Vor dem Sturm. Vierter Band. Erstes Kapitel. by Theodor Fontane
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Vor dem Sturm. Vierter Band. Erstes Kapitel.

Theodor Fontane * Track #55 On Vor dem Sturm

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Vor dem Sturm. Vierter Band. Erstes Kapitel. by Theodor Fontane

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Theodor Fontane

Vor dem Sturm. Vierter Band. Erstes Kapitel. Annotated

Vierter Band
Wieder in Hohen-Vietz
Erstes Kapitel
In Bohlsdorf

Es war drei Tage später. In dem hinter der Gaststube gelegenen Alkoven saß die Bohlsdorfer Krügersfrau und beugte sich über ihr Kind. Sie sang es in Schlaf, aber mit leiser Stimme, und in noch leiserer Schaukelbewegung ging die Wiege. Es hätte dieser Vorsicht nicht bedurft, denn der Kranke, dem sie galt, und der über dem Alkoven gebettet war, lag nun schon den dritten Tag in einem schweren Schlaf und war taub und tot gegen alles, was um ihn her vorging. Ein Arzt war noch nicht zu beschaffen gewesen, aber an Pflege gebrach es nicht, wenn man einem bloßen Aufmerken und Abwarten, dem sich seit dem gestrigen Tage zwei Frauen unausgesetzt unterzogen, diesen Namen geben konnte.

Mittag war vorüber. Es mochte die zweite Stunde sein, die schon wieder sinkende Sonne schien durch das Fenster einer kleinen Giebelstube, und ein freundlicher Glanz, als ging er von dem Kranken selber aus, war um diesen her.

»Seine Stirn ist feucht«, sagte die Schorlemmer. »Geh, Renate, und ruhe dich aus. Eine Viertelstunde nur.«

»Ich bin nicht müde.«

»Du mußt es sein. Geh.«

Und sie ging. Aber nicht, um zu ruhen, sondern um einen Brief, den sie versprochen hatte, nach Hohen-Vietz hin zu schreiben.

Das Stübchen, das gleich nach ihrer Ankunft als Wohn- und Schlafzimmer eingeräumt worden war, lag an der andern Giebelseite des Hauses und zeigte noch jenes Durcheinander, das der erste Moment der Ankunft immer zu geben pflegt. Zum Ordnen und Aufräumen war eben noch nicht Zeit gewesen. Auf zwei Stühlen stand der geöffnete Reisekoffer, während auf eins der beiden Betten hin Muffen und Mäntel samt allerlei Schals und Tüchern geworfen waren.

Renate schien auch jetzt noch kein Auge für diese Dinge zu haben, ließ alles liegen, wie es lag, und rückte nur den Tisch, um besseres Licht zu haben, an den Fensterpfeiler. Dann schob sie die rote Leinwanddecke, in die ein radschlagender Pfau weiß eingemustert war, ziemlich unsorglich beiseite und nahm ein Karlsbader Schreibnecessaire aus dem Koffer, das, wenn man es aufklappte, ein schräges Pult bildete. Aber die Tinte war fest eingetrocknet, so fest, daß selbst ein paar Tropfen Wasser nicht helfen wollten. So mußte denn anderweitig Rat geschafft werden. Sie nahm aus ihrem Notizbuch ein dünnes Bleistiftchen, das natürlich abgebrochen war, gab ihm eine Spitze, so gut es ging, und schrieb nun in Schriftzügen, deren schwer entzifferbare Form nur von ihrer Blässe übertroffen wurde, das Folgende:

» Bohlsdorf, den 1. Februar.

Liebe Marie!

Wir sind gestern um die vierte Stunde hier angekommen und fanden unseren Kranken in einem tiefen Schlafe, der auch jetzt noch anhält. Wie tief dieser Schlaf ist, zeigte sich heute früh. Ich stieß ein neben dem Ofen stehendes Schüreisen um und erschrak, denn es gab einen großen Lärm; aber Lewin öffnete die Augen nur, um sie sofort wieder zu schließen. Übrigens schien er mich erkannt zu haben; ich sah ihn lächeln, freilich nur wie im Traum, denn der Schlaf hatte gleich wieder Gewalt über ihn. Wir erwarten jeden Augenblick Doktor Leist, und diese Zeilen sollen nicht eher fort, als bis wir ihn gehört haben.

Wie dies alles so gekommen? Ich habe nur wenig mehr erfahren, als wir schon wußten. Und Du mit uns. Ein Knecht fand ihn besinnungslos am Wege, lud ihn auf seinen Schlitten und gab ihn hier in Bohlsdorf ab. Die Krügersleute haben sich seiner angenommen und ihn gehegt und gepflegt. Er liegt in einer Giebelstube; Tante Schorlemmer und ich bewohnen die andere; nur der Bodenflur ist zwischen uns.

Warum er Berlin verlassen hat, um in Wind und Wetter bis hierher zu kommen, darüber hab' ich nur Vermutungen. Und auch diese kaum. Es muß etwas Plötzliches gewesen sein, denn er war leicht gekleidet und trug nur Rock und Filzkappe, trotzdem es eine naßkalte Nacht war. Eine Stunde früher, als der Knecht ihn fand, hat ihn der Bohlsdorfer Amtmann, der mit seiner jungen Frau von einem der Nachbardörfer kam, auf den Chausseesteinen sitzen sehen. Die junge Frau (sehr hübsch) war heute Vormittag bei mir und hat von der Begegnung erzählt. Sie habe sich vor ihm wie vor einer Erscheinung erschrocken. Dann sei er aufgesprungen und ihrem Wagen zwischen den Pappeln hin eine lange Strecke gefolgt. So wenigstens habe sie zu sehen geglaubt; sicher sei sie nicht. Du siehst, alles ist dunkel und rätselvoll. Die junge Frau, die wohl eine halbe Stunde hier war, überraschte mich durch eine Ähnlichkeit mit Kathinka, selbst in ihrer Art, sich zu kleiden. So trug sie, um nur eines zu nennen, eine polnische mit weißem Pelz besetzte Mütze.

Ach, Marie, wie hat sich alles um uns her geändert! Ich sehne mich jetzt nach den stillen Hohen-Vietzer Tagen zurück, die ich so oft verklagt habe. Von allen Seiten drängt es heran, und ich erkenne, wie mein Herz zu schwach und zu klein ist, allem, was geschieht, sein zuständig Teil zu geben. In ruhigen Zeiten hätte mich der plötzliche Tod der Tante betrübt oder doch beschäftigt, jetzt vergehen Stunden, ohne daß ich daran denke. Nur an Dich denke ich viel, immer.

Ich erwarte noch heut' ein paar Zeilen aus Guse; Papa hat sie mir zugesagt. Das Begräbnis der Tante vermute ich morgen; ihm beizuwohnen, daran ist nicht zu denken; ich kann hier nicht eher fort, als bis wir Lewin außer Gefahr wissen. Und ehe nicht der alte Leist... Aber da hör' ich seine Stimme laut und eindringlich auf der Treppe. Alles wispert im Hause, selbst die Knechte, die kommen, werden zur Ruhe bedeutet und fügen sich dem Zwang; nur alte Doktoren haben in ihrem Sprechen und Auftreten das Vorrecht der Zwanglosigkeit, und der alte Leist macht keine Ausnahme. Ich schließe vorläufig und will nur hören, was er sagt.«

Renate schob das Blatt unter das Schreibnecessaire und traf den Doktor bereits am Bette drüben. Er sah mit seinen zwei Pelzhandschuhen, die an einer dicken Schnur rechts und links über den Mantelkragen hingen, abenteuerlich genug aus und grüßte mit der einen freien Hand, während er mit der andern den Puls des Kranken zählte. Er schien zufrieden, befühlte noch Stirn und Schläfe und sagte dann: »Lassen wir ihn allein; er braucht uns nicht.« Damit verließen alle drei den ruhig Weiterschlafenden und gingen in die Frauenstube hinüber, wo nun der Alte seinen Mantel ablegte, während Renate über alles Kleine und Große, was die Auffindung Lewins begleitet hatte, in ähnlicher Weise wie in ihrem Briefe an Marie zu berichten begann.

»Sehr gut, sehr gut«, unterbrach sie der offenbar ziemlich unaufmerksame Doktor und fuhr dann, nachdem er auf einem Binsenstuhle Platz genommen und sich die breiten, braunfleckigen Hände behaglich gerieben hatte, in vertraulichem Tone fort: »Und nun, mein Renatchen, ehe wir weiterplaudern, bitt' ich um einen Kaffee, das heißt, mit Permission: um einen Cognakkaffee. Den Milchkaffee habe ich abgeschworen. Das ist nichts für einen alten Doktor mit Landpraxis.«

Tante Schorlemmer ging, um das Gewünschte herbeizuschaffen; der alte Leist aber, der, wie alle Doktoren, auch wenn sie nicht beim Feldscher begonnen haben, gerne sprach und Anekdoten erzählte, um das ewige Einerlei der Krankengeschichten loszuwerden, wiederholte, als die Schorlemmer hinaus war, seine letzten Worte und setzte dann erklärend hinzu: »Sehen Sie, mein Renatchen, mit dem milchernen ist es nichts. Ich meine den Kaffee. Sonst laß ich auf das Milcherne nichts kommen, denn es ist die höhere Stufe. Aber was ich sagen wollte. Sehen Sie, dies Franzosenvolk ist sonst nicht mein Gustus, und ihre Guillotinenwirtschaft, was sie damals ›La Terreur‹ oder, wie wir sagen, den Schrecken oder den Terrorismus genannt haben, das kann ich ihnen nicht vergessen; aber, der Wahrheit die Ehre, mit dem Cognakkaffee, da haben sie's getroffen. Es gibt so Sachen, worin sie uns überlegen sind.«

Renate rückte ungeduldig hin und her; der alte Leist indessen schien es nicht zu bemerken und fuhr fort:

»Und es ist eigentlich nicht mehr und nicht weniger als meine Pflicht und Schuldigkeit, daß ich mich ehrlich dazu bekenne. Denn ohne diesen Cognakkaffee wär' ich nicht mehr am Leben und säße nicht in diesem hübschen Bohlsdorfer Krug. Sie haben von Anno 93 gehört, oder quatre-vingt-treize, wie die Franzosen sagen. Sie lieben alles, was einen Schnepper hat und so ins Ohr klingt, als ob es was Apartes wäre. Und sehen Sie, damals hatten wir ja den Champagnefeldzug, und ich war auch mit, mitsamt meiner Grenadierkompanie von Alt-Larisch. Nun ja, ›Champagne‹, das klingt ganz gut, und wer es nicht besser weiß, der denkt sich lauter bauchige Weinflaschen und einen blanken Pfropfen, der mit einem Knall an die Decke springt. Aber du himmlische Güte, wir haben die Champagne ganz anders kennengelernt. Es regnete Tag und Nacht, immer Biwak und im Freien kampiert auf Kalk- und Lehmboden, der das Wasser nicht durchläßt, und ehe vier Wochen um waren, lag die halbe preußische Armee nicht mehr im Biwak, sondern im Lazarett. Und der alte Leist, trotzdem er ein Doktor war, hätte auch darin gelegen, wenn er sich nicht gehütet hätte. Denn der kannte die Lazarette, und weil er sie kannte, kroch er lieber beiseite und schleppte sich bis an ein alleinstehendes Bauernhaus, in dessen Tür er, mit Permission, eine dicke, alte Französin stehen sah. Und die hatte Mitleid mit ihm und nahm ihn auf. Und um es kurz zu machen, sie packte mich in ein turmhohes Bett, und als ich nun einen Schüttelfrost kriegte und meine Zähne, so viel ihrer noch waren, vor Kälte zusammenschlugen, da brachte sie mir einen Cognakkaffee, eine Tasse, zwei Tassen, ich weiß nicht, wieviel ich getrunken habe. Aber das weiß ich, daß ich den dritten Tag wieder auf den Beinen war. Und seitdem trink' ich ihn in allen schweren Lebenslagen, wohin ich auch sieben Meilen bei zehn Grad Kälte rechne, erstens aus Dankbarkeit, zweitens aus Vorsicht und drittens, weil er mir schmeckt.«

In diesem Augenblick trat die Schorlemmer wieder ein, und die Krügersfrau mit dem geforderten Kaffee folgte. Neben der Tasse stand ein Glas. Der Doktor liebäugelte damit, schwankte zwischen Anstand und Begehrlichkeit, unterlag aber wie gewöhnlich der letzteren und leerte das Glas auf einen Zug. Der Mischungsprozeß war unterblieben.

Renate, deren anfängliche Ungeduld bei dem Geplauder des Alten eher geschwunden als gestiegen war, sah ihm lächelnd zu und sagte dann, ihre Hand auf seinen Arm legend: »Aber nun, lieber Doktor Leist, wie steht es mit unserem Kranken? In Gefahr?«

»Gefahr, Gefahr«, antwortete der Alte im Tone scherzhaften Vorwurfs, »werde doch nicht von Anno 93 sprechen, wenn Gefahr wäre! Nein, mein Renatchen, wenn dem alten Leist so was Bitteres auf der Zunge liegt, da schmeckt ihm nichts, und wenn es ein Cognakkaffee wäre. Wie es mit ihm steht? Gut steht es. Er schläft sich gesund. Nichts von Gefahr. Überreizung der Nerven. Das ist alles.«

Renate schwieg. Sie wollte nicht weiter forschen, da sie den Zusammenhang der Dinge zu ahnen begann. Die Schorlemmer aber, die nichts von solchen Zuständen wußte, fragte halb ärgerlich:

»Nervenüberreizung; was soll das? Woher?«

»Ja, mein liebes Tantchen«, antwortete Leist, »das ist mehr, als ein armer Doktor wissen kann. Der muß schon froh sein, wenn er erkennt, was er vor sich hat. Woher es kommt, darauf kann er sich nicht einlassen. Das weiß eben nur der Kranke selbst. Und unser Lewin wird es schon wissen und sich eines Tages unser aller Neugier erbarmen, denn eine rechte Neugiersgeschichte ist es, dessen bin ich sicher.«

Und dabei schmunzelte der Alte so listig vor sich hin, als ob er den ganzen Liebesroman von Anfang bis Ende gelesen hätte.

»Aber nun Verhaltungsbefehle!« sagte Renate, »was tun wir?«

»Wir warten. Das ist überhaupt das Beste, was der Mensch tun kann. Zeit, Zeit. Die Zeit bringt alles. Dem Kranken bringt sie Gesundheit. Wir warten also.«

»Und wie lange noch?«

»Ja, das ist nun wieder so eine Frage. Aber rechnen wir nach. Heute ist der dritte Tag. Ich denke den fünften Tag, also übermorgen. Übermorgen wird er ausgeschlafen haben und wird irgend etwas wollen, vielleicht einen gerösteten Speck oder ein Zwiebelfleisch. Was es aber auch sein mag, er muß es haben, denn was dann spricht, das ist die Stimme der Natur, die durchaus gehört werden will.«

»Ach, wie freue ich mich«, sagte Renate, »meinen Brief mit so guten Nachrichten schließen zu können! Ich schrieb, als Sie vorfuhren, eben an Marie Kniehase. Wissen Sie, Doktor, Sie könnten mir die letzten Zeilen diktieren.«

»Das will ich«, sagte der Alte, »und will auch den Briefträger machen, denn ich fahre über Hohen-Vietz. Haben Sie alles?«

»Alles.«

»Nun denn schreiben wir: ›... Eben ist Doktor Leist hier und versichert uns, es sei keine Gefahr. In zwei Tagen wird unser Kranker außer Bett und in einer halben Woche so gut wie genesen sein. Dies alles schreib' ich nach dem Diktat des Alten, der diesen Brief selbst mitnehmen will. Punktum, Gedankenstrich. Deine Renate.‹«

Renate sprang auf, schob in heiterer Laune dem Doktor das Blatt zu und sagte: »So, nun haben wir es schwarz auf weiß, und Sie müssen nur noch darunter schreiben: ›Beglaubigt‹ und Ihren Namen. Aber keinen Doktorkrikelkrakel, sondern deutlich und leserlich für jedermann.«

Der Alte tat, wie ihm geheißen. Dann erhob er sich, und während ihm Renate wieder in seinen schweren und vielkragigen Mantel hineinhalf, schloß er seinen Besuch mit den Worten: »Und nun noch eines, Ihr Damen. Ich muß die Gesunden bitten, sich über den Kranken nicht zu vergessen. Sonst vertauschen wir bloß die Rollen. Also keine Allotria wie Nachtwachen und andere Überflüssigkeiten. Tantchen, ich mache Sie verantwortlich. Und übermorgen sehe ich wieder nach. Und nun Gott befohlen.«

Sie begleiteten ihn treppab bis an den Wagen, der unter dem Vorbau hielt. Bald zogen die Pferde an, und Renate und die Schorlemmer grüßten dem Alten nach. Eine rechte Sorge war von ihnen genommen; er hatte so zuversichtlich gesprochen. Gegen Abend kam eine alte Wartefrau, um sie am Bette des Kranken abzulösen, und beide gingen nun in ihre Giebelstube hinüber, um nach zwei schlaflosen Nächten eine ruhige Nacht zu haben.

Renate war müde, Tante Schorlemmer aber rüstig und beweglich wie immer. Sie setzte sich zu ihrem Liebling und zeigte sich geneigt, noch eine Viertelstunde zu plaudern.

»Wie mag es in Guse aussehen?« fragte Renate. »Ach, liebe Schorlemmer, ich sorge mich, von der Tante zu träumen.«

»Du wirst es nicht.«

»Und wie sie nur gestorben sein mag«, fuhr Renate fort. »Ich glaube nicht, daß sie einen christlichen Tod gehabt hat. Und nun sehe ich sie im Sarge liegen, blaß, mit ihrer schwarzen Witwenhaube, und die Schnebbe daran noch tiefer in die Stirn gerückt als gewöhnlich. Und vor diesem Bilde fürchte ich mich. Es mag nicht recht sein. Aber dir darf ich es sagen, liebe Schorlemmer, daß ich lieber hier in Bohlsdorf als in Guse bin. Ist es ein Unrecht?«

Die Schorlemmer streichelte ihr die Hand und sagte: »Wenn es ein Unrecht ist, mein Renatchen, so ist es ein kleines. Ich weiß wirklich nicht, ob es unsere Christenpflicht ist, einem Toten ins Gesicht zu sehen. Und sie hatte etwas Unheimliches. Alle, die Jesum verachten, haben nichts von seinem Gnadenschein.«

»Und was nun aus Guse wird? Es war Allod, und als Kaufgut fällt es nicht an die Pudaglas zurück.«

»Ich wüßte schon einen Erben.«

»Welchen?«

»Renate von Vitzewitz. Aber du hättest dann einen andern Namen.«

»Geh doch. Was du nur sprichst. Ich armes Fräulein und das schöne Gut.«

»Ja, mein Renatchen, die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, und während du glaubst, daß ich nur an Grönland und Neu-Herrnhut denke, denk' ich an ganz andere Dinge. Ich habe auch so meine kleinen Passionen und verheirate die Menschen gern, und wenn ich so in die Zukunft sehe, da seh' ich nichts als...«

»Nun?«

»Nichts als Hochzeitszüge, kleine und große: du, Marie, Maline. Selbst für die Eve hab' ich schon gesorgt, trotzdem sie hochfahrend ist und es eigentlich nicht verdient.«

»Und Kathinka?«

»Nein, Kathinka nicht. Die tut alles selbst und braucht meine Vorsorge nicht.«

»Ach, wie beneid' ich dich, daß du so Hübsches denken kannst. Ich sehe keinen Hochzeitszug. Und jetzt, wo ich mir einen solchen vorstellen will, seh' ich ihn schwarz.«

»Das ist, weil du mit deinen Gedanken in Guse bist.«

»Ich glaube, daß du recht hast, wenigstens wünsche ich es. Ach wie lieb ist es, daß du bei mir bist. Ich muß an den Abend vor Silvester denken, wo du mir die Gespensterfurcht wegerzähltest. Es war die Geschichte von Kajarnak, dem ersten Getauften; du siehst, ich habe den Namen gut behalten. Aber nun will ich schlafen. Sage mir noch eines von euren Liedern, ein recht hübsches, keins von den süßen mit Lämmlein und Englein. Die kann ich nicht ertragen.«

»Nun, dann wollen wir ein recht festes und kerniges nehmen«, sagte die Schorlemmer:

»Schau von deinem Thron,
Vater, Geist und Sohn.«

Renate nickte zustimmend, und die Alte fuhr mit immer leiser werdender Stimme bis an die dritte Strophe fort:

»Reinige mein Herz
Auch mit meinem Schmerz;
Gib, daß sich mein Eigenwille
Ruhig in dem deinen stille;
Alles, was noch mein,
Eigne dir allein.«

Sie sprach nicht weiter. Renate hatte die Hände gefaltet, lächelte und schlief.

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