Theodor Fontane
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Achtzehntes Kapitel
Der Aufbruch
Die Nachmittagsstunden vergingen rascher, als man erwartet hatte; sämtliche Kommandeure waren zu Tisch geladen, und das Gespräch mit ihnen kürzte die Zeit. Selbst Bamme, als er erst wahrnahm, daß es seinen Geschichten und Anekdoten, aller pressanten Lage zum Trotz, an einem aufmerksamen und dankbaren Publikum nicht fehlte, kam über die gefürchteten Stunden in guter Laune hinweg.
Schon lange vor neun begannen sich die Bataillone zu sammeln und standen nun das Dorf hinauf und hinunter: bei Miekleys Mühle die Vorhut, auf der Straßenerweiterung zwischen dem Krug und dem Schulzenhof die beiden Barnimschen Bataillone, vor dem Herrenhause das Bataillon Lebus. Es war ziemlich dunkel, aber bei dem Lichterschein, der von rechts und links her auf die Gasse fiel, ließen sich die aus Piken und Gewehren zusammengesetzten Pyramiden deutlich erkennen. Vor den Häusern standen die Landsturmmänner im Gespräch mit den Frauen und Mädchen, denn alles, was Waffen tragen konnte, war in Reih' und Glied.
Bamme hielt bei Miekleys Mühle neben einer Art Biwaksfeuer, das hier mitten auf dem Fahrdamme angezündet worden war. Die Pelzmütze tief ins Gesicht gerückt, den Husarensäbel über den grauen Mantel geschnallt, gewährte er jetzt, angeglüht von dem Flammenschein, auf seiner hochbeinigen, roten Fuchsstute einen noch groteskeren Anblick als bei seinem Ritte zur Revue. Neben ihm hielt Hirschfeldt.
Und nun schlug es neun, und ehe noch der letzte Schlag verklungen war, hieß es: »An die Gewehre!« Jeder, der das Kommando hörte, wußte, von wem es kam. Diese scharfe Krähstimme hatte nur einer. Die Landsturmmänner des zunächststehenden Bataillons gehorchten augenblicklich und mit der Präzision alter Soldaten, während Hirschfeldt die Dorfgasse hinaufjagte, um den Befehl von Bataillon zu Bataillon zu bringen. Dann warf Bamme die Fuchsstute links herum, nahm zwischen zwei Holzpfeilern, die den Eingang zum Mühlengehöft bildeten, Stellung und kommandierte: »Bataillon, marsch!« Die Tambours schlugen an, und unter Hurra ging es im Geschwindschritt an dem Alten vorbei, der immer, wenn ein neues Bataillon herankam, die Pelzmütze lüpfte, um wenigstens die vordersten Rotten zu begrüßen. Jetzt kam auch das Bataillon Lebus, das die Nachhut bildete; die Schwedentrommel lärmte, und der Protzhagener Kuhhirt, mit dem Junker-Hansen-Horn, blies unablässig dazwischen. Es klang wie Feuerruf.
Vitzewitz und Drosselstein ließen im Vorbeimarsch präsentieren, und erst als der letzte Mann ihres Nachhutbataillons vorüber war, gab auch Bamme seinen Platz zwischen den zwei Pfeilern auf und folgte an der Queue der Kolonne.
Eine halbe Stunde später war wieder alles still in der Dorfgasse, und nur die Lichter brannten noch bis tief in die Nacht hinein; denn da war kein Haus, dessen Insassen nicht den Zug in Furcht und Hoffnung, mit Sorgen und Gebet begleitet hätten.
So war es auch in der Pfarre. Hier saßen Renate und die Schorlemmer, die gekommen waren, sich Rat und Trost zu holen. Wenigstens galt dies von Renate. Die Schorlemmer hatte selber, was sie brauchte, und nahm ihre Zuflucht lieber zu dem eisernen Bestand ihrer Lieder und Sprüche, die sie, nicht ganz mit Unrecht, für heilskräftiger ansah als alles, was ihr Seidentopf bieten konnte.
Beide (Renate wie die Schorlemmer) waren noch nicht lange zugegen, als auch Marie vom Schulzenhofe her eintrat. Man begrüßte sich herzlich, aber es wollte kein rechtes Gespräch aufkommen, und nachdem einige gleichgültige Worte gewechselt waren, sahen alle schweigend vor sich hin. Immer wieder im Laufe des Tages war versichert worden, daß es sich aller Wahrscheinlichkeit nach nur um ein leichtes Unternehmen handle, daß die Franzosen demoralisiert seien und daß man angesichts dieser Tatsachen einen regelrechten oder gar hartnäckigen Widerstand kaum zu gewärtigen habe; nichtsdestoweniger hatte Hirschfeldts ernste Miene und mehr noch Bammes inmitten aller Heiterkeit unverkennbar hervortretende Unruhe deutlicher gesprochen als alle jene hoffnungsreichen Versicherungen. Die Gefahr sollte geleugnet werden, aber sie war da. So hing jeder allerlei trüben Gedanken nach, am meisten aber Marie. Für Lewin fürchtete sie nichts, es war ihr, als ob irgendein Flammenschild ihn schützen müsse; aber Tubals gedachte sie mit Zittern. War es eine Neigung, ihr selbst zum Trotz? Nein. Es lag nur tief in ihrer Natur, an einen Ausgleich zu glauben, das Mysterium von Schuld und Sühne war ihr ins Herz geschrieben, und ihre geschäftige Phantasie malte ihr dunkle Bilder, wechselnd in der Szenerie, aber ihr Inhalt immer derselbe.
So vergingen Minuten; das Schweigen wurde peinlich, um so peinlicher, als auch der sanguinische Seidentopf, der seiner Natur nach immer mehr hoffte als fürchtete, an diesem Schweigen teilnahm.
Endlich sagte Renate: »Welchen Weg werden sie nehmen? Ich habe den Papa zu fragen vergessen. Am Fluß hin ist es näher, aber der Höhenweg ist besser und nicht so trist und öde.«
»Soweit ich Bamme verstanden habe«, antwortete Seidentopf, »wollen sie bei Reitwein oder doch spätestens bei Podelzig die Kolonne teilen und auf beiden Straßen vorgehen, die Barnimschen unten an der Oder, unser Bataillon und die Münchebergschen über das Plateau hin. Beim Spitzkrug treffen sie dann wieder zusammen. Hirschfeldt hatte den Platz an der kleinen Georgenkirche vorgeschlagen, aber Bamme bestand auf dem Spitzkrug.«
»Das glaub' ich«, sagte die Schorlemmer. »Er ist immer mehr für Krug als Kirche. Und das ist es, was mich ängstigt und meine Hoffnung so niederdrückt.«
Renate nahm die Hand der alten Freundin und sagte: »Ich sehe nicht ein, warum. Weißt du doch nichts von ihm, als was die Leute sagen.«
»Und das ist auch gerade genug. Was die Leute sagen, ist immer wahr, trotzdem die Welt voll Lüge ist. Aber die Lüge läuft sich tot, und was dann bleibt, das ist die Wahrheit. Hast du je gehört, daß sie von dem Grafen drüben etwas Böses sprechen? Nein, und warum nicht? Weil er ein reines Herz hat. Es hat ihm bloß die Erweckung gefehlt und das Licht des Glaubens. Aber was diesem garstigen Bamme fehlt, das ist nicht mehr und nicht weniger als alles, und was er dafür hat, das ist Qualm und Rauch. Und er raucht auch immer (aus einer häßlichen kurzen Pfeife), und durch die ganze Stube hin liegt Asche und Fidibus und Schwamm. Er hat uns Löcher in die Dielen gebrannt, und überall sieht es aus, als ob, ich will nicht sagen wer, fünf Tage lang bei uns im Quartier gelegen hätte. Was soll Gutes davon kommen? O nein, Renatchen, was wir brauchen, das ist die Hilfe Gottes. Der muß seine Engel schicken, daß sie für uns streiten; aber sie können nicht streiten an dieses Mannes Seite, denn das Reine verträgt sich nicht mit dem Unreinen.«
»Liebe Schorlemmer«, sagte Marie, »du tust ihm doch wohl unrecht, er wird schwärzer gemalt, als er ist; das hat er mit seinem Vorbilde gemein. Er kam heute vormittag in unser Haus und setzte sich zu mir und sprach mit mir, wohl eine halbe Stunde lang. Ich fürchtete mich keinen Augenblick und jedenfalls ein gut Teil weniger als vor vielen anderen, die keine Bammes sind. Er war sehr artig und sehr teilnehmend, und ich muß sagen, ich habe nichts Häßliches aus seinem Munde gehört. Vielleicht, daß er früher anders war. Er ist klug und kennt die Menschen, und ich glaube, er weiß recht gut, was er sagen darf und was nicht.«
»Marie hat recht«, sagte Seidentopf. »Und zudem, er hat noch eine große Tugend: er heuchelt nicht und macht sich nicht besser, als er ist. Im Gegenteil, er legt sich allerhand Tollheiten zu, denn das menschliche Herz ist wunderlich in seinen Eitelkeiten. Die meisten suchen ihren Vorteil im Tugendschein, er gefällt sich im Schein der Sünde. Ich will nicht alles an ihm loben, aber wenn ich die Summe seiner Fehler ziehen sollte, so würd' ich sagen, er ist eitel und gefallsüchtig und nicht fest in Grundsätzen.«
»Nicht fest in Grundsätzen«, brauste jetzt die Schorlemmer auf. »Das nenn' ich denn doch Beschönigung. Grundsätze? Er hat überhaupt keine, und das ist das Schlimmste. Denn wer keine Grundsätze hat, der ist wie ein Raubtier oder eine Katze. Und wie macht es die Katze? Jetzt schnurrt und spinnt sie noch und wärmt sich an der Ofenecke, aber im nächsten Augenblicke springt sie dem schlafenden Kind an die Kehle. ›Sie hat es für eine Maus gehalten‹, sagen dann die Leute, die für alles eine Entschuldigung haben. Aber ich mag nichts davon wissen. Maus hin, Maus her, die kleine Unschuld ist tot.«
Renate und Marie wechselten Blicke, die Schorlemmer aber, die, so gut sie war, in ihrem Eifer oft aller Liebe vergaß, fuhr immer heftiger fort: »Und mit diesem Manne ziehen sie gegen die Mauern einer festen Stadt, als ob er ein Mann Gottes und ein Auserwählter wäre. Er wird aber den dicken Mann von Protzhagen, dem sie das alte Rutzenhorn um den Nacken gelegt haben, umsonst blasen lassen, denn das alte Rutzenhorn ist keine Posaune, und Bamme, Gott weiß es, ist kein Josua. Denn der hatte das Gesetz, das Gott dem Mose gegeben, und wich nicht zur Rechten und nicht zur Linken. Und so blieb es in Israel, und wenn es arg wurde, weil sie sich mit den heidnischen Völkern mischten und den heidnischen Göttern dienten, dann weckte Gott einen Gottesmann unter ihnen, der schlug dann die Moabiter und Amalekiter und viele andere noch. Und warum schlug er sie? Weil sein Auserwählter dem rechten Gotte diente und die Baalstempel stürzte. Aber dieser Bamme, der nun auszieht, um unsere Feinde zu schlagen, der ist selber ein Heidenkind und möchte jeden Tag dem Baal Tempel und Altäre bauen. Und was ist sein Baal? Das Spiel und der Trunk und die Fleischeslust. Und deshalb sage ich, er wird nicht wiederkehren wie Gideon...«
»Aber vielleicht wie Jephtha«, scherzte Renate, »und ich werde ihm, wenn er siegreich heimkehrt, mit Pauken und Zimbeln entgegenziehen.«
Seidentopf und Marie vergaßen angesichts dieses Bildes auf Augenblicke wenigstens den Ernst ihrer Lage, Renate selbst aber, während sie die Hand der Alten nahm, setzte beschwichtigend hinzu: »Sieh nicht so böse darein, liebe Schorlemmer, aber es ist nicht gut, wie du sprichst. Sind wir doch hier in schwerer Stunde beisammen, und die Liebsten, die wir haben, sind ausgezogen, um dem Lande das Zeichen der Erhebung zu geben. Und was tust du? Du malst uns schwarze Bilder, als ob alles untergehen müßte um dieses einen Mannes willen. Das ist nicht recht, und ich kenne dich nicht wieder. Um eines Guten willen übt Gott viel Gnade, so hast du mich früher gelehrt, aber er bereitet nicht um eines Schuldigen willen hundert Unschuldigen ihr Verderben. Habe ich recht, lieber Pastor?«
»Ja und wieder ja«, sagte Seidentopf, »und es führt zu nichts, unsere Herzen immer bänger und schwerer zu machen, wo wir uns aufrichten sollen. Der Eifer hat meine alte Freundin hingerissen. Wir haben all' einen Punkt, der eine diesen, der andere jenen, wo wir, wenn wir am gerechtesten zu sein vermeinen, am ungerechtesten werden. Und bei meiner Freundin heißt er: Bamme. Lassen wir den Streit und das Trübesehen und lesen wir ein Wort von der Allmacht und der Gnade Gottes.«
Marie war aufgestanden und holte von der Camera theologica her die große Augsburgsche mit den Eisenzwingen und öffnete die Klammern. Der alte Seidentopf aber las den neunzigsten Psalm: »Herr Gott, du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.«
Darnach erhoben sich die Schorlemmer und Renate, um in das Herrenhaus zurückzukehren. Mit ihnen auch Marie, denn sie wollten die Nacht zusammen bleiben.