Theodor Fontane
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Einundzwanzigstes Kapitel
»Dat möten wi«
Es war noch nicht sieben am andern Morgen, als Hoppenmarieken in ihrem gewöhnlichen Aufzuge die Dorfgasse heraufkam. In Front des Herrenhauses bog sie nach rechts hin ein und musterte die lange, dunkele Fensterreihe. Nur in den zwei Eckfenstern des ersten Stockes war Licht. »He is all bi Weg'«, sagte sie und schritt auf die Glastür des Hauses zu.
Und sie hatte recht gesehen. Berndt war schon seit einer Stunde auf und saß oben in seiner Amts- und Gerichtsstube. Mit ihm Bamme, der, nach einem ersten Versuche, sich wieder in Nähe des stark überheizten und beinahe glühenden Ofens zu placieren, schließlich seinen Rückzug auf das Fenster hin hatte nehmen müssen. Von diesem aus sah er jetzt Hoppenmarieken über den Hof kommen. Er war in einem Kostüm, das, kaum minder auffällig als das der alten Forstackerhexe, selbst Berndt einen Augenblick in Erstaunen gesetzt hatte: enger schwarzer Schlafrock von Sammetmanchester, roter Wollschal und gelbe Filzschuhe. Dazu die kurze Morgenpfeife.
Und nun klopfte es.
»Herein!«
Die Alte trat ein, blieb aber – mit ihrer Kiepe sich an die Türpfosten lehnend – in respektvoller Entfernung von ihrem »gnädigen Herrn« stehen, mehr aus Gewohnheit als aus Furcht, da sie wohl gemerkt hatte, daß man ihrer bedürfe.
»Dag, gnäd'ger Herr«, sagte sie mit ihrer tiefen und rauhen Stimme und nickte, als Berndt ihren Gruß erwidert hatte, mit derselben Vertraulichkeit auch nach der Fensterecke hinüber. »Dag, Genral.«
»Kennst du mich denn?« fragte dieser und blies behaglich ein paar Wölkchen aus seinem Meerschaum.
»I, wat wihr ick denn uns'n lütten Genral nich kennen? Ick wihr jo mit bi de Revü buten un hebb' allens siehn: Rutzen un sine Piken, un den dicken Protzhagenschen mit sine Füertut'. Jott, wie seeg de ut! Un denn Drosselstein'n sine rote Voßstut' mit de lange Been'. Ne, Genralken, dat wöhr nix för Se.«
»Da hast du recht, Hoppenmarieken. Ich seh', du hast einen guten Blick, und das nächste Mal werd' ich dich fragen.«
Sie lachte.
»Dat dohn Se man, Genralken. De Dummen, so as wi ick, de sinn ümmer de Klöksten.«
Berndt sah, daß er das Gespräch unterbrechen müsse, denn solche Vertraulichkeiten waren gerade das letzte, was er brauchen konnte. »Stell deine Kiepe hin, Marieken, und tritt hier an diesen Tisch. Hierher, daß ich dich besser sehen kann.«
Sie verlor einen Augenblick ihre sichere Haltung, brummte allerhand unverständliches Zeug und tat dann, wie ihr geheißen.
»Du weißt, Hoppenmarieken –«
»Ick weet.«
»Und du weißt auch, daß sie kurzen Prozeß machen. Der Konrektor ist erschossen auf dem Lohhof, da, wo die große Pappel steht. Ein Wunder, daß sie Lewin noch aufgespart haben. Aber wie lange? Sie haben ihn nach Küstrin gebracht, und wir müssen ihn freikriegen.«
»Dat möten wi, dat möten wi.«
»Und du sollst helfen.«
»Dat will ick.«
»Gut, so steck' dies Knäuel ein und spiel es ihm heimlich zu. Er sitzt auf Bastion Brandenburg; Mencke hat mir's gestern abend geschrieben. Übereile nichts, laß dir Zeit, und wenn es auch Mittag wird. Aber sei schlau, so schlau, wie du sein kannst, wenn du willst, und vergiß nicht, es hängt Leben und Sterben dran.«
»Ick weet, ick weet.«
Der alte Vitzewitz schwieg eine Weile, während welcher Zeit Hoppenmarieken das Knäuel in ihre Kiepe packte; dann fuhr er fort: »Und nun tritt noch einmal hierher und paß auf und höre, was ich dir zu sagen habe.«
Hoppenmarieken gehorchte.
»Hier, wo du jetzt stehst, hier hat Lewin für dich gebeten, und weil er für dich bat, und bloß deshalb hab' ich dich laufen lassen. Sonst säßest du jetzt bei Wasser und Brot. Und das schmeckt dir nicht, denn du hast gern was Gutes.«
»Jo, dat hebb' ick.«
»Sprich nicht. Du sollst mich hören. Und so sag' ich dir denn: sieh dich vor. Ich habe viel Nachsicht und Geduld mit dir gehabt und die Augen öfter zugemacht, als recht war, aber wenn du wieder doppeltes Spiel treibst, so sei dir Gott gnädig. Kobold, ich trete dich unter die Füße und würge dich mit diesen meinen Händen.«
Er hatte diese Drohung in innerster Erregung gesprochen; aber ihre Wirkung auf Hoppenmarieken war nur gering. Sie schüttelte bloß den Kopf, und ohne sich im übrigen im geringsten eingeschüchtert zu fühlen, wiederholte sie nur immer: »Gnäd'ge Herr, de junge Herr!« und salutierte dabei mit ihrem Hakenstocke, zum Zeichen, daß man sich auf sie verlassen könne. Es war dies auch besser und bedeutete mehr, als wenn sie bekräftigungshalber ihre Schwurfinger erhoben hätte. Dann griff sie wieder nach der Kiepe, lehnte den Rat, der ihr noch gegeben wurde, »sich womöglich an die Westfalen zu machen«, mit der Bemerkung ab: »Ne, ick geih to de lütten Franzosen; de passen nich upp«, und verließ einen Augenblick später das Zimmer.
Erst als sie zwischen den zwei Auffahrtspfeilern war, machte sie noch einmal mit militärischer Promptheit kehrt und grüßte nach dem Eckfenster hinauf. Wußte sie doch ganz bestimmt, daß der alte General ihr nachgesehen habe. Dieser lachte denn auch, nahm seinen kleinen Meerschaum in die Linke und warf ihr mit der Rechten Kußfingerchen zu.
»'s bleibt doch ein Prachtexemplar, Vitzewitz«, sagte er. »Ich wollte, ich hätte so was in Groß-Quirlsdorf.«
Berndt schwieg und stützte den Kopf. Nach einer Weile sagte er: »Bamme, Sie sind ein Menschenkenner. War es nicht gewagt, unser Spiel auf diese Karte zu setzen? Können wir ihr trauen?«
»Unbedingt.«
»Und warum? Weil ihr altes Hexenherz an Lewin hängt?«
»Vielleicht auch deshalb. Etwas muß das Herz haben. Und je weniger es hat, desto fester hängt es dran. Es stirbt dafür. Gut oder böse macht keinen Unterschied.«
Berndt nickte.
»Aber«, fuhr Bamme fort, »das ist es nicht, weshalb ich ihr traue. Ich trau' ihr, weil sie klug ist. Wissen Sie, was sie jetzt denkt?«
»Nun?«
»Die Franzosen werden nicht ewig im Lande Lebus bleiben, aber die Vitzewitze noch lange.«
»Und?«
»Und Bündnisse schließt man nur mit Dauermächten. Auch wenn man Hoppenmarieken heißt.«