Johann Wolfgang von Goethe
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Vierter Auftritt.
Prinzessinn. Tasso.
Gegen das Ende des Auftritts Die Übrigen.
Prinzessinn.
Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst Vielmehr in Belriguardo noch zurück, Und willst dich dann von uns entfernen, Tasso? Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit. Du gehst nach Rom?
Tasso.
Ich richte meinen Weg Zuerst dahin, und nehmen meine Freunde Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf, So leg' ich da mit Sorgfalt und Geduld Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht. Ich finde viele Männer dort versammelt, Die Meister aller Art sich nennen dürfen. Und spricht in jener ersten Stadt der Welt Nicht jeder Platz nicht jeder Stein zu uns? Wie viele tausend stumme Lehrer winken In ernster Majestät uns freundlich an! Vollend' ich da nicht mein Gedicht, so kann Ich's nie vollenden. Leider, ach, schon fühl' ich, Mir wird zu keinem Unternehmen Glück! Verändern werd' ich es, vollenden nie. Ich fühl', ich fühl' es wohl, die große Kunst, Die jeden nährt, die den gesunden Geist Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten, Vertreiben wird sie mich. Ich eile fort! Nach Napel will ich bald!
Prinzessinn.
Darfst du es wagen? Noch ist der strenge Bann nicht aufgehoben, Der dich zugleich mit deinem Vater traf
Tasso.
Du warnest recht, ich hab' es schon bedacht. Verkleidet geh' ich hin, den armen Rock Des Pilgers oder Schäfers zieh' ich an. Ich schleiche durch die Stadt, wo die Bewegung Der Tausende den Einen leicht verbirgt. Ich eile nach dem Ufer, finde dort Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten, Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun Nach Hause kehren, Leute von Sorrent; Denn ich muß nach Sorrent hinüber eilen. Dort wohnet meine Schwester, die mit mir Die Schmerzensfreude meiner Eltern war. Im Schiffe bin ich still, und trete dann Auch schweigend an das Land, ich gehe sacht Den Pfad hinauf, und an dem Thore frag' ich: Wo wohnt Cornelia? Zeigt mir es an! Cornelia Sersale? Freundlich deutet Mir eine Spinnerinn die Straße, sie Bezeichnet mir das Haus. So steig' ich weiter. Die Kinder laufen nebenher und schauen Das wilde Haar, den düstern Fremdling an. So komm' ich an die Schwelle. Offen steht Die Thüre schon, so tret' ich in das Haus –
Prinzessinn.
Blick' auf, o Tasso, wenn es möglich ist, Erkenne die Gefahr, in der du schwebst! Ich schone dich; denn sonst würd' ich dir sagen: Ist's edel so zu reden, wie du sprichst? Ist's edel nur allein an sich zu denken, Als kränktest du der Freunde Herzen nicht? Ist's dir verborgen wie mein Bruder denkt? Wie beyde Schwestern dich zu schätzen wissen? Hast du es nicht empfunden und erkannt? Ist alles denn in wenig Augenblicken Verändert? Tasso! Wenn du scheiden willst, So laß uns Schmerz und Sorge nicht zurück.
Tasso. wendet sich weg.
Prinzessinn.
Wie tröstlich ist es einem Freunde, der Auf eine kurze Zeit verreisen will, Ein klein Geschenk zu geben, sey es nur Ein neuer Mantel, oder eine Waffe! Dir kann man nichts mehr geben, denn du wirfst Unwillig alles weg, was du besitzest. Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel, Den langen Stab erwählst du dir, und gehst Freywillig arm dahin, und nimmst uns weg, Was du mit uns allein genießen konntest.
Tasso.
So willst du mich nicht ganz und gar verstoßen? O süßes Wort, o schöner, theurer Trost, Vertritt mich! Nimm in deinen Schutz mich auf! – Laß mich in Belriguardo hier, versetze Mich nach Consandoli, wohin du willst! Es hat der Fürst so manches schöne Schloß, So manchen Garten, der das ganze Jahr Gewartet wird, und ihr betretet kaum Ihn Einen Tag, vielleicht nur Eine Stunde. Ja wählet den entferntsten aus, den ihr In ganzen Jahren nicht besuchen geht, Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt, Dort schickt mich hin! Dort laßt mich euer seyn! Wie will ich deine Bäume pflegen! Die Citronen Im Herbst mit Bretern und mit Ziegeln decken, Und mit verbund'nem Rohre wohl verwahren! Es sollen schöne Blumen in den Beeten Die breiten Wurzeln schlagen, rein und zierlich Soll jeder Gang und jedes Fleckchen seyn. Und laßt mir auch die Sorge des Pallastes! Ich will zur rechten Zeit die Fenster öffnen, Daß Feuchtigkeit nicht den Gemählden schade; Die schön mit Stuckatur verzierten Wände Will ich mit einem leichten Wedel säubern, Es soll das Estrich blank und reinlich glänzen, Es soll kein Stein, kein Ziegel sich verrücken, Es soll kein Gras aus einer Ritze keimen!
Prinzessinn.
Ich finde keinen Rath in meinem Busen, Und finde keinen Trost für dich und – – uns. Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott Uns Hülfe reichen möchte? Möchte mir Ein heilsam Kraut entdecken, einen Trank, Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns. Das treuste Wort, das von der Lippe fließt, Das schönste Heilungsmittel wirkt nicht mehr. Ich muß dich lassen, und verlassen kann Mein Herz dich nicht.
Tasso.
Ihr Götter, ist sie's doch, Die mit dir spricht und deiner sich erbarmt? Und konntest du das edle Herz verkennen? War's möglich, daß in ihrer Gegenwart Der Kleinmuth dich ergriff und dich bezwang? Nein, nein, du bist's! und nun ich bin es auch. O fahre fort, und laß mich jeden Trost Aus deinem Munde hören! Deinen Rath Entzieh' mir nicht! O sprich: was soll ich thun? Damit dein Bruder mir vergeben könne, Damit du selbst mir gern vergeben mögest, Damit ihr wieder zu den Euren mich Mit Freuden zählen möget. Sag' mir an.
Prinzessinn.
Gar wenig ist's, was wir von dir verlangen; Und dennoch scheint es allzu viel zu seyn. Du sollst dich selbst uns freundlich überlassen. Wir wollen nichts von dir, was du nicht bist, Wenn du nur erst dir mit dir selbst gefällst. Du machst uns Freude, wenn du Freude hast, Und du betrübst uns nur, wenn du sie fliehst; Und wenn du uns auch ungeduldig machst, So ist es nur, daß wir dir helfen möchten, Und, leider! sehn, daß nicht zu helfen ist; Wenn du nicht selbst des Freundes Hand ergreifst, Die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.
Tasso.
Du bist es selbst, wie du zum erstenmal, Ein heil'ger Engel, mir entgegen kamst! Verzeih' dem trüben Blick des Sterblichen, Wenn er auf Augenblicke dich verkannt. Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet sich Die Seele, nur dich ewig zu verehren. Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit – Sie ist's, sie steht vor mir. Welch ein Gefühl! Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht? Ist's Raserey? Ist's ein erhöhter Sinn, Der erst die höchste, reinste Wahrheit faßt? Ja, es ist das Gefühl, das mich allein Auf dieser Erde glücklich machen kann, Das mich allein so elend werden ließ, Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen Es bannen wollte. Diese Leidenschaft Gedacht' ich zu bekämpfen; stritt und stritt Mit meinem tiefsten Seyn, zerstörte frech Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst.
Prinzessinn.
Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll, So mäßige die Gluth, die mich erschreckt.
Tasso.
Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein, Der schäumend wallt und brausend überschwillt? Mit jedem Wort' erhöhest du mein Glück, Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller. Ich fühle mich im innersten verändert, Ich fühle mich von aller Noth entladen, Frey wie ein Gott, und alles dank' ich dir! Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht, Entfließet deinen Lippen; ja, du machst Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir Von meinem ganzen Ich mir künftig an. Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht, Es schwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß nicht mehr. Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir, Und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu. Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen, So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin.
Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich.
Prinzessinn. ihn von sich stoßend und hinweg eilend.
Hinweg!
Leonore. die sich schon eine Weile im Grunde sehen lassen, herbey eilend.
Was ist geschehen? Tasso! Tasso!
Sie geht der Prinzessinn nach.
Tasso. im Begriff ihnen zu folgen.
O Gott!
Alphons. der sich schon eine Zeit lang mit Antonio genähert.
Er kommt von Sinnen, halt ihn fest.
ab.
Fünfter Auftritt.
Tasso. Antonio
Antonio.
O stünde jetzt, so wie du immer glaubst Daß du von Feinden rings umgeben bist, Ein Feind bey dir, wie würd' er triumphiren? Unglücklicher, noch kaum erhohl' ich mich! Wenn ganz was unerwartetes begegnet, Wenn unser Blick was ungeheures sieht, Steht unser Geist auf eine Weile still, Wir haben nichts, womit wir das vergleichen.
Tasso. nach einer langen Pause.
Vollende nur dein Amt, ich seh' du bist's! Ja du verdienst das fürstliche Vertraun; Vollende nur dein Amt, und martre mich, Da mir der Stab gebrochen ist, noch langsam Zu Tode! Ziehe! Zieh' am Pfeile nur, Daß ich den Widerhaken grimmig fühle, Der mich zerfleischt! Du bist ein theures Werkzeug des Tyrannen, Sey Kerkermeister, sey der Marterknecht, Wie wohl! wie eigen steht dir beydes an!
Gegen die Scene.
Ja, gehe nur, Tyrann! Du konntest dich Nicht bis zuletzt verstellen, triumphire! Du hast den Sclaven wohl gekettet, hast Ihn wohl gespart zu ausgedachten Qualen: Geh' nur, ich hasse dich, ich fühle ganz Den Abscheu, den die Übermacht erregt, Die frevelhaft und ungerecht ergreift.
Nach einer Pause.
So seh' ich mich am Ende denn verbannt, Verstoßen und verbannt als Bettler hier? So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt Als Opferthier vor den Altar zu führen! So lockte man mir noch am letzten Tage Mein einzig Eigenthum, mir mein Gedicht Mit glatten Worten ab, und hielt es fest! Mein einzig Gut ist nun in euren Händen, Das mich an jedem Ort empfohlen hätte: Das mir noch blieb vom Hunger mich zu retten! Jetzt seh' ich wohl, warum ich feyern soll. Es ist Verschwörung, und du bist das Haupt. Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde, Daß nur mein Name sich nicht mehr verbreite, Daß meine Neider tausend Schwächen finden, Daß man am Ende meiner gar vergesse; Drum soll ich mich zum Müßiggang gewöhnen, Drum soll ich mich und meine Sinne schonen. O werthe Freundschaft, theure Sorglichkeit! Abscheulich dacht' ich die Verschwörung mir, Die unsichtbar und rastlos mich umspann, Allein abscheulicher ist es geworden.
Und du, Sirene! die du mich so zart, So himmlisch angelockt, ich sehe nun Dich auf einmal! O Gott, warum so spät?
Allein wir selbst betrügen uns so gern, Und ehren die Verworfnen, die uns ehren. Die Menschen kennen sich einander nicht; Nur die Galerensclaven kennen sich, Die eng' an Eine Bank geschmiedet keuchen; Wo keiner was zu fordern hat und keener Was zu verlieren hat, die kennen sich! Wo jeder sich für einen Schelmen gibt, Und seines Gleichen auch für Schelmen nimmt. Doch wir verkennen nur die andern höflich, Damit sie wieder uns verkennen sollen.
Wie lang' verdeckte mir dein heilig Bild Die Buhlerinn, die kleine Künste treibt. Die Maske fällt, Armiden seh' ich nun Entblößt von allen Reitzen – ja, du bist's! Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!
Und die verschmitzte kleine Mittlerinn! Wie tief erniedrigt seh' ich sie vor mir! Ich höre nun die leisen Tritte rauschen, Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich. Euch alle kenn' ich! Sey mir das genug! Und wenn das Elend alles mir geraubt, So preis' ich's doch; die Wahrheit lehrt es mich.
Antonio.
Ich höre, Tasso, dich mit Staunen an, So sehr ich weiß, wie leicht dein rascher Geist Von einer Gränze zu der andern schwankt. Besinne dich! Gebiethe dieser Wuth! Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort, Das deinen Schmerzen zu verzeihen ist, Doch das du selbst dir nie verzeihen kannst.
Tasso.
O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu, Laß mich kein kluges Wort von dir vernehme Laß mir das dumpfe Glück, damit ich nicht Mich erst besinne, dann von Sinnen komme. Ich fühle mir das innerste Gebein Zerschmettert, und ich leb' um es zu fühlen. Verzweiflung faßt mit aller Wuth mich an, Und in der Höllenqual, die mich vernichtet, Wird Läst'rung nur ein leiser Schmerzenslaut. Ich will hinweg! Und wenn du redlich bist, So zeig' es mir, und laß mich gleich von hinnen.
Antonio.
Ich werde dich in dieser Noth nicht lassen; Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht, So soll mir's an Geduld gewiß nicht fehlen.
Tasso.
So muß ich mich dir denn gefangen geben? Ich gebe mich, und so ist es gethan; Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl – Und laß es dann mich schmerzlich wiederhohlen, Wie schön es war, was ich mir selbst verscherzte. Sie gehn hinweg – O Gott! dort seh' ich schon Den Staub, der von den Wagen sich erhebt – Die Reiter sind voraus – Dort fahren sie, Dort gehn sie hin! Kam ich nicht auch daher? Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich. O küßt' ich nur noch einmal seine Hand! O daß ich nur noch Abschied nehmen könnte! Nur einmal noch zu sagen: O verzeiht! Nur noch zu hören: Geh', dir ist verziehn! Allein ich hör' es nicht, ich hör' es nie – Ich will ja gehn! Laßt mich nur Abschied nehmen, Nur Abschied nehmen! Gebt, o gebt mir nur Auf einen Augenblick die Gegenwart Zurück! Vielleicht genes' ich wieder. Nein, Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe Mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme Nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht, Nicht mehr begegnen –
Antonio.
Laß eines Mannes Stimme dich erinnern, Der neben dir nicht ohne Rührung steht! Du bist so elend nicht, als wie du glaubst. Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.
Tasso.
Und bin ich denn so elend wie ich scheine? Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige Ist alles denn verloren? Hat der Schmerz, Als schütterte der Boden, das Gebäude In einen grausen Haufen Schutt verwandelt? Ist kein Talent mehr übrig, tausendfältig Mich zu zerstreun, zu unterstützen? Ist alle Kraft verloschen, die sich sonst In meinem Busen regte? Bin ich Nichts, Ganz Nichts geworden? Nein, es ist alles da, und ich bin nichts; Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir!
Antonio.
Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst, Vergleiche dich! Erkenne was du bist!
Tasso.
Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! – Hilft denn kein Beyspiel der Geschichte mehr? Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt; Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse? Nein, Alles ist dahin! – Nur Eines bleibt: Die Thräne hat uns die Natur verliehen, Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt – Und mir noch über alles – Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefste Fülle meiner Noth zu klagen: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.
Antonio. tritt zu ihm und nimmt ihn bey der Hand.
Tasso.
O edler Mann! Du stehest fest und still, Ich scheine nur die sturmbewegte Welle. Allein bedenk', und überhebe nicht Dich deiner Kraft! Die mächtige Natur, Die diesen Felsen gründete, hat auch Der Welle die Beweglichkeit gegeben. Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über. In dieser Woge spiegelte so schön Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte. Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe. Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr, Und schäme mich nicht mehr es zu bekennen. Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt Der Boden unter meinen Füßen auf! Ich fasse dich mit beyden Armen an! So klammert sich der Schiffer endlich noch Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.