Ulrich Plenzdorf
Ulrich Plenzdorf
Ulrich Plenzdorf
Ulrich Plenzdorf
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Ulrich Plenzdorf
Ulrich Plenzdorf
Ulrich Plenzdorf
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?« »Im September. Ende September. Am Abend
bevor er wegging.« »Hast du nie an eine Fahndung gedacht?« »Wenn mir einer
Vorwürfe machen kann, dann nicht du! Nicht ein Mann, der sich jahrelang um seinen
Sohn nur per Postkarte gekümmert hat!« »Entschuldige! - War es nicht dein Wunsch
so, bei meinem Lebenswandel?!« »Das ist wieder deine alte Ironie! - Nicht zur Polizei
zu gehen war vielleicht das einzig Richtige, was ich gemacht hab. Selbst das war
schließlich falsch. Aber zuerst war ich einfach fertig mit ihm. Er hatte mich in eine
unmögliche Situation gebracht an der Berufsschule und im Werk. Der Sohn der
Leiterin, bis dato der beste Lehrling, Durchschnitt eins Komma eins, entpuppt sich als
Rowdy! Schmeißt die Lehre! Rennt von zu Hause weg! Ich meine...! Und dann kamen
ziemlich schnell und regelmäßig Nachrichten von ihm. Nicht an mich. Bewahre. An
seinen Kumpel Willi. Auf Tonband. Merkwürdige Texte. So geschwollen. Schließlich
ließ sie mich dieser Willi anhören, die Sache wurde ihm selber unheimlich. Wo Edgar
war, nämlich in Berlin, wollte er mir zunächst nicht sagen. Aus den Tonbändern wurde
jedenfalls kein Mensch schlau. Immerhin ging so viel daraus hervor, daß Edgar gesund
war, sogar arbeitete, also nicht gammelte. Später kam ein Mädchen vor, mit der es
dann aber auseinanderging. Sie heiratete! Solange ich ihn hier hatte, hat er nichts mit
Mädchen gehabt. Aber es war doch kein Fall für die Polizei!«
Stop mal, stop! - Das ist natürlich Humbug. Ich hatte ganz schön was mit Mädchen.
Zum erstenmal mit vierzehn. Jetzt kann ich's ja sagen. Man hatte so allerhand Zeug
gehört, aber nichts Bestimmtes. Da wollte ich's endlich genau wissen, das war so
meine Art. Sie hieß Sylvia. Sie war ungefähr drei Jahre älter als ich. Ich brauchte
knapp sechzig Minuten, um sie rumzukriegen. Ich finde, das war eine gute Zeit für
mein Alter, und wenn man bedenkt, daß ich noch nicht meinen vollen Charme hatte
und nicht dieses ausgeprägte Kinn. Ich sag das nicht, um anzugeben, sondern daß sich
keiner ein falsches Bild macht, Leute. Ein Jahr später klärte mich Mutter auf. Sie
rackerte sich ganz schön ab. Ich Idiot hätte
mich beölen können, aber ich machte Pfötchen wie immer. Ich glaube, das war eine
Sauerei.
»Wieso entpuppte er sich als Rowdy?!« »Er hat seinem Ausbilder den Zeh
gebrochen.« - »Den Zeh?«
»Er hat ihm eine schwere Eisenplatte auf den Fuß geworfen, eine Grundplatte. Ich war
wie vor den Kopf geschlagen. Ich meine...!« »Einfach so?«
»Ich war nicht dabei, aber der Kollege Flemming sagte mir - das ist der Ausbilder, ein
erfahrener und alter Ausbilder, zuverlässig -, daß es so war: Er verteilt morgens in der
Werkstatt die Werkstücke, ebendiese Grundplatten zum Feilen. Und die Burschen
feilen auch, und beim Nachmessen fällt ihm auf, Edgars Nachbar, Willi, hat da eine
Platte fertig, aber die hat er nicht gefeilt, die war aus dem Automaten. In der
Produktion werden die Grundplatten natürlich automatisch gefertigt. Der Junge hat sie
sich besorgt und zeigt sie jetzt vor. Sie ist natürlich genau bis auf ein Hundertstel. Er
sagt ihm das: Die ist aus dem Automaten.
Willi: Aus was für einem Automaten?
Flemming: Aus dem Automaten in Halle zwei.
Willi: Adi, da steht ein Automat?! - Das kann ich doch gar nicht wissen, Meister. In
der Halle waren wir zum letzten Mal, als wir anfingen mit der Lehre, und da hielten
wir die Dinger noch für Eierlegemaschinen.
Und das war dann Edgars Stichwort, das war natürlich alles vorher abgemacht: Also
nehmen wir mal an, da steht ein Automat. Kann ja sein. Da fragt man sich doch,
warum wir dann die Grundplatten mit der Feile zurechtschruppen müssen. Und das im
dritten Lehrjahr.«
Gesagt hab ich das. Das stimmt. Aber aus dem Hut. Abgemacht war überhaupt nichts.
Ich wußte, was Willi und die anderen vorhatten, wollte mich aber raushalten, wie
immer.
»Flemming: Was hab ich euch gesagt, als ihr bei mir angefangen habt? - Ich hab euch
gesagt: Hier habt ihr ein Stück Eisen! Wenn ihr aus dem eine Uhr machen könnt, habt
ihr ausgelernt. Nicht früher und nicht später. Das ist so sein Wahlspruch.
Und Edgar: Aber Uhrmacher wollten wir eigentlich schon damals nicht werden.«
Das wollte ich Flemming schon lange mal sagen. Das war nämlich nicht nur sein
blöder Wahlspruch, das war seine ganze Einstellung aus dem Mittelalter:
Manufakturperiode. Bis da hat ich's mir immer verkniffen.
»Und anschließend warf ihm Edgar dann diese Grundplatte auf den Fuß und mit
dermaßen Kraft, daß ein Zeh brach. Ich war wie vom Donner gerührt. Ich wollte das
erst nicht glauben.«
Stimmt alles. Bis auf zwei Kleinigkeiten. Erstens hab ich die Platte nicht geworfen.
Das brauchte ich nicht. Diese Platten waren auch so schwer genug, einen ollen Zeh
oder was zu brechen, einfach durch ihre Masse. Ich brauchte sie bloß fallen zu lassen.
Was ich denn auch machte. Und zweitens ließ ich sie nicht anschließend fallen,
sondern erst sagte Flemming noch einen kleinen Satz, nämlich er tobte los: Von dir
hätte ich das am allerwenigsten erwartet, Wiebau! Da setzte es bei mir aus. Da ließ ich
die Platte fallen. Wie das klingt: Edgar Weinbau! - Aber Edgar Wibeau! Kein Aas sagt
ja auch Nivau statt Niveau. Ich meine, jeder Mensch hat schließlich das Recht, mit
seinem richtigen Namen richtig angeredet zu werden. Wenn einer keinen Wert darauf
legt - seine Sache. Aber ich lege nun mal Wert darauf. Das ging schon jahrelang so.
Mutter ließ sich das egal weg gefallen, mit Wiebau angeredet zu werden. Sie war der
Meinung, das hätte sich nun mal so eingebürgert, und sie war nicht gestorben davon
und überhaupt, alles, was sie im Werk geworden ist, ist sie unter dem Namen Wiebau
geworden. Und natürlich hieß unsereins dann auch Wiebau! Was ist denn mit Wibeau?
Wenn's Hitler war oder Himmler! Das war echt säuisch! Aber so? Wibeau ist ein alter
Hugenottenname, na und? - Trotzdem war das natürlich kein Grund, olle Flemming
die olle Platte auf seinen ollen Zeh zu setzen. Das war eine echte Sauerei. Mir war
gleich klar, daß jetzt kein Schwein mehr über die Ausbildung reden würde, sondern
bloß noch über die Platte und den Zeh. Manchmal war mir eben plötzlich heiß und
schwindlig, und dann machte ich was, von dem ich nachher nicht mehr wußte, was es
war. Das war mein Hugenottenblut, oder ich hatte einen zu hohen Blutdruck. Zu hohen
Hugenottenblutdruck.
»Du meinst, Edgar hat einfach die Konsequenz der Sache gescheut und ist deshalb
weg?« »Ja. Was sonst?«
Ich will mal sagen: Besonders scharf war ich auf das Nachspiel nicht. »Was sagt der
Jugendfreund Edgar Wiebau (!) zu seinem Verhalten zu Meister Flemming?« Leute!
Ich hätt mir doch lieber sonstwas abgebissen, als irgendwas zu sülzen von: Ich sehe
ein... Ich werde in Zukunft..., verpflichte mich hiermit... und so weiter! Ich hatte was
gegen Selbstkritik, ich meine: gegen öffentliche. Das ist irgendwie entwürdigend. Ich
weiß nicht, ob mich einer versteht. Ich finde, man muß dem Menschen seinen Stolz
lassen. Genauso mit diesem Vorbild. Alle forzlang kommt doch einer und will hören,
ob man ein Vorbild hat und welches, oder man muß in der Woche drei Aufsätze
darüber schreiben. Kann schon sein, ich hab eins, aber ich stell mich doch nicht auf
den Markt damit. Einmal hab ich geschrieben: Mein größtes Vorbild ist Edgar Wibeau.
Ich möchte so werden, wie er mal wird. Mehr nicht. Das heißt: Ich wollte es schreiben.
Ich hab's dann bleibenlassen, Leute. Dabei wäre der Aufsatz höchstens nicht gewertet
worden.Kein Aas von Lehrer traute sich doch, mir eine Fünf oder was zu geben.
»Kannst du dich an sonst noch was erinnern?«
»An einen Streit natürlich? - Wir haben uns nie gestritten. Doch, einmal schmiß er sich
vor Wut die Treppen runter, weil ich ihn irgendwohin nicht mitnehmen wollte. Da war
er fünf, wenn du das meinst. -Trotzdem wird alles wohl meine Schuld sein.«
Das ist großer Quatsch! Hier hat niemand schuld, nur ich. Das wolln wir mal
festhalten! -Edgar Wibeau hat die Lehre geschmissen und ist von zu Hause weg, weil
er das schon lange vorhatte. Er hat sich in Berlin als Anstreicher durchgeschlagen, hat
seinen Spaß gehabt, hat Charlotte gehabt und hat beinah eine große Erfindung
gemacht, weil er das so wollte! Daß ich dabei über den Jordan ging, ist echter Mist.
Aber wenn das einen tröstet: Ich hab nicht viel gemerkt. 380 Volt sind kein Scherz,
Leute. Es ging ganz schnell. Ansonsten ist Bedauern jenseits des Jordan nicht üblich.
Wir alle hier wissen, was uns blüht. Daß wir aufhören zu existieren, wenn ihr aufhört,
an uns zu denken. Meine Chancen sind da wohl mau. Bin zu jung gewesen.
»Mein Name ist Wibeau.« »Angenehm. - Lindner, Willi.«
Salute, Willi! Du warst zeitlebens mein bester Kumpel, tu mir jetzt einen Gefallen.
Fang nicht auch an, in deiner Seele oder wo nach Schuld zu wühlen und so. Reiß dich
zusammen.
»Es soll Tonbänder von Edgar geben, die er besprochen hat? Sind sie greifbar? Ich
meine, kann ich sie hören? Gelegentlich?« »Ja. Das geht.«
Die Tonbänder:
kurz und gut / wilhelm / ich habe eine bekanntschaft gemacht / die mein herz näher
angeht -einen engel - und doch bin ich nicht imstande / dir zu sagen / wie sie
vollkommen ist / warum sie vollkommen ist / genug / sie hat allen meinen sinn
gefangengenommen - ende
nein / ich betrüge mich nicht - ich lese in ihren schwarzen augen wahre teilnehmung
an mir und meinem Schicksal - sie ist mir heilig - alle begier schweigt in ihrer
gegenwart - ende
genug / wilhelm / der bräutigam ist da - glücklicherweise war ich nicht beim empfange
- das hätte mir das herz zerrissen - ende
er will mir wohl / und ich vermute / das ist lottens werk / denn darin sind die weiber
fein und haben recht / wenn sie zwei Verehrer in gutem vernehmen miteinander
erhalten können / ist der vorteil immer ihr / so selten es auch angeht -ende
das war eine nacht - wilhelm / nun überstehe ich alles - ich werde sie nicht wiedersehn
- hier sitz ich und schnappe nach luft / suche mich zu beruhigen / erwarte den morgen /
und mit Sonnenaufgang sind die pferde
o meine freunde / warum der strom des génies so selten ausbricht / so selten in hohen
fluten hereibraust und eure staunende seele erschüttert -liebe freunde / da wohnen die
gelassenen herren auf beiden seiten des ufers / denen ihre garten-
häuschen / tulpenbeete und krautfelder zugrunde gehen würden / die daher in Zeiten
mit dämmen und ableiten der künftig drohenden gefahr abzuwenden wissen - das alles
/ wilhelm / macht mich stumm - ich kehre in mich selbst zurück und finde eine weit -
ende.
und daran seid ihr alle schuld / die ihr mich in das Joch geschwatzt und mir so viel von
Aktivität vorgesungen habt - Aktivität - ich habe meine Entlassung verlangt - bringe
das meiner mutter in einem saftigen bei - ende
»Verstehen Sie's?« »Nein. Nichts...«
Könnt ihr auch nicht. Kann keiner, nehme ich an. Ich hatte das aus dieser alten
Schwarte oder Heft. Reclamheft. Ich kann nicht mal sagen, wie es hieß. Das olle
Titelblatt ging flöten auf dem ollen Klo von Willis Laube. Das ganze Ding war in
diesem unmöglichen Stil geschrieben.
»Ich denke manchmal - ein Code.« »Für einen Code hat es zuviel Sinn. Ausgedacht
hört es sich auch wieder nicht an.«»Bei Ed wußte man nie. Der dachte sich noch ganz
andere Sachen aus. Ganze Songs zum Beispiel. Text und Melodie! Irgendein
Instrument, das er nach zwei Tagen nicht spielen konnte, gab's überhaupt nicht. Oder
nach einer Woche, von mir aus. Er konnte Rechenmaschinen aus Pappe baun, die
funktionieren heute noch. Aber die meiste Zeit haben wir gemalt.« »Edgar hat gemalt?
- Was waren das für Bilder?«
»Immer DIN A 2.«
»Ich meine: was für Motive? Oder kann man welche sehen?«
»Nicht möglich. Die hatte er alle bei sich. Und >Motive< kann man nicht sagen. Wir
malten durchweg abstrakt. Eins hieß Physik. Und: Chemie. Oder: Hirn eines
Mathematikers. Bloß, seine Mutter war dagegen. Ed sollte erst einen >ordentlichen
Beruf< haben. Ed hatte ziemlich viel Ärger deswegen, wenn Sie das interessiert. Aber
am sauersten war er immer, wenn er rauskriegte, daß sie, also seine Mutter, mal wieder
eine Karte von seinem Erzeuger..., ich meine: von seinem Vater ..., ich meine: von
Ihnen zurückgehalten hatte. Das kam
hin und wieder vor. Dann war er immer ungeheuer sauer.«
Das stimmt. Das stank mich immer fast gar nicht an. Schließlich gab es immer noch so
was wie ein Briefgeheimnis, und die Karten waren eindeutig an mich. An Herrn Edgar
Wibeau, den ollen Hugenotten. Jeder Blöde hätte gemerkt, daß ich eben nichts wissen
sollte über meinen Erzeuger, diesen Schlamper, der soff und der es ewig mit Weibern
hatte. Der schwarze Mann von Mittenberg. Der mit seiner Malerei, die kein Mensch
verstand, was natürlich allemal an der Malerei lag.
»Und deswegen ging Edgar weg, glauben Sie?«
»Ich weiß nicht... Jedenfalls, was die meisten denken, Ed ging weg wegen dieser
Sache mit Flemming, das ist Quatsch. Warum er das gemacht hat, versteh ich zwar
auch nicht. Ed hatte nichts auszustehen. Er war Chef in allen Fächern, ohne zu pauken.
Und er hielt sich sonst immer aus allem raus. Ärger gab es bei uns öfter. Viele sagten:
Muttersöhnchen. Natürlich nicht öffentlich. Ed war ein kleiner Stier. Oder er hätte es
überhört. Beispielsweise das mit den Miniröcken. Die Weiber, ich meine: die Mädchen
aus unserer Klasse, sie konnten es nicht bleibenlassen, in diesen Miniröcken in der
Werkstatt aufzukreuzen, zur Arbeit. Um den Ausbildern was zu zeigen. X-mal hatten
sie das schon verboten. Das stank uns dann so an, daß wir mal, alle Jungs, eines
Morgens in Miniröcken zur Arbeit antraten. Das war eine ziemliche Superschau. Ed
hielt sich da raus. Das war ihm wohl auch zu albern.«
Leider hatte ich nichts gegen kurze Röcke. Man kommt morgens völlig vertrieft aus
dem ollen Bett, sieht die erste Frau am Fenster, schon lebt man etwas. Ansonsten kann
sich von mir aus jeder anziehen, wie er will. Trotzdem war die Sache ein echter Jux.
Hätte von mir sein können, die Idee. Rausgehalten hab ich mich einfach, weil ich
Muttern keinen Ärger machen wollte. Das war wirklich ein großer Fehler von mir: Ich
wollte ihr nie Ärger machen. Ich war überhaupt daran gewöhnt, nie jemand Ärger zu
machen. Auf die Art muß man sich dann jeden Spaß verkneifen. Das konnte einen
langsam anstinken. Ich weiß nicht, ob mich einer versteht. Damit sind wir beim
Thema, weshalb ich zu Hause kündigte. Ich hatte einfach genug davon, als lebender
Beweis dafür rumzulaufen, daß man einen Jungen auch sehr gut ohne Vater erziehen
kann. Das sollte es doch sein. An einem Tag war ich mal auf den blöden Gedanken
gekommen, was gewesen wäre, wenn ich plötzlich abkratzen müßte, schwarze Pocken
oder was. Ich meine, was ich dann vom Leben gehabt hätte. Den Gedanken wurde ich
einfach nicht mehr los.
»Wenn Sie mich fragen - Ed ging weg, weil er Maler werden wollte. Das war der
Grund. Mist war bloß, daß sie ihn an der Kunsthochschule ablehnten in Berlin.«
»Warum?«
»Ed sagte: Unbegabt. Phantasielos. Er war ziemlich sauer.«
War ich! Aber Fakt war, daß meine gesammelten Werke nicht die Bohne was taugten.
Weshalb malten wir denn die ganze Zeit abstrakt? - Weil ich Idiot nie im Leben was
Echtes malen konnte, daß man es wiedererkannt hätte, einen ollen Hund oder was. Ich
glaube, das mit der ganzen Malerei war eine echte Idiotie von mir. Trotzdem war die
Szene an sich nicht schlecht, wie ich da in diese Hochschule klotzte und gleich rein in
das Zimmer von diesem Professor und wie ich ihm meine gesammelten Werke
knallhart auf den Tisch blätterte.
Er fragte erst mal: Wie lange machen Sie das schon?
Ich: Weiß nicht! Schon lange. Ich sah ihn nicht mal an dabei. Er: Haben Sie einen
Beruf? Ich: Nicht daß ich wüßte. Wozu auch? Mindestens da hätte er mich
rausschmeißen müssen! Aber der Mann war hart. Er blieb bei der Stange!
Er: Hat das irgendeine Ordnung? Was ist das letzte, was das erste?
Er meinte meine Ausstellung auf seinem Tisch. Ich: Die frühen Sachen liegen links.
Die frühen Sachen! Leute! Das hatte ich gut drauf. Das war ein Tiefschlag. Er: Wie alt
sind Sie? Der Kerl war wirklich hart! Ich nuschelte: Neunzehn! Ich weiß nicht, ob er
mir das glaubte. Er: Phantasie haben Sie. Das ist keine Frage,
überhaupt keine, und zeichnen können Sie auch.
Wenn Sie einen Beruf hätten, würde ich sagen:
technischer Zeichner.
Ich fing an, meine Blätter einzupacken.
Er: Ich kann mich auch irren. Lassen Sie uns
Ihre Sachen für ein paar Tage hier. Vier oder
sechs Augen sehen bekanntlich mehr als zwei.
Ich packte ein. Eisern. Ein verkannteres Genie
als mich hatte es noch nie gegeben.
»Trotzdem seid ihr in Berlin geblieben?« »Ed - ich nicht. Ich konnte das nicht. Aber
ich hab ihm noch zugeredet. Theoretisch war das auch richtig. Schließlich kann einer
nirgends so gut untertauchen wie in Berlin und sich einen Namen machen.
Die neuen Leiden chapter 1 was written by Ulrich Plenzdorf.