es kleidet ihn... Nein, Renate, du verkennst mich und dich nicht minder. Wir empfinden gleich. Alles Poetische reißt uns hin, und Steifheit und Pedanterie, auch wenn sie Othegraven heißen, lassen uns kalt. Das ist nicht polnisch, das ist weiblich. Frage Marie.«
»Ich werde die Frage nicht tun«, scherzte Renate, »denn du mußt wissen –«
»So will ich antworten, ohne gefragt zu sein«, unterbrach Marie mit Unbefangenheit. »Alle Welt schätzt den Konrektor, unser Pastor liebt ihn –«
»Aber du, könntest du ihn lieben?«
»Nein. Nie und nimmer, und wenn er Kosciuszko verteidigte oder einen Engpaß stürmte. Er ist vielleicht mutig, aber ich kann ihn mir nicht als Helden vorstellen. Ich bedauere, wenn ich ihm unrecht tue. Wen ich lieben soll, der muß mich in meiner Phantasie beschäftigen. Er beschäftigt mich aber überhaupt nicht.«
»Aber du ihn desto mehr. Othegraven hat Heimlichkeiten, flüsterte mir noch gestern unser alter Seidentopf zu. – Doch es schlägt neun, und wir vergessen über dem Plaudern unser Abendbrot.«
Damit erhob sich Renate und schritt auf eine Rokokokommode zu, auf deren überall ausgesprungener Perlmutterplatte Maline, ehe sie das Haus verließ, ein großes Cabaret mit kaltem Aufschnitt samt Tischzeug und Teller gestellt hatte.
Das Sofa und die Kommode standen an derselben Wand, und zwischen ihnen war nur der Raum frei, wo sich die früher aus diesem Fremdenzimmer in die Amts- und Gerichtsstube führende Tür befunden hatte. Diese Türstelle, weil nur mit einem halben Stein zugemauert, bildete eine flache Nische und war deutlich erkennbar.
Renate, in ihrer Plauderei fortfahrend, war eben – während Kathinka die Lampe aufhob – im Begriff, das Cabaret, das nach damaliger Sitte in einer Holzeinfassung stand, auf den Tisch zu setzen, als sie etwas klirren hörte.
Sie sah die beiden anderen Mädchen an. »Hörtet ihr nichts?«
»Nein.«
»Es klirrte etwas.«
»Du wirst mit dem Cabaret an die Teller gestoßen haben.«
»Nein, es war nicht hier, es war nebenan.«
Damit legte sie das Ohr an die Wand, da, wo die vermauerte Tür war.
»Wie du uns nur so erschrecken konntest«, sagte Kathinka. Aber ehe sie noch ausgesprochen hatte, hörten alle drei deutlich, daß in dem großen Nebenzimmer ein Fensterflügel aufgestoßen wurde. Gleich darauf ein Sprung, und dann vorsichtig tappende Schritte, vielleicht nur vorsichtig, weil es dunkel war. Es schienen zwei Personen. Und in dem weiten Hause niemand außer ihnen, keine Möglichkeit des Beistandes; sie ganz allein. Marie flog an die Tür und riegelte ab; Kathinka, ohne sich Rechenschaft zu geben, warum, schraubte die Lampe niedriger. Nur noch ein kleiner Lichtschimmer blieb in dem Zimmer.
Renate legte wieder das Ohr an die Wand. Nach einer Weile hörte sie deutlich den scharfen, pinkenden Ton, wie wenn mit Stahl und Stein Feuer angeschlagen wird; sie horchte weiter, und als der Ton endlich schwieg, war ihre Phantasie so erregt, daß sie wie hellsehend alle Vorgänge im Nebenzimmer zu verfolgen glaubte. Sie sah, wie der Schwamm angeblasen wurde, wie der Schwefelfaden brannte und wie die beiden Einbrecher, nachdem sie auf dem Schreibtisch umhergeleuchtet, das Wachslicht anzündeten, mit dem der Vater die Briefe zu siegeln pflegte. Alles war Einbildung, aber einen Lichtschein, während sie den Kopf einen Augenblick zur Seite wandte, sah sie jetzt wirklich, einen hellen Schimmer, der von der Amtsstube her auf das Schneedach des alten gegenübergelegenen Wohnhauses fiel und von dort über den dunkelen Hof hin zurückgeworfen wurde.
Die Mädchen sprachen kein Wort; alle unter der unklaren Vorstellung, daß Schweigen die Gefahr, in der sie sich befanden, verringere. Sie reichten sich die Hand und lugten nach der Auffahrt und, soweit es ging, nach der Dorfgasse hinüber, von der allein die Hilfe kommen konnte.
Nebenan war es mittlerweile wieder lebendig geworden. Es ließ sich erkennen, daß sich die Strolche sicher fühlten. Sie warfen einen Bündel Nachschlüssel wie mit absichtlichem Lärmen auf die Erde und fingen an, sich an der großen, neben der Tür stehenden Truhe, darin das Geld und die Dokumente lagen, zu schaffen zu machen. Sie probierten alle Schlüssel durch, aber das alte Vorlegeschloß widerstand ihren Bemühungen.
Ein Fluch war jetzt das erste Wort, das laut wurde; dann sprangen sie, die bis dahin größerer Bequemlichkeit halber vor der Truhe gekniet haben mochten, wieder auf und begannen, wenn der Ton nicht täuschte, an der inneren, die beiden Stuben voneinander trennenden Wand hin auf den Regalen umherzusuchen. Sie rissen die Bücher in ganzen Reihen heraus und fegten, als sie auch hier nichts ihnen Passendes entdeckten, mit einer einzigen Armbewegung den Sims ab, so daß alles, was auf demselben stand: chinesische Vase, Büste, Dragonerkasketts, mit lautem Geprassel an die Erde fiel. Ihre Wut schien mit der schlechten Ausbeute zu wachsen, und sie rüttelten jetzt an der alten Tür, die nach dem Korridor hinausführte. Wenn sie nachgab!
Die Mädchen zitterten wie Espenlaub. Aber das schwere Türschloß widerstand, wie vorher das Truhenschloß widerstanden hatte.
Die Gefahr schien vorüber; noch ein Tappen, wie wenn in Dunkelheit der Rückzug angetreten würde; dann alles still.
Renate atmete auf und schritt auf den Tisch zu, um die Lampe wieder höherzuschrauben; aber im selben Augenblicke fuhr sie zurück; sie hatte deutlich einen Kopf gesehen, der von der Seite her sich vorbeugte und in das Zimmer hineinstarrte.
Keines Wortes mächtig und nur mühsam an der Sofalehne sich haltend, wies sie auf das Fenster, vor dem jetzt wie ein Schattenriß eine Gestalt stand, die mit der Linken an dem Weingeäst sich klammerte, während die mit einem Fausthandschuh überzogene Rechte die Scheibe eindrückte und nach dem Fensterriegel suchte, um von innen her zu öffnen.
Alle drei Mädchen schrien laut auf und stoben auseinander; Kathinka, aller sonstigen Entschlossenheit bar, faltete die Hände und versuchte zu beten, Renate riß an der Klingelschnur, gleichgiltig gegen die Vorstellung, daß niemand da sei, die Klingel zu hören, während Marie, von äußerster Angst erfaßt, in die Gefahr hineinsprang und, ohne zu wissen, was sie tat, zu einem Stoß gegen die Brust des Draußenstehenden ausholte. Aber ehe der Stoß traf, knackte und krachte die Spalierlatte, und die dunkele Gestalt draußen stürzte auf den Schnee des Hofes nieder.
Keines der Mädchen wagte es, einen Blick hinaus zu tun, aber sie hörten jetzt deutlich den Ton der Flurglocke, die Renate fortfuhr zu läuten, und gleich darauf das Anschlagen eines Hundes. Es war ersichtlich, daß Hektor seine neben der Herdwand liegende warme Binsenmatte dem Tanzvergnügen im Krug vorgezogen und, ohne daß jemand davon wußte, das Haus gehütet hatte. Er stand jetzt unten auf der Flurhalle, unsicher, was das Läuten meine, und sein Bellen und Winseln schien zu fragen: wohin? Aber er sollte nicht lange auf Antwort warten. Renate, die Tür öffnend, rief mit lauter Stimme den Korridor hinunter: »Hektor!« und ehe noch der Ton in dem langen Gange verklungen war, hörte sie das treue Tier, das in mächtigen Sätzen treppan sprang und im nächsten Augenblicke schon der jungen Herrin seine Pfoten auf die Schultern legte. Jegliche Angst war jetzt von ihr abgefallen; sie faßte mit der Linken das Halsband des Hundes, um Halt und Stütze zu haben, und flog dann mit ihm treppab über den Hof hin. Als sie eben von der Auffahrt her in die Dorfgasse einbiegen wollte, stand der alte Vitzewitz vor ihr.
»Gott sei Dank, Papa – Diebe – komm!«
Im nächsten Augenblick war der Alte in dem Zimmer oben, wo sich Kathinka weinend an seinen Hals warf, während Marie ihm mit noch zitternden Lippen die Hände küßte.