Nathan Der Weise - Kapitel 37 by Gotthold Ephraim Lessing
Nathan Der Weise - Kapitel 37 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 37

Gotthold Ephraim Lessing * Track #38 On Nathan Der Weise

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Nathan Der Weise - Kapitel 37 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 37 Annotated

Fünfter Auftritt
Nathan und der Tempelherr, der von der Seite auf ihn zukommt.

Tempelherr.
He! wartet, Nathan; nehmt mich mit!

Nathan.
Wer ruft? –
Seid Ihr es, Ritter? Wo gewesen, daß
Ihr bei dem Sultan Euch nicht treffen lassen?

Tempelherr.
Wir sind einander fehlgegangen. Nehmt's
Nicht übel.

Nathan.
Ich nicht; aber Saladin ...

Tempelherr.
Ihr wart nur eben fort ...

Nathan.
Und spracht ihn doch?
Nun, so ist's gut.

Tempelherr.
Er will uns aber beide
Zusammen sprechen.

Nathan.
Desto besser. Kommt
Nur mit. Mein Gang stand ohnehin zu ihm.

Tempelherr.
Ich darf ja doch wohl fragen, Nathan, wer
Euch da verließ?

Nathan.
Ihr kennt ihn doch wohl nicht?

Tempelherr.
War's nicht die gute Haut, der Laienbruder,
Des sich der Patriarch so gern zum Stöber
Bedient?

Nathan.
Kann sein! Beim Patriarchen ist
Er allerdings.

Tempelherr.
Der Pfiff ist gar nicht übel:
Die Einfalt vor der Schurkerei voraus-
Zuschicken.

Nathan.
Ja, die dumme; – nicht die fromme.

Tempelherr.
An fromme glaubt kein Patriarch.

Nathan.
Für den
Nun steh ich. Der wird seinem Patriarchen
Nichts Ungebührliches vollziehen helfen.

Tempelherr.
So stellt er wenigstens sich an. – Doch hat
Er Euch von mir denn nichts gesagt?

Nathan.
Von Euch?
Von Euch nun namentlich wohl nichts. – Er weiß
Ja wohl auch schwerlich Euern Namen?

Tempelherr.
Schwerlich.

Nathan.
Von einem Tempelherren freilich hat
Er mir gesagt ...

Tempelherr.
Und was?

Nathan.
Womit er Euch
Doch ein für allemal nicht meinen kann!

Tempelherr.
Wer weiß? Laßt doch nur hören.

Nathan.
Daß mich einer
Bei seinem Patriarchen angeklagt ...

Tempelherr.
Euch angeklagt? – Das ist, mit seiner Gunst –
Erlogen. – Hört mich, Nathan! – Ich bin nicht
Der Mensch, der irgend etwas abzuleugnen
Imstande wäre. Was ich tat, das tat ich!
Doch bin ich auch nicht der, der alles, was
Er tat, als wohlgetan verteid'gen möchte.
Was sollt' ich eines Fehls mich schämen? Hab
Ich nicht den festen Vorsatz ihn zu bessern?
Und weiß ich etwa nicht, wie weit mit dem
Es Menschen bringen können? – Hört mich, Nathan! –
Ich bin des Laienbruders Tempelherr,
Der Euch verklagt soll haben, allerdings. –
Ihr wißt ja, was mich wurmisch machte! was
Mein Blut in allen Adern sieden machte!
Ich Gauch! – ich kam, so ganz mit Leib und Seel'
Euch in die Arme mich zu werfen. Wie
Ihr mich empfingt -wie kalt – wie lau – denn lau
Ist schlimmer noch als kalt; wie abgemessen
Mir auszubeugen Ihr beflissen wart;
Mit welchen aus der Luft gegriffnen Fragen
Ihr Antwort mir zu geben scheinen wolltet:
Das darf ich kaum mir itzt noch denken, wenn
Ich soll gelassen bleiben. – Hört mich, Nathan! –
In dieser Gärung schlich mir Daja nach,
Und warf mir ihr Geheimnis an den Kopf
Das mir den Aufschluß Euers rätselhaften
Betragens zu enthalten schien.

Nathan.
Wie das?

Tempelherr.
Hört mich nur aus! – Ich bildete mir ein,
Ihr wolltet, was Ihr einmal nun den Christen
So abgejagt, an einen Christen wieder
Nicht gern verlieren. Und so fiel mir ein,
Euch kurz und gut das Messer an die Kehle
Zu setzen.

Nathan.
Kurz und gut? und gut? – Wo steckt
Das Gute?

Tempelherr.
Hört mich, Nathan! – Allerdings:
Ich tat nicht recht! – Ihr seid wohl gar nicht schuldig. –
Die Närrin Daja weiß nicht was sie spricht –
Ist Euch gehässig – sucht Euch nur damit
In einen bösen Handel zu verwickeln –
Kann sein! kann sein! – Ich bin ein junger Laffe,
Der immer nur an beiden Enden schwärmt;
Bald viel zuviel, bald viel zuwenig tut –
Auch das kann sein! Verzeiht mir, Nathan.

Nathan.
Wenn
Ihr so mich freilich fasset –

Tempelherr.
Kurz, ich ging
Zum Patriarchen! – hab Euch aber nicht
Genannt. Das ist erlogen, wie gesagt!
Ich hab ihm bloß den Fall ganz allgemein
Erzählt, um seine Meinung zu vernehmen. –
Auch das hätt' unterbleiben können: ja doch! –
Denn kannt' ich nicht den Patriarchen schon
Als einen Schurken? Konnt' ich Euch nicht selber
Nur gleich zur Rede stellen? – Mußt' ich der
Gefahr, so einen Vater zu verlieren,
Das arme Mädchen opfern? – Nun, was tut's?
Die Schurkerei des Patriarchen, die
So ähnlich immer sich erhält, hat mich
Des nächsten Weges wieder zu mir selbst
Gebracht. – Denn hört mich, Nathan; hört mich aus! –
Gesetzt; er wüßt' auch Euern Namen: was
Nun mehr, was mehr? – Er kann Euch ja das Mädchen
Nur nehmen, wenn sie niemands ist, als Euer.
Er kann sie doch aus Euerm Hause nur
Ins Kloster schleppen. – Also – gebt sie mir!
Gebt sie nur mir; und laßt ihn kommen. Ha!
Er soll's wohl bleibenlassen, mir mein Weib
Zu nehmen. – Gebt sie mir; geschwind! – Sie sei
Nun Eure Tochter, oder sei es nicht!
Sei Christin, oder Jüdin, oder keines!
Gleichviel! gleichviel! Ich werd Euch weder itzt
Noch jemals sonst in meinem ganzen Leben
Darum befragen. Sei, wie's sei!

Nathan.
Ihr wähnt
Wohl gar, daß mir die Wahrheit zu verbergen
Sehr nötig?

Tempelherr.
Sei, wie's sei!

Nathan. Ich hab es ja
Euch – oder wem es sonst zu wissen ziemt –
Noch nicht geleugnet, daß sie eine Christin,
Und nichts als meine Pflegetochter ist. –
Warum ich's aber ihr noch nicht entdeckt? –
Darüber brauch ich nur bei ihr mich zu
Entschuldigen.

Tempelherr.
Das sollt Ihr auch bei ihr
Nicht brauchen. – Gönnt's ihr doch, daß sie Euch nie
Mit andern Augen darf betrachten! Spart
Ihr die Entdeckung doch! – Noch habt Ihr ja,
Ihr ganz allein, mit ihr zu schalten. Gebt
Sie mir! Ich bitt Euch, Nathan; gebt sie mir!
Ich bin's allein, der sie zum zweiten Male
Euch retten kann – und will.

Nathan.
Ja – konnte! konnte!
Nun auch nicht mehr. Es ist damit zu spät.

Tempelherr.
Wieso? zu spät?

Nathan.
Dank sei dem Patriarchen ...

Tempelherr.
Dem Patriarchen? Dank? ihm Dank? wofür?
Dank hätte der bei uns verdienen wollen?
Wofür? wofür?

Nathan.
Daß wir nun wissen, wem
Sie unverwandt; nun wissen, wessen Händen
Sie sicher ausgeliefert werden kann.

Tempelherr.
Das dank' ihm – wer für mehr ihm danken wird!

Nathan.
Aus diesen müßt Ihr sie nun auch erhalten;
Und nicht aus meinen.

Tempelherr.
Arme Recha! Was
Dir alles zustößt, arme Recha! Was
Ein Glück für andre Waisen wäre, wird
Dein Unglück! – Nathan! – Und wo sind sie, diese
Verwandte?

Nathan.
Wo sie sind?

Tempelherr.
Und wer sie sind?

Nathan.
Besonders hat ein Bruder sich gefunden,
Bei dem Ihr um sie werben müßt.

Tempelherr.
Ein Bruder?
Was ist er, dieser Bruder? Ein Soldat?
Ein Geistlicher? – Laßt hören, was ich mir
Versprechen darf.

Nathan.
Ich glaube, daß er keines
Von beiden – oder beides ist. Ich kenn
Ihn noch nicht recht.

Tempelherr.
Und sonst?

Nathan.
Ein braver Mann
Bei dem sich Recha gar nicht übel wird
Befinden.

Tempelherr.
Doch ein Christ! – Ich weiß zuzeiten
Auch gar nicht, was ich von Euch denken soll: –
Nehmt mir's nicht ungut, Nathan. – Wird sie nicht
Die Christin spielen müssen, unter Christen?
Und wird sie, was sie lange g'nug gespielt,
Nicht endlich werden? Wird den lautern Weizen,
Den Ihr gesät, das Unkraut endlich nicht
Ersticken? – Und das kümmert Euch so wenig?
Dem ungeachtet könnt Ihr sagen – Ihr?
Daß sie bei ihrem Bruder sich nicht übel
Befinden werde?

Nathan.
Denk ich! hoff ich! – Wenn
Ihr ja bei ihm was mangeln sollte, hat
Sie Euch und mich denn nicht noch immer? –

Tempelherr.
Oh!
Was wird bei ihm ihr mangeln können! Wird
Das Brüderchen mit Essen und mit Kleidung,
Mit Naschwerk und mit Putz, das Schwesterchen
Nicht reichlich g'nug versorgen? Und was braucht
Ein Schwesterchen denn mehr? – Ei freilich: auch
Noch einen Mann! – Nun, nun, auch den, auch den
Wird ihr das Brüderchen zu seiner Zeit
Schon schaffen; wie er immer nur zu finden!
Der Christlichste der Beste! – Nathan, Nathan!
Welch einen Engel hattet Ihr gebildet,
Den Euch nun andre so verhunzen werden!

Nathan.
Hat keine Not! Er wird sich unsrer Liebe
Noch immer wert genug behaupten.

Tempelherr.
Sagt
Das nicht! Von meiner Liebe sagt das nicht!
Denn die läßt nichts sich unterschlagen; nichts.
Es sei auch noch so klein! Auch keinen Namen!
Doch halt! – Argwohnt sie wohl bereits, was mit
Ihr vorgeht?

Nathan.
Möglich; ob ich schon nicht wüßte,
Woher?

Tempelherr.
Auch eben viel; sie soll – sie muß
In beiden Fällen, was ihr Schicksal droht,
Von mir zuerst erfahren. Mein Gedanke,
Sie eher wieder nicht zu sehn, zu sprechen,
Als bis ich sie die Meine nennen dürfe,
Fällt weg. Ich eile ...

Nathan.
Bleibt! wohin?

Tempelherr.
Zu ihr!
Zu sehn, ob diese Mädchenseele Manns genug
Wohl ist, den einzigen Entschluß zu fassen,
Der ihrer würdig wäre!

Nathan.
Welchen?

Tempelherr.
Den:
Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht
Zu fragen –

Nathan.
Und?

Tempelherr.
Und mir zu folgen; – wenn
Sie drüber eines Muselmannes Frau
Auch werden müßte.

Nathan.
Bleibt! Ihr trefft sie nicht.
Sie ist bei Sittah, bei des Sultans Schwester.

Tempelherr.
Seit wenn? warum?

Nathan.
Und wollt Ihr da bei ihnen
Zugleich den Bruder finden: kommt nur mit.

Tempelherr.
Den Bruder? welchen? Sittahs oder Rechas?

Nathan.
Leicht beide. Kommt nur mit! Ich bitt Euch, kommt!

(Er führt ihn fort.)

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