Johann Wolfgang von Goethe
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Vierter Aufzug
Erster Auftritt
Zimmer.
Tasso allein.
Bist du aus einem Traum erwacht, und hat Der schöne Trug auf einmal dich verlassen? Hat dich nach einem Tag der höchsten Lust Ein Schlaf gebändigt, hält und ängstet nun Mit schweren Fesseln deine Seele? Ja, Du wachst und träumst. Wo sind die Stunden hin, Die um dein Haupt mit Blumenkränzen spielten? Die Tage, wo dein Geist mit freyer Sehnsucht Des Himmels ausgespanntes Blau durchdrang? Und dennoch lebst du noch, und fühlst dich an, Du fühlst dich an, und weißt nicht ob du lebst. Ist's meine Schuld, ist's eines andern Schuld, Daß ich mich nun als schuldig hier befinde? Hab, ich verbrochen, daß ich leiden soll? Ist nicht mein ganzer Fehler ein Verdienst? Ich sah ihn an, und ward vom guten Willen, Vom Hoffnungswahn des Herzens übereilt: Der sey ein Mensch, der menschlich Ansehn trägt. Ich ging mit off'nen Armen auf ihn los, Und fühlte Schloß und Riegel, keine Brust. O hatt' ich doch so klug mir ausgedacht, Wie ich den Mann empfangen wollte, der Von alten Zeiten mir verdächtig war! Allein was immer dir begegnet sey, So halte dich an der Gewißheit fest: Ich habe sie gesehn! Sie stand vor mir! Sie sprach zu mir, ich habe sie vernommen! Der Blick, der Ton, der Worte holder Sinn, Sie sind auf ewig mein, es raubt sie nicht Die Zeit, das Schicksal, noch das wilde Glück, Und hob mein Geist sich da zu schnell empor, Und ließ ich allzu rasch in meinem Busen Der Flamme Luft, die mich nun selbst verzehrt, So kann mich's nicht gereun, und wäre selbst Auf ewig das Geschick des Lebens hin. Ich widmete mich ihr, und folgte froh Dem Winke, der mich in's Verderben rief. Es sey! So hab' ich mich doch werth gezeigt Des köstlichen Vertrauns, das mich erquickt, In dieser Stunde selbst erquickt, die mir Die schwarze Pforte langer Trauerzeit Gewaltsam öffnet. – Ja, nun ist's gethan! Es geht die Sonne mir der schönsten Gunst Auf einmal unter; seinen holden Blick Entziehet mir der Fürst, und läßt mich hier Auf düstrem, schmalen Pfad verloren stehn. Das häßliche zweydeutige Geflügel, Das leidige Gefolg' der alten Nacht, Es schwärmt hervor und schwirrt mir um das Haupt. Wohin, wohin beweg' ich meinen Schritt? Dem Ekel zu entfliehn, der mich umsaußt, Dem Abgrund zu entgehn, der vor mir liegt?
Zweyter Auftritt.
Leonore. Tasso.
Leonore.
Was ist begegnet? Lieber Tasso, hat Dein Eifer dich, dein Argwohn so getrieben? Wie ist's geschehn? Wir alle stehn bestürzt. Und deine Sanftmuth, dein gefällig Wesen, Dein schneller Blick, dein richtiger Verstand, Mit dem du jedem gibst was ihm gehört, Dein Gleichmuth, der erträgt, was zu ertragen Der Edle bald, der Eitle selten lernt, Die kluge Herrschaft über Zung' und Lippe? – Mein theurer Freund, fast ganz verkenn' ich dich.
Tasso.
Und wenn das alles nun verloren wäre? Wenn einen Freund, den du einst reich geglaubt, Auf einmal du als einen Bettler fändest? Wohl hast du recht, ich bin nicht mehr ich selbst, Und bin's doch noch so gut als wie ich's war. Es scheint ein Räthsel, und doch ist es keins. Der stille Mond, der dich bey Nacht erfreut, Dein Auge, dein Gemüth mit seinem Schein Unwiderstehlich lockt, er schwebt am Tage Ein unbedeutend blasses Wölkchen hin. Ich bin vom Glanz des Tages überschienen, Ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr.
Leonore.
Was du mir sagst, mein Freund, versteh' ich nicht Wie du es sagst. Erkläre dich mit mir. Hat die Beleidigung des schroffen Mann's Dich so gekränkt, daß du dich selbst und uns So ganz verkennen magst? Vertraue mir.
Tasso.
Ich bin nicht der Beleidigte, du siehst Mich ja bestraft, weil ich beleidigt habe. Die Knoten vieler Worte lös't das Schwert Gar leicht und schnell, allein ich bin gefangen. Du weißt wohl kaum – erschrick nicht, zarte Freundinn – Du triffst den Freund in einem Kerker an. Mich züchtiget der Fürst wie einen Schüler. Ich will mit ihm nicht rechten, kann es nicht.
Leonore.
Du scheinest mehr, als billig ist, bewegt.
Tasso.
Hältst du mich für so schwach, für so ein Kind, Daß solch ein Fall mich gleich zerrütten könne? Das was geschehn ist, kränkt mich nicht so tief, Allein das kränkt mich, was es mir bedeutet. Laß meine Neider meine Feinde nur Gewähren! Frey und offen ist das Feld.
Leonore.
Du hast gar manchen fälschlich in Verdacht, Ich habe selbst mich überzeugen können. Und auch Antonio feindet dich nicht an, Wie du es wähnst. Der heutige Verdruß –
Tasso.
Den laß' ich ganz bey Seite, nehme nur Antonio wie er war und wie er bleibt. Verdrießlich fiel mir stets die steife Klugheit, Und daß er immer nur den Meister spielt. Anstatt zu forschen, ob des Hörers Geist Nicht schon für sich auf guten Spuren wandle, Belehrt er dich von manchem, das du besser Und tiefer fühltest, und vernimmt kein Wort, Das du ihm sagst, und wird dich stets verkennen. Verkannt zu seyn, verkannt von einem Stolzen, Der lächelnd dich zu übersehen glaubt! Ich bin so alt noch nicht und nicht so klug, Daß ich nur duldend gegenlächeln sollte. Früh oder spat, es konnte sich nicht halten, Wir mußten brechen; später wär' es nur, Um desto schlimmer worden. Einen Herrn Erkenn' ich nur, den Herrn der mich ernährt, Dem folg' ich gern, sonst will ich keinen Meister. Frey will ich seyn im Denken und im Dichten, Im Handeln schränkt die Welt genug uns ein.
Leonore.
Er spricht mit Achtung oft genug von dir.
Tasso.
Mit Schonung willst du sagen, fein und klug. Und das verdrießt mich eben; denn er weiß So glatt und so bedingt zu sprechen, daß Sein Lob erst recht zum Tadel wird, und daß Nichts mehr, nichts tiefer dich verletzt, als Lob Aus seinem Munde.
Leonore.
Möchtest du, mein Freund Vernommen haben, wie er sonst von dir Und dem Talente sprach, das dir vor vielen Die gütige Natur verlieh. Er fühlt gewiß, Das was du bist und hast, und schätzt es auch.
Tasso.
O glaube mir, ein selbstisches Gemüth Kann nicht der Qual des engen Neid's entfliehen. Ein solcher Mann verzeiht dem andern wohl Vermögen, Stand und Ehre; denn er denkt, Das hast du selbst, das hast du wenn du willst, Wenn du beharrst, wenn dich das Glück begünstigt. Doch das, was die Natur allein verleiht, Was jeglicher Bemühung, jedem Streben Stets unerreichbar bleibt, was weder Gold, Noch Schwert, noch Klugheit, noch Beharrlichkeit Erzwingen kann, das wird er nie verzeihn. Er gönnt es mir? Er, der mit steifem Sinn Die Gunst der Musen zu ertrotzen glaubt? Der, wenn er die Gedanken mancher Dichter Zusammenreiht, sich selbst ein Dichter scheint? Weit eher gönnt er mir des Fürsten Gunst, Die er doch gern auf sich beschränken möchte, Als das Talent, das jene Himmlischen Dem armen, dem verwais'ten Jüngling gaben.
Leonore.
O sähest du so klar, wie ich es sehe! Du irrst dich über ihn, so ist er nicht.
Tasso.
Und irr' ich mich an ihm, so irr' ich gern! Ich denk' ihn mir als meinen ärgsten Feind, Und wär' untröstlich, wenn ich mir ihn nun Gelinder denken müßte. Thöricht ist's In allen Stücken billig seyn; es heißt Sein eigen Selbst zerstören. Sind die Menschen Denn gegen uns so billig? Nein, o nein! Der Mensch bedarf in seinem engen Wesen Der doppelten Empfindung, Lieb' und Haß. Bedarf er nicht der Nacht als wie des Tag's? Des Schlafens wie des Wachens? Nein, ich muß Von nun an diesen Mann als Gegenstand, Von meinem tiefsten Haß behalten; nichts Kann mir die Lust entreißen schlimm und schlimmer Von ihm zu denken.
Leonore.
Willst du, theurer Freund Von deinem Sinn nicht lassen, seh' ich kaum, Wie du am Hofe länger bleiben willst. Du weißt, wie viel er gilt und gelten muß.
Tasso.
Wie sehr ich lang', o schöne Freundinn, hier Schon überflüssig bin, das weiß ich wohl.
Leonore.
Das bist du nicht, das kannst du nimmer werden! Du weißt vielmehr, wie gern der Fürst mit dir, Wie gern die Fürstinn mit dir lebt; und kommt Die Schwester von Urbino, kommt sie fast So sehr um dein't- als der Geschwister willen. Sie denken alle gut und gleich von dir, Und jegliches vertraut dir unbedingt.
Tasso.
O Leonore, welch Vertraun ist das? Hat er von seinem Staate je ein Wort, Ein ernstes Wort mit mir gesprochen? Kam Ein eigner Fall, worüber er sogar In meiner Gegenwart mit seiner Schwester, Mit andern sich berieth, mich fragt' er nie. Da hieß es immer nur: Antonio kommt! Man muß Antonio schreiben! fragt Antonio!
Leonore.
Du klagst anstatt zu danken. Wenn er dich In unbedingter Freyheit lassen mag, So ehrt er dich, wie er dich ehren kann.
Tasso.
Er läßt mich ruhn, weil er mich unnütz glaubt.
Leonore.
Du bist nicht unnütz, eben weil du ruhst. So lange hegst du schon Verdruß und Sorge, Wie ein geliebtes Kind, an deiner Brust. Ich hab' es oft bedacht, und mag's bedenken Wie ich es will, auf diesem schönen Boden, Wohin das Glück dich zu verpflanzen schien, Gedeihst du nicht. O Tasso! – rath' ich dir's? Sprech' ich es aus? – Du solltest dich entfernen!
Tasso.
Verschone nicht den Kranken, lieber Arzt! Reich' ihm das Mittel, denke nicht daran, Ob's bitter sey. – Ob er geneßen könne, Das überlege wohl, o kluge, gute Freundinn! Ich seh' es alles selbst, es ist vorbey! Ich kann ihm wohl verzeihen, er nicht mir; Und sein bedarf man, leider! meiner nicht. Und er ist klug, und leider! bin ich's nicht. Er wirkt zu meinem Schaden, und ich kann, Ich mag nicht gegenwirken. Meine Freunde Sie lassen's gehn, sie sehen's anders an, Sie widerstreben kaum, und sollten kämpfen. Du glaubst, ich soll hinweg, ich glaub' es selbst – So lebt denn wohl! ich werd' auch das ertragen. Ihr seyd von mir geschieden – werd' auch mir Von euch zu scheiden, Kraft und Muth verliehn!
Leonore.
Ach in der Ferne zeigt sich alles reiner, Was in der Gegenwart uns nur verwirrt. Vielleicht wirst du erkennen, welche Liebe Dich überall umgab, und welchen Werth Die Treue wahrer Freunde hat, und wie Die weite Welt die Nächsten nicht ersetzt.
Tasso.
Das werden wir erfahren! Kenn' ich doch Die Welt von Jugend auf, wie sie so leicht Uns hülflos, einsam läßt, und ihren Weg Wie Sonn' und Mond und andre Götter geht.
Leonore.
Vernimmst du mich, mein Freund, so sollst du nie Die traurige Erfahrung wiederhohlen. Soll ich dir rathen, so begibst du dich Erst nach Florenz, und eine Freundinn wird Gar freundlich für dich sorgen. Sey getrost, Ich bin es selbst. Ich reise, den Gemahl Die nächsten Tage dort zu finden, kann Nichts freudiger für ihn und mich bereiten, Als wenn ich dich in unsre Mitte bringe. Ich sage dir kein Wort, du weißt es selbst, Welch einem Fürsten du dich nahen wirst, Und welche Männer diese schöne Stadt In ihrem Busen hegt, und welche Frauen. Du schweigst? Bedenk' es wohl! Entschließe dich.
Tasso.
Gar reitzend ist, was du mir sagst, so ganz Dem Wunsch gemäß, den ich im Stillen nähre; Allein es ist zu neu: ich bitte dich Laß mich bedenken, ich beschließe bald.
Leonore.
Ich gehe mit der schönsten Hoffnung weg Für dich und uns und auch für dieses Haus. Bedenke nur, und wenn du recht bedenkst, So wirst du schwerlich etwas bessers denken.
Tasso.
Noch eins, geliebte Freundinn! sage mir, Wie ist die Fürstinn gegen mich gesinnt? War sie erzürnt auf mich? Was sagte sie? – Sie hat mich sehr getadelt? Rede frey.
Leonore.
Da sie dich kennt, hat sie dich leicht entschuldigt.
Tasso.
Hab' ich bey ihr verloren? schmeichle nicht.
Leonore.
Der Frauen Gunst wird nicht so leicht verscherzt.
Tasso.
Wird sie mich gern entlassen, wenn ich gehe?
Leonore.
Wenn es zu deinem Wohl gereicht, gewiß.
Tasso.
Werd' ich des Fürsten Gnade nicht verlieren?
Leonore.
In seiner Großmuth kannst du sicher ruhn.
Tasso.
Und lassen wir die Fürstinn ganz allein? Du gehst hinweg; und wenn ich wenig bin, So weiß ich doch, daß ich ihr etwas war.
Leonore.
Gar freundliche Gesellschaft leistet uns Ein ferner Freund, wenn wir ihn glücklich wissen. Und es gelingt, ich sehe dich beglückt, Du wirst von hier nicht unzufrieden gehn. Der Fürst befahl's, Antonio sucht dich auf. Er tadelt selbst an sich die Bitterkeit, Womit er dich verletzt. Ich bitte dich, Nimm ihn gelassen auf, so wie er kommt.
Tasso.
Ich darf in jedem Sinne vor ihm stehn.
Leonore.
Und schenke mir der Himmel, lieber Freund, Noch eh' du scheidest, dir das Aug' zu öffnen: Daß niemand dich im ganzen Vaterlande Verfolgt und haßt, und heimlich druckt und neckt! Du irrst gewiß, und wie du sonst zur Freude Von andern dichtest, leider dichtest du In diesem Fall ein seltenes Gewebe, Dich selbst zu kränken. Alles will ich thun, Um es entzwey zu reißen, daß du frey Den schönen Weg des Lebens wandeln mögest. Leb' wohl! Ich hoffe bald ein glücklich Wort.
Dritter Auftritt.
Tasso allein.
Ich soll erkennen, daß mich niemand haßt. Daß niemand mich verfolgt, daß alle List Und alles heimliche Gewebe sich Allein in meinem Kopfe spinnt und webt! Bekennen soll ich, daß ich unrecht habe, Und manchem unrecht thue, der es nicht Um mich verdient! Und das in einer Stunde, Da vor dem Angesicht der Sonne klar Mein volles Recht, wie ihre Tücke, liegt! Ich soll es tief empfinden, wie der Fürst Mit offner Brust mir seine Gunst gewährt, Mit reichem Maß die Gaben mir ertheilt, Im Augenblicke, da er, schwach genug, Von meinen Feinden sich das Auge trüben Und seine Hand gewiß auch fesseln läßt!
Daß er betrogen ist, kann er nicht sehen, Daß sie Betrüger sind, kann ich nicht zeigen, Und nur damit er ruhig sich betrüge, Daß sie gemächlich ihn betrügen können, Soll ich mich stille halten, weichen gar!
Und wer gibt mir den Rath? Wer dringt so klug Mit treuer, lieber Meinung auf mich ein? Lenore selbst, Lenore Sanvitale, Die zarte Freundinn! Ha, dich kenn' ich nun! O warum traut' ich ihrer Lippe je! Sie war nicht redlich, wenn sie noch so sehr Mir ihre Gunst, mir ihre Zärtlichkeit Mit süßen Worten zeigte! Nein, sie war Und bleibt ein listig Herz, sie wendet sich Mit leisen klugen Tritten nach der Gunst.
Wie oft hab' ich mich willig selbst betrogen, Auch über sie; und doch im Grunde hat Mich nur – die Eitelkeit betrogen. Wohl! Ich kannte sie, und schmeichelte mir selbst. So ist sie gegen andre, sagt' ich mir, Doch gegen dich ist's offne treue Meinung. Nun seh' ich's wohl, und seh' es nur zu spät: Ich war begünstigt, und sie schmiegte sich So zart – an den Beglückten. Nun ich falle, Sie wendet mir den Rücken wie das Glück.
Nun kommt sie als ein Werkzeug meines Feindes, Sie schleicht heran und zischt mit glatter Zunge, Die kleine Schlange, zauberische Töne. Wie lieblich schien sie! Lieblicher als je! Wie wohl that von der Lippe jedes Wort! Doch konnte mir die Schmeicheley nicht lang' Den falschen Sinn verbergen; an der Stirne Schien ihr das Gegentheil zu klar geschrieben Von allem was sie sprach. Ich fühl' es leicht, Wenn man den Weg zu meinem Herzen sucht Und es nicht herzlich meint. Ich soll hinweg? Soll nach Florenz, sobald ich immer kann?
Und warum nach Florenz? Ich seh' es wohl. Dort herrscht der Mediceer neues Haus, Zwar nicht in offner Feindschaft mit Ferrara, Doch hält der stille Neid mit kalter Hand, Die edelsten Gemüther aus einander. Empfang' ich dort von jenen edlen Fürsten Erhabne Zeichen ihrer Gunst, wie ich Gewiß erwarten dürfte, würde bald Der Höfling meine Treu' und Dankbarkeit Verdächtig machen. Leicht geläng' es ihm.
Ja, ich will weg, allein nicht wie ihr wollt; Ich will hinweg, und weiter als ihr denkt.
Was soll ich hier? Wer hält mich hier zurück? O ich verstund ein jedes Wort zu gut, Das ich Lenoren von den Lippen lockte! Von Sylb' zu Sylbe nur erhascht' ich's kaum, Und weiß nun ganz wie die Prinzessinn denkt – Ja, ja, auch das ist wahr, verzweifle nicht! »Sie wird mich gern entlassen, wenn ich gehe, Da es zu meinem Wohl gereicht.« O! fühlte Sie eine Leidenschaft im Herzen, die mein Wohl Und mich zu Grunde richtete! Willkommner Ergriffe mich der Tod, als diese Hand, Die kalt und starr mich von sich läßt. – Ich gehe! – Nun hüte dich, und laß dich keinen Schein Von Freundschaft oder Güte täuschen! Niemand Betrügt dich nun, wenn du dich nicht betrügst.
Vierter Auftritt.
Antonio. Tasso.
Antonio.
Hier bin ich, Tasso, dir ein Wort zu sagen, Wenn du mich ruhig hören magst und kannst.
Tasso.
Das Handeln, weißt du, bleibt mir untersagt, Es ziemt mir wohl zu warten und zu hören.
Antonio.
Ich treffe dich gelassen, wie ich wünschte, Und spreche gern zu dir aus freyer Brust. Zuvörderst lös' ich in des Fürsten Namen Das schwache Band, das dich zu fesseln schien.
Tasso.
Die Willkür macht mich frey, wie sie mich band; Ich nehm' es an und fordre kein Gericht.
Antonio.
Dann sag' ich dir von mir: Ich habe dich Mit Worten, scheint es, tief und mehr gekränkt, Als ich, von mancher Leidenschaft bewegt, Es selbst empfand. Allein kein schimpflich Wort Ist meinen Lippen unbedacht entflohen; Zu rächen hast du nichts als Edelmann, Und wirst als Mensch Vergebung nicht versagen.
Tasso.
Was härter treffe, Kränkung oder Schimpf, Will ich nicht untersuchen; jene dringt In's tiefe Mark, und dieser reitzt die Haut. Der Pfeil des Schimpfs kehrt auf den Mann zurück, Der zu verwunden glaubt, die Meinung andrer Befriedigt leicht das wohl geführte Schwert – Doch ein gekränktes Herz erhohlt sich schwer.
Antonio.
Jetzt ist's an mir, daß ich dir dringend sage: Tritt nicht zurück, erfülle meinen Wunsch, Den Wunsch des Fürsten, der mich zu dir sendet.
Tasso.
Ich kenne meine Pflicht und gebe nach. Es sey verziehn, so fern es möglich ist! Die Dichter sagen uns von einem Speer, Der eine Wunde, die er selbst geschlagen, Durch freundliche Berührung heilen konnte. Es hat des Menschen Zunge diese Kraft; Ich will ihr nicht gehässig widerstehn.
Antonio.
Ich danke dir, und wünsche, daß du mich Und meinen Willen dir zu dienen gleich Vertraulich prüfen mögest. Sage mir, Kann ich dir nützlich seyn? Ich zeig' es gern:
Tasso.
Du biethest an was ich nur wünschen konnte. Du brachtest mir die Freyheit wieder, nun Verschaffe mir, ich bitte, den Gebrauch.
Antonio.
Was kannst du meinen? Sag' es deutlich an.
Tasso.
Du weißt, geendet hab' ich mein Gedicht; Es fehlt noch viel, daß es vollendet wäre. Heut überreicht' ich es dem Fürsten, hoffte Zugleich ihm eine Bitte vorzutragen. Gar viele meiner Freunde find' ich jetzt In Rom versammelt; einzeln haben sie Mir über manche Stellen ihre Meinung In Briefen schon eröffnet; vieles hab' ich Benutzen können, manches scheint mir noch Zu überlegen; und verschiedne Stellen Möcht' ich nicht gern verändern, wenn man mich Nicht mehr, als es geschehn ist, überzeugt. Das alles wird durch Briefe nicht gethan; Die Gegenwart lös't diese Knoten bald. So dacht' ich heut den Fürsten selbst zu bitten: Ich fand nicht Raum; nun darf ich es nicht wagen, Und hoffe diesen Urlaub nun durch dich.
Antonio.
Mir scheint nicht räthlich, daß du dich entfernst In dem Moment, da dein vollendet Werk Dem Fürsten und der Fürstinn dich empfiehlt. Ein Tag der Gunst ist wie ein Tag der Ernde; Man muß geschäftig seyn, sobald sie reift. Entfernst du dich, so wirst du nichts gewinnen, Vielleicht verlieren, was du schon gewannst. Die Gegenwart ist eine mächt'ge Göttinn; Lern' ihren Einfluß kennen, bleibe hier!
Tasso.
Zu fürchten hab' ich nichts; Alphons ist edel, Stets hat er gegen mich sich groß gezeigt: Und was ich hoffe, will ich seinem Herzen Allein verdanken, keine Gnade mir Erschleichen; nichts will ich von ihm empfangen, Was ihn gereuen könnte daß er's gab.
Antonio.
So fordre nicht von ihm, daß er dich jetzt Entlassen soll; er wird es ungern thun, Und ich befürchte fast, er thut es nicht.
Tasso.
Er wird es gern, wenn recht gebethen wird, Und du vermagst es wohl, sobald du willst.
Antonio.
Doch welche Gründe, sag' mir, leg' ich vor?
Tasso.
Laß mein Gedicht aus jeder Stanze sprechen: Was ich gewollt ist löblich, wenn das Ziel Auch meinen Kräften unerreichbar blieb. An Fleiß und Mühe hat es nicht gefehlt. Der heitre Wandel mancher schönen Tage, Der stille Raum so mancher tiefen Nächte, War einzig diesem frommen Lied geweiht. Bescheiden hofft' ich jenen großen Meistern Der Vorwelt mich zu nahen; kühn gesinnt Zu edlen Thaten unsern Zeitgenossen Aus einem langen Schlaf zu rufen, dann Vielleicht mit einem edlen Christen-Heere, Gefahr und Ruhm des heil'gen Kriegs zu theilen. Und soll mein Lied die besten Männer wecken, So muß es auch der besten würdig seyn. Alphonsen bin ich schuldig was ich that, Nun möcht' ich ihm auch die Vollendung danken.
Antonio.
Und eben dieser Fürst ist hier, mit andern, Die dich so gut als Römer leiten können. Vollende hier dein Werk, hier ist der Platz, Und um zu wirken eile dann nach Rom.
Tasso.
Alphons hat mich zuerst begeistert, wird Gewiß der letzte seyn, der mich belehrt. Und deinen Rath, den Rath der klugen Männer, Die unser Hof versammelt, schätz' ich hoch. Ihr sollt entscheiden, wenn mich ja zu Rom Die Freunde nicht vollkommen überzeugen. Doch diese muß ich sehn. Gonzaga hat Mir ein Gericht versammelt, dem ich erst Mich stellen muß. Ich kann es kaum erwarten. Flaminio de' Nobili, Angelio Da Barga, Antoniano, und Speron Speroni! Du wirst sie kennen. – Welche Namen sind's! Vertraun und Sorge flößen sie zugleich In meinen Geist, der gern sich unterwirft.
Antonio.
Du denkst nur dich und denkst den Fürsten nicht. Ich sage dir, er wird dich nicht entlassen; Und wenn er's thut, entläßt er dich nicht gern. Du willst ja nicht verlangen, was er dir Nicht gern gewähren mag. Und soll ich hier Vermitteln, was ich selbst nicht loben kann?
Tasso.
Versagst du mir den ersten Dienst, wenn ich Die angebothne Freundschaft prüfen will?
Antonio.
Die wahre Freundschaft zeigt sich im Versagen Zur rechten Zeit, und es gewährt die Liebe Gar oft ein schädlich Gut, wenn sie den Willen Des Fordernden mehr als sein Glück bedenkt. Du scheinest mir in diesem Augenblick Für gut zu halten, was du eifrig wünschest, Und willst im Augenblick, was du begehrst. Durch Heftigkeit ersetzt der Irrende, Was ihm an Wahrheit und an Kräften fehlt. Es fordert meine Pflicht, so viel ich kann Die Hast zu mäß'gen, die dich übel treibt.
Tasso.
Schon lange kenn' ich diese Tyranney Der Freundschaft, die von allen Tyranneyen Die unerträglichste mir scheint. Du denkst Nur anders, und du glaubst deswegen Schon recht zu denken. Gern erkenn' ich an, Du willst mein Wohl; allein verlange nicht, Daß ich auf deinem Weg es finden soll.
Antonio.
Und soll ich dir sogleich mit kaltem Blut, Mit voller, klarer Überzeugung schaden?
Tasso.
Von dieser Sorge will ich dich befreyn! Du hältst mich nicht mit diesen Worten ab. Du hast mich frey erklärt, und diese Thüre Steht mir nun offen, die zum Fürsten führt. Ich lasse dir die Wahl. Du oder ich! Der Fürst geht fort. Hier ist kein Augenblick Zu harren. Wähle schnell! Wenn du nicht gehst, So geh' ich selbst, und werd' es wie es will.
Antonio.
Laß mich nur wenig Zeit von dir erlangen, Und warte nur des Fürsten Rückkehr ab! Nur heute nicht!
Tasso.
Nein, diese Stunde noch, Wenn's möglich ist! Es brennen mir die Sohlen Auf diesem Marmorboden; eher kann Mein Geist nicht Ruhe finden, bis der Staub Des freyen Wegs mich Eilenden umgibt. Ich bitte dich! Du siehst, wie ungeschickt In diesem Augenblick ich sey mit meinem Herrn Zu reden; siehst – wie kann ich das verbergen – Daß ich mir selbst in diesem Augenblick, Mir keine Macht der Welt gebiethen kann. Nur Fesseln sind es, die mich halten können! Alphons ist kein Tyrann, er sprach mich frey. Wie gern gehorcht' ich seinen Worten sonst! Heut kann ich nicht gehorchen. Heute nur Laßt mich in Freyheit, daß mein Geist sich finde! Ich kehre bald zu meiner Pflicht zurück.
Antonio.
Du machst mich zweifelhaft. Was soll ich thun? Ich merke wohl, es steckt der Irrthum an.
Tasso.
Soll ich dir glauben, denkst du gut für mich, So wirke was ich wünsche, was du kannst. Der Fürst entläßt mich dann, und ich verliere Nicht seine Gnade, seine Hülfe nicht. Das dank' ich dir, und will dir's gern verdanken; Doch hegst du einen alten Groll im Busen, Willst du von diesem Hofe mich verbannen, Willst du auf ewig mein Geschick verkehren, Mich hülflos in die weite Welt vertreiben, So bleib' auf deinem Sinn und widersteh!
Antonio.
Weil ich dir doch, o Tasso, schaden soll, So wähl' ich denn den Weg, den du erwählst. Der Ausgang mag entscheiden wer sich irrt! Du willst hinweg! Ich sag' es dir zuvor, Du wendest diesem Hause kaum den Rücken, So wird dein Herz zurück verlangen, wird Dein Eigensinn dich vorwärts treiben: Schmerz, Verwirrung, Trübsinn harr't in Rom auf dich, Und du verfehlest hier und dort den Zweck. Doch sag' ich dieß nicht mehr, um dir zu rathen; Ich sage nur voraus, was bald geschieht, Und lade dich auch schon im voraus ein, Mir in dem schlimmsten Falle zu vertraun. Ich spreche nun den Fürsten, wie du's forderst.
Fünfter Auftritt.
Tasso allein.
Ja gehe nur, und gehe sicher weg, Daß du mich überredest was du willst. Ich lerne mich verstellen, denn du bist Ein großer Meister und ich fasse leicht. So zwingt das Leben uns zu scheinen, ja Zu seyn wie jene, die wir kühn und stolz Verachten konnten. Deutlich seh' ich nun Die ganze Kunst des höfischen Gewebes! Mich will Antonio von hinnen treiben, Und will nicht scheinen, daß er mich vertreibt. Er spielt den Schonenden, den Klugen, daß Man nur recht krank und ungeschickt mich finde, Bestellet sich zum Vormund, daß er mich Zum Kind erniedrige, den er zum Knecht Nicht zwingen konnte. So umnebelt er Die Stirn des Fürsten und der Fürstinn Blick.
Man soll mich halten, meint er; habe doch Ein schön Verdienst mir die Natur geschenkt, Doch leider habe sie mit manchen Schwächen Die hohe Gabe wieder schlimm begleitet, Mit ungebundnem Stolz, mit übertriebner Empfindlichkeit und eignem düstern Sinn. Es sey nicht anders, einmal habe nun Den Einen Mann das Schicksal so gebildet, Nun müsse man ihn nehmen wie er sey, Ihn dulden, tragen und vielleicht an ihm Was Freude bringen kann am guten Tage Als unerwarteten Gewinst genießen, Im übrigen, wie er geboren sey, So müsse man ihn leben, sterben lassen.
Erkenn' ich noch Alphonsens festen Sinn? Der Feinden trotzt und Freunde treulich schützt, Erkenn' ich ihn, wie er nun mir begegnet? Ja wohl erkenn' ich ganz mein Unglück nun! Das ist mein Schicksal, daß nur gegen mich Sich jeglicher verändert, der für andre fest Und treu und sicher bleibt, sich leicht verändert Durch einen Hauch, in einem Augenblick.
Hat nicht die Ankunft dieses Mann's allein Mein ganz Geschick zerstört, in Einer Stunde? Nicht dieser das Gebäude meines Glücks Von seinem tiefsten Grund aus umgestürzt? O muß ich das erfahren? Muß ich's heut? Ja, wie sich alles zu mir drängte, läßt Mich alles nun; wie jeder mich an sich Zu reißen strebte, jeder mich zu fassen, So stößt mich alles weg und meidet mich. Und das warum? Und wiegt denn er allein Die Schale meines Werths und aller Liebe, Die ich so reichlich sonst besessen, auf?
Ja, alles flieht mich nun. Auch du! Auch du! Geliebte Fürstinn, du entziehst dich mir. In diesen trüben Stunden hat sie mir Kein einzig Zeichen ihrer Gunst gesandt. Hab' ich's um sie verdient? – Du armes Herz, Dem so natürlich war sie zu verehren! – Vernahm ich ihre Stimme, wie durchdrang Ein unaussprechliches Gefühl die Brust! Erblickt' ich sie, da ward das helle Licht Des Tag's mir trüb'; unwiderstehlich zog Ihr Auge mich, ihr Mund mich an, mein Knie Erhielt sich kaum, und aller Kraft Des Geist's bedurft' ich, aufrecht mich zu halten, Vor ihre Füße nicht zu fallen, kaum Vermocht' ich diesen Taumel zu zerstreun. Hier halte fest, mein Herz! Du klarer Sinn, Laß hier dich nicht umnebeln! Ja auch Sie! Darf ich es sagen? und ich glaub' es kaum, Ich glaub' es wohl, und möcht' es mir verschweigen. Auch Sie! auch Sie! Entschuldige sie ganz, Allein verbirg' dir's nicht: auch Sie! auch Sie!
O dieses Wort, an dem ich zweifeln sollte, So lang' ein Hauch von Glauben in mir lebt, Ja, dieses Wort, es gräbt sich, wie ein Schluß Des Schicksals noch zuletzt am ehrnen Rande Der vollgeschriebnen Qualentafel, ein. Nun sind erst meine Feinde stark, nun bin ich Auf ewig einer jeden Kraft beraubt. Wie soll ich streiten, wenn Sie gegenüber Im Heere steht? Wie soll ich duldend harren, Wenn Sie die Hand mir nicht von ferne reicht? Wenn nicht ihr Blick dem Flehenden begegnet? Du hast's gewagt zu denken, hast's gesprochen, Und es ist wahr, eh' du es fürchten konntest! Und eh' nun die Verzweiflung deine Sinnen Mit ehrnen Klauen aus einander reißt, Ja, klage nur das bittre Schicksal an, Und wiederhole nur, auch Sie! auch Sie!