Nathan Der Weise - Kapitel 24 by Gotthold Ephraim Lessing
Nathan Der Weise - Kapitel 24 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 24

Gotthold Ephraim Lessing * Track #25 On Nathan Der Weise

Download "Nathan Der Weise - Kapitel 24"

Album Nathan Der Weise

Nathan Der Weise - Kapitel 24 by Gotthold Ephraim Lessing

Nathan Der Weise - Kapitel 24 Annotated

Zehnter Auftritt
Der Tempelherr und bald darauf Daja.

Tempelherr.
Schon mehr als g'nug! – Des Menschen Hirn faßt so
Unendlich viel; und ist doch manchmal auch
So plötzlich voll! von einer Kleinigkeit
So plötzlich voll! – Taugt nichts, taugt nichts; es sei
Auch voll wovon es will. – Doch nur Geduld!
Die Seele wirkt den auf gedunsnen Stoff
Bald ineinander, schafft sich Raum, und Licht
Und Ordnung kommen wieder. – Lieb ich denn
Zum ersten Male? – Oder war, was ich
Als Liebe kenne, Liebe nicht? – Ist Liebe
Nur was ich itzt empfinde? ...

Daja (die sich von der Seite herbeigeschlichen).
Ritter! Ritter!

Tempelherr.
Wer ruft? – Ha, Daja, Ihr?

Daja.
Ich habe mich
Bei ihm vorbeigeschlichen. Aber noch
Könnt' er uns sehn, wo Ihr da steht. – Drum kommt
Doch näher zu mir, hinter diesen Baum.

Tempelherr.
Was gibt's denn? – So geheimnisvoll? – Was ist's?

Daja.
Ja wohl betrifft es ein Geheimnis, was
Mich zu Euch bringt; und zwar ein doppeltes.
Das eine weiß nur ich; das andre wißt
Nur Ihr. – Wie wär' es, wenn wir tauschten?
Vertraut mir Euers: so vertrau ich Euch
Das meine.

Tempelherr.
Mit Vergnügen. – Wenn ich nur
Erst weiß, was Ihr für meines achtet. Doch
Das wird aus Euerm wohl erhellen. – Fangt
Nur immer an.

Daja.
Ei denkt doch! – Nein, Herr Ritter.
Erst Ihr; ich folge. – Denn versichert, mein
Geheimnis kann Euch gar nichts nutzen, wenn
Ich nicht zuvor das Eure habe. – Nur
Geschwind! – Denn frag ich's Euch erst ab: so habt
Ihr nichts vertrauet. Mein Geheimnis dann
Bleibt mein Geheimnis; und das Eure seid
Ihr los. – Doch armer Ritter! – Daß Ihr Männer
Ein solch Geheimnis vor uns Weibern haben
Zu können, auch nur glaubt! .

Tempelherr.
Das wir zu haben
Oft selbst nicht wissen.

Daja.
Kann wohl sein. Drum muß
Ich freilich erst, Euch selbst damit bekannt
Zu machen, schon die Freundschaft haben. – Sagt –
Was hieß denn das, daß Ihr so Knall und Fall
Euch aus dem Staube machtet? daß Ihr uns
So sitzenließet? – daß Ihr nun mit Nathan
Nicht wiederkommt? – Hat Recha denn so wenig
Auf Euch gewirkt? wie? oder auch, so viel? –
So viel! so viel! – Lehrt Ihr des armen Vogels,
Der an der Rute klebt, Geflattre mich
Doch kennen! – Kurz: gesteht es mir nur gleich,
Daß Ihr sie liebt, liebt bis zum Unsinn; und
Ich sag Euch was ...

Tempelherr.
Zum Unsinn? Wahrlich; Ihr
Versteht Euch trefflich drauf.

Daja.
Nun gebt mir nur
Die Liebe zu; den Unsinn will ich Euch
Erlassen.

Tempelherr.
Weil er sich von selbst versteht? –
Ein Tempelherr ein Judenmädchen lieben! ...

Daja.
Scheint freilich wenig Sinn zu haben. – Doch
Zuweilen ist des Sinns in einer Sache
Auch mehr, als wir vermuten; und es wäre
So unerhört doch nicht, daß uns der Heiland
Auf Wegen zu sich zöge, die der Kluge
Von selbst nicht leicht betreten würde.

Tempelherr.
Das
So feierlich? – (Und setz ich statt des Heilands
Die Vorsicht: hat sie denn nicht recht? –) Ihr macht
Mich neubegieriger, als ich wohl sonst
Zu sein gewohnt bin.

Daja.
Oh! das ist das Land
Der Wunder!

Tempelherr.
(Nun! – des Wunderbaren. Kann
Es auch wohl anders sein? Die ganze Welt
Drängt sich ja hier zusammen.) – Liebe Daja,
Nehmt für gestanden an, was Ihr verlangt:
Daß ich sie liebe; daß ich nicht begreife,
Wie ohne sie ich leben werde; daß ...

Daja.
Gewiß? gewiß? – So schwört mir, Ritter, sie
Zur Eurigen zu machen; sie zu retten:
Sie zeitlich hier, sie ewig dort zu retten.

Tempelherr.
Und wie? – Wie kann ich? – Kann ich schwören, was
In meiner Macht nicht steht?

Daja.
In Eurer Macht
Steht es. Ich bring es durch ein einzig Wort
In Eure Macht.

Tempelherr.
Daß selbst der Vater nichts
Dawider hätte?

Daja.
Ei, was Vater! Vater!
Der Vater soll schon müssen.

Tempelherr.
Müssen, Daja? –
Noch ist er unter Räuber nicht gefallen.
Er muß nicht müssen.

Daja.
Nun, so muß er wollen;
Muß gern am Ende wollen.

Tempelherr.
Muß und gern! –
Doch, Daja, wenn ich Euch nun sage, daß
Ich selber diese Sait' ihm anzuschlagen
Bereits versucht?

Daja.
Was? und er fiel nicht ein?

Tempelherr.
Er fiel mit einem Mißlaut ein, der mich –
Beleidigte.

Daja.
Was sagt Ihr? – Wie? Ihr hättet
Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
Ihm blicken lassen: und er wär' vor Freuden
Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich
Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten
Gemacht?

Tempelherr.
So ungefähr.

Daja.
So will ich denn
Mich länger keinen Augenblick bedenken

(Pause.)

Tempelherr.
Und Ihr bedenkt Euch doch?

Daja.
Der Mann ist sonst
So gut! – Ich selber bin so viel ihm schuldig! –
Daß er doch gar nicht hören will! – Gott weiß,
Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.

Tempelherr.
Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
Aus dieser Ungewißheit. Seid Ihr aber
Noch selber ungewiß; ob, was Ihr vorhabt,
Gut oder böse, schändlich oder löblich
Zu nennen: – schweigt! – Ich will vergessen, daß
Ihr etwas zu verschweigen habt.

Daja.
Das spornt,
Anstatt zu halten. Nun; so wißt denn: Recha
Ist keine Jüdin; ist – ist eine Christin.

Tempelherr (kalt).
So? Wünsch Euch Glück! Hat's schwer gehalten? Laßt
Euch nicht die Wehen schrecken! – Fahret ja
Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern:
Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!

Daja.
Wie, Ritter?
Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
Daß Recha eine Christin ist: das freuet
Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
Der Ihr sie liebt, nicht mehr?

Tempelherr.
Besonders, da
Sie eine Christin ist von Eurer Mache.

Daja.
Ah! so versteht Ihr's? So mag's gelten! – Nein!
Den will ich sehn, der die bekehren soll!
Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
Verdorben ist.

Tempelherr.
Erklärt Euch, oder – geht!

Daja.
Sie ist ein Christenkind, von Christeneltern
Geboren; ist getauft ...

Tempelherr (hastig).
Und Nathan?

Daja.
Nicht
Ihr Vater!

Tempelherr.
Nathan nicht ihr Vater? – Wißt
Ihr, was Ihr sagt?

Daja.
Die Wahrheit, die so oft
Mich blut'ge Tränen weinen machen. – Nein,
Er ist ihr Vater nicht ...

Tempelherr.
Und hätte sie
Als seine Tochter nur erzogen? hätte
Das Christenkind als eine Jüdin sich
Erzogen?

Daja.
Ganz gewiß.

Tempelherr.
Sie wüßte nicht,
Was sie geboren sei? – Sie hätt' es nie
Von ihm erfahren, daß sie eine Christin
Geboren sei, und keine Jüdin?

Daja.
Nie!

Tempelherr.
Er hätt' in diesem Wahne nicht das Kind
Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
In diesem Wahne?

Daja.
Leider!

Tempelherr.
Nathan – Wie?
Der weise gute Nathan hätte sich
Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
Verfälschen? – Die Ergießung eines Herzens
So zu verrenken, die, sich selbst gelassen,
Ganz andre Wege nehmen würde? – Daja,
Ihr habt mir allerdings etwas vertraut –
Von Wichtigkeit, – was Folgen haben kann, –
Was mich verwirrt, – worauf ich gleich nicht weiß,
Was mir zu tun. – Drum laßt mir Zeit. – Drum geht!
Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht'
Uns überfallen. Geht!

Daja.
Ich wär' des Todes!

Tempelherr.
Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar
Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
Ihm nur, daß wir einander bei dem Sultan
Schon finden würden.

Daja.
Aber laßt Euch ja
Nichts merken gegen ihn. – Das soll nur so
Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
Benehmen! – Wenn Ihr aber dann sie nach
Europa führt: so laßt Ihr doch mich nicht
Zurück?

Tempelherr.
Das wird sich finden. Geht nur, geht!

Your Gateway to High-Quality MP3, FLAC and Lyrics
DownloadMP3FLAC.com