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Drittes Kapitel
Geheimrat von Ladalinski
Das Haus, das der Geheimrat von Ladalinski bewohnte, lag in der Königsstraße, der alten Berliner Gerichtslaube schräg gegenüber. Es war ein aus dem Anfange des vorigen Jahrhunderts stammender, damals auf Geheiß König Friedrichs I. aufgeführter Spätrenaissancebau, der an seiner Fassade durch mannigfache geschmacklose Restaurationen gelitten, im Innern aber seine frühere Stattlichkeit vollkommen beibehalten hatte. Namentlich galt dies, neben Hof und Treppe, von dem ganzen ersten Stock, in dem die Empfangs- und Gesellschaftsräume lagen. Hier zeigten sich noch jene Stuckornamente, die den Barockbauten Schlüters so viel Reiz und Leben liehen, und vom Plafond herab grüßten, wenn auch stark nachgedunkelt, die großen, nach Giulio Romanoschen Originalen im Corte reale zu Mantua ausgeführten Deckenbilder, mit denen der prachtliebende König den ganzen ersten Stock hatte dekorieren lassen. An diese Gesellschaftsräume schlossen sich nach rechts und links hin zwei kleinere Zimmer, einfenstrig mit breiten Wandflächen, die, weil mehr benutzt, auch mehr eingebüßt und von ihrer ehemaligen reichen Ausschmückung nur die Deckenbilder, darunter ein »Nacht und Morgen« und einen »Sturz des Phaethon« gerettet hatten.
Das eine dieser beiden kleineren Zimmer war das geheimrätliche Arbeitskabinett, dessen der Tür gegenüber befindliche Längswand von zwei hohen, eine ganze Registratur bildenden Aktenrealen eingenommen wurde. Zwischen diesen Realen auf einem freigebliebenen Wandstreifen hing das Bildnis einer schönen jungen Frau, deren Ähnlichkeit mit Kathinka unverkennbar war. Dasselbe ins Rötliche spielende kastanienbraune Haar, vor allem derselbe Augenausdruck, so daß das einzige, was abwich, das minder scharfgeschnittene Profil, als etwas Gleichgültiges erscheinen konnte. Durch die halbe Länge des Zimmers hin zog sich ein großer Arbeitstisch; er stand so, daß das Auge des Geheimrats, wenn er aufsah, das schöne Frauenporträt treffen mußte. Im übrigen hatte das Kabinett manches, was an die Einrichtung eines Junggesellenzimmers erinnerte. Neben dem altmodischen, mit Bildern aus der biblischen Geschichte geschmückten Ofen machte sich ein ziemlich großer, aber flacher und mit roten Tuchflicken angefüllter Korb bemerkbar, der einem englischen Windspiel als Lagerstätte diente, während in einem in der Fensternische stehenden Glasbassin mehrere Goldfischchen ihr munteres Spiel trieben. Die halbherabgelassenen Rouleaux dämpften das ohnehin nur mäßig einfallende Licht; alles war Wärme und Behagen.
Die kleine Pendule schlug eben zehn, als der Geheimrat eintrat, ein Sechziger, groß und schlank, das kurzgeschnittene graue Haar voll und dicht nach oben gerichtet. Er trug einen veilchenfarbenen Samtschlafrock, unter dem er sich in bereits sorglichster Toilette zeigte. Seine Haltung, vor allem die Adlernase, gaben ihm etwas entschieden Distinguiertes. Das Windspiel drängte sich an ihn, um ihn respektvoll, aber verdrießlich zu begrüßen, und zog sich dann zitternd, während das Glöckchen an seinem Halse hin und her tingelte, wieder in seinen warmen Korb zurück. Der Geheimrat seinerseits schritt auf das Bassin zu, um die Fischchen mit einigen Krumen und Insekteneiern zu füttern; er verweilte minutenlang dabei und nahm dann Platz an seinem Arbeitstisch, auf dem amtliche Schreiben, auch mehrere Zeitungen, darunter englische und französische, ausgebreitet lagen. Er pflegte zunächst alles Geschriebene zu erledigen; heute hielt er sich zu den Zeitungen und nahm den »Moniteur«.
Überlassen wir ihn auf eine Viertelstunde ungestört seiner Lektüre und erzählen wir, während er sich in Empfangsfeierlichkeiten und Loyalitätsadressen vertieft, einiges aus seinem Leben.
Alexander von Ladalinski war um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf dem den Mittelpunkt der gleichnamigen Herrschaft bildenden Schlosse Bjalanowo geboren. Die nächste größere Stadt, aber doch mehrere Meilen entfernt, war Czenstochau. Einige der zur Herrschaft gehörigen Güter zogen sich westlich und griffen mit ihrem Hauptbestande ins Herzogtum Schlesien hinüber, das eben damals preußisch geworden war.
Der junge Ladalinski empfing eine sorgfältige Erziehung, ging, um diese zu vollenden, erst nach Paris, dann nach Wien und hatte, dreiundzwanzig Jahre alt, eben die Verwaltung seiner Güter übernommen, als die Verhältnisse des Landes ihn in die politischen Kämpfe hineinzogen. So wenig er diese Kämpfe liebte, so gewissenhaft führte er sie durch, nachdem er erst in dieselben eingetreten war. Er saß im Reichstag und zählte zu den Hervorragendsten unter den Führern der antirussischen Partei. Schon damals sprach sich in seiner Haltung eine bei mehr als einer Gelegenheit hervortretende Hinneigung zu Preußen aus. Diese Hinneigung, vielleicht auch der schon erwähnte Umstand, daß ein Teil seiner Besitzungen dem preußischen Staatsverbande zugehörte, war es wohl, was bei Veranlassung der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelms II. seine Mission an den Berliner Hof veranlaßte. Er fand an demselben ein ihn auszeichnendes Entgegenkommen, besonders von seiten des Ministers von Bischofswerder, in dessen Hause er sehr bald ein täglicher Gast wurde. Hier war es auch, wo er die junge Comtesse Sidonie von Pudagla kennenlernte. Was ihn vom ersten Augenblicke an mehr noch als ihre Schönheit bezauberte, war der heitere Übermut ihrer Laune, die mit graziöser Rücksichtslosigkeit geübte Kunst, den Schaum des Lebens wegzuschlürfen. Etwas Pedantisches, das ihm eigen und dessen er sich, in seinen jungen Jahren wenigstens, zu seiner eignen Unzufriedenheit bewußt war, ließ ihm diese Kunst ausschließlich im Lichte eines Vorzugs erscheinen. Ehe er Berlin verließ, wurde die Verlobung gefeiert; in der Weihnachtswoche folgte dann die Hochzeit, die, unter Teilnahme des ganzen Prinz Heinrichschen Hofes, von dem Bruder und der Schwägerin der Braut: dem Grafen und der Gräfin von Pudagla, in Rheinsberg ausgerichtet wurde.
Hatte schon die Hochzeitsfeier einen glänzenden Charakter gehabt, so noch mehr die Hochzeitsreise. Es war wie die Einholung einer Prinzessin. An jedem Rastplatze immer neue Überraschungen, die sich steigerten, je näher man dem Ziele kam. Endlich lag Bjalanowo vor ihnen, hoch, im Abenddunkel eben noch erkennbar, und als nun der vorderste Schlitten in die breite, winterlich kahle Avenue einbog, da wurden auf den vier dicken Rundtürmen vier große Feuer angezündet, in deren Schein jetzt der alte, halbverfallene Backsteinbau dalag wie ein Schloß aus dem Märchen. Unter dem jubelnden Zuruf aller Hintersassen fuhr das junge Paar in den Schloßhof ein.
Die Freude, die der Gemahl über die glückliche Durchführung des von ihm selber angeordneten Schauspiels empfand, ließ ihn die Mienen seiner jungen Frau nicht aufmerksam beobachten. Er hätte sonst wahrnehmen müssen, daß sie für den eigentlichen Wert dieser Aufmerksamkeiten kein Verständnis hatte; was sich an Liebe darin aussprach, entging ihr oder berührte sie nicht. Sie war ohne Dank.
Und in dieser Stimmung verharrte sie. Ihr Gatte, der sie heiter sah, glaubte sie glücklich; aber sie war es nur obenhin, und keine andere Verpflichtung kennend als Genuß und Zerstreuung, erschien ihr das in Aufmerksamkeiten sich überbietende Entgegenkommen ihres Gemahls gleichförmig und ermüdend, und nur noch die von außenher herantretenden Huldigungen hatten Wert.
Es war ein Jahr nach der Hochzeit, als dem Hause ein Sohn geboren wurde. Er erhielt den Namen Pertubal, der von ältesten Zeiten her in der Familie heimisch und in jedem Jahrhundert wenigstens einmal glänzend vertreten war. Ein Pertubal von Ladalinski hatte den Zug gegen Zar Iwan mitgemacht, ein anderer dieses Namens war in der Schlacht bei Tannenberg, ein dritter unter Sobieski vor Wien gefallen. Es hieß, der Name sei syrisch und stamme noch aus den Kreuzzügen her. Alle aber, wie sich aus den Urkunden ergab, hatten die Abkürzung »Tubal« dem vollen Namen vorgezogen.
Die Geburt eines Sohnes, während alle Welt Glückwünsche aussprechen zu müssen glaubte, wurde von seiten der Mutter wenig anders als störend empfunden, die denn auch, als man ihr den Säugling reichte, von ihrem Lager aus erklärte, daß sie kleine Kinder immer häßlich gefunden habe und ihrem eigenen zuliebe keine Ausnahme machen könne. Das Kind erhielt eine polnische Amme mit einem roten Kopftuch und einem noch röteren Brustlatz und wurde samt dieser, seiner Pflegerin, in den oberen Stock verwiesen; kaum aber, daß die Mutter ihren ersten Kirchgang gemacht hatte, so begann der ausgelassene Gesellschaftsverkehr aufs neue, den das »freudige Ereignis« nur auf Wochen unterbrochen hatte.
Unter denen, die auf Schloß Bjalanowo verkehrten, war auch Graf Miekusch, ein Gutsnachbar, klein, zierlich, mit langem, rotblondem Schnurrbart, eine typische polnische Reiterfigur. Die Verwandtschaft seiner Natur mit der der jungen Frau stellte von Anfang an eine Intimität zwischen beiden her, die, mit voller Unbefangenheit sich gebend, von Ladalinski wohl bemerkt, aber nicht beargwohnt wurde. Er vertraute vollkommen; einzelnes, das ihm hinterbracht wurde, wies er als Klatsch und Neid zurück, und wenn nichtsdestoweniger von Zeit zu Zeit eine leichte Wolke seinen Himmel trübte, so wußte der Übermut der jungen Frau, die solchen Regungen der Eifersucht nur mit heiterem Spott begegnete, sein Vertrauen schnell wiederherzustellen. Er war glücklich, als Kathinka geboren wurde, doppelt glücklich, als er wahrnahm, daß seine Freude von seiner Frau geteilt wurde. In der Tat sah die junge Mutter anders auf dieses zweitgeborne Kind, als sie auf Tubal geblickt hatte; es wurde nicht in das obere Stockwerk verwiesen, blieb vielmehr in ihrer unmittelbaren Nähe, ja, sie liebte es, an seine Wiege zu treten und sich, ohne daß ein Wort über ihre Lippen gekommen wäre, seines Anblicks zu freuen. Sah sie sich selbst in ihm?
Das war im Frühjahr 1792. Ein ungetrübter Sommer folgte, aber als der Herbst kam, brach ein Glück zusammen, das von Anfang an nur ein Schein gewesen war. Es geschah das, was in gleichen Fällen immer geschieht: das Verbotene, des letzten Zwanges müde, fand eine Befriedigung darin, sich vor aller Welt zu entdecken.
Die Art der Ausführung entsprach dem Charakter der jungen Frau. Es war eine Fuchsjagd bei Graf Miekusch angesagt, dessen weites, eine einzige große Fläche bildendes Gutsareal ein vorzügliches Terrain bot. Auch die Damen der Nachbargüter waren geladen, niemand fehlte; der Graf, zu seinen anderen gesellschaftlichen Vorzügen, hatte auch den Ruf eines glänzenden Wirts. Es war ein wundervoller Septembertag, der Himmel blank wie eine Glocke, hier und dort eine Kiefernschonung und am Horizont der spitze Kirchturm des nächsten Städtchens. Dabei windstill, und die Sommerfäden zogen. Der Fuchs war bald aufgetrieben, und in glänzendem Zuge schossen Reiter und Reiterinnen über Wiesen und Stoppelfelder hin, jeder begierig, den andern zu überholen. Nur die junge Frau von Ladalinski hielt sich zurück, Graf Miekusch an ihrer Seite; beide schienen auf die Ehren des Tages verzichten zu wollen. Aber bald änderte sich das Bild; immer mehr Paare schieden aus der vordersten Reihe aus, und ehe eine Stunde um war, waren der Graf und seine Begleiterin noch die einzigen, die der Fährte folgten oder doch zu folgen schienen. Die Zurückbleibenden, ihnen nachschauend, waren entzückt von der Ausdauer der beiden Reiter, deren Gestalten, je mehr sie sich dem in blauem Dämmer daliegenden Städtchen näherten, immer kleiner und schattenhafter wurden. Endlich schwanden sie ganz, und da Mittag heran war, beschloß man, auf das Schloß des Grafen zurückzukehren. Es verging eine Stunde, eine zweite und dritte; es kam der Abend, und man wartete noch. Die Gäste brachen endlich auf, um auf ihre eigenen Güter heimzureiten. Unter ihnen auch Ladalinski. »Also doch«, klang es in hundertfältiger Wiederholung in seinem Herzen. Erst am dritten Tage wurde durch einen Boten ein versiegelter Zettel an ihn abgegeben: »Erwarte mich nicht zurück; Du siehst mich nicht wieder. Es war ein Irrtum, der uns zusammenführte. Vergiß mich. Einen Kuß für das Kind.
Sidonie von P.«
Das Blatt entfiel ihm. Jedes Wort eine Demütigung, selbst ihre Namensunterschrift: Sidonie von P. Sie hatte also den Namen ihrer eigenen Familie wieder angenommen und strich die sechs Jahre, die sie an seiner Seite verlebt hatte, wie ein unbequemes Intermezzo aus. Er war niedergeschmettert, und doch konnte er die kurze Forderung, die sie stellte: »Vergiß mich«, nicht erfüllen. Zu eigner bitterster Beschämung gestand er sich, daß er sie, wenn sie zurückkehrte, ohne ein Wort des Vorwurfs oder der Erklärung, freudigen Herzens wieder aufnehmen würde. Der rätselhafte Zug der Natur war mächtiger in ihm als alle Vorstellung.
Er verfiel in Trübsinn, bis die Schicksale seines Landes ihn herausrissen. Es bereiteten sich jene Ereignisse vor, die schließlich Polen aus der Reihe der Staaten strichen. Rußland machte seine Pläne, und diese zu vereiteln, darauf waren jetzt, wie die Anstrengungen aller Patrioten, so auch die seinigen gerichtet. Er schloß sich der Kosciuszkoschen Partei an und entwarf eine liberale Verfassung, die den Beifall der Whigführer im englischen Parlamente fand; endlich, als die Waffen entscheiden mußten, trat er in die Armee. Was ihm an militärischer Erfahrung abging, wußte er durch Mut und Eifer zu ersetzen. Es war keiner, dem Kosciuszko mehr vertraut hätte als ihm.
Bei Szekoszin hielt er bis zuletzt aus. Als nach dem unglücklichen Treffen bei Maciejowice der Rückzug auf Praga ging, wurde ihm das Kommando der nur aus vier schwachen Bataillonen bestehenden Arrièregarde anvertraut. Mit diesen deckte er den Übergang über die Pilica zwei Stunden lang und benutzte die Zeit, während er noch jenseits der Brücke mit dem Feinde bataillierte, geteerte Strohkränze um die Holzpfeiler legen und diese Kränze anzünden zu lassen. Die Brücke stand schon in Rauch und Flammen, als er die Trümmer seiner Bataillone glücklich hinüberführte. Die Russen drängten nach; eine schwache Abteilung derselben, die gleich darauf gefangen wurde, gewann gleichzeitig mit ihm das Ufer. Als aber das Gros in geschlossener Kolonne folgte, brachen die halbweggebrannten Mittelpfeiler zusammen, und alles, was auf der Brücke war, stürzte nach. Suwarow selbst hielt keine hundert Schritt' von der Unglücksstätte. Es war die letzte glänzende Aktion im freien Felde; drei Tage später fiel Praga.
Ladalinski legte sein Kommando nieder. Das »Finis Poloniae« seines Kampfgenossen, wenn er es nicht sprach, so empfand er es doch. Es war ihm klar, daß das Land russisch werden würde, vielleicht mit einem Scheine von Selbständigkeit. Dieser Gedanke war ihm unerträglich. Es gab kein Polen mehr; so beschloß er, sich zu expatriieren. Er ging zunächst auf seine jenseits der Grenze gelegenen schlesischen Güter und stellte von hier aus dem preußischen Hofe seine Dienste zur Verfügung. Ein umgehend eintreffendes Schreiben Bischofswerders sprach ihm seine Freude über den rasch und mutig gefaßten Entschluß aus und berief ihn, vorbehaltlich königlicher Genehmigung, in das Auswärtige Amt. Diese Genehmigung erfolgte wenige Tage später. Die großen Flächen polnischen Landes, die gerade damals Preußen einverleibt wurden, wiesen die Staatsverwaltung darauf hin, solche Anerbietungen nicht abzulehnen.
In kürzester Frist hatte Ladalinski sich in den neuen Verhältnissen zurechtgefunden. Seine mehr preußisch als polnisch angelegte Natur unterstützte ihn dabei; dem Unordentlichen und Willkürlichen abhold, fand er in dem Regierungsmechanismus, in den er jetzt eintrat, sein Ideal verkörpert. Was darin Schädliches war, das übersah er oder erachtete es als gering, nachdem er die Nachteile eines entgegengesetzten Verfahrens so viele Jahre lang beobachtet hatte. Er war bald preußischer als die Preußen selbst. Die Auszeichnungen, die ihm zuteil wurden, seine Missionen, erst an den Kopenhagener, dann an den englischen Hof, auf denen ihn Tubal, damals ein Kind noch, begleitete, trugen das ihrige dazu bei. Von London nach dem Tode des Königs und der Amtsniederlegung Bischofswerders zurückberufen, trat er, in dem richtigen Gefühl, erst dadurch seine Staatszugehörigkeit zu beweisen, zum Protestantismus über. Er wählte die reformierte Kirche, weil es die Kirche des Hofes war. Gewissensbedenken waren der Zeit der Aufklärung fremd. In dem Ansehen seiner Stellung änderte der Regierungswechsel nichts, wenn schon die Stellung selbst eine andere wurde; er schied aus dem Auswärtigen Amt, um dem Generaloberfinanzdirektorium, Abteilung für die Domänen, zugewiesen zu werden. Seine landwirtschaftlichen Kenntnisse, die bedeutend waren, konnten hier eine vorzügliche Verwendung finden. Mit Übernahme dieses Amtes war auch sein Wohnungnehmen in dem alten Palais in der Königsstraße verknüpft gewesen. Er bewohnte es jetzt seit fünfzehn Jahren; Kathinka war in demselben herangewachsen.
Ob ihn von Zeit zu Zeit eine Sehnsucht nach Bjalanowo und dem alten Schloß mit den vier Backsteintürmen, an das sich die schönsten und die schwersten Stunden seines Lebens knüpften, beschlich, wer wollt' es sagen! Kein Wort, das darauf hingedeutet hätte, kam je über seine Lippen. Er schien glücklich in seinem Adoptivvaterlande, vielleicht war er es auch, und fest entschlossen, in seine alte Heimat, auch wenn derselben ihre staatliche Selbständigkeit, wie es einen Augenblick schien, wiedergegeben werden sollte, nicht zurückzukehren, hielt er sich zu den prinzlichen Höfen, um von diesem festen, gegebenen Punkte aus in allmählich immer intimer werdende Beziehungen zu dem Adel des Landes hineinzuwachsen. Er lebte, mehr, als er es sich gestand, nur noch der Durchführung dieser Pläne, in denen er sich übrigens durch seine Schwägerin »Tante Amelie« unterstützt wußte, und sah deshalb nichts lieber als die Anwesenheit seiner Kinder in Hohen-Vietz. Eine Doppelheirat mit einer alten märkischen Familie stellte den Schritt erst sicher, den er getan hatte, und beruhigte ihn über die polnischen Sympathien Kathinkas, die, was immer der Grund derselben sein mochte, ihm kein Geheimnis waren.
Der Geheimrat hatte mittlerweile seine Lektüre beendet; er schob die Blätter beiseite und klingelte. Ein eintretender Diener brachte die Schokolade, und ehe er noch das Zimmer wieder verlassen konnte, kam schon das Windspiel aus seinem Korbe herbei, diesmal nicht verdrießlich, und drängte sich an die Seite seines Herrn. Der Geheimrat lächelte und warf ihm die Biskuits zu, denen diese Zärtlichkeit gegolten hatte. Erst jetzt nahm er einen Brief wahr, der auf demselben Tablett lag und die charakteristischen Schriftzüge Tante Ameliens zeigte. Er war einigermaßen überrascht. Erst am Abend vorher, zu später Stunde, waren Tubal und Kathinka von Schloß Guse zurückgekehrt; die Zeit, sie zu begrüßen, hatte sich noch nicht gefunden, und schon war ein Brief da, der also die Reise nach Berlin ziemlich gleichzeitig mit ihnen gemacht haben mußte. Der Geheimrat erbrach das Siegel und las:
»Mon cher Ladalinski! Tubal und Kathinka haben mich erst vor einer Stunde verlassen, mit ihnen, zu meinem Bedauern, Demoiselle Alceste, deren Sie sich, mein Teurer, aus alten Rheinsberger Tagen entsinnen werden. Ich empfinde, ganz gegen meine Gewohnheit, eine Lücke und fülle sie am besten aus, indem ich über die Kinder spreche, deren Anwesenheit mir die letzten Tage so angenehm gemacht hat. Je mehr ich mich ihrer freute (et en effet ils m'ont enchantée), desto lebendiger wurde mir wieder der Wunsch jener liaison double, die wir so oft besprochen haben. Ich habe mich ganz in die Vorstellung hineingelebt, Tubal in Guse schalten und walten und den alten Derfflingersitz, der unter meinen Händen nur eben sein Dasein fristet, auf seine alte Höhe gehoben zu sehen. Des Beistandes, dessen er dazu bedarf, darf er von Hohen-Vietz aus sicher sein. Die schönen Frauen verschiedener Nationalität waren dort immer heimisch; meine Großmutter, avec un teint de lys et de rose, war eine Brahe, Berndts Frau eine Dumoulin, und es würde mich glücklich machen, diesen Kreis durch unsern Liebling erweitert zu sehen. Vous savez tout cela depuis longtemps. Mais les choses ne se font pas d'après nos volontés. Des jungen Hohen-Vietzer Volkes bin ich sicher, aber nicht des Hauses Ladalinski. Kathinka nimmt Lewins Huldigungen hin, im übrigen spielt sie mit ihm; Tubal hat ein Gefühl für Renate, qui ne l'aurait pas? Aber dieses Gefühl bedeutet nichts weiter als jenes Wohlgefallen, das Jugend und Schönheit allerorten einzuflößen wissen. So seh' ich Schwierigkeiten, die mir bei Kathinka in der Gleichgültigkeit, bei Tubal in der Oberflächlichkeit der Empfindung zu liegen scheinen. Et l'un est aussi mauvais que l'autre. Es ist offenbar, daß Kathinka eine andere Neigung unterhält; die Gegenwart des Grafen in Ihrem Hause stört unsere Pläne, und doch ist sie nicht zu ändern; alles, was sich ziemt, ist Achtsamkeit und Vermeidung dessen, was das Feuer schüren könnte. Ihre Klugheit, mon cher beau-frère, wird das Richtige treffen. Ich verspräche mir am meisten von Trennungen. Lewin muß aus seinem engen Kreise heraus; er muß vor allem die literarischen Allüren abstreifen. Er nimmt diese Dinge gründlicher und ernsthafter, als sich mit dem Edelmännischen verträgt, das wohl ein Interesse haben, aber nicht fachmäßig sich engagieren soll. Bleiben wir in guten Beziehungen zu Frankreich, comme je souhaite sincèrement, so würde ich einen einjährigen Aufenthalt in Paris als ein Glück für ihn ansehen. Er würde das Weltmännische gewinnen, das ihm jetzt fehlt und auf das Kathinka einzig und allein Gewicht legt. Et je suis du même avis.
Je faisais mention de la France. Mein Bruder würde mich auf Hochverrat verklagen, wenn er wüßte, daß ich von einer ›Fortdauer guter Beziehungen‹ gesprochen habe. Und doch ist es gerade sein Gebaren, was mich diese Wünsche noch mehr betonen läßt, als es ohnehin meinen Sympathien entspricht. Il organise tout le monde. Das ganze Oderbruch auf und ab schreitet er zu einer Volksbewaffnung, für die er hundert Namen hat: Landwehr, Landsturm und ›Letztes Aufgebot‹. In seinem Eifer übersieht er, wie diese letzte Bezeichnung, anstatt Furcht einzuflößen, nur tragikomisch wirken kann. Drosselsteins hat er sich bemächtigt; von Bamme spreche ich gar nicht, der immer mit dabei sein muß, wenn es etwas gilt, in dem sich Torheit und Waghalsigkeit den Rang streitig machen. C'est son métier. Es erheitert mich, wenn ich mir seine Groß- und Klein-Quirlsdorfer als mittelmärkische Guerillas denke. Diese Dorfschaften, in denen im Durchschnitt keine sechs Jagdflinten aufzutreiben sind, wollen sich dem Marschall Ney entgegenstellen, à Ney, le héros de la Moskwa. Quant à moi, ich habe nur den Eindruck des Wahnsinns von diesem extravaganten Tun und hoffe, daß die Weisheit des Staatskanzlers, der ich unbedingt vertraue, uns vor einer Politik bewahrt, die uns vernichten und nicht einmal das Mitleid der anderen Staaten sichern würde. Car le ridicule ne trouve jamais de pitié.
Ich sehe stilleren Zeiten und stabileren Zuständen vertrauungsvoll entgegen; Rußland ist keine aggressive Macht; Frankreich wird seine Welteroberungspläne begraben und nach einer Epoche zwanzigjähriger Unruhe eine Epoche des Friedens folgen lassen. J'en suis convaincu. Paris wird wieder werden, was es immer war und was es nie hätte aufhören sollen zu sein: le centre de la civilisation européenne. Je le désire dans l'intérêt universel et dans le nôtre. Dieu veuille vous prendre dans sa sainte garde, mon cher Ladalinski. Tout à vous votre cousine Amélie P.«
Der Geheimrat legte den Brief aus der Hand, dessen politische Meinungen einen geringen, die voraufgehenden Bemerkungen über Kathinka und Bninski aber einen desto größeren Eindruck auf ihn gemacht hatten. Er las die Stelle noch einmal: »Die Gegenwart des Grafen in Ihrem Hause stört unsere Pläne, und doch ist sie nicht zu ändern; alles, was sich ziemt, ist Achtsamkeit und Vermeidung dessen, was das Feuer schüren könnte.« Als er aufsah, fiel sein Blick auf das schöne Frauenbild ihm gegenüber, und allerhand Erinnerungen, in die sich zum ersten Male auch Befürchtungen für die Zukunft mischten, drängten sich ihm auf. Er kannte die Geschichte so vieler Familien. »Es erben...«, aber ehe er den Gedanken ausdenken konnte, grüßte ihn der Zuruf: »Guten Morgen, Papa«, und auf seinem Sitze sich wendend, sah er Kathinka, die, den Kopf durch die Portiere steckend, ihm freundlich zunickte. Im selben Augenblicke war sie an seiner Seite, und unter ihren Liebkosungen schwanden die trüben Bilder, die noch eben vor seiner Seele gestanden hatten.