Johann Wolfgang von Goethe
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Johann Wolfgang von Goethe &
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17.Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Was zu seiner Abreise nötig war, hatten Vater und Mutter besorgt; nur einige Kleinigkeiten, die an der Equipage fehlten, verzögerten seinen Aufbruch um einige Tage. Wilhelm benutzte diese Zeit, um an Marianen einen Brief zu schreiben, wodurch er die Angelegenheit endlich zur Sprache bringen wollte, über welche sie sich mit ihm zu unterhalten bisher immer vermieden hatte. Folgendermaßen lautete der Brief:
»Unter der lieben Hülle der Nacht, die mich sonst in deinen Armen bedeckte, sitze ich und denke und schreibe an dich, und was ich sinne und treibe, ist nur um deinetwillen. O Mariane! mir, dem glücklichsten unter den Männern, ist es wie einem Bräutigam, der ahnungsvoll, welch eine neue Welt sich in ihm und durch ihn entwickeln wird, auf den festlichen Teppichen steht und während der heiligen Zeremonien sich gedankenvoll lüstern vor die geheimnisreichen Vorhänge versetzt, woher ihm die Lieblichkeit der Liebe entgegensäuselt.
Ich habe über mich gewonnen, dich in einigen Tagen nicht zu sehen; es war leicht in Hoffnung einer solchen Entschädigung, ewig mit dir zu sein, ganz der Deinige zu bleiben! Soll ich wiederholen, was ich wünsche? Und doch ist es nötig; denn es scheint, als habest du mich bisher nicht verstanden.
Wie oft habe ich mit leisen Tönen der Treue, die, weil sie alles zu halten wünscht, wenig zu sagen wagt, an deinem Herzen geforscht nach dem Verlangen einer ewigen Verbindung. Verstanden hast du mich gewiß: denn in deinem Herzen muß ebender Wunsch keimen; vernommen hast du mich in jedem Kusse, in der anschmiegenden Ruhe jener glücklichen Abende. Da lernt ich deine Bescheidenheit kennen, und wie vermehrte sich meine Liebe! Wo eine andere sich künstlich betragen hätte, um durch überflüssigen Sonnenschein einen Entschluß in dem Herzen ihres Liebhabers zur Reife zu bringen, eine Erklärung hervorzulocken und ein Versprechen zu befestigen, eben da ziehst du dich zurück, schließest die halbgeöffnete Brust deines Geliebten wieder zu und suchst durch eine anscheinende Gleichgültigkeit deine Beistimmung zu verbergen; aber ich verstehe dich! Welch ein Elender müßte ich sein, wenn ich an diesen Zeichen die reine, uneigennützige, nur für den Freund besorgte Liebe nicht erkennen wollte! Vertraue mir und sei ruhig! Wir gehören einander an, und keins von beiden verläßt oder verliert etwas, wenn wir füreinander leben.
Nimm sie hin, diese Hand! feierlich noch dies überflüssige Zeichen! Alle Freuden der Liebe haben wir empfunden, aber es sind neue Seligkeiten in dem bestätigten Gedanken der Dauer. Frage nicht, wie? Sorge nicht! Das Schicksal sorgt für die Liebe, und um so gewisser, da Liebe genügsam ist.
Mein Herz hat schon lange meiner Eltern Haus verlassen; es ist bei dir, wie mein Geist auf der Bühne schwebt. O meine Geliebte! Ist wohl einem Menschen so gewährt, seine Wünsche zu verbinden, wie mir? Kein Schlaf kömmt in meine Augen, und wie eine ewige Morgenröte steigt deine Liebe und dein Glück vor mir auf und ab.
Kaum daß ich mich halte, nicht auffahre, zu dir hinrenne und mir deine Einwilligung erzwinge und gleich morgen frühe weiter in die Welt nach meinem Ziele hinstrebe. – Nein, ich will mich bezwingen! ich will nicht unbesonnen törichte, verwegene Schritte tun; mein Plan ist entworfen, und ich will ihn ruhig ausführen.
Ich bin mit Direktor Serlo bekannt, meine Reise geht gerade zu ihm, er hat vor einem Jahre oft seinen Leuten etwas von meiner Lebhaftigkeit und Freude am Theater gewünscht, und ich werde ihm gewiß willkommen sein; denn bei eurer Truppe möchte ich aus mehr als einer Ursache nicht eintreten; auch spielt Serlo so weit von hier, daß ich anfangs meinen Schritt verbergen kann. Einen leidlichen Unterhalt finde ich da gleich; ich sehe mich in dem Publiko um, lerne die Gesellschaft kennen und hole dich nach.
Mariane, du siehst, was ich über mich gewinnen kann, um dich gewiß zu haben; denn dich so lange nicht zu sehen, dich in der weiten Welt zu wissen! recht lebhaft darf ich mir's nicht denken. Wenn ich mir dann aber wieder deine Liebe vorstelle, die mich vor allem sichert, wenn du meine Bitte nicht verschmähst, ehe wir scheiden, und du mir deine Hand vor dem Priester reichst, so werde ich ruhig gehen. Es ist nur eine Formel unter uns, aber eine so schöne Formel, der Segen des Himmels zu dem Segen der Erde. In der Nachbarschaft, im Ritterschaftlichen, geht es leicht und heimlich an.
Für den Anfang habe ich Geld genug; wir wollen teilen, es wird für uns beide hinreichen; ehe das verzehrt ist, wird der Himmel weiterhelfen.
Ja, Liebste, es ist mir gar nicht bange. Was mit so viel Fröhlichkeit begonnen wird, muß ein glückliches Ende erreichen. Ich habe nie gezweifelt, daß man sein Fortkommen in der Welt finden könne, wenn es einem Ernst ist, und ich fühle Mut genug, für zwei, ja für mehrere einen reichlichen Unterhalt zu gewinnen. Die Welt ist undankbar, sagen viele; ich habe noch nicht gefunden, daß sie undankbar sei, wenn man auf die rechte Art etwas für sie zu tun weiß. Mir glüht die ganze Seele bei dem Gedanken, endlich einmal aufzutreten und den Menschen in das Herz hineinzureden, was sie sich so lange zu hören sehnen. Wie tausendmal ist es freilich mir, der ich von der Herrlichkeit des Theaters so eingenommen bin, bang durch die Seele gegangen, wenn ich die Elendesten gesehen habe sich einbilden, sie könnten uns ein großes, treffliches Wort ans Herz reden! Ein Ton, der durch die Fistel gezwungen wird, klingt viel besser und reiner; es ist unerhört, wie sich diese Bursche in ihrer groben Ungeschicklichkeit versündigen.
Das Theater hat oft einen Streit mit der Kanzel gehabt; sie sollten, dünkt mich, nicht miteinander hadern. Wie sehr wäre zu wünschen, daß an beiden Orten nur durch edle Menschen Gott und Natur verherrlicht würden! Es sind keine Träume, meine Liebste! Wie ich an deinem Herzen habe fühlen können, daß du in Liebe bist, so ergreife ich auch den glänzenden Gedanken und sage – ich will's nicht aussagen, aber hoffen will ich, daß wir einst als ein Paar gute Geister den Menschen erscheinen werden, ihre Herzen aufzuschließen, ihre Gemüter zu berühren und ihnen himmlische Genüsse zu bereiten, so gewiß mir an deinem Busen Freuden gewährt waren, die immer himmlisch genennt werden müssen, weil wir uns in jenen Augenblicken aus uns selbst gerückt, über uns selbst erhaben fühlen.
Ich kann nicht schließen; ich habe schon zuviel gesagt und weiß nicht, ob ich dir schon alles gesagt habe, alles, was dich angeht: denn die Bewegung des Rades, das sich in meinem Herzen dreht, sind keine Worte vermögend auszudrücken.
Nimm dieses Blatt indes, meine Liebe! Ich habe es wieder durchgelesen und finde, daß ich von vorne anfangen sollte; doch enthält es alles, was du zu wissen nötig hast, was dir Vorbereitung ist, wenn ich bald mit Fröhlichkeit der süßen Liebe an deinen Busen zurückkehre. Ich komme mir vor wie ein Gefangener, der in einem Kerker lauschend seine Fesseln abfeilt. Ich sage gute Nacht meinen sorglos schlafenden Eltern! – Lebe wohl, Geliebte! Lebe wohl! Für diesmal schließ ich; die Augen sind mir zwei-, dreimal zugefallen; es ist schon tief in der Nacht.«