Heinrich Heine
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Kapitel XV
Madame, ich bemerke eine leichte Wolke des Unmuts auf Ihrer schönen Stirne, und Sie scheinen zu fragen: ob es nicht unrecht sei, daß ich die Narren solchermaßen zurichte, an den Spieß stecke, zerhacke, spicke und viele sogar hinschlachte, die ich unverzehrt liegenlassen muß, und die nun den scharfen Schnäbeln der Spaßvögel zum Raube dienen, während die Witwen und Waisen heulen und jammern –
Madame, c'est la guerre! Ich will Ihnen jetzt das ganze Rätsel lösen: Ich selbst bin zwar keiner von den Vernünftigen, aber ich habe mich zu dieser Partei geschlagen, und seit 5588 Jahren führen wir Krieg mit den Narren. Die Narren glauben sich von uns beeinträchtigt, indem sie behaupten: es gäbe in der Welt nur eine bestimmte Dosis Vernunft, diese ganze Dosis hätten nun die Vernünftigen, Gott weiß wie! usurpiert, und es sei himmelschreiend, wie oft ein einziger Mensch so viel Vernunft an sich gerissen habe, daß seine Mitbürger und das ganze Land rund um ihn her ganz obskur geworden. Dies ist die geheime Ursache des Krieges, und es ist ein wahrer Vertilgungskrieg. Die Vernünftigen zeigen sich, wie gewöhnlich, als die Ruhigsten, Mäßigsten und Vernünftigsten, sie sitzen fest verschanzt in ihren altaristotelischen Werken, haben viel Geschütz, haben auch Munition genug, denn sie haben ja selbst das Pulver erfunden, und dann und wann werfen sie wohlbewiesene Bomben unter ihre Feinde. Aber leider sind diese letztern allzu zahlreich, und ihr Geschrei ist groß, und täglich verüben sie Greuel; wie denn wirklich jede Dummheit dem Vernünftigen ein Greuel ist. Ihre Kriegslisten sind oft von sehr schlauer Art. Einige Häuptlinge der großen Armee hüten sich wohl, die geheime Ursache des Krieges einzugestehen. Sie haben gehört, ein bekannter, falscher Mann, der es in der Falschheit so weit gebracht hatte, daß er am Ende sogar falsche Memoiren schrieb, nämlich Fouché, habe mal geäußert: les paroles sont faites pour cacher nos pensées; und nun machen sie viele Worte, um zu verbergen, daß sie überhaupt keine Gedanken haben, und halten lange Reden und schreiben dicke Bücher, und wenn man sie hört, so preisen sie die alleinseligmachende Quelle der Gedanken, nämlich die Vernunft, und wenn man sie sieht, so treiben sie Mathematik, Logik, Statistik, Maschinenverbesserung, Bürgersinn, Stallfütterung usw. – und wie der Affe um so lächerlicher wird, je mehr er sich dem Menschen ähnlich zeigt, so werden auch jene Narren desto lächerlicher, je vernünftiger sie sich gebärden. Andre Häuptlinge der großen Armee sind offenherziger und gestehen, daß ihr Vernunftteil sehr gering ausgefallen, daß sie vielleicht gar nichts von der Vernunft abbekommen, indessen können sie nicht umhin, zu versichern, die Vernunft sei sehr sauer und im Grunde von geringem Werte. Dies mag vielleicht wahr sein, aber unglücklichermaßen haben sie nicht mal soviel Vernunft, als dazu gehört, es zu beweisen. Sie greifen daher zu allerlei Aushülfe, sie entdecken neue Kräfte in sich, erklären, daß solche ebenso wirksam seien wie die Vernunft, ja in gewissen Notfällen noch wirksamer, z. B. das Gemüt, der Glauben, die Inspiration usw., und mit diesem Vernunftsurrogat, mit dieser Runkelrübenvernunft trösten sie sich. Mich Armen hassen sie aber ganz besonders, indem sie behaupten: ich sei von Haus aus einer der Ihrigen, ich sei ein Abtrünniger, ein Überläufer, der die heiligsten Bande zerrissen, ich sei jetzt sogar ein Spion, der heimlich auskundschafte, was sie, die Narren, zusammen treiben, um sie nachher dem Gelächter seiner neuen Genossen preiszugeben, und ich sei so dumm, nicht mal einzusehen, daß diese zu gleicher Zeit über mich selbst lachen und mich nimmermehr für ihresgleichen halten – Und da haben die Narren vollkommen recht.
Es ist wahr, jene halten mich nicht für ihresgleichen, und mir gilt oft ihr heimliches Gekicher. Ich weiß es sehr gut, aber ich laß mir nichts merken. Mein Herz blutet dann innerlich, und wenn ich allein bin, fließen drob meine Tränen. Ich weiß es sehr gut, meine Stellung ist unnatürlich; alles, was ich tue, ist den Vernünftigen eine Torheit und den Narren ein Greuel. Sie hassen mich, und ich fühle die Wahrheit des Spruches: »Stein ist schwer, und Sand ist Last, aber der Narren Zorn ist schwerer denn die beide«. Und sie hassen mich nicht mit Unrecht. Es ist vollkommen wahr, ich habe die heiligsten Bande zerrissen, von Gott und Rechts wegen hätte ich unter den Narren leben und sterben müssen. Und ach! ich hätte es unter diesen Leuten so gut gehabt! Sie würden mich, wenn ich umkehren wollte, noch immer mit offenen Armen empfangen. Sie würden mir an den Augen absehen, was sie mir nur irgend Liebes erweisen könnten. Sie würden mich alle Tage zu Tische laden und des Abends mitnehmen in ihre Teegesellschaften und Klubs, und ich könnte mit ihnen Whist spielen, Tabak rauchen, politisieren, und wenn ich dabei gähnte, hieße es hinter meinem Rücken: »Welch schönes Gemüt! eine Seele voll Glauben!« – erlauben Sie mir, Madame, daß ich eine Träne der Rührung weihe – ach! und ich würde Punsch mit ihnen trinken, bis die rechte Inspiration käme, und dann brächten sie mich in einer Portechaise wieder nach Hause, ängstlich besorgt, daß ich mich nicht erkälte, und der eine reichte mir schnell die Pantoffeln, der andre den seidnen Schlafrock, der dritte die weiße Nachtmütze, und sie machten mich dann zum Professor extraordinarius, oder zum Präsidenten einer Bekehrungsgesellschaft, oder zum Oberkalkulator, oder zum Direktor von römischen Ausgrabungen; – denn ich wäre so recht ein Mann, den man in allen Fächern gebrauchen könnte, sintemal ich die lateinischen Deklinationen sehr gut von den Konjugationen unterscheiden kann und nicht so leicht wie andre Leute einen preußischen Postillionsstiefel für eine etruskische Vase ansehe. Mein Gemüt, mein Glauben, meine Inspiration könnten noch außerdem in den Betstunden viel Gutes wirken, nämlich für mich; nun gar mein ausgezeichnet poetisches Talent würde mir gute Dienste leisten bei hohen Geburtstagen und Vermählungen, und es wäre gar nicht übel, wenn ich, in einem großen Nationalepos, all jene Helden besänge, wovon wir ganz bestimmt wissen, daß aus ihren verwesten Leichnamen Würmer gekrochen sind, die sich für ihre Nachkommen ausgeben.
Manche Leute, die keine geborene Narren und einst mit Vernunft begabt gewesen, sind solcher Vorteile wegen zu den Narren übergegangen, leben bei ihnen ein wahres Schlaraffenleben, die Torheiten, die ihnen anfänglich noch immer einige Überwindung gekostet, sind ihnen jetzt schon zur zweiten Natur geworden, ja sie sind nicht mehr als Heuchler, sondern als wahre Gläubige zu betrachten. Einer derselben, in dessen Kopf noch keine gänzliche Sonnenfinsternis eingetreten, liebt mich sehr, und jüngsthin, als ich bei ihm allein war, verschloß er die Türe und sprach zu mir mit ernster Stimme: »O Tor, der du den Weisen spielst und dennoch nicht so viel Verstand hast wie ein Rekrut im Mutterleibe! weißt du denn nicht, daß die Großen des Landes nur denjenigen erhöhen, der sich selbst erniedrigt und ihr Blut für besser rühmt als das seinige. Und nun gar verdirbst du es mit den Frommen des Landes! Ist es denn so überaus schwer, die gnadenseligen Augen zu verdrehen, die gläubig verschränkten Hände in die Rockärmel zu vermuffen, das Haupt wie ein Lamm Gottes herabhängen zu lassen und auswendig gelernte Bibelsprüche zu wispern! Glaub mir, keine Hocherlauchte wird dich für deine Gottlosigkeit bezahlen, die Männer der Liebe werden dich hassen, verleumden und verfolgen, und du machst keine Karriere, weder im Himmel noch auf Erden!«
Ach! das ist alles wahr! Aber ich hab nun mal diese unglückliche Passion für die Vernunft! Ich liebe sie, obgleich sie mich nicht mit Gegenliebe beglückt. Ich gebe ihr alles, und sie gewährt mir nichts. Ich kann nicht von ihr lassen. Und wie einst der jüdische König Salomon im Hohenliede die christliche Kirche besungen, und zwar unter dem Bilde eines schwarzen, liebeglühenden Mädchens, damit seine Juden nichts merkten, so habe ich in unzähligen Liedern just das Gegenteil, nämlich die Vernunft, besungen, und zwar unter dem Bilde einer weißen, kalten Jungfrau, die mich anzieht und abstößt, mir bald lächelt, bald zürnt und mir endlich gar den Rücken kehrt. Dieses Geheimnis meiner unglücklichen Liebe, das ich niemanden offenbare, gibt Ihnen, Madame, einen Maßstab zur Würdigung meiner Narrheit. Sie sehen daraus, daß solche von außerordentlicher Art ist und großartig hervorragt über das gewöhnliche närrische Treiben der Menschen. Lesen Sie meinen »Ratcliff«, meinen »Almansor«, mein »lyrisches Intermezzo« – Vernunft! Vernunft! nichts als Vernunft! – und Sie erschrecken ob der Höhe meiner Narrheit. Mit den Worten Agurs, des Sohnes Jake, kann ich sagen: »Ich bin der Allernärrischste, und Menschenverstand ist nicht bei mir.« Hoch in die Lüfte hebt sich der Eichwald, hoch über den Eichwald schwingt sich der Adler, hoch über dem Adler ziehen die Wolken, hoch über den Wolken blitzen die Sterne – Madame, wird Ihnen das nicht zu hoch? eh bien – hoch über den Sternen schweben die Engel, hoch über den Engeln ragt – nein, Madame, höher kann es meine Narrheit nicht bringen. Sie bringt es hoch genung! Ihr schwindelt vor ihrer eigenen Erhabenheit. Sie macht mich zum Riesen mit Siebenmeilenstiefeln. Mir ist des Mittags zumute, als könnte ich alle Elefanten Hindostans aufessen und mir mit dem Straßburger Münster die Zähne stochern; des Abends werde ich so sentimental, daß ich die Milchstraße des Himmels aussaufen möchte, ohne zu bedenken, daß einem die kleinen Fixsterne sehr unverdaulich im Magen liegenbleiben; und des Nachts geht der Spektakel erst recht los, in meinem Kopf gibt's dann einen Kongreß von allen Völkern der Gegenwart und Vergangenheit, es kommen die Assyrer, Ägypter, Meder, Perser, Hebräer, Philister, Frankfurter, Babylonier, Karthager, Berliner, Römer, Spartaner, Türken, Kümmeltürken – Madame, es wäre zu weitläufig, wenn ich Ihnen all diese Völker beschreiben wollte, lesen Sie nur den Herodot, den Livius, die Haude- und Spenersche Zeitung, den Curtius, den Cornelius Nepos, den Gesellschafter – Ich will unterdessen frühstücken, es will heute morgen mit dem Schreiben nicht mehr so lustig fortgehn, ich merke, der liebe Gott läßt mich im Stich – Madame, ich fürchte sogar, Sie haben es früher bemerkt als ich – ja, ich merke, die rechte Gotteshülfe ist heute noch gar nicht dagewesen, – Madame, ich will ein neues Kapitel anfangen und Ihnen erzählen, wie ich nach dem Tode Le Grands in Godesberg ankam.