Johann Wolfgang von Goethe
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Der Culenburgische Palast
Wohnung des Herzogs von Alba
Silva und Gomez begegnen einander
Silva. Hast du die Befehle des Herzogs ausgerichtet?
Gomez. Pünktlich. Alle tägliche Runden sind beordert, zur bestimmten Zeit an verschiedenen Plätzen einzutreffen, die ich ihnen bezeichnet habe; sie gehen indes, wie gewöhnlich, durch die Stadt, um Ordnung zu erhalten. Keiner weiß von dem andern; jeder glaubt, der Befehl gehe ihn allein an, und in einem Augenblick kann alsdann der Kordon gezogen und alle Zugänge zum Palast können besetzt sein. Weißt du die Ursache dieses Befehls?
Silva. Ich bin gewohnt, blindlings zu gehorchen. Und wem gehorcht sich's leichter als dem Herzoge, da bald der Ausgang beweist, daß er recht befohlen hat?
Gomez. Gut! Gut! Auch scheint es mir kein Wunder, daß du so verschlossen und einsilbig wirst wie er, da du immer um ihn sein mußt. Mir kommt es fremd vor, da ich den leichteren italienischen Dienst gewohnt bin. An Treue und Gehorsam bin ich der alte; aber ich habe mir das Schwätzen und Räsonieren angewöhnt. Ihr schweigt alle und laßt es euch nie wohl sein. Der Herzog gleicht mir einem ehrnen Turm ohne Pforte, wozu die Besatzung Flügel hätte. Neulich hört' ich ihn bei Tafel von einem frohen freundlichen Menschen sagen: er sei wie eine schlechte Schenke mit einem ausgesteckten Branntweinzeichen, um Müßiggänger, Bettler und Diebe hereinzulocken.
Silva. Und hat er uns nicht schweigend hierhergeführt?
Gomez. Dagegen ist nichts zu sagen. Gewiß! Wer Zeuge seiner Klugheit war, wie er die Armee aus Italien hierher brachte, der hat etwas gesehen. Wie er sich durch Freund und Feind, durch die Franzosen, Königlichen und Ketzer, durch die Schweizer und Verbundnen gleichsam durchschmiegte, die strengste Mannszucht hielt und einen Zug, den man so gefährlich achtete, leicht und ohne Anstoß zu leiten wußte! – Wir haben was gesehen, was lernen können.
Silva. Auch hier! Ist nicht alles still und ruhig, als wenn kein Aufstand gewesen wäre?
Gomez. Nun, es war auch schon meist still, als wir her kamen.
Silva. In den Provinzen ist es viel ruhiger geworden; und wenn sich noch einer bewegt, so ist es, um zu entfliehen. Aber auch diesen wird er die Wege bald versperren, denk ich.
Gomez. Nun wird er erst die Gunst des Königs gewinnen.
Silva. Und uns bleibt nichts angelegener, als uns die seinige zu erhalten. Wenn der König hieherkommt, bleibt gewiß der Herzog und jeder, den er empfiehlt, nicht unbelohnt.
Gomez. Glaubst du, daß der König kommt?
Silva. Es werden so viele Anstalten gemacht, daß es höchst wahrscheinlich ist.
Gomez. Mich überreden sie nicht.
Silva. So rede wenigstens nicht davon. Denn wenn des Königs Absicht ja nicht sein sollte zu kommen, so ist sie's doch wenigstens gewiß, daß man es glauben soll.
(Ferdinand, Albas natürlicher Sohn.)
Ferdinand. Ist mein Vater noch nicht heraus?
Silva. Wir warten auf ihn.
Ferdinand. Die Fürsten werden bald hier sein.
Gomez. Kommen sie heute?
Ferdinand. Oranien und Egmont.
Gomez (leise zu Silva). Ich begreife etwas.
Silva. So behalt es für dich.
(Herzog von Alba, – Wie er herein- und hervortritt, treten die andern zurück.)
Alba. Gomez.
Gomez. (tritt vor). Herr!
Alba. Du hast die Wachen verteilt und beordert?
Gomez. Aufs genaueste. Die täglichen Runden -
Alba. Genug. Du wartest in der Galerie. Silva wird dir den Augenblick sagen, wenn du sie zusammenziehen, die Zugänge nach dem Palast besetzen sollst. Das übrige weißt du.
Gomez. Ja, Herr! (Ab.)
Alba. Silva!
Silva. Hier bin ich.
Alba. Alles, was ich von jeher an dir geschätzt habe, Mut, Entschlossenheit, unaufhaltsames Ausführen, das zeige heut.
Silva. Ich danke Euch, daß Ihr mir Gelegenheit gebt zu zeigen, daß ich der alte bin.
Alba. Sobald die Fürsten bei mir eingetreten sind, dann eile gleich, Egmonts Geheimschreiber gefangenzunehmen. Du hast alle Anstalten gemacht, die übrigen, welche bezeichnet sind, zu fahen?
Silva. Vertraue auf uns. Ihr Schicksal wird sie, wie eine wohlberechnete Sonnenfinsternis, pünktlich und schrecklich treffen.
Alba. Hast du sie genau beobachten lassen?
Silva. Alle; den Egmont vor andern. Er ist der einzige, der, seit du hier bist, sein Betragen nicht geändert hat. Den ganzen Tag von einem Pferd aufs andere, ladet Gäste, ist immer lustig und unterhaltend bei Tafel, würfelt, schießt und schleicht nachts zum Liebchen. Die andern haben dagegen eine merkliche Pause in ihrer Lebensart gemacht; sie bleiben bei sich; vor ihrer Türe sieht's aus, als wenn ein Kranker im Hause wäre.
Alba. Drum rasch! eh sie uns wider Willen genesen.
Silva. Ich stelle sie. Auf deinen Befehl überhäufen wir sie mit dienstfertigen Ehren. Ihnen graut's; politisch geben sie uns einen ängstlichen Dank, fühlen, das Rätlichste sei, zu entfliehen, keiner wagt einen Schritt, sie zaudern, können sich nicht vereinigen; und einzeln etwas Kühnes zu tun, hält sie der Gemeingeist ab. Sie möchten gern sich jedem Verdacht entziehen und machen sich immer verdächtiger. Schon seh ich mit Freuden deinen ganzen Anschlag ausgeführt.
Alba. Ich freue mich nur über das Geschehene; und auch über das nicht leicht; denn es bleibt stets noch übrig, was uns zu denken und zu sorgen gibt. Das Glück ist eigensinnig, oft das Gemeine, das Nichtswürdige zu adeln und wohlüberlegte Taten mit einem gemeinen Ausgang zu entehren. Verweile, bis die Fürsten kommen; dann gib Gomez die Ordre, die Straßen zu besetzen, und eile selbst, Egmonts Schreiber und die übrigen gefangenzunehmen, die dir bezeichnet sind. Ist es getan, so komm hierher und meld es meinem Sohne, daß er mir in den Rat die Nachricht bringe.
Silva. Ich hoffe, diesen Abend vor dir stehn zu dürfen.
(Alba geht nach seinem Sohne, der bisher in der Galerie gestanden.)
Silva. Ich traue mir es nicht zu sagen; aber meine Hoffnung schwankt. Ich fürchte, es wird nicht werden, wie er denkt. Ich sehe Geister vor mir, die still und sinnend auf schwarzen Schalen das Geschick der Fürsten und vieler Tausende wägen. Langsam wankt das Zünglein auf und ab; tief scheinen die Richter zu sinnen; zuletzt sinkt diese Schale, steigt jene, angehaucht vom Eigensinn des Schicksals, und entschieden ist's. (Ab.)
(Alba mit Ferdinand hervortretend.)
Alba. Wie fandst du die Stadt?
Ferdinand. Es hat sich alles gegeben. Ich ritt, als wie zum Zeitvertreib, straßauf, straßab. Eure wohlverteilten Wachen halten die Furcht so angespannt, daß sie sich nicht zu lispeln untersteht. Die Stadt sieht einem Felde ähnlich, wenn das Gewitter von weitem leuchtet; man erblickt keinen Vogel, kein Tier, als das eilend nach einem Schutzorte schlüpft.
Alba. Ist dir nichts weiter begegnet?
Ferdinand. Egmont kam mit einigen auf den Markt geritten; wir grüßten uns; er hatte ein rohes Pferd, das ich ihm loben mußte. »Laßt uns eilen, Pferde zuzureiten, wir werden sie bald brauchen!« rief er mir entgegen. Er werde mich noch heute wiedersehn, sagte er, und komme, auf Euer Verlangen, mit Euch zu ratschlagen.
Alba. Er wird dich wiedersehn.
Ferdinand. Unter allen Rittern, die ich hier kenne, gefällt er mir am besten. Es scheint, wir werden Freunde sein.
Alba. Du bist noch immer zu schnell und wenig behutsam; immer erkenn ich in dir den Leichtsinn deiner Mutter, der mir sie unbedingt in die Arme lieferte. Zu mancher gefährlichen Verbindung lud dich der Anschein voreilig ein.
Ferdinand. Euer Wille findet mich bildsam.
Alba. Ich vergebe deinem jungen Blute dies leichtsinnige Wohlwollen, diese unachtsame Fröhlichkeit. Nur vergiß nicht, zu welchem Werke ich gesandt bin, und welchen Teil ich dir dran geben möchte.
Ferdinand. Erinnert mich, und schont mich nicht, wo Ihr es nötig haltet.
Alba (nach einer Pause). Mein Sohn!
Ferdinand. Mein Vater!
Alba. Die Fürsten kommen bald, Oranien und Egmont kommen. Es ist nicht Mißtrauen, daß ich dir erst jetzt entdecke, was geschehen soll. Sie werden nicht wieder von hinnen gehn.
Ferdinand. Was sinnst du?
Alba. Es ist beschlossen, sie festzuhalten. – Du erstaunst! Was du zu tun hast, höre; die Ursachen sollst du wissen, wenn es geschehn ist. Jetzt bleibt keine Zeit, sie auszulegen. Mit dir allein wünscht' ich das Größte, das Geheimste zu besprechen; ein starkes Band hält uns zusammengefesselt; du bist mir wert und lieb; auf dich möcht' ich alles häufen. Nicht die Gewohnheit zu gehorchen allein möcht' ich dir einprägen; auch den Sinn, auszudenken, zu befehlen, auszuführen, wünscht' ich in dir fortzupflanzen; dir ein großes Erbteil, dem Könige den brauchbarsten Diener zu hinterlassen; dich mit dem Besten, was ich habe, auszustatten, daß du dich nicht schämen dürfest, unter deine Brüder zu treten.
Ferdinand. Was werd ich dir nicht für diese Liebe schuldig, die du mir allein zuwendest, indem ein ganzes Reich vor dir zittert!
Alba. Nun höre, was zu tun ist. Sobald die Fürsten eingetreten sind, wird jeder Zugang zum Palaste besetzt. Dazu hat Gomez die Ordre. Silva wird eilen, Egmonts Schreiber mit den Verdächtigsten gefangenzunehmen. Du hältst die Wache am Tore und in den Höfen in Ordnung. Vor allen Dingen besetze diese Zimmer hier neben mit den sichersten Leuten; dann warte auf der Galerie, bis Silva wiederkommt, und bringe mir irgendein unbedeutend Blatt herein, zum Zeichen, daß sein Auftrag ausgerichtet ist. Dann bleib im Vorsaale, bis Oranien weggeht; folg ihm; ich halte Egmont hier, als ob ich ihm noch was zu sagen hätte. Am Ende der Galerie fordre Oraniens Degen, rufe die Wache an, verwahre schnell den gefährlichsten Mann; und ich fasse Egmont hier.
Ferdinand. Ich gehorche, mein Vater. Zum erstenmal mit schwerem Herzen und mit Sorge.
Alba. Ich verzeihe dir's; es ist der erste große Tag, den du erlebst.
(Silva tritt herein.)
Silva. Ein Bote von Antwerpen. Hier ist Oraniens Brief! Er kommt nicht.
Alba. Sagt' es der Bote?
Silva. Nein, mir sagt's das Herz.
Alba. Aus dir spricht mein böser Genius. (Nachdem er den Brief gelesen, winkt er beiden, und sie ziehen sich in die Galerie zurück. Er bleibt allein auf dem Vorderteile.) Er kommt nicht! Bis auf den letzten Augenblick verschiebt er, sich zu erklären. Er wagt es, nicht zu kommen! So war denn diesmal wider Vermuten der Kluge klug genug, nicht klug zu sein! – Es rückt die Uhr! Noch einen kleinen Weg des Seigers, und ein großes Werk ist getan oder versäumt, unwiederbringlich versäumt; denn es ist weder nachzuholen, noch zu verheimlichen. Längst hatt' ich alles reiflich abgewogen, und mir auch diesen Fall gedacht, mir festgesetzt, was auch in diesem Falle zu tun sei; und jetzt, da es zu tun ist, wehr ich mir kaum, daß nicht das Für und Wider mir aufs neue durch die Seele schwankt. – Ist's rätlich, die andern zu fangen, wenn er mir entgeht? Schieb ich es auf und laß Egmont mit den Seinigen, mit so vielen entschlüpfen, die nun, vielleicht nur heute noch, in meinen Händen sind? So z
wingt dich das Geschick denn auch, du Unbezwinglicher? Wie lang gedacht! Wie wohl bereitet! Wie groß, wie schön der Plan! Wie nah die Hoffnung ihrem Ziele! und nun im Augenblick des Entscheidens bist du zwischen zwei Übel gestellt; wie in einen Lostopf greifst du in die dunkle Zukunft; was du fassest, ist noch zugerollt, dir unbewußt, sei's Treffer oder Fehler! (Er wird aufmerksam, wie einer, der etwas hört, und tritt ans Fenster.) Er ist es! Egmont! – Trug dich dein Pferd so leicht herein und scheute vor dem Blutgeruche nicht und vor dem Geiste mit dem blanken Schwert, der an der Pforte dich empfängt? – Steig ab! – So bist du mit dem einen Fuß im Grab! und so mit beiden! – ja streichl' es nur und klopfe für seinen mutigen Dienst zum letztenmale den Nacken ihm – Und mir bleibt keine Wahl. In der Verblendung, wie hier Egmont naht, kann er dir nicht zum zweitenmal sich liefern! – Hört!
(Ferdinand und Silva treten eilig herbei.)
Alba. Ihr tut, was ich befahl; ich ändre meinen Willen nicht. Ich halte, wie es gehn will, Egmont auf, bis du mir von Silva die Nachricht gebracht hast. Dann bleib in der Nähe. Auch dir raubt das Geschick das große Verdienst, des Königs größten Feind mit eigener Hand gefangen zu haben. (Zu Silva). Eile! (Zu Ferdinand). Geh ihm entgegen. (Alba bleibt einige Augenblicke allein und geht schweigend auf und ab.)
(Egmont tritt auf.)