Odyssee - Kapitel 15 by Homer
Odyssee - Kapitel 15 by Homer

Odyssee - Kapitel 15

Homer * Track #15 On Odyssee (Übersetzt von Johann Heinrich Voß)

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Odyssee - Kapitel 15 by Homer

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Homer

Odyssee - Kapitel 15 Annotated

Aber Leukothea sah ihn, die schöne Tochter des Kadmos,
Ino, einst ein Mädchen mit heller melodischer Stimme,
335   Nun in den Fluten des Meers der göttlichen Ehre genießend.
Und sie erbarmete sich des umhergeschleuderten Mannes,
Kam wie ein Wasserhuhn empor aus der Tiefe geflogen,
Setzte sich ihm auf den Floß, und sprach mit menschlicher               Stimme:

Armer, beleidigtest du den Erderschüttrer Poseidon,

340   Daß er so schrecklich zürnend dir Jammer auf Jammer                       bereitet?
Doch verderben soll er dich nicht, wie sehr er auch eifre!
Tu nur, was ich dir sage; du scheinst mir nicht unverständig.
Ziehe die Kleider aus, und lasse den Floß in dem Sturme
Treiben; spring in die Flut, und schwimme mit strebenden                 Händen
345   An der Phäaken Land, allwo dir Rettung bestimmt ist.
Da, umhülle die Brust mit diesem heiligen Schleier,
Und verachte getrost die drohenden Schrecken des Todes.
Aber sobald du das Ufer mit deinen Händen berührest,
Löse den Schleier ab, und wirf ihn ferne vom Ufer
350   In das finstere Meer, mit abgewendetem Antlitz.

Also sprach die Göttin, und gab ihm den heiligen Schleier;
Fuhr dann wieder hinab in die hochaufwallende Woge,
Ähnlich dem Wasserhuhn, und die schwarze Woge                             verschlang sie.
Und nun sann er umher, der herrliche Dulder Odysseus;

355   Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:

Weh mir! ich fürchte, mich will der Unsterblichen einer von           neuem
Hintergehn, der mir vom Floße zu steigen gebietet!
Aber noch will ich ihm nicht gehorchen; denn eben erblickt'               ich
Ferne von hinnen das Land, wo jene mir Rettung gelobte.

360   Also will ich es machen, denn dieses scheint mir das Beste!
Weil die Balken noch fest in ihren Banden sich halten,
Bleib' ich hier, und erwarte mit duldender Seele mein                           Schicksal.
Aber wann mir den Floß die Gewalt des Meeres zertrümmert,
Dann will ich schwimmen; ich weiß mir ja doch nicht besser             zu raten!

365        Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,
Siehe da sandte Poseidon, der Erdumstürmer, ein hohes
Steiles schreckliches Wassergebirg'; und es stürzt' auf ihn                 nieder.
Und wie der stürmende Wind in die trockene Spreu auf der               Tenne
Ungestüm fährt, und im Wirbel sie hiehin und dorthin                         zerstreuet;

370   Also zerstreute die Flut ihm die Balken. Aber Odysseus
Schwung sich auf einen, und saß, wie auf dem Rosse der                   Reiter;
Warf die Kleider hinweg, die ihm Kalypso geschenket,
Und umhüllte die Brust mit Inos heiligem Schleier.
Vorwärts sprang er hinab in das Meer, die Hände verbreitet,
375   Und schwamm eilend dahin. Da sah ihn der starke Poseidon,
Schüttelte zürnend sein Haupt, und sprach in der Tiefe des               Herzens:

So, durchirre mir jetzo, mit Jammer behäuft, die Gewässer,
Bis du die Menschen erreichst, die Zeus vor allen beseligt!
Aber ich hoffe, du sollst mir dein Leiden nimmer vergessen!

380        Also sprach er, und trieb die Rosse mit fliegender Mähne,
Bis er gern Ägä kam, zu seiner glänzenden Wohnung.

Aber ein Neues ersann Athene, die Tochter Kronions.
Eilend fesselte sie den Lauf der übrigen Winde,
Daß sie alle verstummten, und hin zur Ruhe sich legten;

385   Und ließ stürmen den Nord, und brach vor ihm die Gewässer:
Bis er zu den Phäaken, den ruderliebenden Männern,
Käme, der edle Odysseus, entflohn dem Todesverhängnis.

Schon zween Tage trieb er und zwo entsetzliche Nächte
In dem Getümmel der Wogen, und ahnete stets sein                           Verderben.

390   Als nun die Morgenröte des dritten Tages emporstieg,
Siehe da ruhte der Wind; von heiterer Bläue des Himmels
Glänzte die stille See. Und nahe sah er das Ufer,
Als er mit forschendem Blick von der steigenden Welle                       dahinsah.

So erfreulich den Kindern des lieben Vaters Genesung

395   Kommt, der lange schon an brennenden Schmerzen der                     Krankheit
Niederlag und verging, vom feindlichen Dämon gemartert;
Aber ihn heilen nun zu ihrer Freude die Götter:
So erfreulich war ihm der Anblick des Landes und Waldes.
Und er strebte mit Händen und Füßen, das Land zu erreichen.
400   Aber so weit entfernt, wie die Stimme des Rufenden schallet,
Hört' er ein dumpfes Getöse des Meers, das die Felsen                       bestürmte,
Graunvoll donnerte dort an dem schroffen Gestade die hohe
Fürchterlich strudelnde Brandung, und weithin spritzte der                 Meerschaum.
Keine Buchten empfingen, noch schirmende Reeden, die                   Schiffe;
405   Sondern trotzende Felsen und Klippen umstarrten das Ufer.
Und dem edlen Odysseus erzitterten Herz und Kniee;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:

Weh mir! nachdem mich Zeus dies Land ohn' alles                           Vermuten
Sehen ließ, und ich jetzo die stürmenden Wasser                                 durchkämpfet;

410   Öffnet sich nirgends ein Weg aus dem dunkelwogenden                     Meere!
Zackichte Klippen türmen sich hier, umtobt von der Brandung
Brausenden Strudeln, und dort das glatte Felsengestade!
Und das Meer darunter ist tief; man kann es unmöglich
Mit den Füßen ergründen, um watend ans Land sich zu                      retten!
415   Wagt' ich durchhin zu gehn, unwiderstehliches Schwunges
Schmetterte mich die rollende Flut an die zackichte Klippe!
Schwimm' ich aber noch weiter herum, abhängiges Ufer
Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres;
Ach dann fürcht' ich, ergreift der Orkan mich von neuem, und           schleudert
420   Mich Schwerseufzenden weit in das fischdurchwimmelte                   Weltmeer!
Oder ein Himmlischer reizt auch ein Ungeheuer des                           Abgrunds
Wider mich auf, aus den Scharen der furchtbaren Amphitrite!
Denn ich weiß es, mir zürnt der gewaltige Küstenerschüttrer!

Als er solche Gedanken im zweifelnden Herzen bewegte,

425   Warf ihn mit einmal die rollende Wog' an das schroffe                       Gestade.
Jetzo wär' ihm geschunden die Haut, die Gebeine zermalmet,
Hätte nicht Pallas Athene zu seiner Seele geredet.
Eilend umfaßte der Held mit beiden Händen die Klippe,
Schmiegte sich keuchend an, bis die rollende Woge vorbei                 war.
430   Also entging er ihr jetzt. Allein da die Woge zurückkam,
Raffte sie ihn mit Gewalt, und schleudert' ihn fern in das                     Weltmeer.
Also wird der Polyp dem festen Lager entrissen;
Kiesel hängen und Sand an seinen ästigen Gliedern:
Also blieb an dem Fels von den angeklammerten Händen
435   Abgeschunden die Haut; und die rollende Woge verschlang               ihn.
Jetzo wäre der Dulder auch wider sein Schicksal gestorben,
Hätt' ihn nicht Pallas Athene mit schnellem Verstande                       gerüstet.
Aber er schwung sich empor aus dem Schwalle der                             schäumenden Brandung,
Schwamm herum, und sah nach dem Land', abhängiges Ufer
440   Irgendwo auszuspähn und sichere Busen des Meeres.
Jetzo hatt' er nun endlich die Mündung des herrlichen                         Stromes
Schwimmend erreicht. Hier fand er bequem zum Landen das             Ufer,
Niedrig und felsenleer, und vor denn Winde gesichert.
Und er erkannte den strömenden Gott, und betet' im Herzen:

445        Höre mich, Herrscher, wer du auch seist, du                                     Sehnlicherflehter!
Rette mich aus dem Meer vor denn schrecklichen Grimme                 Poseidons!
Heilig sind ja, ach selbst unsterblichen Göttern, die                             Menschen,
Welche von Leiden gedrängt um Hilfe flehen! Ich winde
Mich vor deinem Strome, vor deinen Knieen, in Jammer!

450   Herrscher, erbarme dich mein, der deiner Gnade vertrauet!

Also sprach er. Da hemmte der Gott die wallenden Fluten,
Und verbreitete Stille vor ihm, und rettet' ihn freundlich
An das seichte Gestade. Da ließ er die Kniee sinken
Und die nervichten Arme; ihn hatten die Wogen entkräftet:

455   Alles war ihm geschwollen, ihm floß das salzige Wasser
Häufig aus Nas' und Mund; der Stimme beraubt und des                     Atems,
Sank er in Ohnmacht hin, erstarrt von der schrecklichen                     Arbeit.
Als er zu atmen begann, und sein Geist dem Herzen                           zurückkam,
Löst' er ab von der Brust den heiligen Schleier der Göttin,
460   Warf ihn eilend zurück in die salzige Welle des Flusses;
Und ihn führte die Welle den Strom hinunter, und Ino
Nahm ihn mit ihren Händen. Nun stieg der Held aus dem                   Flusse,
Legte sich nieder auf Binsen, und küßte die fruchtbare Erde;
Tiefaufseufzend sprach er zu seiner erhabenen Seele:

465    Weh mir Armen, was leid' ich, was werd' ich noch endlich                   erleben!
Wenn ich die greuliche Nacht an diesem Strome verweilte,
Würde zugleich der starrende Frost und der tauende Nebel
Mich Entkräfteten, noch Ohnmächtigen, gänzlich vertilgen;
Denn kalt wehet der Wind aus dem Strome vor                                     Sonnenaufgang!

470   Aber klimm' ich hinan zum waldbeschatteten Hügel,
Unter dem dichten Gesträuche zu schlafen, wenn Frost und               Ermattung
Anders gestatten, daß mich der süße Schlummer befalle:
Ach dann werd' ich vielleicht den reißenden Tieren zur Beute!

Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beste,

475   Hinzugehn in den Wald, der den weitumschauenden Hügel
Nah am Wasser bewuchs. Hier grüneten, ihn zu umhüllen,
Zwei verschlungne Gebüsche, ein wilder und fruchtbarer                   Ölbaum.
Nimmer durchstürmte den Ort die Wut naßhauchender                     Winde,
Ihn erleuchtete nimmer mit warmen Strahlen die Sonne,
480   Selbst der gießende Regen durchdrang ihn nimmer: so dicht             war
Sein Gezweige verwebt. Hier kroch der edle Odysseus
Unter, und bettete sich mit seinen Händen ein Lager,
Hoch und breit; denn es deckten so viele Blätter den Boden,
Daß zween Männer darunter und drei sich hätten geborgen
485   Gegen den Wintersturm, auch wann er am schrecklichsten               tobte.
Freudig sahe das Lager der herrliche Dulder Odysseus,
Legte sich mitten hinein, und häufte die rasselnden Blätter.

Also verbirgt den Brand in grauer Asche der Landmann;
Auf entlegenem Felde, von keinem Nachbar umwohnet,

490   Hegt er den Samen des Feuers, um nicht in der Ferne zu                     zünden:
Also verbarg sich der Held in den Blättern. Aber Athene
Deckt' ihm die Augen mit Schlummer, damit sie der                             schrecklichen Arbeit
Qualen ihm schneller entnähme, die lieben Wimper                             verschließend.

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