Heinrich Heine
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Schlußwort
Geschrieben den 29. November 1830
Es war eine niedergedrückte, arretierte Zeit in Deutschland, als ich den zweiten Band der »Reisebilder« schrieb und während des Schreibens drucken ließ. Ehe er aber erschien, verlautete schon etwas davon im Publikum, es hieß, mein Buch wolle den eingeschüchterten Freiheitsmut wieder aufmuntern, und man treffe schon Maßregeln, es ebenfalls zu unterdrücken. Bei solchem Gerücht war es ratsam, das Werk um so schneller zu fördern und aus der Presse zu jagen. Da es eine gewisse Bogenzahl enthalten mußte, um den Ansprüchen einer hochlöblichen Zensur zu entgehen, so glich ich in jener Not dem Benvenuto Cellini, als er beim Guß des Perseus nicht Erz genug hatte und zur Füllung der Form alle zinnernen Teller, die ihm zur Hand lagen, in den Schmelzofen warf. Es war gewiß leicht, das Zinn, besonders das zinnerne Ende des Buches, von dem besseren Erze zu unterscheiden; doch, wer das Handwerk verstand, verriet den Meister nicht.
Wie aber alles in der Welt wiederkehren kann, so geschieht es auch, daß sich zufälligerweise bei diesen »Nachträgen« eine ähnliche Bedrängnis ereignet, und ich habe wieder eine Menge Zinn in den Guß werfen müssen, und ich wünsche, daß man meine Zinngießereien nur der Zeitnot zuschreibe.
Ach! ist ja das ganze Buch aus der Zeitnot hervorgegangen, ebenso wie die früheren Schriften ähnlicher Richtung; die näheren Freunde des Verfassers, die seiner Privatverhältnisse kundig sind, wissen sehr gut, wie wenig ihn die eigne Selbstsucht zur Tribüne drängt, und wie groß die Opfer sind, die er bringen muß für jedes freie Wort, das er seitdem gesprochen – und will's Gott! noch sprechen wird. Jetzt ist das Wort eine Tat, deren Folgen sich nicht abmessen lassen; kann doch keiner genau wissen, ob er nicht gar am Ende als Blutzeuge auftreten muß für das Wort.
Seit mehreren Jahren warte ich vergebens auf das Wort jener kühnen Redner, die einst in den Versammlungen der deutschen Burschenschaft so oft ums Wort baten und mich so oft durch ihre rhetorischen Talente überwunden und eine so vielversprechende Sprache gesprochen; sie waren sonst so vorlaut und sind jetzt so nachstill. Wie schmähten sie damals die Franzen und das welsche Babel und den undeutschen frivolen Vaterlandsverräter, der das Franzentum lobte. Jenes Lob hat sich bewährt in der großen Woche.
Ach, die große Woche von Paris! Der Freiheitsmut, der von dort herüberwehte nach Deutschland, hat freilich hie und da die Nachtlichter umgeworfen, so daß die roten Gardinen an einigen Thronen in Brand gerieten und die goldnen Kronen heiß wurden unter den lodernden Schlafmützen; – aber die alten Häscher, denen die Reichspolizei anvertraut, schleppen schon die Löscheimer herbei und schnüffeln jetzt um so wachsamer und schmieden um so fester die heimlichen Ketten, und ich merke schon, unsichtbar wölbt sich eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche Volk.
Armes, gefangenes Volk! verzage nicht in deiner Not – Oh, daß ich Katapulta sprechen könnte! Oh, daß ich Falarika hervorschießen könnte aus meinem Herzen!
Von meinem Herzen schmilzt die vornehme Eisrinde, eine seltsame Wehmut beschleicht mich – ist es Liebe und gar Liebe für das deutsche Volk? Oder ist es Krankheit? – meine Seele bebt, und es brennt mir im Auge, und das ist ein ungünstiger Zustand für einen Schriftsteller, der den Stoff beherrschen und hübsch objektiv bleiben soll, wie es die Kunstschule verlangt, und wie es auch Goethe getan – er ist achtzig Jahr dabei alt geworden und Minister und wohlhabend – armes deutsches Volk! das ist dein größter Mann!
Es fehlen mir noch einige Oktavseiten, und ich will deshalb noch eine Geschichte erzählen – sie schwebt mir schon seit gestern im Sinne – es ist eine Geschichte aus dem Leben Karls V. Doch ist es schon lange her, seit ich sie vernahm, und ich weiß die besonderen Umstände nicht mehr ganz genau. So was vergißt sich leicht, wenn man kein bestimmtes Gehalt dafür bezieht, daß man die alten Geschichten alle halbe Jahre vom Hefte abliest. Was ist aber auch daran gelegen, wenn man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geschichten vergessen hat; wenn man nur ihre innere Bedeutung, ihre Moral, im Gedächtnisse behalten. Diese ist es eigentlich, die mir im Sinne klingt und mich wehmütig bis zu Tränen stimmt. Ich fürchte, ich werde krank.
Der arme Kaiser war von seinen Feinden gefangengenommen und saß in schwerer Haft. Ich glaube, es war in Tirol. Da saß er in einsamer Betrübnis, verlassen von allen seinen Rittern und Höflingen, und keiner kam ihm zu Hülfe. Ich weiß nicht, ob er schon damals jenes käsebleiche Gesicht hatte, wie es auf den Bildern von Holbein abkonterfeit ist. Aber die menschenverachtende Unterlippe trat gewiß noch gewaltsamer hervor als auf jenen Bildern. Mußte er doch die Leute verachten, die im Sonnenschein des Glückes ihn so ergeben umwedelt und ihn jetzt allein ließen in dunkler Not. Da öffnete sich plötzlich die Kerkertüre, und herein trat ein verhüllter Mann, und wie dieser den Mantel zurückschlug, erkannte der Kaiser seinen treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren. Dieser brachte ihm Trost und Rat, und es war der Hofnarr.
Oh, deutsches Vaterland! teures deutsches Volk! ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen eigentliches Amt die Kurzweil, und der dich nur belustigen sollte in guten Tagen, er dringt in deinen Kerker zur Zeit der Not; hier unter dem Mantel bringe ich dir dein starkes Zepter und die schöne Krone – erkennst du mich nicht, mein Kaiser? Wenn ich dich nicht befreien kann, so will ich dich wenigstens trösten, und du sollst jemanden um dir haben, der mit dir schwatzt über die bedränglichste Drangsal und dir Mut einspricht und dich liebhat, und dessen bester Spaß und bestes Blut zu deinen Diensten steht. Denn du, mein Volk, bist der wahre Kaiser, der wahre Herr der Lande – dein Wille ist souverän und viel legitimer als jenes purpurne Tel est notre plaisir, das sich auf ein göttliches Recht beruft, ohne alle andre Gewähr als die Salbadereien geschorener Gaukler – dein Wille, mein Volk, ist die alleinige rechtmäßige Quelle aller Macht. Wenn du auch in Fesseln daniederliegst, so siegt doch am Ende dein gutes Recht, es naht der Tag der Befreiung, eine neue Zeit beginnt – mein Kaiser, die Nacht ist vorüber, und draußen glüht das Morgenrot.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du irrst dich, ein blankes Beil hältst du vielleicht für eine Sonne, und das Morgenrot ist nichts als Blut.«
Nein, mein Kaiser, es ist die Sonne, obgleich sie im Westen hervorsteigt – seit sechstausend Jahren sah man sie immer aufgehen im Osten, da wird es wohl Zeit, daß sie mal eine Veränderung vornehme in ihrem Lauf.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, du hast ja die Schellen verloren von deiner roten Mütze, und sie hat jetzt so ein seltsames Ansehen, die rote Mütze.«
Ach, mein Kaiser, ich habe ob Eurer Not so wütend ernsthaft den Kopf geschüttelt, daß die närrischen Schellen abfielen von der Mütze; sie ist aber darum nicht schlechter geworden.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, was bricht und kracht da draußen?«
Seid still! das ist die Säge und die Zimmermannsaxt, und bald brechen zusammen die Pforten Eures Kerkers, und Ihr seid frei, mein Kaiser!
»Bin ich denn wirklich Kaiser? Ach, es ist ja der Narr, der es mir sagt!«
Oh, seufzt nicht, mein lieber Herr, die Kerkerluft macht Euch so verzagt; wenn Ihr erst wieder Eure Macht errungen, fühlt Ihr auch wieder das kühne Kaiserblut in Euren Adern, und Ihr seid stolz wie ein Kaiser, und übermütig, und gnädig, und ungerecht, und lächelnd, und undankbar, wie Fürsten sind.
»Kunz von der Rosen, mein Narr, wenn ich wieder frei werde, was willst du dann anfangen?«
Ich will mir dann neue Schellen an meine Mütze nähen.
»Und wie soll ich deine Treue belohnen?«
Ach! lieber Herr, laßt mich nicht umbringen.