Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe
Fünfter Aufzug.
Erster Auftritt.
Garten.
Alphons. Antonio.
Antonio.
Auf deinen Wink ging ich das zweytemal Zu Tasso hin, ich komme von ihm her. Ich hab' ihm zugeredet, ja gedrungen; Allein er geht von seinem Sinn nicht ab, Und bittet sehnlich, daß du ihn nach Rom Auf eine kurze Zeit entlassen mögest.
Alphons.
Ich bin verdrießlich, daß ich dir's gestehe, Und lieber sag' ich dir, daß ich es bin, Als daß ich den Verdruß verberg' und mehre. Er will verreisen; gut, ich halt' ihn nicht: Er will hinweg, er will nach Rom; es sey! Nur daß mir Scipio Gonzaga nicht, Der kluge Medicis, ihn nicht entwende! Das hat Italien so groß gemacht, Daß jeder Nachbar mit dem andern streitet, Die Bessern zu besitzen, zu benutzen. Ein Feldherr ohne Heer scheint mir ein Fürst, Der die Talente nicht um sich versammelt. Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, Ist ein Barbar, er sey auch wer er sey. Gefunden hab' ich diesen und gewählt, Ich bin auf ihn als meinen Diener stolz, Und da ich schon für ihn so viel gethan, So möcht' ich ihn nicht ohne Noth verlieren.
Antonio.
Ich bin verlegen, denn ich trage doch Vor dir die Schuld von dem, was heut geschah; Auch will ich meinen Fehler gern gestehn, Er bleibet deiner Gnade zu verzeihn: Doch wenn du glauben könntest, daß ich nicht Das Mögliche gethan ihn zu versöhnen, So würd' ich ganz untröstlich seyn. O! sprich Mit holdem Blick mich an, damit ich wieder Mich fassen kann, mir selbst vertrauen mag.
Alphons.
Antonio, nein, da sey nur immer ruhig, Ich schreib' es dir auf keine Weise zu; Ich kenne nur zu gut den Sinn des Mannes, Und weiß nur allzu wohl was ich gethan, Wie sehr ich ihn geschont, wie sehr ich ganz Vergessen, daß ich eigentlich an ihm Zu fordern hätte. Über vieles kann Der Mensch zum Herrn sich machen, seinen Sinn Bezwinget kaum die Noth und lange Zeit.
Antonio.
Wenn andre vieles um den Einen thun; So ist's auch billig, daß der Eine wieder Sich fleißig frage, was den andern nützt. Wer seinen Geist so viel gebildet hat, Wer jede Wissenschaft zusammengeitzt, Und jede Kenntniß, die uns zu ergreifen Erlaubt ist, sollte der sich zu beherrschen Nicht doppelt schuldig seyn? Und denkt er dran?
Alphons.
Wir sollen eben nicht in Ruhe bleiben! Gleich wird uns, wenn wir zu genießen denken, Zur Übung unsrer Tapferkeit ein Feind, Zur Übung der Geduld ein Freund gegeben.
Antonio.
Die erste Pflicht des Menschen, Speis' und Trank Zu wählen, da ihn die Natur so eng' Nicht wie das Thier beschränkt, erfüllt er die? Und läßt er nicht vielmehr sich wie ein Kind Von allem reitzen, was dem Gaumen schmeichelt? Wann mischt er Wasser unter seinen Wein? Gewürze, süße Sachen, stark Getränke, Eins um das andre schlingt er hastig ein, Und dann beklagt er seinen trüben Sinn, Sein feurig Blut, sein allzu heftig Wesen, Er schilt auf die Natur und das Geschick. Wie bitter und wie thöricht hab' ich ihn Nicht oft mit seinem Arzte rechten sehn; Zum Lachen fast, wär' irgend lächerlich Was einen Menschen quält und andre plagt. »Ich fühle dieses Übel,« sagt er bänglich Und voll Verdruß: »Was rühmt ihr eure Kunst? »Schafft mir Genesung!« Gut versetzt der Arzt, So meidet das und das – »Das kann ich nicht« – So nehmet diesen Trank – »O nein! der schmeckt »Abscheulich, er empört mir die Natur« – So trinkt denn Wasser – »Wasser? nimmermehr! »Ich bin so wasserscheu als ein Gebißner –« So ist euch nicht zu helfen – Und warum?« – »Das Übel wird sich stets mit Übeln häufen, Und, wenn es euch nicht tödten kann, nur mehr Und mehr mit jedem Tag euch quälen –« Schön! »Wofür seyd ihr ein Arzt? Ihr kennt mein Übel, »Ihr solltet auch die Mittel kennen, sie »Auch schmackhaft machen, daß ich nicht noch erst, »Der Leiden los zu seyn, recht leiden müsse.« Du lächelst selbst und doch ist es gewiß, Du hast es wohl aus seinem Mund gehört?
Alphons.
Ich hab' es oft gehört und oft entschuldigt.
Antonio.
Es ist gewiß, ein ungemäßigt Leben, Wie es uns schwere, wilde Träume gibt, Macht uns zuletzt am hellen Tage träumen. Was ist sein Argwohn anders als ein Traum? Wohin er tritt, glaubt er von Feinden sich Umgeben. Sein Talent kann niemand sehn, Der ihn nicht neidet, niemand ihn beneiden, Der ihn nicht haßt und bitter ihn verfolgt. So hat er oft mit Klagen dich belästigt: Erbrochne Schlösser, aufgefangne Briefe, Und Gift und Dolch! Was alles vor ihm schwebt! Du hast es untersuchen lassen, untersucht, Und hast du was gefunden? Kaum den Schein. Der Schutz von keinem Fürsten macht ihn sicher, Der Busen keines Freundes kann ihn laben. Und willst du einem solchen Ruh' und Glück, Willst du von ihm wohl Freude dir versprechen?
Alphons.
Du hättest Recht, Antonio, wenn in ihm Ich meinen nächsten Vortheil suchen wollte! Zwar ist es schon mein Vortheil, daß ich nicht Den Nutzen g'rad' und unbedingt erwarte. Nicht alles dienet uns auf gleiche Weise; Wer vieles brauchen will, gebrauche jedes In seiner Art, so ist er wohl bedient. Das haben uns die Medicis gelehrt, Das haben uns die Päbste selbst gewiesen. Mit welcher Nachsicht, welcher fürstlichen Geduld und Langmuth trugen diese Männer Manch groß Talent, das ihrer reichen Gnade Nicht zu bedürfen schien und doch bedurfte!
Antonio.
Wer weiß es nicht, mein Fürst? Des Lebens Mühe Lehrt uns allein des Lebens Güter schätzen. So jung hat er zu vieles schon erreicht, Als daß genügsam er genießen könnte. O sollt' er erst erwerben, was ihm nun Mit offnen Händen angebothen wird; Er strengte seine Kräfte männlich an, Und fühlte sich von Schritt zu Schritt begnügt. Ein armer Edelmann hat schon das Ziel Von seinem besten Wunsch erreicht, wenn ihn Ein edler Fürst zu seinem Hofgenossen Erwählen will, und ihn der Dürftigkeit Mit milder Hand entzieht. Schenkt er ihm noch Vertraun und Gunst', und will an seine Seite Vor andern ihn erheben, sey's im Krieg, Sey's in Geschäften oder im Gespräch; So dächt' ich, könnte der bescheidne Mann Sein Glück mit stiller Dankbarkeit verehren. Und Tasso hat zu allem diesem noch Das schönste Glück des Jünglings: daß ihn schon Sein Vaterland erkennt und auf ihn hofft. O glaube mir, sein launisch Mißbehagen Ruht auf dem breiten Polster seines Glücks. Er kommt, entlaß ihn gnädig, gib ihm Zeit, In Rom und in Neapel, wo er will, Das aufzusuchen, was er hier vermißt, Und was er hier nur wiederfinden kann.
Alphons.
Will er zurück erst nach Ferrara gehn?
Antonio.
Er wünscht in Belriguardo zu verweilen. Das nöthigste, was er zur Reise braucht, Will er durch einen Freund sich senden lassen.
Alphons.
Ich bin's zufrieden. Meine Schwester geht Mit ihrer Freundinn gleich zurück, und reitend Werd' ich vor ihnen noch zu Hause seyn. Du folgst uns bald, wenn du für ihn gesorgt. Dem Castellan befiehl das Nöthige, Daß er hier auf dem Schlosse bleiben kann, So lang' er will, so lang' bis seine Freunde Ihm das Gepäck gesendet, bis wir ihm Die Briefe schicken, die ich ihm nach Rom Zu geben Willens bin. Er kommt! Leb' wohl!
Zweyter Auftritt.
Alphons. Tasso.
Tasso mit Zurückhaltung.
Die Gnade, die du mir so oft bewiesen, Erscheinet heute mir in vollem Licht. Du hast verziehen, was in deiner Nähe Ich unbedacht und frevelhaft beging, Du hast den Widersacher mir versöhnt, Du willst erlauben, daß ich eine Zeit Von deiner Seite mich entferne, willst Mir deine Gunst großmüthig vorbehalten. Ich scheide nun mit völligem Vertraun, Und hoffe still, mich soll die kleine Frist Von allem heilen, was mich jetzt beklemmt. Es soll mein Geist auf's neue sich erheben, Und auf dem Wege, den ich froh und kühn, Durch deinen Blick ermuntert, erst betrat, Sich deiner Gunst auf's neue würdig machen.
Alphons.
Ich wünsche dir zu deiner Reise Glück, Und hoffe, daß du froh und ganz geheilt Uns wieder kommen wirst. Du bringst uns dann Den doppelten Gewinst für jede Stunde, Die du uns nun entziehst, vergnügt zurück. Ich gebe Briefe dir an meine Leute, An Freunde dir nach Rom, und wünsche sehr, Daß du dich zu den Meinen überall Zutraulich halten mögest, wie ich dich Als mein, obgleich entfernt, gewiß betrachte.
Tasso.
Du überhäufst, o Fürst, mit Gnade den, Der sich unwürdig fühlt, und selbst zu danken In diesem Augenblicke nicht vermag. Anstatt des Danks eröffn' ich eine Bitte! Am meisten liegt mir mein Gedicht am Herzen. Ich habe viel gethan und keine Mühe Und keinen Fleiß gespart, allein es bleibt Zu viel mir noch zurück. Ich möchte dort, Wo noch der Geist der großen Männer schwebt, Und wirksam schwebt, dort möcht' ich in die Schule Auf's neue mich begeben; würdiger Erfreute deines Beyfalls sich mein Lied. O gib die Blätter mir zurück, die ich Jetzt nur beschämt in deinen Händen weiß.
Alphons.
Du wirst mir nicht an diesem Tage nehmen, Was du mir kaum an diesem Tag gebracht? Laß zwischen dich und zwischen dein Gedicht Mich als Vermittler treten; hüte dich Durch strengen Fleiß die liebliche Natur Zu kränken, die in deinen Reimen lebt, Und höre nicht auf Rath von allen Seiten! Die tausendfältigen Gedanken vieler Verschiedner Menschen, die im Leben sich Und in der Meinung widersprechen, faßt Der Dichter klug in Eins, und scheut sich nicht Gar manchem zu mißfallen, daß er manchem Um desto mehr gefallen möge. Doch Ich sage nicht, daß du nicht hie und da Bescheiden deine Feile brauchen solltest; Verspreche dir zugleich, in kurzer Zeit Erhältst du abgeschrieben dein Gedicht. Es bleibt von deiner Hand in meinen Händen, Damit ich seiner erst mit meinen Schwestern Mich recht erfreuen möge. Bringst du es Vollkommner dann zurück; wir werden uns Des höheren Genusses freun, und dich Bey mancher Stelle nur als Freunde warnen.
Tasso.
Ich wiederhohle nur beschämt die Bitte: Laß mich die Abschrift eilig haben, ganz Ruht mein Gemüth auf diesem Werke nun. Nun muß es werden was es werden kann.
Alphons.
Ich billige den Trieb der dich beseelt! Doch, guter Tasso, wenn es möglich wäre, So solltest du erst eine kurze Zeit Der freyen Welt genießen, dich zerstreuen, Dein Blut durch eine Cur verbessern. Dir Gewährte dann die schöne Harmonie Der hergestellten Sinne, was du nun Im trüben Eifer nur vergebens suchst.
Tasso.
Mein Fürst, so scheint es; doch, ich bin gesund, Wenn ich mich meinem Fleiß ergeben kann, Und so macht wieder mich der Fleiß gesund. Du hast mich lang' gesehn, mir ist nicht wohl In freyer Üppigkeit. Mir läßt die Ruh' Am mind'sten Ruhe. Dieß Gemüth ist nicht Von der Natur bestimmt, ich fühl' es leider, Auf weichem Element der Tage froh In's weite Meer der Zeiten hinzuschwimmen.
Alphons.
Dich führet alles, was du sinnst und treibst, Tief in dich selbst. Es liegt um uns herum Gar mancher Abgrund, den das Schicksal grub; Doch hier in unserm Herzen ist der tiefste, Und reitzend ist es sich hinab zu stürzen. Ich bitte dich, entreiße dich dir selbst! Der Mensch gewinnt, was der Poet verliert.
Tasso.
Ich halte diesen Drang vergebens auf, Der Tag und Nacht in meinem Busen wechselt. Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll, So ist das Leben mir kein Leben mehr. Verbiethe du dem Seidenwurm zu spinnen, Wenn er sich schon dem Tode näher spinnt. Das köstliche Geweb' entwickelt er Aus seinem Innersten, und läßt nicht ab, Bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen. O geb' ein guter Gott uns auch dereinst Das Schicksal des beneidenswerthen Wurms, Im neuen Sonnenthal die Flügel rasch Und freudig zu entfalten!
Alphons.
Höre mich! Du gibst so vielen doppelten Genuß Des Lebens, lern', ich bitte dich, Den Werth des Lebens kennen, das du noch Und zehnfach reich besitzest. Lebe wohl! Je eher du zu uns zurücke kehrst, Je schöner wirst du uns willkommen seyn.
Dritter Auftritt.
Tasso allein.
So halte fest, mein Herz, so war es recht! Es wird dir schwer, es ist das erstemal, Daß du dich so verstellen magst und kannst. Du hörtest wohl, das war nicht sein Gemüth, Das waren seine Worte nicht; mir schien, Als klänge nur Antonio's Stimme wieder. O gib nur Acht! Du wirst sie nun so fort Von allen Seiten hören. Fest, nur fest! Um einen Augenblick ist's noch zu thun. Wer spät im Leben sich verstellen lernt, Der hat den Schein der Ehrlichkeit voraus, Es wird schon gehn, nur übe dich mit ihnen.
Nach einer Pause.
Du triumphirst zu früh, dort kommt sie her! Die holde Fürstinn kommt! O welch Gefühl! Sie tritt herein, es lös't in meinem Busen Verdruß und Argwohn sich in Schmerzen auf
Vierter Auftritt.
Prinzessinn. Tasso.
Gegen das Ende des Auftritts Die Übrigen.
Prinzessinn.
Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst Vielmehr in Belriguardo noch zurück, Und willst dich dann von uns entfernen, Tasso? Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit. Du gehst nach Rom?
Tasso.
Ich richte meinen Weg Zuerst dahin, und nehmen meine Freunde Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf, So leg' ich da mit Sorgfalt und Geduld Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht. Ich finde viele Männer dort versammelt, Die Meister aller Art sich nennen dürfen. Und spricht in jener ersten Stadt der Welt Nicht jeder Platz nicht jeder Stein zu uns? Wie viele tausend stumme Lehrer winken In ernster Majestät uns freundlich an! Vollend' ich da nicht mein Gedicht, so kann Ich's nie vollenden. Leider, ach, schon fühl' ich, Mir wird zu keinem Unternehmen Glück! Verändern werd' ich es, vollenden nie. Ich fühl', ich fühl' es wohl, die große Kunst, Die jeden nährt, die den gesunden Geist Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten, Vertreiben wird sie mich. Ich eile fort! Nach Napel will ich bald!
Prinzessinn.
Darfst du es wagen? Noch ist der strenge Bann nicht aufgehoben, Der dich zugleich mit deinem Vater traf
Tasso.
Du warnest recht, ich hab' es schon bedacht. Verkleidet geh' ich hin, den armen Rock Des Pilgers oder Schäfers zieh' ich an. Ich schleiche durch die Stadt, wo die Bewegung Der Tausende den Einen leicht verbirgt. Ich eile nach dem Ufer, finde dort Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten, Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun Nach Hause kehren, Leute von Sorrent; Denn ich muß nach Sorrent hinüber eilen. Dort wohnet meine Schwester, die mit mir Die Schmerzensfreude meiner Eltern war. Im Schiffe bin ich still, und trete dann Auch schweigend an das Land, ich gehe sacht Den Pfad hinauf, und an dem Thore frag' ich: Wo wohnt Cornelia? Zeigt mir es an! Cornelia Sersale? Freundlich deutet Mir eine Spinnerinn die Straße, sie Bezeichnet mir das Haus. So steig' ich weiter. Die Kinder laufen nebenher und schauen Das wilde Haar, den düstern Fremdling an. So komm' ich an die Schwelle. Offen steht Die Thüre schon, so tret' ich in das Haus –
Prinzessinn.
Blick' auf, o Tasso, wenn es möglich ist, Erkenne die Gefahr, in der du schwebst! Ich schone dich; denn sonst würd' ich dir sagen: Ist's edel so zu reden, wie du sprichst? Ist's edel nur allein an sich zu denken, Als kränktest du der Freunde Herzen nicht? Ist's dir verborgen wie mein Bruder denkt? Wie beyde Schwestern dich zu schätzen wissen? Hast du es nicht empfunden und erkannt? Ist alles denn in wenig Augenblicken Verändert? Tasso! Wenn du scheiden willst, So laß uns Schmerz und Sorge nicht zurück.
Tasso. wendet sich weg.
Prinzessinn.
Wie tröstlich ist es einem Freunde, der Auf eine kurze Zeit verreisen will, Ein klein Geschenk zu geben, sey es nur Ein neuer Mantel, oder eine Waffe! Dir kann man nichts mehr geben, denn du wirfst Unwillig alles weg, was du besitzest. Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel, Den langen Stab erwählst du dir, und gehst Freywillig arm dahin, und nimmst uns weg, Was du mit uns allein genießen konntest.
Tasso.
So willst du mich nicht ganz und gar verstoßen? O süßes Wort, o schöner, theurer Trost, Vertritt mich! Nimm in deinen Schutz mich auf! – Laß mich in Belriguardo hier, versetze Mich nach Consandoli, wohin du willst! Es hat der Fürst so manches schöne Schloß, So manchen Garten, der das ganze Jahr Gewartet wird, und ihr betretet kaum Ihn Einen Tag, vielleicht nur Eine Stunde. Ja wählet den entferntsten aus, den ihr In ganzen Jahren nicht besuchen geht, Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt, Dort schickt mich hin! Dort laßt mich euer seyn! Wie will ich deine Bäume pflegen! Die Citronen Im Herbst mit Bretern und mit Ziegeln decken, Und mit verbund'nem Rohre wohl verwahren! Es sollen schöne Blumen in den Beeten Die breiten Wurzeln schlagen, rein und zierlich Soll jeder Gang und jedes Fleckchen seyn. Und laßt mir auch die Sorge des Pallastes! Ich will zur rechten Zeit die Fenster öffnen, Daß Feuchtigkeit nicht den Gemählden schade; Die schön mit Stuckatur verzierten Wände Will ich mit einem leichten Wedel säubern, Es soll das Estrich blank und reinlich glänzen, Es soll kein Stein, kein Ziegel sich verrücken, Es soll kein Gras aus einer Ritze keimen!
Prinzessinn.
Ich finde keinen Rath in meinem Busen, Und finde keinen Trost für dich und – – uns. Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott Uns Hülfe reichen möchte? Möchte mir Ein heilsam Kraut entdecken, einen Trank, Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns. Das treuste Wort, das von der Lippe fließt, Das schönste Heilungsmittel wirkt nicht mehr. Ich muß dich lassen, und verlassen kann Mein Herz dich nicht.
Tasso.
Ihr Götter, ist sie's doch, Die mit dir spricht und deiner sich erbarmt? Und konntest du das edle Herz verkennen? War's möglich, daß in ihrer Gegenwart Der Kleinmuth dich ergriff und dich bezwang? Nein, nein, du bist's! und nun ich bin es auch. O fahre fort, und laß mich jeden Trost Aus deinem Munde hören! Deinen Rath Entzieh' mir nicht! O sprich: was soll ich thun? Damit dein Bruder mir vergeben könne, Damit du selbst mir gern vergeben mögest, Damit ihr wieder zu den Euren mich Mit Freuden zählen möget. Sag' mir an.
Prinzessinn.
Gar wenig ist's, was wir von dir verlangen; Und dennoch scheint es allzu viel zu seyn. Du sollst dich selbst uns freundlich überlassen. Wir wollen nichts von dir, was du nicht bist, Wenn du nur erst dir mit dir selbst gefällst. Du machst uns Freude, wenn du Freude hast, Und du betrübst uns nur, wenn du sie fliehst; Und wenn du uns auch ungeduldig machst, So ist es nur, daß wir dir helfen möchten, Und, leider! sehn, daß nicht zu helfen ist; Wenn du nicht selbst des Freundes Hand ergreifst, Die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.
Tasso.
Du bist es selbst, wie du zum erstenmal, Ein heil'ger Engel, mir entgegen kamst! Verzeih' dem trüben Blick des Sterblichen, Wenn er auf Augenblicke dich verkannt. Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet sich Die Seele, nur dich ewig zu verehren. Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit – Sie ist's, sie steht vor mir. Welch ein Gefühl! Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht? Ist's Raserey? Ist's ein erhöhter Sinn, Der erst die höchste, reinste Wahrheit faßt? Ja, es ist das Gefühl, das mich allein Auf dieser Erde glücklich machen kann, Das mich allein so elend werden ließ, Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen Es bannen wollte. Diese Leidenschaft Gedacht' ich zu bekämpfen; stritt und stritt Mit meinem tiefsten Seyn, zerstörte frech Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst.
Prinzessinn.
Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll, So mäßige die Gluth, die mich erschreckt.
Tasso.
Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein, Der schäumend wallt und brausend überschwillt? Mit jedem Wort' erhöhest du mein Glück, Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller. Ich fühle mich im innersten verändert, Ich fühle mich von aller Noth entladen, Frey wie ein Gott, und alles dank' ich dir! Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht, Entfließet deinen Lippen; ja, du machst Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir Von meinem ganzen Ich mir künftig an. Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht, Es schwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß nicht mehr. Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir, Und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu. Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen, So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin.
Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich.
Prinzessinn. ihn von sich stoßend und hinweg eilend.
Hinweg!
Leonore. die sich schon eine Weile im Grunde sehen lassen, herbey eilend.
Was ist geschehen? Tasso! Tasso!
Sie geht der Prinzessinn nach.
Tasso. im Begriff ihnen zu folgen.
O Gott!
Alphons. der sich schon eine Zeit lang mit Antonio genähert.
Er kommt von Sinnen, halt ihn fest.
ab.
Fünfter Auftritt.
Tasso. Antonio
Antonio.
O stünde jetzt, so wie du immer glaubst Daß du von Feinden rings umgeben bist, Ein Feind bey dir, wie würd' er triumphiren? Unglücklicher, noch kaum erhohl' ich mich! Wenn ganz was unerwartetes begegnet, Wenn unser Blick was ungeheures sieht, Steht unser Geist auf eine Weile still, Wir haben nichts, womit wir das vergleichen.
Tasso. nach einer langen Pause.
Vollende nur dein Amt, ich seh' du bist's! Ja du verdienst das fürstliche Vertraun; Vollende nur dein Amt, und martre mich, Da mir der Stab gebrochen ist, noch langsam Zu Tode! Ziehe! Zieh' am Pfeile nur, Daß ich den Widerhaken grimmig fühle, Der mich zerfleischt! Du bist ein theures Werkzeug des Tyrannen, Sey Kerkermeister, sey der Marterknecht, Wie wohl! wie eigen steht dir beydes an!
Gegen die Scene.
Ja, gehe nur, Tyrann! Du konntest dich Nicht bis zuletzt verstellen, triumphire! Du hast den Sclaven wohl gekettet, hast Ihn wohl gespart zu ausgedachten Qualen: Geh' nur, ich hasse dich, ich fühle ganz Den Abscheu, den die Übermacht erregt, Die frevelhaft und ungerecht ergreift.
Nach einer Pause.
So seh' ich mich am Ende denn verbannt, Verstoßen und verbannt als Bettler hier? So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt Als Opferthier vor den Altar zu führen! So lockte man mir noch am letzten Tage Mein einzig Eigenthum, mir mein Gedicht Mit glatten Worten ab, und hielt es fest! Mein einzig Gut ist nun in euren Händen, Das mich an jedem Ort empfohlen hätte: Das mir noch blieb vom Hunger mich zu retten! Jetzt seh' ich wohl, warum ich feyern soll. Es ist Verschwörung, und du bist das Haupt. Damit mein Lied nur nicht vollkommner werde, Daß nur mein Name sich nicht mehr verbreite, Daß meine Neider tausend Schwächen finden, Daß man am Ende meiner gar vergesse; Drum soll ich mich zum Müßiggang gewöhnen, Drum soll ich mich und meine Sinne schonen. O werthe Freundschaft, theure Sorglichkeit! Abscheulich dacht' ich die Verschwörung mir, Die unsichtbar und rastlos mich umspann, Allein abscheulicher ist es geworden.
Und du, Sirene! die du mich so zart, So himmlisch angelockt, ich sehe nun Dich auf einmal! O Gott, warum so spät?
Allein wir selbst betrügen uns so gern, Und ehren die Verworfnen, die uns ehren. Die Menschen kennen sich einander nicht; Nur die Galerensclaven kennen sich, Die eng' an Eine Bank geschmiedet keuchen; Wo keiner was zu fordern hat und keener Was zu verlieren hat, die kennen sich! Wo jeder sich für einen Schelmen gibt, Und seines Gleichen auch für Schelmen nimmt. Doch wir verkennen nur die andern höflich, Damit sie wieder uns verkennen sollen.
Wie lang' verdeckte mir dein heilig Bild Die Buhlerinn, die kleine Künste treibt. Die Maske fällt, Armiden seh' ich nun Entblößt von allen Reitzen – ja, du bist's! Von dir hat ahndungsvoll mein Lied gesungen!
Und die verschmitzte kleine Mittlerinn! Wie tief erniedrigt seh' ich sie vor mir! Ich höre nun die leisen Tritte rauschen, Ich kenne nun den Kreis, um den sie schlich. Euch alle kenn' ich! Sey mir das genug! Und wenn das Elend alles mir geraubt, So preis' ich's doch; die Wahrheit lehrt es mich.
Antonio.
Ich höre, Tasso, dich mit Staunen an, So sehr ich weiß, wie leicht dein rascher Geist Von einer Gränze zu der andern schwankt. Besinne dich! Gebiethe dieser Wuth! Du lästerst, du erlaubst dir Wort auf Wort, Das deinen Schmerzen zu verzeihen ist, Doch das du selbst dir nie verzeihen kannst.
Tasso.
O sprich mir nicht mit sanfter Lippe zu, Laß mich kein kluges Wort von dir vernehme Laß mir das dumpfe Glück, damit ich nicht Mich erst besinne, dann von Sinnen komme. Ich fühle mir das innerste Gebein Zerschmettert, und ich leb' um es zu fühlen. Verzweiflung faßt mit aller Wuth mich an, Und in der Höllenqual, die mich vernichtet, Wird Läst'rung nur ein leiser Schmerzenslaut. Ich will hinweg! Und wenn du redlich bist, So zeig' es mir, und laß mich gleich von hinnen.
Antonio.
Ich werde dich in dieser Noth nicht lassen; Und wenn es dir an Fassung ganz gebricht, So soll mir's an Geduld gewiß nicht fehlen.
Tasso.
So muß ich mich dir denn gefangen geben? Ich gebe mich, und so ist es gethan; Ich widerstehe nicht, so ist mir wohl – Und laß es dann mich schmerzlich wiederhohlen, Wie schön es war, was ich mir selbst verscherzte. Sie gehn hinweg – O Gott! dort seh' ich schon Den Staub, der von den Wagen sich erhebt – Die Reiter sind voraus – Dort fahren sie, Dort gehn sie hin! Kam ich nicht auch daher? Sie sind hinweg, sie sind erzürnt auf mich. O küßt' ich nur noch einmal seine Hand! O daß ich nur noch Abschied nehmen könnte! Nur einmal noch zu sagen: O verzeiht! Nur noch zu hören: Geh', dir ist verziehn! Allein ich hör' es nicht, ich hör' es nie – Ich will ja gehn! Laßt mich nur Abschied nehmen, Nur Abschied nehmen! Gebt, o gebt mir nur Auf einen Augenblick die Gegenwart Zurück! Vielleicht genes' ich wieder. Nein, Ich bin verstoßen, bin verbannt, ich habe Mich selbst verbannt, ich werde diese Stimme Nicht mehr vernehmen, diesem Blicke nicht, Nicht mehr begegnen –
Antonio.
Laß eines Mannes Stimme dich erinnern, Der neben dir nicht ohne Rührung steht! Du bist so elend nicht, als wie du glaubst. Ermanne dich! Du gibst zu viel dir nach.
Tasso.
Und bin ich denn so elend wie ich scheine? Bin ich so schwach, wie ich vor dir mich zeige Ist alles denn verloren? Hat der Schmerz, Als schütterte der Boden, das Gebäude In einen grausen Haufen Schutt verwandelt? Ist kein Talent mehr übrig, tausendfältig Mich zu zerstreun, zu unterstützen? Ist alle Kraft verloschen, die sich sonst In meinem Busen regte? Bin ich Nichts, Ganz Nichts geworden? Nein, es ist alles da, und ich bin nichts; Ich bin mir selbst entwandt, sie ist es mir!
Antonio.
Und wenn du ganz dich zu verlieren scheinst, Vergleiche dich! Erkenne was du bist!
Tasso.
Ja, du erinnerst mich zur rechten Zeit! – Hilft denn kein Beyspiel der Geschichte mehr? Stellt sich kein edler Mann mir vor die Augen, Der mehr gelitten, als ich jemals litt; Damit ich mich mit ihm vergleichend fasse? Nein, Alles ist dahin! – Nur Eines bleibt: Die Thräne hat uns die Natur verliehen, Den Schrey des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt Es nicht mehr trägt – Und mir noch über alles – Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede, Die tiefste Fülle meiner Noth zu klagen: Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.
Antonio. tritt zu ihm und nimmt ihn bey der Hand.
Tasso.
O edler Mann! Du stehest fest und still, Ich scheine nur die sturmbewegte Welle. Allein bedenk', und überhebe nicht Dich deiner Kraft! Die mächtige Natur, Die diesen Felsen gründete, hat auch Der Welle die Beweglichkeit gegeben. Sie sendet ihren Sturm, die Welle flieht Und schwankt und schwillt und beugt sich schäumend über. In dieser Woge spiegelte so schön Die Sonne sich, es ruhten die Gestirne An dieser Brust, die zärtlich sich bewegte. Verschwunden ist der Glanz, entflohn die Ruhe. Ich kenne mich in der Gefahr nicht mehr, Und schäme mich nicht mehr es zu bekennen. Zerbrochen ist das Steuer, und es kracht Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt Der Boden unter meinen Füßen auf! Ich fasse dich mit beyden Armen an! So klammert sich der Schiffer endlich noch Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.