Das Buch Le Grand - Kapitel 5 by Heinrich Heine
Das Buch Le Grand - Kapitel 5 by Heinrich Heine

Das Buch Le Grand - Kapitel 5

Heinrich Heine * Track #6 On Das Buch Le Grand

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Das Buch Le Grand - Kapitel 5 by Heinrich Heine

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Heinrich Heine

Das Buch Le Grand - Kapitel 5 Annotated

Kapitel V

Madame! ich habe Sie belogen. Ich bin nicht der Graf vom Ganges. Niemals im Leben sah ich den heiligen Strom, niemals die Lotosblumen, die sich in seinen frommen Wellen bespiegeln. Niemals lag ich träumend unter indischen Palmen, niemals lag ich betend vor dem Diamantengott zu Jagernaut, durch den mir doch leicht geholfen wäre. Ich war ebensowenig jemals in Kalkutta wie der Kalkutenbraten, den ich gestern mittag gegessen. Aber ich stamme aus Hindostan, und daher fühl ich mich so wohl in den breiten Sangeswäldern Valmikis, die Heldenleiden des göttlichen Ramo bewegen mein Herz wie ein bekanntes Weh, aus den Blumenliedern Kalidasas blühn mir hervor die süßesten Erinnerungen, und als vor einigen Jahren eine gütige Dame in Berlin mir die hübschen Bilder zeigte, die ihr Vater, der lange Zeit Gouverneur in Indien war, von dort mitgebracht, schienen mir die zartgemalten, heiligstillen Gesichter so wohlbekannt, und es war mir, als beschaute ich meine eigne Familiengalerie.

Franz Bopp – Madame, Sie haben gewiß seinen »Nalus« und sein »Konjugationssystem des Sanskrit« gelesen – gab mir manche Auskunft über meine Ahnherren, und ich weiß jetzt genau, daß ich aus dem Haupte Brahmas entsprossen bin und nicht aus seinen Hühneraugen; ich vermute sogar, daß der ganze Mahabharata mit seinen 200.000 Versen bloß ein allegorischer Liebesbrief ist, den mein Urahnherr an meine Urältermutter geschrieben – Oh! sie liebten sich sehr, ihre Seelen küßten sich, sie küßten sich mit den Augen, sie waren beide nur ein einziger Kuß –

Eine verzauberte Nachtigall sitzt auf einem roten Korallenbaum im stillen Ozean und singt ein Lied von der Liebe meiner Ahnen, neugierig blicken die Perlen aus ihren Muschelzellen, die wunderbaren Wasserblumen schauern vor Wehmut, die klugen Meerschnecken, mit ihren bunten Porzellantürmchen auf dem Rücken, kommen herangekrochen, die Seerosen erröten verschämt, die gelben, spitzigen Meersterne und die tausendfarbigen gläsernen Quabben regen und recken sich, und alles wimmelt und lauscht –

Doch, Madame, dieses Nachtigallenlied ist viel zu groß, um es hierherzusetzen, es ist so groß wie die Welt selbst, schon die Dedikation an Anangas, den Gott der Liebe, ist so lang wie sämtliche Walter Scottsche Romane, und darauf bezieht sich eine Stelle im Aristophanes, welche zu deutsch heißt:

»Tiotio, tiotio, tiotinx,
Totototo, totototo, tototinx«.
(Vossische Übers.)

Nein, ich bin nicht geboren in Indien; das Licht der Welt erblickte ich an den Ufern jenes schönen Stromes, wo auf grünen Bergen die Torheit wächst und im Herbste gepflückt, gekeltert, in Fässer gegossen und ins Ausland geschickt wird – Wahrhaftig, gestern bei Tische hörte ich jemanden eine Torheit sprechen, die Anno 1811 in einer Weintraube gesessen, welche ich damals selbst auf dem Johannisberge wachsen sah. – Viel Torheit wird aber auch im Lande selbst konsumiert, und die Menschen dort sind wie überall: – sie werden geboren, essen, trinken, schlafen, lachen, weinen, verleumden, sind ängstlich besorgt um die Fortpflanzung ihrer Gattung, suchen zu scheinen, was sie nicht sind, und zu tun, was sie nicht können, lassen sich nicht eher rasieren, als bis sie einen Bart haben, und haben oft einen Bart, ehe sie verständig sind, und wenn sie verständig sind, berauschen sie sich wieder mit weißer und roter Torheit.

Mon Dieu! wenn ich doch so viel Glauben in mir hätte, daß ich Berge versetzen könnte – der Johannisberg wäre just derjenige Berg, den ich mir überall nachkommen ließe. Aber da mein Glaube nicht so stark ist, muß mir die Phantasie helfen, und sie versetzt mich selbst nach dem schönen Rhein.

Oh, da ist ein schönes Land, voll Lieblichkeit und Sonnenschein. Im blauen Strome spiegeln sich die Bergesufer mit ihren Burgruinen und Waldungen und altertümlichen Städten – Dort vor der Haustür sitzen die Bürgersleute des Sommerabends und trinken aus großen Kannen und schwatzen vertraulich: wie der Wein, gottlob! gedeiht, und wie die Gerichte durchaus öffentlich sein müssen, und wie die Maria Antoinette so mir nichts dir nichts guillotiniert worden, und wie die Tabaksregie den Tabak verteuert, und wie alle Menschen gleich sind, und wie der Görres ein Hauptkerl ist.

Ich habe mich nie um dergleichen Gespräche bekümmert und saß lieber bei den Mädchen am gewölbten Fenster und lachte über ihr Lachen und ließ mich mit Blumen ins Gesicht schlagen und stellte mich böse, bis sie mir ihre Geheimnisse oder irgendeine andre wichtige Geschichte erzählten. Die schöne Gertrud war bis zum Tollwerden vergnügt, wenn ich mich zu ihr setzte; es war ein Mädchen wie eine flammende Rose, und als sie mir einst um den Hals fiel, glaubte ich, sie würde verbrennen und verduften in meinen Armen. Die schöne Katharine zerfloß in klingender Sanftheit, wenn sie mit mir sprach, und ihre Augen waren von einem so reinen innigen Blau, wie ich es noch nie bei Menschen und Tieren und nur selten bei Blumen gefunden, man sah gern hinein und konnte sich so recht viel Süßes dabei denken. Aber die schöne Hedwig liebte mich; denn wenn ich zu ihr trat, beugte sie das Haupt zur Erde, so daß die schwarzen Locken über das errötende Gesicht herabfielen und die glänzenden Augen wie Sterne aus dunkelem Himmel hervorleuchteten. Ihre verschämten Lippen sprachen kein Wort, und auch ich konnte ihr nichts sagen. Ich hustete, und sie zitterte. Sie ließ mich manchmal durch ihre Schwester bitten, nicht so rasch die Felsen zu besteigen und nicht im Rheine zu baden, wenn ich mich heiß gelaufen oder getrunken. Ich behorchte mal ihr andächtiges Gebet vor dem Marienbildchen, das, mit Goldflittern geziert und von einem brennenden Lämpchen umflittert, in einer Nische der Hausflur stand; ich hörte deutlich, wie sie die Mutter Gottes bat: Ihm das Klettern, Trinken und Baden zu verbieten. Ich hätte mich gewiß in das schöne Mädchen verliebt, wenn sie gleichgültig gegen mich gewesen wäre; und ich war gleichgültig gegen sie, weil ich wußte, daß sie mich liebte – Madame, wenn man von mir geliebt sein will, muß man mich en canaille behandeln.

Die schöne Johanna war die Base der drei Schwestern, und ich setzte mich gern zu ihr. Sie wußte die schönsten Sagen, und wenn sie mit der weißen Hand zum Fenster hinauszeigte nach den Bergen, wo alles passiert war, was sie erzählte, so wurde mir ordentlich verzaubert zumute, die alten Ritter stiegen sichtbar aus den Burgruinen und zerhackten sich die eisernen Kleider, die Lorelei stand wieder auf der Bergesspitze und sang hinab ihr süß verderbliches Lied, und der Rhein rauschte so vernünftig, beruhigend und doch zugleich neckend schauerlich – und die schöne Johanne sah mich an so seltsam, so heimlich, so rätselhaft traulich, als gehörte sie selbst zu den Märchen, wovon sie eben erzählte. Sie war ein schlankes, blasses Mädchen, sie war todkrank und sinnend, ihre Augen waren klar wie die Wahrheit selbst, ihre Lippen fromm gewölbt, in den Zügen ihres Antlitzes lag eine große Geschichte, aber es war eine heilige Geschichte – Etwa eine Liebeslegende? Ich weiß nicht, und ich hatte auch nie den Mut, sie zu fragen. Wenn ich sie lange ansah, wurde ich ruhig und heiter, es ward mir, als sei stiller Sonntag in meinem Herzen, und die Engel darin hielten Gottesdienst.

In solchen guten Stunden erzählte ich ihr Geschichten aus meiner Kindheit, und sie hörte immer ernsthaft zu, und seltsam! wenn ich mich nicht mehr auf die Namen besinnen konnte, so erinnerte sie mich daran. Wenn ich sie alsdann mit Verwunderung fragte: woher sie die Namen wisse? so gab sie lächelnd zur Antwort, sie habe sie von den Vögeln erfahren, die an den Fliesen ihres Fensters nisteten – und sie wollte mich gar glauben machen, dieses seien die nämlichen Vögel, die ich einst als Knabe mit meinem Taschengelde den hartherzigen Bauernjungen abgekauft habe und dann frei fortfliegen lassen. Ich glaube aber, sie wußte alles, weil sie so blaß war und wirklich bald starb. Sie wußte auch, wann sie sterben würde, und wünschte, daß ich Andernacht den Tag vorher verlassen möchte. Beim Abschied gab sie mir beide Hände – es waren weiße, süße Hände und rein wie eine Hostie – und sie sprach: du bist sehr gut, und wenn du böse wirst, so denke wieder an die kleine, tote Veronika.

Haben ihr die geschwätzigen Vögel auch diesen Namen verraten? Ich hatte mir in erinnerungssüchtigen Stunden so oft den Kopf zerbrochen und konnte mich nicht mehr auf den lieben Namen erinnern.

Jetzt, da ich ihn wieder habe, will mir auch die früheste Kindheit wieder im Gedächtnisse hervorblühen, und ich bin wieder ein Kind und spiele mit andern Kindern auf dem Schloßplatze zu Düsseldorf am Rhein.

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