Nathan Der Weise - Kapitel 40 by Gotthold Ephraim Lessing
Nathan Der Weise - Kapitel 40 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 40

Gotthold Ephraim Lessing * Track #41 On Nathan Der Weise

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Nathan Der Weise - Kapitel 40 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 40 Annotated

Letzter Auftritt
Nathan und der Tempelherr zu den Vorigen.

Saladin.
Ah, meine guten lieben Freunde! – Dich,
Dich, Nathan, muß ich nur vor allen Dingen
Bedeuten, daß du nun, sobald du willst,
Dein Geld kannst wieder holen lassen!

Nathan.
Sultan!

Saladin.
Nun steh ich auch zu deinen Diensten

Nathan.
Sultan!

Saladin.
Die Karawan' ist da. Ich bin so reich
Nun wieder, als ich lange nicht gewesen.
Komm, sag mir, was du brauchst, so recht was Großes
Zu unternehmen! Denn auch ihr, auch ihr,
Ihr Handelsleute, könnt des baren Geldes
Zuviel nie haben!

Nathan.
Und warum zuerst
Von dieser Kleinigkeit? – Ich sehe dort
Ein Aug' in Tränen, das zu trocknen, mir
Weit angelegner ist. (Geht auf Recha zu.)
Du hast geweint?
Was fehlt dir? – bist doch meine Tochter noch?

Recha.
Mein Vater! ...

Nathan.
Wir verstehen uns. Genug! –
Sei heiter! Sei gefaßt! Wenn sonst dein Herz
Nur dein noch ist! Wenn deinem Herzen sonst
Nur kein Verlust nicht droht! – Dein Vater ist
Dir unverloren!

Recha.
Keiner, keiner sonst!

Tempelherr.
Sonst keiner? – Nun! so hab ich mich betrogen.
Was man nicht zu verlieren fürchtet, hat
Man zu besitzen nie geglaubt, und nie
Gewünscht. – Recht wohl! recht wohl! – Das ändert, Nathan,
Das ändert alles! – Saladin, wir kamen
Auf dein Geheiß. Allein, ich hatte dich
Verleitet; itzt bemüh dich nur nicht weiter!

Saladin.
Wie gach nun wieder, junger Mann! – Soll alles
Dir denn entgegenkommen? Alles dich
Erraten?

Tempelherr.
Nun du hörst ja! siehst ja, Sultan!

Saladin.
Ei wahrlich! – Schlimm genug, daß deiner Sache
Du nicht gewisser warst!

Tempelherr.
So bin ich's nun.

Saladin.
Wer so auf irgendeine Wohltat trotzt,
Nimmt sie zurück. Was du gerettet, ist
Deswegen nicht dein Eigentum. Sonst wär'
Der Räuber, den sein Geiz ins Feuer jagt,
So gut ein Held wie du!

(Auf Recha zugehend, um sie dem Tempelherrn zuzuführen.)

Komm, liebes Mädchen,
Komm! Nimm's mit ihm nicht so genau. Denn wär'
Er anders; wär' er minder warm und stolz:
Er hätt' es bleibenlassen, dich zu retten.
Du mußt ihm eins fürs andre rechnen. – Komm!
Beschäm ihn! tu, was ihm zu tun geziemte!
Bekenn ihm deine Liebe! trage dich ihm an!
Und wenn er dich verschmäht; dir's je vergißt,
Wie ungleich mehr in diesem Schritte du
Für ihn getan, als er für dich ... Was hat
Er denn für dich getan? Ein wenig sich
Beräuchern lassen! ist was Rechts! – so hat
Er meines Bruders, meines Assad, nichts!
So trägt er seine Larve, nicht sein Herz.
Komm, Liebe ...

Sittah.
Geh! geh, Liebe, geh! Es ist
Für deine Dankbarkeit noch immer wenig;
Noch immer nichts.

Nathan.
Halt Saladin! halt Sittah!

Saladin.
Auch du?

Nathan.
Hier hat noch einer mitzusprechen...

Saladin.
Wer leugnet das? – Unstreitig, Nathan, kömmt
So einem Pflegevater eine Stimme
Mit zu! Die erste, wenn du willst. – Du hörst,
Ich weiß der Sache ganze Lage.

Nathan.
Nicht so ganz! –
Ich rede nicht von mir. Es ist ein andrer;
Weit, weit ein andrer, den ich, Saladin,
Doch auch vorher zu hören bitte.

Saladin. –
Wer?

Nathan.
Ihr Bruder!

Saladin.
Rechas Bruder?

Nathan.
Ja!
Recha.
Mein Bruder?
So hab ich einen Bruder?

Tempelherr (aus seiner wilden, stummen Zerstreuung auffahrend).
Wo? wo ist
Er, dieser Bruder? Noch nicht hier? Ich sollt'
Ihn hier ja treffen.

Nathan.
Nur Geduld!

Tempelherr (äußerst bitter).
Er hat
Ihr einen Vater aufgebunden: – wird
Er keinen Bruder für sie finden?

Saladin.
Das
Hat noch gefehlt! Christ! ein so niedriger
Verdacht wär' über Assads Lippen nicht
Gekommen. – Gut! fahr nur so fort!

Nathan.
Verzeih
Ihm! – Ich verzeih ihm gern. – Wer weiß, was wir
An seiner Stell', in seinem Alter dächten!
(Freundschaftlich auf ihn zugehend.)
Natürlich, Ritter! – Argwohn folgt auf Mißtraun! –
Wenn Ihr mich Eures wahren Namens gleich
Gewürdigt hättet ...

Tempelherr.
Wie?

Nathan.
Ihr seid kein Stauffen!

Tempelherr.
Wer bin ich denn?

Nathan.
Heißt Curd von Stauffen nicht!

Tempelherr.
Wie heiß ich denn?

Nathan.
Heißt Leu von Filnek.

Tempelherr.
Wie?

Nathan.
Ihr stutzt?

Tempelherr.
Mit Recht! Wer sagt das?

Nathan.
Ich; der mehr,
Noch mehr Euch sagen kann. Ich straf indes
Euch keiner Lüge.

Tempelherr.
Nicht?

Nathan.
Kann doch wohl sein,
Daß jener Nam' Euch ebenfalls gebührt.

Tempelherr.
Das sollt' ich meinen! – (Das hieß Gott ihn sprechen!)

Nathan.
Denn Eure Mutter – die war eine Stauffin.
Ihr Bruder, Euer Ohm, der Euch erzogen,
Dem Eure Eltern Euch in Deutschland ließen,
Als, von dem rauhen Himmel dort vertrieben,
Sie wieder hierzulande kamen: – Der
Hieß Curd von Stauffen; mag an Kindes Statt
Vielleicht Euch angenommen haben! – Seid
Ihr lange schon mit ihm nun auch herüber-
Gekommen? Und er lebt doch noch?

Tempelherr.
Was soll
Ich sagen? – Nathan! – Allerdings! So ist's!
Er selbst ist tot. Ich kam erst mit der letzten
Verstärkung unsers Ordens. – Aber, aber –
Was hat mit diesem allen Rechas Bruder
Zu schaffen?

Nathan.
Euer Vater ...

Tempelherr.
Wie? auch den
Habt Ihr gekannt? Auch den?

Nathan.
Er war mein Freund.

Tempelherr.
War Euer Freund? Ist's möglich, Nathan! ...

Nathan.
Nannte
Sich Wolf von Filnek; aber war kein Deutscher ...

Tempelherr.
Ihr wißt auch das?

Nathan.
War einer Deutschen nur
Vermählt; war Eurer Mutter nur nach Deutschland
Auf kurze Zeit gefolgt ...

Tempelherr.
Nicht mehr! Ich bitt
Euch! – Aber Rechas Bruder? Rechas Bruder ...

Nathan.
Seid Ihr!

Tempelherr.
Ich? ich ihr Bruder?

Recha.
Er mein Bruder?

Sittah.
Geschwister!

Saladin.
Sie Geschwister!

Recha (will auf ihn zu).
Ah! mein Bruder!

Tempelherr (tritt zurück).
Ihr Bruder!

Recha (hält an, und wendet sich zu Nathan).
Kann nicht sein! nicht sein! Sein Herz
Weiß nichts davon! – Wir sind Betrüger! Gott!

Saladin (zum Tempelherrn).
Betrüger? wie? Das denkst du? kannst du denken?
Betrüger selbst! Denn alles ist erlogen
An dir: Gesicht und Stimm' und Gang! Nichts dein!
So eine Schwester nicht erkennen wollen! Geh!

Tempelherr (sich demütig ihm nahend).
Mißdeut auch du nicht mein Erstaunen, Sultan!
Verkenn in einem Augenblick', in dem
Du schwerlich deinen Assad je gesehen,
Nicht ihn und mich! (Auf Nathan zueilend.)
Ihr nehmt und gebt mir, Nathan!
Mit vollen Händen beides! – Nein! Ihr gebt
Mir mehr, als Ihr mir nehmt! unendlich mehr!
(Recha um den Hals fallend.)
Ah! meine Schwester! meine Schwester!

Nathan.
Blanda
Von Filnek.

Tempelherr.
Blanda? Blanda? – Recha nicht?
Nicht Eure Recha mehr? – Gott! Ihr verstoßt
Sie! gebt ihr ihren Christennamen wieder!
Verstoßt sie meinetwegen! – Nathan! Nathan!
Warum es sie entgelten lassen? sie!

Nathan.
Und was? – O meine Kinder! meine Kinder!
Denn meiner Tochter Bruder wär' mein Kind
Nicht auch, – sobald er will?
(Indem er sich ihren Umarmungen überläßt, tritt Saladin mit unruhigem Erstaunen zu seiner Schwester.)

Saladin.
Was sagst du, Schwester?

Sittah.
Ich bin gerührt ...

Saladin.
Und ich, – ich schaudere
Vor einer größern Rührung fast zurück!
Bereite dich nur drauf, so gut du kannst.

Sittah.
Wie?

Saladin.
Nathan, auf ein Wort! ein Wort!
(Indem Nathan zu ihm tritt, tritt Sittah zu dem Geschwister, ihm ihre Teilnahme zu bezeigen; und Nathan und Saladin sprechen leiser.)
Hör! hör doch, Nathan! Sagtest du vorhin
Nicht –?

Nathan.
Was?

Saladin.
Aus Deutschland sei ihr Vater nicht
Gewesen; ein geborner Deutscher nicht.
Was war er denn? Wo war er sonst denn her?

Nathan.
Das hat er selbst mir nie vertrauen wollen.
Aus seinem Munde weiß ich nichts davon.

Saladin.
Und war auch sonst kein Frank? kein Abendländer?

Nathan.
Oh! daß er der nicht sei, gestand er wohl.
Er sprach am liebsten Persisch ...

Saladin.
Persisch? Persisch?
Was will ich mehr? – Er ist's! Er war es!

Nathan.
Wer?

Saladin.
Mein Bruder! ganz gewiß! Mein Assad! ganz
Gewiß!

Nathan.
Nun, wenn du selbst darauf verfällst: –
Nimm die Versichrung hier in diesem Buche!
(Ihm das Brevier überreichend.)

Saladin (es begierig aufschlagend).
Ah! seine Hand! Auch die erkenn ich wieder!

Nathan.
Noch wissen sie von nichts! Noch steht's bei dir
Allein, was sie davon erfahren sollen!

Saladin (indes er darin geblättert).
Ich meines Bruders Kinder nicht erkennen?
Ich meine Neffen – meine Kinder nicht?
Sie nicht erkennen? ich? Sie dir wohl lassen?
(Wieder laut.)
Sie sind's! Sie sind es, Sittah, sind's! Sie sind's!
Sind beide meines ... deines Bruders Kinder!
(Er rennt in ihre Umarmungen.)

Sittah (ihm folgend).
Was hör ich! – Konnt's auch anders, anders sein! –

Saladin (zum Tempelherrn).
Nun mußt du doch wohl, Trotzkopf, mußt mich lieben!
(Zu Recha.)
Nun bin ich doch, wozu ich mich erbot?
Magst wollen, oder nicht!

Sittah.
Ich auch! ich auch!

Saladin (zum Tempelherrn zurück).
Mein Sohn! mein Assad! meines Assads Sohn!

Tempelherr.
Ich deines Bluts! – So waren jene Träume,
Womit man meine Kindheit wiegte, doch –
Doch mehr als Träume!
(Ihm zu Füßen fallend.)

Saladin (ihn aufhebend).
Seht den Bösewicht!
Er wußte was davon, und konnte mich
Zu seinem Mörder machen wollen! Wart!

(Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen fällt der Vorhang.)

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