Johann Wolfgang von Goethe
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Zweiter Akt
Bamberg. Ein Saal
Bischof, Adelheid spielen Schach. Liebetraut mit einer Zither. Frauen, Hofleute um ihn herum am Kamin.
Liebetraut (spielt und singt).
Mit Pfeilen und Bogen
Cupido geflogen,
Die Fackel in Brand,
Wollt mutilich kriegen
Und männilich siegen
Mit stürmender Hand.
Auf! Auf!
An! An!
Die Waffen erklirrten,
Die Flügelein schwirrten,
Die Augen entbrannt.
Da fand er die Busen
Ach leider so bloß,
Sie nahmen so willig
Ihn all auf den Schoß.
Er schüttet' die Pfeile
Zum Feuer hinein,
Sie herzten und drückten
Und wiegten ihn ein.
Hei ei o! Popeio!
Adelheid. Ihr seid nicht bei Eurem Spiele. Schach dem König!
Bischof. Es ist noch Auskunft.
Adelheid. Lange werdet Ihr's nicht mehr treiben. Schach dem König!
Liebetraut. Dies Spiel spielt ich nicht, wenn ich ein großer Herr wär, und verböt's am Hofe und im ganzen Land.
Adelheid. Es ist wahr, dies Spiel ist ein Probierstein des Gehirns.
Liebetraut. Nicht darum! Ich wollte lieber das Geheul der Totenglocke und ominöser Vögel, lieber das Gebell des knurrischen Hofhunds Gewissen, lieber wollt ich sie durch den tiefsten Schlaf hören, als von Laufern, Springern und andern Bestien das ewige: »Schach dem König!«
Bischof. Wem wird auch das einfallen!
Liebetraut. Einem zum Exempel, der schwach wäre und ein stark Gewissen hätte, wie denn das meistenteils beisammen ist. Sie nennen's ein königlich Spiel und sagen, es sei für einen König erfunden worden, der den Erfinder mit einem Meer von Überfluß belohnt habe. Wenn das wahr ist, so ist mir's, als wenn ich ihn sähe. Er war minorenn an Verstand oder an Jahren, unter der Vormundschaft seiner Mutter oder seiner Frau, hatte Milchhaare im Bart und Flachshaare um die Schläfe, er war so gefällig wie ein Weidenschößling und spielte gern Dame und mit den Damen, nicht aus Leidenschaft, behüte Gott! nur zum Zeitvertreib. Sein Hofmeister, zu tätig, um ein Gelehrter, zu unlenksam, ein Weltmann zu sein, erfand das Spiel in usum Delphini, das so homogen mit Seiner Majestät war – und so ferner.
Adelheid. Matt! Ihr solltet die Lücken unsrer Geschichtsbücher ausfüllen, Liebetraut.
(Sie stehen auf.)
Liebetraut. Die Lücken unsrer Geschlechtsregister, das wäre profitabler. Seitdem die Verdienste unserer Vorfahren mit ihren Porträts zu einerlei Gebrauch dienen, die leeren Seiten nämlich unsrer Zimmer und unsers Charakters zu tapezieren; da wäre was zu verdienen.
Bischof. Er will nicht kommen, sagtet Ihr!
Adelheid. Ich bitt Euch, schlagt's Euch aus dem Sinn.
Bischof. Was das sein mag?
Liebetraut. Was? Die Ursachen lassen sich herunterbeten wie ein Rosenkranz. Er ist in eine Art von Zerknirschung gefallen, von der ich ihn leicht kurieren wollt.
Bischof. Tut das, reitet zu ihm.
Liebetraut. Meinen Auftrag!
Bischof. Er soll unumschränkt sein. Spare nichts, wenn du ihn zurückbringst.
Liebetraut. Darf ich Euch auch hineinmischen, gnädige Frau?
Adelheid. Mit Bescheidenheit.
Liebetraut. Das ist eine weitläufige Kommission.
Adelheid. Kennt Ihr mich so wenig, oder seid Ihr so jung, um nicht zu wissen, in welchem Ton Ihr mit Weislingen von mir zu reden habt?
Liebetraut. Im Ton einer Wachtelpfeife, denk ich.
Adelheid. Ihr werdet nie gescheit werden!
Liebetraut. Wird man das, gnädige Frau?
Bischof. Geht, geht. Nehmt das beste Pferd aus meinem Stall, wählt Euch Knechte, und schafft mir ihn her!
Liebetraut. Wenn ich ihn nicht herbanne, so sagt: ein altes Weib, das Warzen und Sommerflecken vertreibt, verstehe mehr von der Sympathie als ich.
Bischof. Was wird das helfen! Berlichingen hat ihn ganz eingenommen. Wenn er herkommt, wird er wieder fort wollen.
Liebetraut. Wollen, das ist keine Frage, aber ob er kann. Der Händedruck eines Fürsten, und das Lächeln einer schönen Frau! Da reißt sich kein Weisling los. Ich eile und empfehle mich zu Gnaden.
Bischof. Reist wohl.
Adelheid. Adieu.
(Er geht.)
Bischof. Wenn er einmal hier ist, verlaß ich mich auf Euch.
Adelheid. Wollt Ihr mich zur Leimstange brauchen?
Bischof. Nicht doch.
Adelheid. Zum Lockvogel denn?
Bischof. Nein, den spielt Liebetraut. Ich bitt Euch, versagt mir nicht, was mir sonst niemand gewähren kann.
Adelheid. Wollen sehn.
Jagsthausen
Hans von Selbitz, Götz.
Selbitz. Jedermann wird Euch loben, daß Ihr denen von Nürnberg Fehd angekündigt habt.
Götz. Es hätte mir das Herz abgefressen, wenn ich's ihnen hätte lang schuldig bleiben sollen. Es ist am Tag, sie haben den Bambergern meinen Buben verraten. Sie sollen an mich denken!
Selbitz. Sie haben einen alten Groll gegen Euch.
Götz. Und ich wider sie; mir ist gar recht, daß sie angefangen haben.
Selbitz. Die Reichsstädte und Pfaffen halten doch von jeher zusammen.
Götz. Sie haben's Ursach.
Selbitz. Wir wollen ihnen die Hölle heiß machen.
Götz. Ich zählte auf Euch. Wollte Gott, der Burgemeister von Nürnberg, mit der güldenen Kett um den Hals, käm uns in Wurf, er sollt sich mit all seinem Witz verwundern.
Selbitz. Ich höre, Weislingen ist wieder auf Eurer Seite. Tritt er zu uns?
Götz. Noch nicht; es hat seine Ursachen, warum er uns noch nicht öffentlich Vorschub tun darf; doch ist's eine Weile genug, daß er nicht wider uns ist. Der Pfaff ist ohne ihn, was das Meßgewand ohne den Pfaffen.
Selbitz. Wann ziehen wir aus?
Götz. Morgen oder übermorgen. Es kommen nun bald Kaufleute von Bamberg und Nürnberg aus der Frankfurter Messe. Wir werden einen guten Fang tun.
Selbitz. Will's Gott. (Ab.)
Bamberg. Zimmer der Adelheid
Adelheid, Kammerfräulein.
Adelheid. Er ist da! sagst du. Ich glaub es kaum.
Fräulein. Wenn ich ihn nicht selbst gesehn hätte, würd ich sagen, ich zweifle.
Adelheid. Den Liebetraut mag der Bischof in Gold einfassen: er hat ein Meisterstück gemacht.
Fräulein. Ich sah ihn, wie er zum Schloß hereinreiten wollte, er saß auf einem Schimmel. Das Pferd scheute, wie's an die Brücke kam, und wollte nicht von der Stelle. Das Volk war aus allen Straßen gelaufen, ihn zu sehn. Sie freuten sich über des Pferds Unart. Von allen Seiten ward er gegrüßt, und er dankte allen. Mit einer angenehmen Gleichgültigkeit saß er droben, und mit Schmeicheln und Drohen bracht er es endlich zum Tor herein, der Liebetraut mit, und wenig Knechte.
Adelheid. Wie gefällt er dir?
Fräulein. Wie mir nicht leicht ein Mann gefallen hat. Er glich dem Kaiser hier (deutet auf Maximilians Porträt), als wenn er sein Sohn wäre. Die Nase nur etwas kleiner, ebenso freundliche lichtbraune Augen, ebenso ein blondes schönes Haar, und gewachsen wie eine Puppe. Ein halb trauriger Zug auf seinem Gesicht – ich weiß nicht – gefiel mir so wohl!
Adelheid. Ich bin neugierig, ihn zu sehen.
Fräulein. Das wär ein Herr für Euch.
Adelheid. Närrin!
Fräulein. Kinder und Narren -
(Liebetraut kommt.)
Liebetraut. Nun, gnädige Frau, was verdien ich?
Adelheid. Hörner von deinem Weibe. Denn nach dem zu rechnen, habt Ihr schon manches Nachbars ehrliches Hausweib aus ihrer Pflicht hinausgeschwatzt.
Liebetraut. Nicht doch, gnädige Frau! Auf ihre Pflicht, wollt Ihr sagen; denn wenn's ja geschah, schwatzt ich sie auf ihres Mannes Bette.
Adelheid. Wie habt Ihr's gemacht, ihn herzubringen?
Liebetraut. Ihr wißt zu gut, wie man Schnepfen fängt; soll ich Euch meine Kunststückchen noch dazu lehren? – Erst tat ich, als wüßt ich nichts, verstünd nichts von seiner Aufführung, und setzt ihn dadurch in den Nachteil, die ganze Historie zu erzählen. Die sah ich nun gleich von einer ganz andern Seite an als er, konnte nicht finden – nicht einsehen – und so weiter. Dann redete ich von Bamberg allerlei durcheinander, Großes und Kleines, erweckte gewisse alte Erinnerungen, und wie ich seine Einbildungskraft beschäftigt hatte, knüpfte ich wirklich eine Menge Fädchen wieder an, die ich zerrissen fand. Er wußte nicht, wie ihm geschah, fühlte einen neuen Zug nach Bamberg, er wollte – ohne zu wollen. Wie er nun in sein Herz ging und das zu entwickeln suchte, und viel zu sehr mit sich beschäftigt war, um auf sich achtzugeben, warf ich ihm ein Seil um den Hals, aus drei mächtigen Stricken, Weiber-, Fürstengunst und Schmeichelei, gedreht, und so hab ich ihn hergeschleppt.
Adelheid. Was sagtet Ihr von mir?
Liebetraut. Die lautre Wahrheit. Ihr hättet wegen Eurer Güter Verdrießlichkeiten – hättet gehofft, da er beim Kaiser so viel gelte, werde er das leicht enden können.
Adelheid. Wohl.
Liebetraut. Der Bischof wird ihn Euch bringen.
Adelheid. Ich erwarte sie. (Liebetraut ab.) Mit einem Herzen, wie ich selten Besuch erwarte.
Im Spessart
Berlichingen, Selbitz, Georg als Reitersknecht.
Götz. Du hast ihn nicht angetroffen, Georg!
Georg. Er war tags vorher mit Liebetraut nach Bamberg geritten und zwei Knechte mit.
Götz. Ich seh nicht ein, was das geben soll.
Selbitz. Ich wohl. Eure Versöhnung war ein wenig zu schnell, als daß sie dauerhaft hätte sein sollen. Der Liebetraut ist ein pfiffiger Kerl; von dem hat er sich beschwätzen lassen.
Götz. Glaubst du, daß er bundbrüchig werden wird?
Selbitz. Der erste Schritt ist getan.
Götz. Ich glaub's nicht. Wer weiß, wie nötig es war, an Hof zu gehen; man ist ihm noch schuldig; wir wollen das Beste hoffen.
Selbitz. Wollte Gott, er verdient' es und täte das Beste!
Götz. Mir fällt eine List ein. Wir wollen Georgen des Bamberger Reiters erbeuteten Kittel anziehen und ihm das Geleitzeichen geben; er mag nach Bamberg reiten und sehen, wie's steht.
Georg. Da hab ich lange drauf gehofft.
Götz. Es ist dein erster Ritt. Sei vorsichtig, Knabe! Mir wäre leid, wenn dir ein Unfall begegnen sollt.
Georg. Laßt nur, mich irrt's nicht, wenn noch so viel um mich herumkrabbeln, mir ist's, als wenn's Ratten und Mäuse wären. (Ab.)
Bamberg
Bischof. Du willst dich nicht länger halten lassen!
Weislingen. Ihr werdet nicht verlangen, daß ich meinen Eid brechen soll.
Bischof. Ich hätte verlangen können, du solltest ihn nicht schwören. Was für ein Geist regierte dich? Konnt ich dich ohne das nicht befreien? Gelt ich so wenig am Kaiserlichen Hofe?
Weislingen. Es ist geschehen; verzeiht mir, wenn Ihr könnt.
Bischof. Ich begreif nicht, was nur im geringsten dich nötigte, den Schritt zu tun! Mir zu entsagen? Waren denn nicht hundert andere Bedingungen, loszukommen? Haben wir nicht seinen Buben? Hätt ich nicht Gelds genug gegeben und ihn wieder beruhigt? Unsere Anschläge auf ihn und seine Gesellen wären fortgegangen – Ach ich denke nicht, daß ich mit seinem Freunde rede, der nun wider mich arbeitet und die Minen leicht entkräften kann, die er selbst gegraben hat.
Weislingen. Gnädiger Herr!
Bischof. Und doch – wenn ich wieder dein Angesicht sehe, deine Stimme höre. Es ist nicht möglich, nicht möglich.
Weislingen. Lebt wohl, gnädiger Herr.
Bischof. Ich gebe dir meinen Segen. Sonst, wenn du gingst, sagt ich: »Auf Wiedersehn!« Jetzt – Wollte Gott, wir sähen einander nie wieder!
Weislingen. Es kann sich vieles ändern.
Bischof. Vielleicht seh ich dich noch einmal, als Feind vor meinen Mauern, die Felder verheeren, die ihren blühenden Zustand dir jetzo danken.
Weislingen. Nein, gnädiger Herr.
Bischof. Du kannst nicht nein sagen. Die weltlichen Stände, meine Nachbarn, haben alle einen Zahn auf mich. Solang ich dich hatte – Geht, Weislingen! Ich habe Euch nichts mehr zu sagen. Ihr habt vieles zunichte gemacht. Geht!
Weislingen. Und ich weiß nicht, was ich sagen soll.
(Bischof ab. – Franz tritt auf.)
Franz. Adelheid erwartet Euch. Sie ist nicht wohl. Und doch will sie Euch ohne Abschied nicht lassen.
Weislingen. Komm.
Franz. Gehn wir denn gewiß?
Weislingen. Noch diesen Abend. -
Franz. Mir ist, als wenn ich aus der Welt sollte.
Weislingen. Mir auch, und noch darzu, als wüßt ich nicht wohin.
Adelheidens Zimmer
Adelheid, Fräulein.
Fräulein. Ihr seht blaß, gnädige Frau.
Adelheid. – Ich lieb ihn nicht, und wollte doch, daß er bliebe. Siehst du, ich könnte mit ihm leben, ob ich ihn gleich nicht zum Manne haben möchte.
Fräulein. Glaubt Ihr, er geht?
Adelheid. Er ist zum Bischof, um Lebewohl zu sagen.
Fräulein. Er hat darnach noch einen schweren Stand.
Adelheid. Wie meinst du?
Fräulein. Was fragt Ihr, gnädige Frau? Ihr habt sein Herz geangelt, und wenn er sich losreißen will, verblutet er.
(Adelheid, Weislingen).
Weislingen. Ihr seid nicht wohl, gnädige Frau?
Adelheid. Das kann Euch einerlei sein. Ihr verlaßt uns, verlaßt uns auf immer. Was fragt Ihr, ob wir leben oder sterben.
Weislingen. Ihr verkennt mich.
Adelheid. Ich nehme Euch, wie Ihr Euch gebt.
Weislingen. Das Ansehn trügt.
Adelheid. So seid Ihr ein Chamäleon?
Weislingen. Wenn Ihr mein Herz sehen könntet!
Adelheid. Schöne Sachen würden mir vor die Augen kommen.
Weislingen. Gewiß! Ihr würdet Euer Bild drin finden.
Adelheid. In irgendeinem Winkel bei den Porträten ausgestorbener Familien. Ich bitt Euch, Weislingen, bedenkt, Ihr redet mit mir. Falsche Worte gelten zum höchsten, wenn sie Masken unserer Taten sind. Ein Vermummter, der kenntlich ist, spielt eine armselige Rolle. Ihr leugnet Eure Handlungen nicht und redet das Gegenteil; was soll man von Euch halten?
Weislingen. Was Ihr wollt. Ich bin so geplagt mit dem, was ich bin, daß mir wenig bang ist, für was man mich nehmen mag.
Adelheid. Ihr kommt, um Abschied zu nehmen.
Weislingen. Erlaubt mir, Eure Hand zu küssen, und ich will sagen. Lebt wohl. Ihr erinnert mich! Ich bedachte nicht – Ich bin beschwerlich, gnädige Frau.
Adelheid. Ihr legt's falsch aus: ich wollte Euch forthelfen; denn Ihr wollt fort.
Weislingen. O sagt: ich muß. Zöge mich nicht die Ritterpflicht, der heilige Handschlag -
Adelheid. Geht! Geht! Erzählt das Mädchen, die den »Theuerdank« lesen und sich so einen Mann wünschen. Ritterpflicht! Kinderspiel!
Weislingen. Ihr denkt nicht so.
Adelheid. Bei meinem Eid, Ihr verstellt Euch! Was habt Ihr versprochen? Und wem? Einem Mann, der seine Pflicht gegen den Kaiser und das Reich verkennt, in eben dem Augenblick Pflicht zu leisten, da er durch Eure Gefangennehmung in die Strafe der Acht verfällt. Pflicht zu leisten! die nicht gültiger sein kann als ungerechter gezwungener Eid. Entbinden nicht unsere Gesetze von solchen Schwüren? Macht das Kindern weis, die den Rübezahl glauben. Es stecken andere Sachen dahinter. Ein Feind des Reichs zu werden, ein Feind der bürgerlichen Ruh und Glückseligkeit! Ein Feind des Kaisers! Geselle eines Räubers! du, Weislingen, mit deiner sanften Seele!
Weislingen. Wenn Ihr ihn kenntet -
Adelheid. Ich wollt ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen. Er hat eine hohe unbändige Seele. Eben darum wehe dir, Weislingen! Geh und bilde dir ein, Geselle von ihm zu sein. Geh! und laß dich beherrschen. Du bist freundlich, gefällig -
Weislingen. Er ist's auch.
Adelheid. Aber du bist nachgebend und er nicht! Unversehens wird er dich wegreißen, du wirst ein Sklave eines Edelmanns werden, da du Herr von Fürsten sein könntest. – Doch es ist Unbarmherzigkeit, dir deinen zukünftigen Stand zu verleiden.
Weislingen. Hättest du gefühlt, wie liebreich er mir begegnete.
Adelheid. Liebreich! Das rechnest du ihm an? Es war seine Schuldigkeit; und was hättest du verloren, wenn er widerwärtig gewesen wäre? Mir hätte das willkommner sein sollen. Ein übermütiger Mensch wie der -
Weislingen. Ihr redet von Euerm Feind.
Adelheid. Ich redete für Eure Freiheit – Und weiß überhaupt nicht, was ich vor einen Anteil dran nehme. Lebt wohl.
Weislingen. Erlaubt noch einen Augenblick. (Er nimmt ihre Hand und schweigt.)
Adelheid. Habt Ihr mir noch was zu sagen?
Weislingen. – – Ich muß fort.
Adelheid. So geht.
Weislingen. Gnädige Frau! – Ich kann nicht.
Adelheid. Ihr müßt.
Weislingen. Soll das Euer letzter Blick sein?
Adelheid. Geht, ich bin krank, sehr zur ungelegnen Zeit.
Weislingen. Seht mich nicht so an.
Adelheid. Willst du unser Feind sein, und wir sollen dir lächeln? Geh!
Weislingen. Adelheid!
Adelheid. Ich hasse Euch!
(Franz kommt.)
Franz. Gnädiger Herr! Der Bischof läßt Euch rufen.
Adelheid. Geht! Geht!
Franz. Er bittet Euch, eilend zu kommen.
Adelheid. Geht! Geht!
Weislingen. Ich nehme nicht Abschied, ich sehe Euch wieder! (Ab.)
Adelheid. Mich wieder? Wir wollen dafür sein. Margarete, wenn er kommt, weis ihn ab. Ich bin krank, habe Kopfweh, ich schlafe – Weis ihn ab. Wenn er noch zu gewinnen ist, so ist's auf diesem Wege. (Ab.)
Vorzimmer
Weislingen, Franz.
Weislingen. Sie will mich nicht sehn?
Franz. Es wird Nacht, soll ich die Pferde satteln?
Weislingen. Sie will mich nicht sehn?
Franz. Wann befehlen Ihro Gnaden die Pferde?
Weislingen. Es ist zu spät! Wir bleiben hier.
Franz. Gott sei Dank! (Ab.)
Weislingen. Du bleibst! Sei auf, deiner Hut, die Versuchung ist groß. Mein Pferd scheute, wie ich zum Schloßtor herein wollte, mein guter Geist stellte sich ihm entgegen, er kannte die Gefahren, die mein hier warteten. – Doch ist's nicht recht, die vielen Geschäfte, die ich dem Bischof unvollendet liegen ließ, nicht wenigstens so zu ordnen, daß ein Nachfolger da anfangen kann, wo ich's gelassen habe. Das kann ich doch alles tun, unbeschadet Berlichingen und unserer Verbindung. Denn halten sollen sie mich hier nicht. – Wäre doch besser gewesen, wenn ich nicht gekommen wäre. Aber ich will fort – morgen oder übermorgen. (Geht ab.)
Im Spessart
Götz, Selbitz, Georg.
Selbitz. Ihr seht, es ist gegangen, wie ich gesagt habe.
Götz. Nein! Nein! Nein!
Georg. Glaubt, ich berichte Euch mit der Wahrheit. Ich tat, wie Ihr befahlt, nahm den Kittel des Bambergischen und sein Zeichen, und damit ich doch mein Essen und Trinken verdiente, geleitete ich Reineckische Bauern hinauf nach Bamberg.
Selbitz. In der Verkappung? Das hätte dir übel geraten können.
Georg. So denk ich auch hintendrein. Ein Reitersmann, der das voraus denkt, wird keine weiten Sprünge machen. Ich kam nach Bamberg, und gleich im Wirtshaus hörte ich erzählen: Weislingen und der Bischof seien ausgesöhnt, und man redte viel von einer Heirat mit der Witwe des von Walldorf.
Götz. Gespräche.
Georg. Ich sah ihn, wie er sie zur Tafel führte. Sie ist schön, bei meinem Eid, sie ist schön. Wir bückten uns alle, sie dankte uns allen, er nickte mit dem Kopf, sah sehr vergnügt, sie gingen vorbei, und das Volk murmelte: »Ein schönes Paar!«
Götz. Das kann sein.
Georg. Hört weiter. Da er des andern Tags in die Messe ging, paßt ich meine Zeit ab. Er war allein mit einem Knaben. Ich stund unten an der Treppe und sagte leise zu ihm: »Ein paar Worte von Euerm Berlichingen.« Er ward bestürzt; ich sahe das Geständnis seines Lasters in seinem Gesicht, er hatte kaum das Herz, mich anzusehen, mich, einen schlechten Reitersjungen.
Selbitz. Das macht, sein Gewissen war schlechter als dein Stand.
Georg. »Du bist Bambergisch?« sagt' er. – »Ich bring einen Gruß vom Ritter Berlichingen«, sagt ich, »und soll fragen -« – »Komm morgen früh«, sagt' er, »an mein Zimmer, wir wollen weiterreden.«
Götz. Kamst du?
Georg. Wohl kam ich, und mußt im Vorsaal stehn, lang, lang. Und die seidnen Buben beguckten mich von vorn und hinten. Ich dachte, guckt ihr – Endlich führte man mich hinein, er schien böse, mir war's einerlei. Ich trat zu ihm und legte meine Kommission ab. Er tat feindlich böse, wie einer, der kein Herz hat und 's nit will merken lassen. Er verwunderte sich, daß Ihr ihn durch einen Reitersjungen zur Rede setzen ließt. Das verdroß mich. Ich sagte, es gäbe nur zweierlei Leut, brave und Schurken, und ich diente Götzen von Berlichingen. Nun fing er an, schwatzte allerlei verkehrtes Zeug, das darauf hinausging: Ihr hättet ihn übereilt, er sei Euch keine Pflicht schuldig und wolle nichts mit Euch zu tun haben.
Götz. Hast du das aus seinem Munde?
Georg. Das und noch mehr – Er drohte mir -
Götz. Es ist genug! Der wäre nun auch verloren! Treu und Glaube, du hast mich wieder betrogen. Arme Marie! Wie werd ich dir's beibringen!
Selbitz. Ich wollte lieber mein ander Bein dazu verlieren, als so ein Hundsfott sein. (Ab.)
Bamberg
Adelheid, Weislingen.
Adelheid. Die Zeit fängt mir an unerträglich lang zu werden; reden mag ich nicht, und ich schäme mich, mit Euch zu spielen. Langeweile, du bist ärger als ein kaltes Fieber.
Weislingen. Seid Ihr mich schon müde?
Adelheid. Euch nicht sowohl als Euern Umgang. Ich wollte, Ihr wärt, wo Ihr hinwolltet, und wir hätten Euch nicht gehalten.
Weislingen. Das ist Weibergunst! Erst brütet sie, mit Mutterwärme, unsere liebsten Hoffnungen an; dann, gleich einer unbeständigen Henne, verläßt sie das Nest und übergibt ihre schon keimende Nachkommenschaft dem Tode und der Verwesung.
Adelheid. Scheltet die Weiber! Der unbesonnene Spieler zerbeißt und zerstampft die Karten, die ihn unschuldigerweise verlieren machten. Aber laßt mich Euch was von Mannsleuten erzählen. Was seid denn ihr, um von Wankelmut zu sprechen? Ihr, die ihr selten seid, was ihr sein wollt, niemals, was ihr sein solltet. Könige im Festtagsornat, vom Pöbel beneidet. Was gäb eine Schneidersfrau drum, eine Schnur Perlen um ihren Hals zu haben, von dem Saum eures Kleids, den eure Absätze verächtlich zurückstoßen!
Weislingen. Ihr seid bitter.
Adelheid. Es ist die Antistrophe von Eurem Gesang. Eh ich Euch kannte, Weislingen, ging mir's wie der Schneidersfrau. Der Ruf, hundertzüngig, ohne Metapher gesprochen, hatte Euch so zahnarztmäßig herausgestrichen, daß ich mich überreden ließ zu wünschen: möchtest du doch diese Quintessenz des männlichen Geschlechts, den Phönix Weislingen zu Gesicht kriegen! Ich ward meines Wunsches gewährt.
Weislingen. Und der Phönix präsentierte sich als ein ordinärer Haushahn.
Adelheid. Nein, Weislingen, ich nahm Anteil an Euch.
Weislingen. Es schien so -
Adelheid. Und war. Denn wirklich, ihr übertraft Euern Ruf. Die Menge schätzt nur den Widerschein des Verdienstes. Wie mir's denn nun geht, daß ich über die Leute nicht denken mag, denen ich wohlwill; so lebten wir eine Zeitlang nebeneinander, es fehlte mir was, und ich wußte nicht, was ich an Euch vermißte. Endlich gingen mir die Augen auf. Ich sah statt des aktiven Mannes, der die Geschäfte eines Fürstentums belebte, der sich und seinen Ruhm dabei nicht vergaß, der auf hundert großen Unternehmungen, wie auf übereinander gewälzten Bergen, zu den Wolken hinaufgestiegen war: den sah ich auf einmal, jammernd wie einen kranken Poeten, melancholisch wie ein gesundes Mädchen und müßiger als einen alten Junggesellen. Anfangs schrieb ich's Euerm Unfall zu, der Euch noch neu auf dem Herzen lag, und entschuldigte Euch, so gut ich konnte. Jetzt, da es von Tag zu Tage schlimmer mit Euch zu werden scheint, müßt Ihr mir verzeihen, wenn ich Euch meine Gunst entreiße. Ihr besitzt sie ohne Recht, ich schenkte sie einem andern auf Lebenslang, der sie Euch nicht übertragen konnte.
Weislingen. So laßt mich los.
Adelheid. Nicht, bis alle Hoffnung verloren ist. Die Einsamkeit ist in diesen Umständen gefährlich. – Armer Mensch! Ihr seid so mißmütig, wie einer, dem sein erstes Mädchen untreu wird, und eben darum geb ich Euch nicht auf. Gebt mir die Hand, verzeiht mir, was ich aus Liebe gesagt habe.
Weislingen. Könntest du mich lieben, könntest du meiner heißen Leidenschaft einen Tropfen Linderung gewähren! Adelheid! deine Vorwürfe sind höchst ungerecht. Könntest du den hundertsten Teil ahnen von dem, was die Zeit her in mir arbeitet, du würdest mich nicht mit Gefälligkeit, Gleichgültigkeit und Verachtung so unbarmherzig hin und her zerrissen haben – Du lächelst! – Nach dem übereilten Schritt wieder mit mir selbst einig zu werden, kostete mehr als einen Tag. Wider den Menschen zu arbeiten, dessen Andenken so lebhaft neu in Liebe bei mir ist.
Adelheid. Wunderlicher Mann, der du den lieben kannst, den du beneidest! Das ist, als wenn ich meinem Feinde Proviant zuführte.
Weislingen. Ich fühl's wohl, es gilt hier, kein Säumen. Er ist berichtet, daß ich wieder Weislingen bin, und er wird sich seines Vorteils über uns ersehen. Auch, Adelheid, sind wir nicht so träg, als du meinst. Unsere Reiter sind verstärkt und wachsam, unsere Unterhandlungen gehen fort, und der Reichstag zu Augsburg soll hoffentlich unsere Projekte zur Reife bringen.
Adelheid. Ihr geht hin?
Weislingen. Wenn ich eine Hoffnung mitnehmen könnte! (Küßt ihre Hand.)
Adelheid. O ihr Ungläubigen! Immer Zeichen und Wunder! Geh, Weislingen, und vollende das Werk. Der Vorteil des Bischofs, der deinige, der meinige, sie sind so verwebt, daß, wäre es auch nur der Politik wegen -
Weislingen. Du kannst scherzen.
Adelheid. Ich scherze nicht. Meine Güter hat der stolze Herzog inne, die deinigen wird Götz nicht lange ungeneckt lassen; und wenn wir nicht zusammenhalten wie unsere Feinde und den Kaiser auf unsere Seite lenken, sind wir verloren.
Weislingen. Mir ist's nicht bange. Der größte Teil der Fürsten ist unserer Gesinnung. Der Kaiser verlangt Hülfe gegen die Türken, und dafür ist's billig, daß er uns wieder beisteht. Welche Wollust wird mir's sein, deine Güter von übermütigen Feinden zu befreien, die unruhigen Köpfe in Schwaben aufs Kissen zu bringen, die Ruhe des Bistums, unser aller herzustellen. Und dann -?
Adelheid. Ein Tag bringt den andern, und beim Schicksal steht das Zukünftige.
Weislingen. Aber wir müssen wollen.
Adelheid. Wir wollen ja.
Weislingen. Gewiß?
Adelheid. Nun ja. Geht.
Weislingen. Zauberin!
Herberge. Bauernhochzeit. Musik und Tanz draußen
Der Brautvater, Götz, Selbitz am Tische. Bräutigam tritt zu ihnen.
Götz. Das Gescheitste war, daß ihr euern Zwist so glücklich und fröhlich durch eine Heirat endigt.
Brautvater. Besser, als ich mir's hätte träumen lassen. In Ruh und Fried mit meinem Nachbar, und eine Tochter wohl versorgt dazu!
Bräutigam. Und ich im Besitz des strittigen Stücks, und drüber den hübschten Backfisch im ganzen Dorf. Wollte Gott, Ihr hättet Euch eher drein geben.
Selbitz. Wie lange habt ihr prozessiert?
Brautvater. An die acht Jahre. Ich wollte lieber noch einmal so lang das Frieren haben, als von vorn anfangen. Das ist ein Gezerre, Ihr glaubt's nicht, bis man den Perücken ein Urteil vom Herzen reißt; und was hat man darnach? Der Teufel hol den Assessor Sapupi! 's is ein verfluchter schwarzer Italiener.
Bräutigam. Ja, das ist ein toller Kerl. Zweimal war ich dort.
Brautvater. Und ich dreimal. Und seht, ihr Herrn: kriegen wir ein Urteil endlich, wo ich so viel Recht hab als er, und er so viel als ich, und wir eben stunden wie die Maulaffen, bis mir unser Herrgott eingab, ihm meine Tochter zu geben und das Zeug dazu.
Götz (trinkt). Gut Vernehmen künftig.
Brautvater. Geb's Gott! Geh aber, wie's will, prozessieren tu ich mein Tag nit mehr. Was das ein Geldspiel kost! Jeden Reverenz, den euch ein Prokurator macht, müßt ihr bezahlen.
Selbitz. Sind ja jährlich Kaiserliche Visitationen da.
Brautvater. Hab nichts davon gehört. Ist mir mancher schöne Taler nebenaus gangen. Das unerhörte Blechen!
Götz. Wie meint Ihr?
Brautvater. Ach, da macht alles hohle Pfötchen. Der Assessor allein, Gott verzeih's ihm, hat mir achtzehn Goldgulden abgenommen.
Bräutigam. Wer?
Brautvater. Wer anders als der Sapupi?
Götz. Das ist schändlich.
Brautvater. Wohl, ich mußt ihm zwanzig erlegen. Und da ich sie ihm hingezahlt hatte, in seinem Gartenhaus, das prächtig ist, im großen Saal, wollt mir vor Wehmut fast das Herz brechen. Denn seht, eines Haus und Hof steht gut, aber wo soll bar Geld herkommen? Ich stund da, Gott weiß, wie mir's war. Ich hatte keinen roten Heller Reisegeld im Sack. Endlich nahm ich mir 's Herz und stellt's ihm vor. Nun er sah, daß mir 's Wasser an die Seele ging, da warf er mir zwei davon zurück und schickt' mich fort.
Bräutigam. Es ist nicht möglich! Der Sapupi?
Brautvater. Wie stellst du dich! Freilich! Kein andrer!
Bräutigam. Den soll der Teufel holen, er hat mir auch funfzehn Goldgülden abgenommen.
Brautvater. Verflucht!
Selbitz. Götz! Wir sind Räuber!
Brautvater. Drum fiel das Urteil so scheel aus. Du Hund!
Götz. Das müßt ihr nicht ungerügt lassen.
Brautvater. Was sollen wir tun?
Götz. Macht euch auf nach Speier, es ist eben Visitationszeit, zeigt's an, sie müssen's untersuchen und euch zu dem Eurigen helfen.
Bräutigam. Denkt Ihr, wir treiben's durch?
Götz. Wenn ich ihm über die Ohren dürfte, wollt ich's euch versprechen.
Selbitz. Die Summe ist wohl einen Versuch wert.
Götz. Bin ich wohl eher um des vierten Teils willen ausgeritten.
Brautvater. Wie meinst du?
Bräutigam. Wir wollen, geh's wie's geh.
(Georg kommt.)
Georg. Die Nürnberger sind im Anzug.
Götz. Wo?
Georg. Wenn wir ganz sachte reiten, packen wir sie zwischen Beerheim und Mühlbach im Wald.
Selbitz. Trefflich!
Götz. Kommt, Kinder. Gott grüß euch! Helf uns allen zum Unsrigen!
Bauer. Großen Dank! Ihr wollt nicht zum Nacht-Ims bleiben?
Götz. Können nicht. Adies.