Vor dem Sturm. Erster Band. Siebtes Kapitel. by Theodor Fontane
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Vor dem Sturm. Erster Band. Siebtes Kapitel.

Theodor Fontane * Track #7 On Vor dem Sturm

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Vor dem Sturm. Erster Band. Siebtes Kapitel. by Theodor Fontane

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Theodor Fontane

Vor dem Sturm. Erster Band. Siebtes Kapitel. Annotated

Siebtes Kapitel
Im Kruge

Dorf Hohen-Vietz (es hatte auch »ausgebaute Lose«) beschränkte sich in seinem Innenteil auf eine einzige langgestreckte Straße, die, dem Fuße des Hügels folgend, nach Norden hin mit dem Vitzewitzeschen Rittergute, nach Süden hin mit einem großen Mühlengehöft abschloß.

Das Rittergut, soweit seine Baulichkeiten in Betracht kommen, bestand aus zwei hufeisenförmigen Hälften, von denen die eine sich aus den drei Flügeln des Herrenhauses, die andere aus Ställen und Scheunen des gutsherrlichen Gehöftes zusammensetzte. Die offenen Seiten beider Hufeisen waren einander zugekehrt, zwischen beiden lief ein zugleich als Auffahrt dienender Steindamm, der in seiner Verlängerung hügelansteigend in die mehrgenannte Nußbaumallee überging.

Freundlicher noch als das Rittergut lag die Mühle, die eine Öl- und Schneidemühle war. Ein Wasser, das mit starkem Gefälle am Dorf vorüberfloß, trieb beide Werke. Jetzt war der Bach gefroren. Schnee und Eis aber, die in phantastischen Formen an den großen Triebrädern hingen, steigerten, wenn nicht den idyllischen, so doch den malerischen Reiz des weitschichtigen, aus Häusern, Schuppen und Lagerräumen bunt zusammengewürfelten Gehöftes.

Rittergut und Mühle die Flügelpunkte; dazwischen die Straße, die ihre dreißig Häuser oder mehr, ziemlich unregelmäßig auf beide Seiten verteilt hatte. Die linke Seite, die östliche, war die bevorzugte. Hier lagen die Pfarre, die Schule, der Schulzenhof, während die rechte Seite, die fast ausschließlich von Büdnern und Tagelöhnern bewohnt wurde, nur ein einziges stattliches Gebäude aufwies: den Krug.

In diesen treten wir jetzt ein. Er hatte nicht das Ansehen, wie sonst wohl Dorfkrüge, dazu fehlte ihm der auf Holzsäulen ruhende, jedem vorfahrenden Wagen als Wetterdach dienende Giebelbau, vielmehr sprang eine doppelarmige, aus Backsteinen aufgemauerte Treppe vor, die fast ein Dritteil der unteren Hausfront ausfüllte. Auch das Geländer war von Stein. Dieser äußeren Erscheinung, die mehr Städtisches als Dörfisches hatte, paßte sich auch die innere Einrichtung an. Von den zwei Gastzimmern, die durch den fliesenbedeckten Flur getrennt waren, zeigte das eine mit seinen blankgescheuerten Tischen und hochlehnigen Schemelstühlen, in die ein Herz geschnitten war, allerdings noch den Krugcharakter, das andere aber mit Mullgardinen und eingerahmten Kupferstichen, darunter Schill und der Erzherzog Karl, glich fast in allem einer Bürgerressourcenstube und hatte sogar einen Lesetisch, auf dem, neben dem »Lebuser Amtsblatt«, der »Beobachter an der Spree« und die »Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen« ausgebreitet lagen. Alles verriet Behagen und Wohlhabenheit, und durfte es auch, denn über beides verfügten die Hohen-Vietzer Bauern, die hier ihr Solo spielten, in ausgiebigster Weise. Ihre Hörigkeit, wenn sie je vorhanden gewesen war, hatte in diesen Gegenden, wo dem herrenlosen Bruch- und Sumpflande immer neue Strecken fruchtbaren Ackers abgewonnen wurden, seit lange glücklicheren Verhältnissen Platz gemacht, und Berndt von Vitzewitz, weil er selbst frei fühlte, freute sich nicht nur dieser wachsenden Selbständigkeit, sondern kam ihr überall entgegen. Ein Ereignis aus seinen jüngeren Jahren her hatte dazu beigetragen. Kurz vor dem Zweiundneunziger Feldzug, als er – noch von seiner Garnison aus – einen Besuch in der Salzwedler Gegend machte, hatte ein Schloß-Tylsener Knesebeck, ein ehemaliger Regimentskamerad, ihn vom Schloß aus ins Dorf geführt und dabei die Worte zu ihm gesprochen: »Seht, Vitzewitz, hier werdet Ihr etwas kennenlernen, was Ihr Euer Lebtag noch nicht gesehen habt: freie Bauern.« Und diese Worte, dazu die Bauern selbst, hatten eines tiefen Eindrucks auf ihn nicht verfehlt. Das lag nun zwanzig Jahre zurück, war aber unvergessen geblieben und den Hohen-Vietzern mehr als einmal zugute gekommen.

Auch heute, am Weihnachtstage 1812, hatten sich einige bäuerliche Honoratioren, alles Männer von Mitte Fünfzig und darüber, in der Gaststube versammelt. Es waren ihrer vier: Ganzbauer Kümmeritz, Anderthalbbauer Kallies, Ganzbauer Reetzke und Ganzbauer Krull, lauter echte Hohen-Vietzer, die, seit unvordenklichen Zeiten an dieser Stelle sässig, mit den Vitzewitzen das alte Höhendorf bewohnt und verlassen, dazu auch gemeinschaftlich mit ihnen die guten und schlechten Zeiten durchgemacht hatten. Alle waren festtäglich gekleidet, trugen lange, dunkelfarbige Röcke und saßen, mit Ausnahme eines von ihnen, grade aufrecht in den breiten, gartenstuhlartigen Holzsesseln, die zu acht oder zehn um einen großen, rotbraungestrichenen Rundtisch herumstanden.

Als fünfter hatte sich ihnen der Wirt selber, der Krüger Scharwenka, zugesellt, der durch Erbschaft von Frauensseite her ein Doppelbauer und überhaupt der reichste Mann im Dorfe war, nichtsdestoweniger aber, trotz seiner sechshundert Morgen Bruchacker unterm Pflug, nicht für voll und ebenbürtig angesehen wurde. Das hatte zwei gute Bauerngründe. Der eine lief darauf hinaus, daß erst sein Großvater, bei Urbarmachung des Oderbruchs, mit andern böhmischen Kolonisten ins Dorf gekommen war; der andere wog schwerer und gipfelte darin, daß er, allem Abmahnen zum Trotz, von dem wenig angesehenen Geschäft des »Krügerns« nicht lassen wollte. Scharwenka, sooft dieser heikle Punkt zur Sprache kam, pflegte sich auf seinen Großvater selig zu berufen, der ihm von Kindesbeinen an beigebracht habe: Dukaten seien nie despektierlich. Der eigentliche Grund aber, warum er den Bierschank und das »Knechte-bedienen« nicht aufgeben wollte, lag keineswegs bei den Dukaten. Es war dem reichen Doppelbauer viel weniger um den hübschen Krugverdienst als um die tagtägliche Berührung mit immer neuen Menschen zu tun; das Plaudern, vor allem das Horchen, das Bescheidwissen in anderer Leute Taschen, das war es, was ihn bei der Gastwirtschaft festhielt. Er setzte seinen Stolz darin, die Nachricht von einer bäuerlichen, durch die Verhältnisse notwendig gewordenen Mesalliance vierundzwanzig Stunden früher zu haben als jeder andere. Subhastationen konnte er voraus berechnen wie die Kalendermacher das Wetter; seine eigentliche Spezialität aber waren die der Feuerlegung verdächtigen Windmüller. Die Liste, die er darüber führte, umfaßte so ziemlich das ganze Gewerk.

So Krüger Scharwenka.

Seinen Platz hatte er gerade der Türe gegenüber genommen, um jeden Eintretenden sehen und begrüßen zu können. Unmittelbar neben ihm saßen Reetzke und Krull, die schon seit einer Stunde rauchten und schwiegen, ganz im Gegensatz zu Kümmeritz und Kallies, die beide von den Gesprächigen waren. Auch von ihnen ein Wort.

Ganzbauer Kümmeritz, trotz seiner Fünfzig, hatte durchaus die Haltung und das Ansehen eines alten Soldaten. Und beides kam ihm zu. Er war erst Grenadier, dann Gefreiter im Regiment Möllendorf gewesen, hatte die Rheinkampagne mitgemacht und zweimal die Weißenburger Linien mit erstiegen. War dann bei Kaiserslautern verwundet worden und hatte den Abschied genommen. Er vertrat in diesem Kreise, neben dem Schulzen Kniehase, der heute zufällig ausgeblieben war, die Traditionen der preußischen Armee, kontrollierte den Kaiser Napoleon, malte seine Schlachten auf den Tisch und hielt die Ansicht aufrecht, daß Jena, »wo wir den Sieg ja schon in Händen hatten«, nur durch einen Schabernack verlorengegangen sei.

Das volle Gegenteil von Kümmeritz war Anderthalbbauer Kallies, ein schmalschultriger, langaufgeschossener Mann. Geistig regsam, aber schwach und widerstandslos von Charakter, mußte er es sich gefallen lassen, geneckt und gehänselt zu werden, wozu schon, alles andere unerwogen, sein Beiname herauszufordern schien. Er war nämlich, als er kaum laufen konnte, in eine große Rahmbutte oder Sahnenschüssel gefallen und hieß seitdem in sehr bezeichnender Weise »Sahnepott«. Denn es war ihm sein Lebelang etwas Milchernes geblieben.

Alle fünf dampften jetzt aus langen holländischen Pfeifen; neben jedem lag ein Zündspan. Kallies hatte das Wort. Aus allem ging hervor, daß eben ein anderer Gast, ein Reisender, ein Kaufmann, wie es schien, das Zimmer verlassen haben mußte.

»Immer, wenn ich ihn so stehen sehe«, sagte Kallies mit Wichtigkeit, »fällt mir sein Vater, der alte Tiegel-Schultze ein; der stand auch immer so da, mit beiden Händen in den Hosentaschen, und war auch so ein schnackscher Kerl und sah aus, als hätt' er den Gottseibeiuns beim Dreikart betrogen. Scharwenka, du mußt ja den alten Tiegel-Schultze auch noch gekannt haben.«

Scharwenka nickte; Kümmeritz aber, der eben eine neugestopfte Pfeife anrauchte, sprach in kurzen Pausen vor sich hin: »Tiegel-Schultze? Soll mich das Wetter, wenn ich den Namen all mein Lebtag gehört habe. Und bin doch auch ein Hohen-Vietzer Kind.«

»Das war, als du bei den Soldaten warst, Kümmeritz. So um die Achtziger Jahre. Nachher war Tiegel-Schultze tot, wenn er überhaupt gestorben ist.«

Kümmeritz, der wenigstens einen Teil seines wendischen Aberglaubens bei den Soldaten gelassen hatte, schmunzelte vor sich hin und sagte dann: »Sahnepott, keine Dummheiten. Immer räsonabel. Wer tot ist, ist tot. Spuken kann er; aber sterben muß er. Warum hieß er Tiegel-Schultze?«

»Er hieß Schultze. Aber alle Welt nannt' ihn Tiegel-Schultze. Ich bin oft bei ihm gewesen, wenn ich ihm den Rübsen brachte. Immer bar Geld. Die Schwedter sagten: › Der hat gut bezahlen.‹ Er stand dann hinterm Tisch, immer die Hände in den Hosen, und sah einen so verflixt an, daß man ganz irre wurde. Aber nie kein Handel. Scharwenka, das mußt du ja wissen.«

Scharwenka nickte wieder. Sahnepott fuhr fort: »Die Comptoirstube sah aus wie ein Gefängnis, hoch, weiß und Eisenstangen am Fenster. Nichts war drin als drei Wandbretter, und auf den Brettern standen viele hundert Tiegel, große und kleine, irdene und tönerne, darum hieß er Tiegel-Schultze. Ein paar sahen schwarz aus und waren aus Kohle geschnitten.«

»War er denn ein Schmelzer, ein Goldmacher?«

»Das war er, und für den Schwedter Markgrafen hat er manchen blanken Klumpen ausgeschmolzen. Als aber der Markgraf dachte, er könnt' es nun selber und hätte Schultzen alles abgesehen, da wollt' er ihn beiseite schaffen, lud ihn aufs Schloß, suchte Streit mit ihm und feuerte die beiden Läufe seines Suhler Doppelgewehrs auf ihn ab, die mit zwei goldenen Zwickeln geladen waren. Es waren solche, wie die polschen Edelleute an ihren Röcken tragen. Tiegel-Schultze aber lachte, fing die beiden Zwickel mit seiner Linken auf, denn er war eine Linkepoot, zeigte sie dem Markgrafen und sagte: ›Die trag' ich nun zum Andenken an meinen gnädigen Herrn.‹«

Es war ersichtlich, daß Kallies, der jetzt volles Fahrwasser unterm Kiel hatte, den Zeitpunkt für gekommen hielt, sich über das Geschlecht der Tiegel-Schultzen, über Raps, Goldmachen und die Undankbarkeit des Schwedter Markgrafen des weiteren verbreiten zu dürfen. Aber ehe es geschehen konnte, trat ein neuer Gast ein, der nun der Unterhaltung eine andere Wendung gab.

Der Neueintretende war der Müller Miekley, dem die Öl- und Schneidemühle am Südende des Dorfes zugehörte. Er war unter Mittelstatur, trug einen hellgrauen Rock und hatte in seinem Gesicht jenen eigentümlichen Ausdruck, den man bei fast allen Landleuten findet, die innerhalb der religiösen Kontroverse stehen, Sektierer sind oder es werden wollen. Wo geistige Arbeit von Jugend auf ihre Züge in das Antlitz schreibt, da ist der Sektiererzug nur ein Zug unter anderen Zügen, einer unter vielen, in deren Gesamtheit er wie verlorengehen oder doch übersehen werden kann; bei Landleuten aber tritt er ganz unverkennbar hervor, und um so mehr, je weniger er die Herrschaft zu teilen hat. Dieser Sektiererzug, in dem sich Sinnlichkeit und Entsagung, Hochmut und Demut mischen, lag auch in Müller Miekley ausgesprochen, der im übrigen ein gewissenhafter Mann war, auf Hausehre hielt und sich der besonderen Protektion Tante Schorlemmers zu erfreuen hatte. Es konnte dies geschehen, ohne nach irgendeiner Seite hin Anstoß zu geben, da Miekley nicht eigentlich aus der Landeskirche ausgetreten war, vielmehr regelmäßig die Predigten Seidentopfs hörte und nur alle Vierteljahr einmal aus dem »tieferen Quell« des Kandidaten Uhlenhorst schöpfte, wenn dieser, das Bruch und die Neumark bereisend, in Hohen-Sathen alle Konventikler von diesseits und jenseits der Oder um sich versammelte. Das war denn freilich ein Fest- und Ehrentag. Alles ruhte, das beste Gespann kam aus dem Stall, und wenn die Wege grundlos gewesen wären, unser altlutherischer Müller hätte sich's zur ewigen Sünde gerechnet, das Manna versäumt zu haben.

Miekley setzte sich links neben Kümmeritz. Dieser, wohl wissend, daß jetzt ein geistlicher Diskurs unvermeidlich geworden sei, kam ihm zuvor und fragte: »Nun, Miekley, wie hat Euch heute die Predigt gefallen?«

»Gut, Kümmeritz, von Herzen gut, trotzdem er nichts davon gesagt hat, daß uns an diesem Tage zu Bethlehem im judäischen Lande das Heil geboren wurde. Noch weniger hat er von dem ›eingeborenen Sohne Gottes‹ gesprochen. Uhlenhorst würde den Kopf geschüttelt haben. Aber er hat gesprochen wie ein braver Mann. Ich kenn' ihn wohl, er hat ein preußisches Herz.«

»Und ein christliches dazu«, riefen die anderen alle wie aus einem Munde.

»Er zetert nicht«, nahm Kallies das Wort, »er verdammt nicht; er ist kein Pharisäer. Er hat die Demut, Miekley, und das ist die Hauptsache.«

»Sahnepott hat recht«, bekräftigte Kümmeritz. »Da ist kein zweiter hier herum, der sich mit unserm Seidentopf messen könnte. Er hat nur einen Fehler, er ist zu gut und zu leichtgläubig, und sieht alles, wie er es wünscht. Über der Ägypter Heer, so sagte er, seien die großen Wasser zusammengeschlagen. Aber König Pharao sitzt wieder in seiner Hauptstadt und spinnt die alten Fäden. Noch sind wir im Bündnis mit ihm, und der Himmel mag wissen, ob wir gnädig von ihm loskommen. Geb uns Gott einen ehrlichen Krieg.«

»Den wirst du haben, Kümmeritz«, warf hier Miekley ein, der sich trotz seines Luthertums einen starken Glauben an Spuk- und Gespenstergeschichten bewahrt hatte, »den wirst du haben und wir alle mit dir. Die Alt-Landsberger Mäher haben wieder gemäht, und jeder von euch weiß, was das bedeutet. Sie haben sieben Tage gemäht, ehe der alte Fritz in den Krieg zog, und die Stoppeln waren damals so rot, als ob es Blut geregnet hätte. In diesem November haben sie wieder gemäht auf kahlem Felde.«

»Und von Sonnenuntergang her«, rief Scharwenka dazwischen, »das will sagen, daß der Feind von Westen kommt. Wir werden die Franzosen wieder im Lande haben, neues, frisches Volk, mit all seinen alten Kniffen und Pfiffen, und wer eine Tochter im Hause hat, der mag sich vorsehen. Sie haben eine freche Art, und die Weiber laufen ihnen nach.«

»Das sollen sie nicht«, versicherte Miekley, »und wo sie's tun, da falle die Schande auf uns. Wo böse Lust über Nacht in die Halme schießt, da lag von Anfang an eine schlechte Saat in den Herzen; wo aber Zucht ist und Sitte und Gebet, da hat der Böse keine Macht, auch wenn er sich in einen schlechten Franzosen verkleidet.«

Alle nickten zustimmend. »Aber«, fuhr Müller Miekley fort, »sie sind doch ein Greuel, nicht, weil sie leichtfertig sind, nein, weil sie ein unheiliges Volk sind. Sie haben sich vermessen, den ewigen Gott des Himmels und der Erde von Thron und Herrschaft abzusetzen, und beinahe schlimmer noch, sie haben sich vermessen, ihn wieder einzusetzen. Nun haben sie wieder einen Gott, aber er ist auch danach; es ist kein rechter Christengott, es ist bloß ein französischer Gott, ein ab- und eingesetzter. Sie kennen nur den Götzendienst ihres Kaisers, aber keinen Gottesdienst, und sooft ich all die Jahre über einen Franzosen in unseren Kirchen gesehen habe, so war es nur, um Unheil anzurichten.«

»Sie haben die Fransen von der Altardecke getrennt; sie haben die goldenen Stickereien ausgeschnitten; sie haben die Leuchter eingeschmolzen«, riefen mehrere dazwischen.

»Oh, sie haben Schlimmeres getan, nicht hier, aber in unserer Nachbarschaft. Den Görlsdorfer Pastor, der das Kirchengut versteckt hatte, haben sie bis unter die Achselhöhlen eingegraben und sind erst in sich gegangen, als er sie bat, ihn totzuschlagen, anstatt ihn zu martern. In Hohen-Finow haben sie den Abendmahlswein getrunken und schlechte Lieder gesungen; dann haben sie den Altartisch aus der Kirche auf den Kirchhof getragen, haben ihre Teufelsknöchel in den Abendmahlskelch getan und haben gewürfelt. In die Gruft sind sie hinabgestiegen und haben der jungverstorbenen Frau die seidenen Kleider abgerissen.«

»Das haben sie getan«, fiel jetzt Sahnepott mit Wichtigkeit ein, der wie alle schwachen Naturen eine Neigung zum Übertrumpfen hatte, »aber in Haselberg haben sie es büßen müssen, wenigstens einer. Die Haselberger Gruft ist, was sie eine Mumiengruft nennen, es soll ihrer mehrere auf dem Hohen-Barnim geben. Die Franzosen nun, als sie die Särge aufbrachen, da sahen sie, daß die Toten unverwest waren. Das gab ein Lachen. Da trugen sie den einen Sarg aus der Gruft in die Kirche, nahmen den Toten heraus, und da seine Arme beweglich waren, beschlossen sie, ihn zu kreuzigen. Sie stellten ihn an die Altarwand und schlugen zwei Nägel durch seine Hände. Die eine Hand aber löste sich wieder ab und gab im Niederfallen dem einen der Missetäter einen Backenstreich. Das entsetzte ihn, daß er tot zu Boden stürzte.«

»Den hat Gott gerichtet«, rief Miekley. »Und solch Schlag wird sie alle treffen, und müßten die Toten auferstehen.«

»Ehe aber Gott seine Wunder tut«, so schloß Kümmeritz das Gespräch, »sollen wir uns seiner Wunder würdig machen. Nicht wahr, Miekley? Wir sollen die Hände nicht in den Schoß legen. Die Alt-Landsberger Mäher haben gemäht; wenn der König ruft, wer von uns noch Kraft hat zu mähen, der mähe mit. Ich bin's entschlossen. Das Letzte für Preußen und den König.«

Die Bauern standen auf und gingen nach entgegengesetzten Richtungen die Dorfgasse entlang. Nach Norden hin glühte ein roter Schein am Himmel auf.

»Ist das Feuer?« fragte Krull.

»Nein«, sagte Miekley, »es ist ein Nordlicht, der Himmel gibt seine Zeichen.«

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