Die neuen Leiden chapter 6

Ulrich Plenzdorf * Track #6 On Die Neuen Leiden des Junges W.

Die neuen Leiden chapter 6 Annotated

Anschließend wischte er ein bißchen Staub auf dem Ding und seufzte eine Weile rum.
Dann sagte er noch: Es ist nicht unsere erste Erfindung, aber unsere beste, no.
Es sah so aus, als wollte er damit Addi und die Truppe anpieken, die natürlich längst
dastanden. Das Ding lag wohl schon eine Weile rum. Es funktionierte nämlich
keineswegs, es nebelte und nebelte, weiter nichts.Ich sagte: Die Maschine wird ihn nie
ersetzen. Dabei hielt ich meinen Pinsel hoch. Ich durfte gerade mal wieder
vorstreichen. Sofort ging Addi los: Hör mal zu, mein Freund. Alles schön und gut. Ich
weiß nicht, was du fürn Spleen hast, aber irgendeinen hast du. Einwandfrei.
Interessiert mich nicht. Aber wir sind hier eine Truppe und keine ganz schlechte, und
du gehörst nun mal dazu, und es wird dir auf die Dauer nicht viel übrigbleiben, als
dich einzufügen und mitzuziehen. Und glaub nicht, du wärst unser erster Fall. Wir
haben schon ganz andere hingebogen. Frag Jonas. - Jedenfalls, der muß erst noch
kommen, der uns auf den Durchschnitt zieht.
Das war's mal wieder. Er machte auf den Hakken kehrt und zog ab, die anderen ihm
nach. Ich verstand bloß die Hälfte. Der Spruch mit der Maschine war schließlich
ziemlich harmlos. Ich hatte noch ganz andere Sachen auf der Pfanne. Old Werther zum
Beispiel. Ich analysierte kurz die Lage und stellte fest, daß ich Addis schwächsten
Punkt erwischt hatte mit der Spritze. Zaremba sagte denn auch: Mußt ihn verstehen,
no. Ist sein Einfall, die Spritze. Jesus, nicht dran rühren. Entweder es wird der Knüller
oder der Reinfall, no? - Sein erster!
Und ich:
Er ist der pünktlichste Narr, den es nur geben kann; Schritt vor Schritt und
umständlich wie eine Base, ein Mensch, der nie mit sich selbst zufrieden ist und dem
es daher niemand zu Danke machen kann.
Das war endlich mal wieder Old Werther. Zaremba riß seine Schweinsritzen auf und
knurrte: No! Das sag du nicht!
Er war der erste, den dieses Althochdeutsch nicht aus dem Sattel warf. Es hätte mir
auch leid getan. Ich gebe allerdings zu, ich hatte für ihn eine ziemlich normale Stelle
ausgesucht. Ich weiß nicht, ob das einer versteht, Leute. Ein paar Tage später kam es
dann zum Treffen. Addi und die Truppe baute die Spritze auf dem Hof von einem
dieser ollen Häuser auf und schloß sie an. Zwei Experten waren aus irgendeiner
Spezialbude gekommen mit einem ganzen Kasten voller Düsen, jede anders. Die
sollten nun durchprobiert werden. Große Show. Alles mögliche Volk robbte an. Die
ganzen Töpfer und Maurer und was sonst noch in den Häusern rumkroch. Es klappte
mit keiner Düse. Entweder es kam ein armdicker Strahl raus, oder es nebelte wie ein
Rasensprenger. Die Experten waren von vornherein nicht besonders optimistisch,
rückten aber jede Düse raus. Addi ließ einfach nicht locker. Er war ein Steher. Bis er
dann zum kleinsten Kaliber griff, und dafür war dann einfach der Druck zu groß. Der
olle Schlauch platzte, und wer im Umkreis von zehn Metern stand, war gelb wie ein
Chinese oder was. Vor allem Addi. Der Heiterkeitserfolg war einmalig bei dem ganzen
Volk.
Die Experten meinten: Laßt man. Uns ist das nicht besser gegangen, und wir haben
alles! Nichts zu machen! Technisch nicht lösbar, jedenfalls heute noch nicht. Das liegt
nicht an den Düsen.
Und dann kam ich und zückte meine Werther-Pistole:
Es ist ein einförmiges Ding um das Menschengeschlecht. Die meisten verarbeiten den
größten Teil der Zeit, um zu leben, und das bißchen, das ihnen von Freiheit
übrigbleibt, ängstigt sie so, daß sie alle Mittel aufsuchen, um es loszuwerden.
Die Experten dachten wohl, ich war der Clown der Truppe. Sie grinsten jedenfalls.
Aber die Truppe selbst kam langsam auf mich zu, vorneweg Addi. Sie wischten sich
immer noch die gelbe Soße aus den Gesichtern. Ich nahm die Fäuste hoch, im Fall der
Fälle, aber es kam doch zu
nichts. Addi fauchte bloß kalt: Hau ab! Hau bloß ab, sonst garantier ich für nichts. Ich
konnte sein Gesicht nicht richtig erkennen. Ich hatte selbst noch das Farbzeug in den
Augen. Aber es hörte sich ganz so an, als wenn er kurz vorm Heulen war. Addi war
über zwanzig. Ich wußte nicht, wann ich das letztemal geheult hatte. Es war jedenfalls
eine Weile her. Vielleicht haute ich deswegen tatsächlich sofort ab. Kann sein, ich
hatte den Bogen überspannt oder was. Ich hoffe, es hält mich deswegen keiner für
feige, Leute. Als Boxer darf man sich ja sowieso nicht richtig wehren. Trifft man
dumm, heißt es gleich: Sperre. Außerdem war da Zaremba, und der gab mir zu
verstehen: Mach dich weg. Es ist das beste im Moment! Das war das vorläufige Ende
meines Gastspiels als Anstreicher bei Addi und Genossen.
Es war übrigens ein Sauwetter an dem Tag. Ich hechtete mich auf meine Kolchose. Als
erstes diktierte ich für Old Willi auf das neue Band: Und daran seid ihr alle schuld, die
ihr mich in das Joch geschwatzt und mir so viel von Aktivität vorgesungen habt.
Aktivität! ... Ich habe meine Entlassung... verlangt... Bringe das meiner Mutter in
einem Säftchen bei. Ende. Ich fand, das paßte großartig.»Ich hab ihn einfach gefeuert!
Nicht, daß wir uns abkapseln wollten. Jonas zum Beispiel kam aus dem Bau zu uns.
Aber bei uns sammelt sich sowieso allerhand Volk, das nichts kann und meistens auch
nichts will. Es ist nicht leicht, eine Truppe zusammenzukriegen, mit der man
einigermaßen was anfangen kann.«
»Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen! Edgar war vielleicht bloß ein Spinner
und ein Querkopf, ewig vergnatzt, unfähig, sich einzufügen, und faul, was weiß ich... «
»Na, sachte! Vergnatzt war er eigentlich nie, jedenfalls bei uns nicht. Und ein
Querkopf ... ? Aber Sie müssen ihn besser kennen.«
»Wie denn kennen? Ich hab ihn seit seinem fünften Lebensjahr nicht gesehen!« »Ja,
das wußte ich nicht. - Das heißt, Moment! Edgar hat Sie besucht. Er war doch bei
Ihnen!«
Halt die Fresse, Addi!
»Er hat noch geschwärmt. Sie haben eine Atelierwohnung, nach Norden raus, alles
voller Bilder, herrlich vergammelt.«
Halt doch die Fresse, Addi!
»Entschuldigen Sie. Ich hab es nicht von
Edgar - von Zaremba.«
»Wann soll denn das gewesen sein?«
»Das muß gewesen sein, nachdem wir ihn
gefeuert hatten, Ende Oktober.«
»Bei mir war niemand.«
Es stimmt aber leider. Ich weiß auch nicht, warum ich da hinging, aber es ist Tatsache.
Er wohnte in einem dieser prachtvollen Kachelwürmer, von denen Berlin langsam voll
ist. Ich wußte seine Adresse. Aber ich wußte nicht, daß es einer dieser prachtvollen
Kachelwürmer war. Er hatte da ein Appartement. Und nach Norden raus stimmt auch.
Ich weiß nicht, ob einer glaubt, daß ich so blöd war, mich gleich vorzustellen. Guten
Tag, Papa, ich bin Edgar, in dem Stil. So nicht. Ich hatte meine Bauklamotten an. Ich
sagte einfach: die Heizungsmonteure, als er aufmachte. Er war nicht besonders erbaut
davon, aber er nahm es mir sofort ab. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er
es mir nicht abgenommen hätte. Irgendeinen Plan hatte ich nicht, aber ich war mir
ziemlich sicher, daß es klappen würde. Eine blaue Hose, und du bist der
Heizungsmonteur. Eine olle Jacke, und du bist der neue Hausmeister. Eine
Ledertasche, und du bist der Mann vom Fernmeldeamt und so weiter. Sie nehmen dir
alles ab, und man kann es ihnen nicht mal übelnehmen. Man muß es bloß wissen.
Außerdem hatte ich noch einen Hammer bei mir. Mit dem pingelte ich eine Weile an
dem Heizungskörper im Bad rum. Er stand in der Tür und sah zu. Ich sagte nichts. Ich
brauchte einfach Zeit, um mich an ihn zu gewöhnen. Ich weiß nicht, ob das einer
begreift, Leute. Wissen, man hat einen Vater, und ihn dann sehen, das ist überhaupt
nicht dasselbe. Er sah aus wie dreißig oder so. Das warf mich fast völlig um. Ich hatte
doch keine Ahnung davon. Ich dachte doch immer, daß er mindestens fünfzig war! Ich
weiß auch nicht, warum. Er stand da in der Tür in Bademantel und in nagelneuen
Jeans. Ich sah das sofort. Um die Zeit gab es in Berlin nämlich plötzlich echte Jeans.
Keine Ahnung, warum. Aber es gab sie. Es war mal wieder kurz vor irgendwas. Es
sprach sich natürlich sofort rum, jedenfalls in gewissen Kreisen. Sie verkauften sie in
einem Hinterhaus, weil sie wußten, daß kein Kaufhaus Berlins die Massen fassen
konnte, die wegen der Jeans kamen. Und so kam es denn auch. Ich nehme an, keiner
glaubt, daß ich nicht
dabeigewesen war. Und wie ich dabei war! So früh war ich lange nicht mehr
aufgestanden, um rechtzeitig dazusein. Ich hätte mir doch sonstwas abgebissen, wenn
ich keine Jeans abgekriegt hätte. Wir standen da zu dreitausend Mann in dem
Treppenhaus und warteten auf den Einlaß. Kein Mensch kann sich vorstellen, wie
dicht wir da standen. An dem Tag fiel der erste Schnee, aber gefroren hat von uns
garantiert keiner. Ein paar hatten Musik mit. Es war eine Stimmung wie Weihnachten,
wenn gleich die Tür aufgeht und die Bescherung anfängt-vorausgesetzt, man glaubt
noch an den Weihnachtsmann. Wir waren alle echt high. Ich war kurz davor, meinen
Blue-jeans-Song loszulassen, als sie die Tür aufmachten und das Theater anfing.
Hinter der Tür standen vier ausgewachsene Verkäufer. Die wurden zur Seite
geschoben wie nichts, und wir stürzten uns auf die Jeans. Leider wurde die Sache ein
glatter Verlust. Es war nicht die echte Sorte, die sie hatten. Es waren zwar auch
authentische Jeans, aber es war nicht die echte Sorte. Trotzdem war es ein gelungenes
Happening an dem Tag. Am besten waren vielleicht diese zwei Provinzmuttis, die mit
in dem Treppenhaus waren. Sie wollten wohl ihren Söhnchen in Kleindingsda echte
Jeans mitbringen. Aber als die Stimmung langsam auf den Höhepunkt kam, kriegten
sie plötzlich Schiß. Sie wollten raus, die Guten. Dabei hatten sie nicht die Bohne von
Chance dafür, selbst wenn ich oder einer ihnen hätte helfen wollen. Sie mußten
mitmachen, ob sie wollten oder nicht. Ich hoffe, sie haben es halbwegs überstanden.
Jedenfalls muß an diesem Tag auch dieser Vater irgendwo in der Masse gewesen sein.
Ich konnte mir das gut vorstellen, wie er da vor mir in der Tür stand und mich
überwachte. Warum er da stand, war mir übrigens fast sofort klar. Über einer Leine in
diesem Bad hing ein Paar Damenstrümpfe. Garantiert hatte er eine im Zimmer, und
gerade da wollte ich mich umsehen, bevor ich mich zu erkennen gab. Ich sagte also:
Hier ist alles in Ordnung. Wolln mal sehen, was im Zimmer ist.
Und er: Da ist alles normal. Ich: Schön. Aber dies Jahr kommt keiner mehr von uns.
Da gab er nach. Wir gingen in das Zimmer. Im Bett lag die Frau. Neben dem Bett
stand so ein Campingbett, in dem hatte er wohl kampiert. Die Frau gefiel mir sofort.
Sie hatte irgendwas von Charlie. Ich wußte nicht, was. Wahrscheinlich war es die Art,
einen immerzu anzusehen,
immerzu die Scheinwerfer auf einen zu halten. Ich konnte mir sofort vorstellen, wie
wir zu dritt gelebt hätten. Wir hätten ein breiteres Bett angeschafft, und ich hätte auf
dem alten oder von mir aus auf der Campingliege auf dem Korridor gepennt. Ich hätte
morgens die Schrippen geholt und Kaffee gekocht, und wir hätten zu dritt an ihrem
Bett gefrühstückt. Und abends hätte ich sie beide in die »Große Melodie« geschleppt
oder auch mal sie allein, und wir hätten geflirtet, natürlich dezent, wie unter Kumpels.
Ich wurde denn auch sofort charmant: Pardon, Madame. Bloß der Heizungsmonteur.
Gleich fertig. - In dem Stil.
Ich machte mich über den Heizungskörper her. Ich morste mit dem Hammer auf den
Röhren und horchte auf das Echo, wie das diese Heizungskerle so draufhaben. Dabei
beäugte ich natürlich das ganze Zimmer. Viel war da nicht. Eine Leiterwand mit
Büchern. Ein Fernseher, vorletztes Modell. Nicht ein einziges Bild an den Wänden.
Die Frau bot mir zu rauchen an. Ich sagte: Nee, danke. Rauchen ist ein Haupthindernis
der Kommunikation. Ich machte so auf gebildeter junger Facharbeiter. Dann fragte ich
diesen Vater: Sie sind wohl kein großer Bilderfreund?Er verstand nichts.
Ich weiter: Na, die Wände. Tabula rasa. Unsereins kommt rum. Bilder haben sie
überall, so'ne und solche, aber Sie? - Dafür haben sie andere schöne Sachen.
Die Frau lächelte. Sie hatte sofort verstanden. Es war vielleicht auch nicht schwer. Wir
sahen uns eine Sekunde an. Sie war, glaubte ich, das einzige in dem Zimmer, was
mich nicht tötete. Alles andere tötete mich, vor allem die kahlen Wände. Ich kann es
mir nicht anders erklären, daß ich plötzlich wie ein Blöder anfing zu schwafeln: Aber
schon richtig. Ich sage immer, wenn schon Bilder, dann selber gemalte - und die hängt
man sich feinerweise natürlich nicht an die eigenen Wände. Mal 'ne Frage: Haben Sie
Kinder? Tip von mir: Kinder können malen, daß man kaputtgeht. Das kann man sich
jederzeit an die Wand hängen, ohne rot zu werden ... Ich weiß nicht, was ich sonst
noch für ein blödsinniges Zeug zusammenredete. Ich glaube, ich hörte erst auf zu
reden, als ich wieder auf der Treppe stand, die Tür zu war und ich feststellte, daß ich
kein Wort gesagt hatte, wer ich war und das. Aber ich brachte es einfach nicht fertig,
noch mal zu klingeln und alles zu sagen. Ich weiß nicht, ob das einer versteht, Leute.
Anschließend kroch ich wieder in meine Laube, wie immer. Ich wollte Musik machen
und das und machte es auch, bloß, irgendwie popte das nicht. Ich kannte mich damals
schon selbst genug, um zu kapieren, daß in dem Fall irgendwas nicht stimmte mit mir.
Ich analysierte mich kurz und stellte fest, daß ich sofort damit anfangen wollte, meine
Spritze zu bauen. Mein NFG. Ich wußte zwar noch nicht wie. Ich wußte nur, daß sie
völlig anders aussehen mußte als die von Addi. Ich wußte zwar, daß es nicht einfach
sein würde ohne richtiges Werkzeug und das. Aber es war nie meine Art, vor solchen
Schwierigkeiten zurückzuschrecken. Klar war auch, daß die Sache völlig im geheimen
stattzufinden hatte. Und dann, wenn sie funktionierte, meine Spritze, wollte ich lässig
wie ein Lord bei der Truppe aufkreuzen. Ich weiß nicht, ob mich einer begreift, Leute.
Jedenfalls fing ich Idiot noch am selben Tag an, die ganze olle verlassene Kolonie
nach brauchbaren Gegenständen abzusuchen. Ich weiß nicht, ob sich einer vorstellen
kann, was in so einer Kolonie alles drinsteckt. Ich kann nur sagen, alles, im Ernst, bloß
nicht, was ich brauchte. Ich schleppte trotzdem alles ran, was irgendwie brauchbar
aussah. Erst mal Material haben, dachte ich. Das war der erste Stein zu meinem Grab,
Leute. Der erste Nagel zu meinem Sarg.
»Ich könnte sagen, daß wir ihn ziemlich schnell wieder zurückgeholt haben. Aber das
war mehr auf Zarembas Initiative. Im Prinzip war es da schon zu spät. Edgar hatte zu
der Zeit schon angefangen, an seinem NFG zu bauen. Zaremba wußte eben auch nicht
alles. Wir stöberten ihn in seiner Laube auf. Aber davon, daß er an einer Spritze baute,
war nichts zu sehen. Und auf die Idee, in die Küche zu sehen, sind wir leider nicht
gekommen.«

Die neuen Leiden chapter 6 Q&A

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Die neuen Leiden chapter 6 was written by Ulrich Plenzdorf.

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