Theodor Fontane
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Zwölftes Kapitel
Besuch in der Pfarre
Und es war der Justizrat Turgany, der heute, am zweiten Weihnachtsfeiertage 1812, in der Hohen-Vietzer Pfarre erwartet wurde; auch Lewin und Renate hatten zugesagt, mit ihnen Tante Schorlemmer und Marie.
Vier Uhr war vorüber; es dunkelte schon, der Besuch konnte jeden Augenblick kommen. In den Zimmern war alles festlich vorbereitet. Wo noch ein Stäubchen lag, fuhr unser Freund mit einem Federwedel darüber hin; dann wieder zog er das Taschentuch und polierte an den Scheiben seiner geliebten Schränke. Wer auf Waffen hält, der sorgt auch, daß sie blank sind. Nur an das theologische Bücherbrett, wo der Staub zu dicht lag, vermied er es, heranzutreten. Ein Zwischenfall ließ ihn einen Augenblick aufsehen von seiner Arbeit. An ihm vorbei, als wäre eine Welt versäumt, drang in ziemlich herrischer Weise eine Frau mit rotem Gesicht und weißer Haube in das Studierzimmer ein, goß auf ein vorgehaltenes Schippenblech eine Räucheressenz, wie sie damals Mode war, fuhr ein paarmal durch die Luft und schoß dann in das Nebenzimmer weiter, um ihre Bewegungen, die zwischen Stoßfechten und Weihrauchfaßschwenken eine gute Mitte hielten, in den dahintergelegenen Räumen fortzusetzen. Pastor Seidentopf lächelte, als er ihr nachsah, ein scherzhaftes Wort schien ihm eben auf die Lippe zu treten, aber ehe es laut werden konnte, klingelte die Haustür, und das Aufstampfen auf Dielen und Strohdecke, um den Schnee und die Kälte abzuschütteln, verriet deutlich, daß der Besuch gekommen sei.
Aber nicht der Frankfurter Justizrat. Es waren zunächst die Freunde aus dem Herrenhause. Lewin führte Tante Schorlemmer, Renate und Marie folgten. Man begrüßte sich herzlich. Renate, die es warm fand, nahm ihr Schaltuch ab und stand einen Augenblick, mit der Broschnadel in der Hand, wie in Verlegenheit, wo sie dieselbe hintun solle. Dann öffnete sie den Glasschrank und legte die Nadel in eine der zerbrochenen Urnen. Sie war wie Kind im Hause. Alles lachte; Seidentopf stimmte mit ein.
»Sehen Sie, teuerster Prediger«, hob Renate an, »wenn das nun ein Aschenregen wäre, was jetzt in Flocken vom Himmel fällt, welche Hypothesen gäbe das bei den Seidentopfs der Zukunft, diese Gemmenbrosche in einem wendischen Totentopf!«
»Nicht wendisch, ganz und gar nicht. Aber meine schöne Renate lockt mich nicht heraus«, erwiderte Seidentopf gut gelaunt. »Ich erwarte Turgany noch und darf meine Kräfte nicht an Plänkeleien setzen, auch nicht an die verlockendsten. Aber wo nehmen wir unseren Kaffee?«
»Hier, hier, im Studier- und Rauchzimmer«, riefen die Stimmen durcheinander, mit besonderer Betonung des letzten Worts. Seidentopf lehnte ab. Renate aber bestand darauf. »Wir wollen keine Opfer.«
»Und wenn es ein solches wäre, je mehr Opfer, je mehr Glück.«
»O wie verbindlich! Ganz die gute alte Zeit. Und da bilden sich unsere Residenzler ein« (ein schelmischer Blick Renatens streifte dabei Lewin), »uns feine Sitte lehren zu wollen; hier ist ihr Lehrstuhl, hier im Pfarrhause zu Hohen-Vietz.«
Stühle wurden gestellt; man nahm Platz an einem Rundtisch, der in die Camera archaeologica gerückt worden war, und die schon erwähnte Frau erschien, um den Kaffeetisch zu servieren. Sie wurde sofort und in einer Weise von allen Anwesenden begrüßt, die über ihre Wichtigkeit innerhalb der Hohen-Vietzer Pfarre keinen Zweifel ließ. Ihrer Geburt und Haltung nach hätte sie freilich noch den Friesrock und das schwarzseidene Kopftuch tragen müssen; alle Haushälterinnen aber wachsen schließlich über sich hinaus, und die Hohen-Vietzer machte keine Ausnahme.
Sie nahm allerhand kleine Huldigungen in Anspruch und erwartete beispielsweise von seiten der Gäste ein auszeichnendes Entgegenkommen, später von seiten ihres Pastors die Aufforderung, an der festlichen Tafel teilzunehmen. Aber hiermit war ihrem Selbstgefühl Genüge getan. Sie lehnte regelmäßig ab und war befriedigt, daß die Aufforderung überhaupt stattgefunden hatte.
Sie legte jetzt die Kaffeeserviette, stellte zwei doppelarmige Leuchter, zugleich auch eine Zuckerdose mit kleinen Löwenfüßen in die Mitte des Tisches und flankierte diese stattliche Zentrumsposition mit zwei silbernen Körben, von denen der eine allerhand Krausgebackenes, der andere eine Pyramide von Kaffeekuchen enthielt; zuletzt kam die Meißner Kanne selbst, auf deren Deckel Gott Amor sich schelmisch auf seinen Bogen lehnte. Der Pastor hatte nie Anstoß daran genommen, vielleicht es nie bemerkt.
Renate machte die Wirtin, verteilte den Zucker sogleich in die Tassen (die großen Blockstücke waren noch nicht Mode) und handhabte dabei die Zuckerzange mit jener Grazie, die allein aussöhnen kann mit diesem Werkzeuge der Unbequemlichkeit. Die Unterhaltung nach den ersten kecken Plänkeleien lenkte sehr bald wieder ins Regelrechte ein und begann mit dem Wetter. Das hatte im Jahre 1812 noch eine ganz besondere Bedeutung. Man könnte sagen, vom Wetter sprechen war damals patriotisch. Schnee und Kälte waren die großen russischen Bundesgenossen.
Der Schnee, der anfangs in kleinen Federchen umhergestäubt war, wirbelte allmählich dichter an den Fenstern vorbei, und aus der Geborgenheit von Pastor Seidentopfs Studierstube – doppelt geborgen, nachdem sie auch zum Kaffeezimmer geworden war – sahen jetzt Wirt und Gäste in den Wirbeltanz hinaus.
Es entstand eine Pause. »Immer mehr Schnee«, begann Lewin, der den Platz zunächst dem Fenster hatte, »es ist doch, als ob Gott selber sie alle begraben wolle. Die Vernichtung kommt über sie; sie fällt in leisen Flocken vom Himmel. Und dazwischen höre ich eine Stimme, die uns zuruft: ›Drängt euch nicht ein, wollt nicht mehr tun, als ich selber tue; ich vollbringe es allein.‹ Ich weiß es wohl, teuerster Pastor, die Stimme, die ich höre, ist nur die Stimme meines Mitleids. Muß ich mich ihr verschließen? Ist dieses Mitleid Schwäche? Muß ich es abtun?«
»Nein, Lewin, dein Herz hat den rechten Zug wie immer. Wenn es etwas gibt, dem zu folgen uns nicht reuen darf, so ist es das Mitleid. Zudem, unsere Feinde sind unsere Verbündeten. Und so lehren uns denn diese Tage treu sein, treu auch gegen den Feind, wie diese Jahre uns gelehrt haben, demütig zu sein. Harren wir. Es werden Zeiten kommen, wo uns sein wird, als lege Gott selber sein Schwert in unsere Hände. Aber dieser Tag, der vielleicht nahe ist, ist noch nicht da. Eins aber gilt heute und immerdar: Offen sei unser Tun. Das ist deutsch.«
Lewin wollte antworten, aber Peitschenknall und Schellengeläut, das eben die Dorfgasse heraufkam, unterbrach die Unterhaltung, und Seidentopf rief: »Da sind sie.«
Es waren drei Herren, von denen zwei, in grauen Mänteln und schwarzen Tuchmützen, den Polsterstuhl des Schlittens innehatten, während der dritte, in Pelzrock und Filzkappe, auf der Pritsche saß. Dieser sprang zuerst von seinem Holzbock herunter, reichte dem herbeigekommenen Pfarrknecht die Leinen und war dann den beiden anderen, viel jüngeren, aber schwerfälligeren Herren behilflich, aus ihren Fußsäcken heraus und glücklich ans Land zu kommen.
Alles das verfolgten unsere Freunde, soweit die fallenden Schneeflocken es zuließen, vom Fenster aus mit jenem ungeheuchelten Interesse, das nur der kennt, der die Winterstille der Dörfer an sich selber erfahren hat.
»Wer sind nur die beiden Fremden, die Turgany sich aufgeladen hat?« fragte Lewin; »in seinem eleganten Nerzpelz paßt unser justizrätlicher Freund schlecht zum Kämmerer dieser Graumäntel.«
»Es sind Amtsbrüder von mir«, erwiderte Seidentopf, dem errötenden Lewin die kleine Verlegenheit gönnend, »ein halber und ein ganzer. Der ganze, den du kennen solltest, ist unser Nachbar, der Dolgelinsche Pastor; der halbe konrektort vorläufig noch, rückt aber nächstens in die Heilige-Geist-Pfarre ein. Konrektor Othegraven, ein besonderer Freund Turganys.«
Die neuen Gäste hatten inzwischen aus Pelz und Mänteln sich ausgewickelt, und auf dem Flur erklang die Stimme des Justizrats mit jener Deutlichkeit, die immer auf ein halbes Zuhausesein deutet. Dann öffnete sich die Tür, und alle drei traten ein. Nach vorgängiger Begrüßung rückte man dichter zusammen, schob rechtwinkelig einen zweiten Tisch heran und war sofort im Fahrwasser einer lebhaften Unterhaltung. Turgany, wie er selber mit Stolz zu versichern liebte, duldete keine Pausen.
Er hatte sich mit jenem Feldherrnblick, der ihn in solchen Dingen auszeichnete, den besten Platz gewählt und saß nicht bloß unter einem Urnenreal seines Freundes, worauf er schließlich verzichtet haben würde, sondern auch zwischen Renate und Marie, was er durch geschickte Beseitigung von Tante Schorlemmer – ihr zuflüsternd, daß sein Freund Othegraven glücklich sein würde, sich mit ihr über grönländische Mission unterhalten zu können – herbeizuführen gewußt hatte. »Othegraven habe selber Missionar werden wollen.« In den durch diese Kriegslist eroberten Platz war er ohne weiteres eingerückt und unterhielt nun die beiden Damen von den eben überstandenen Abenteuern. Er verfuhr dabei nicht mit sonderlicher Diskretion, die überhaupt nicht seine starke Seite war, und nahm nicht den geringsten Anstand, den durch seine Gesamterscheinung freilich dazu herausfordernden Dolgeliner Pastor zum komischen Helden seiner Erzählung zu machen. Ein Windstoß habe seines Reisegefährten Kopfbedeckung querfeldein geführt, und eine Art Mützentreiben sei natürlich die Folge davon gewesen. Er werde dieses Anblicks nie vergessen. Der Wind, in den hochgeklappten Doppelkragen sich setzend, habe den unter Segel genommenen Pastor, als ob er in gerader Linie vom Doktor Faust abstamme, immer weiter und weiter getragen, bis endlich das phantastische Bild in den Tiefen eines Oderbruchgrabens verschwunden sei. In diesen sei nämlich der Pastor hineingefallen. Aber die Auserwählten fielen immer nur, um ihr Glück zu finden. So auch hier. In ebendiesem Graben habe die Mütze gelegen.
Der Dolgeliner Pastor war inzwischen in einer Kornpreisunterhaltung mit Lewin begriffen; Tante Schorlemmer und der Konrektor ergingen sich in Parallelen zwischen Nordpol- und Südpolmission, während Turgany eben einen improvisierten Kinderball zu schildern begann, den er am Heiligabend mitgemacht hatte. Er ließ die kleinen Mädchen in ihrer Sprache sprechen und ahmte mit einem gewissen Darstellungstalent, das er hatte, die Wichtigkeit ihrer Mienen und ihrer Haltung nach. So ging die Unterhaltung. Des Justizrats Ideal war erreicht: keine Pausen.
Turgany, um sein Bild um ein paar Striche weiter auszuführen, war ein starker Fünfziger und wußte sich etwas auf die Jugendlichkeit seiner Erscheinung. Abwehrend gegen alle Schmeichelei, duldete er doch die eine, die ihn nach dem Siebenjährigen Kriege geboren sein ließ. Es ergab dies für ihn einen Reingewinn von zehn Jahren. Er hielt sich gerade, trug eine goldene Brille und ein Toupet von flachsblonden Locken. Diese Locken hatten einst um andere Schläfen gespielt, und unser Freund, wenn ihn die Laune anwandelte, spöttelte selbst über diese blonde Fülle, die den echten Flachs seiner Jugend weit aus dem Felde schlug; er scherzte darüber, aber liebte es keineswegs, wenn andere seinem Beispiel folgten. Sein frisch erhaltenes Gesicht wäre regelmäßig zu nennen gewesen, wenn nicht sein linker Nasenflügel, der ihm abgehauen und von einem Paukdoktor schlecht angenäht worden war, eine Art Portal gebildet hätte, gerade groß genug, um einen gewöhnlichen Nasenflügel darunterzustellen. Das Kecke, das sein Wesen hatte, wuchs dadurch und paßte zu dem Zug übermütiger Laune, der um seine Mundwinkel spielte.
Die beiden Geistlichen waren von sehr anderem Gepräge und ebenso verschieden untereinander wie von ihrem Freunde, dem Justizrat. Sie hatten nichts gemeinsam als den schwarzen Rock und das weiße Halstuch. Der Konrektor gehörte einer Richtung an, wie sie damals in märkischen Landen nur selten betroffen wurde: Strenggläubigkeit bei Freudigkeit des Glaubens. Ein mehrjähriger Aufenthalt im Holsteinschen, wo er den Wandsbecker Boten und später auch Claus Harms auf seiner dithmarsischen Pfarre kennengelernt hatte, war nicht ohne Einfluß auf ihn geblieben. Er sprach wenig über Christentum und Glaubensfragen, aber auch dem Profanen gab er eine Weihe durch die Art, wie er es behandelte. Er sah alle Dinge in ihrer Beziehung zu Gott; das gab ihm Klarheit und Ruhe. Wenn er sprach, war etwas Helles um ihn her, das mit seinem sonst steifen und pedantischen Äußeren versöhnen konnte.
Der Dolgeliner Pfarrer entbehrte vieler Gaben, aber was er am gewissesten entbehrte, das war die Leuchtekraft des Glaubens. Er war für praktische Seelsorge, worunter er verstand, daß er den Bauern ihre Prozesse führte, und mußte sich's gefallen lassen, von Turgany abwechselnd als »Kollege«, »Dolgeliner Orakel« und »Lebuser Markt- und Kurszettel« bezeichnet zu werden. Er war weder Orthodoxer noch Rationalist, sondern bekannte sich einfach zu der alten Landpastorenrichtung von Whist à trois. Und nicht immer mit der nötigen Vorsicht. Einmal, so wenigstens erzählte Turgany, hatte er einer älteren unverheirateten Dame geklagt, daß er in Dolgelin keine »Partie« finden könne, was zu den ergötzlichsten Mißverständnissen Veranlassung gegeben hatte. Im übrigen war er ebenso brav wie beschränkt und wohlgelitten. Es fehlte nur der Respekt.
Solcher Art waren die neuen Ankömmlinge. Der Justizrat erhob sich eben, um vor Renate und Marie den kleinen verwachsenen Musikenthusiasten zu kopieren, der an jenem Frankfurter Kinderballabend drei Stunden lang das Violoncell gespielt hatte, als Tante Schorlemmer, einen der Doppelleuchter ergreifend, das Zeichen gab, die Studierstube von den Verpflichtungen gesellschaftlicher Repräsentation freizumachen. Die alte Dame selbst schritt erst dem angrenzenden, dann einem zweiten, dahintergelegenen Zimmer zu; alle jüngeren Elemente der Gesellschaft folgten, Othegraven und selbst Pastor Zabel nicht ausgeschlossen.
Nur Turgany und Seidentopf, die alten Freunde und Gegner, blieben in der Studierstube zurück.