Die natürliche Tochter by Johann Wolfgang von Goethe
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Die natürliche Tochter

Johann Wolfgang von Goethe * Track #1 On Die natürliche Tochter

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Die natürliche Tochter by Johann Wolfgang von Goethe

Die natürliche Tochter Annotated

Personen

König

Herzog

Graf

Eugenie

Hofmeisterin

Secretair

Weltgeistlicher

Gerichtsrat

Gouverneur

Äbtissin

Mönch

Erster Aufzug

Dichter Wald.

Erster Auftritt

König. Herzog.

König
Das flücht'ge Ziel, das Hunde, Roß und Mann,
Auf seine Fährte bannend, nach sich reißt,
Der edle Hirsch, hat über Berg und Tal
So weit uns irr' geführt, daß ich mich selbst,
Obgleich so landeskundig, hier nicht finde.
Wo sind wir, Oheim? Herzog, sage mir,
Zu welchen Hügeln schweiften wir heran?

Herzog
Der Bach, der uns umrauscht, mein König, fließt
Durch deines Dieners Fluren, die er deiner
Und deiner Ahnherrn königlicher Gnade,
Als erster Lehnsmann deines Reiches, dankt.
An jenes Felsens andrer Seite liegt,
Am grünen Hang, ein artig Haus versteckt,
Dich zu bewirten keineswegs gebaut;
Allein bereit, dich huld'gend zu empfangen.

König
Laß dieser Bäume hochgewölbtes Dach,
Zum Augenblick des Rastens, freundlich schatten.
Laß dieser Lüfte liebliches Geweb'
Uns leis' umstricken, daß an Sturm und Streben
Der Jagdlust auch der Ruhe Lust sich füge.

Herzog
Wie du auf einmal völlig abgeschieden,
Hier hinter diesem Bollwerk der Natur,
Mein König, dich empfindest, fühl' ich mit.
Hier dränget sich der Unzufriednen Stimme,
Der Unverschämten offne Hand nicht nach.
Freiwillig einsam merkest du nicht auf,
Ob Undankbare schleichend sich entfernen.
Die ungestüme Welt reicht nicht hierher,
Die immer fordert, nimmer leisten will.

König
Soll ich vergessen, was mich sonst bedrängt,
So muß kein Wort erinnernd mich berühren.
Entfernten Weltgetöses Widerhall
Verklinge, nach und nach, aus meinem Ohr.
Ja, lieber Oheim, wende dein Gespräch
Auf Gegenstände diesem Ort gemäßer.
Hier sollen Gatten an einander wandeln,
Ihr Stufenglück in wohlgeratnen Kindern
Entzückt betrachten; hier ein Freund dem Freunde
Verschloss'nen Busen traulich öffnend nahn,
Und gabst du nicht erst neulich stille Winke,
Du hofftest mir, in ruh'gen Augenblicken,
Verborgenes Verhältnis zu bekennen;
Drangvoller Wünsche holden Inbegriff,
Erfüllung hoffend, heiter zu gestehn.

Herzog
Mit größrer Gnade konntest du mich nicht,
O Herr, beglücken, als indem du mir,
In diesem Augenblick, die Zunge lösest.
Was ich zu sagen habe, könnt' es wohl
Ein Andrer besser hören als mein König,
Dem, unter allen Schätzen, seine Kinder
Am herrlichsten entgegen leuchten; der
Vollkommner Vaterfreuden Hochgenuß
Mit seinem Knechte herzlich teilen wird?

König
Du sprichst von Vaterfreuden! Hast du je
Sie denn gefühlt? Verkümmerte dir nicht
Dein einz'ger Sohn durch rohes, wildes Wesen,
Verworrenheit, Verschwendung, starren Trutz
Dein reiches Leben, dein erwünschtes Alter;
Verändert er auf einmal die Natur?

Herzog
Von ihm erwart' ich keine frohen Tage!
Sein trüber Sinn erzeugt nur Wolken, die,
Ach, meinen Horizont so oft verfinstern.
Ein anderes Gestirn, ein andres Licht
Erheitert mich. Und, wie in dunklen Grüften,
Das Märchen sagt's, Karfunkelsteine leuchten,
Mit herrlich mildem Schein, der öden Nacht
Geheimnisvolle Schauer hold beleben,
So ward auch mir ein Wundergut beschert,
Mir Glücklichem! das ich, mit Sorgfalt, mehr
Als den Besitz ererbt errungner Güter,
Als meiner Augen, meines Lebens Licht,
Mit Freud' und Furcht, mit Lust und Sorge pflege.

König
Sprich vom Geheimnis nicht geheimnisvoll.

Herzog
Wer spräche, vor der Majestät, getrost
Von seinen Fehlern, wenn sie nicht allein
Den Fehl in Recht und Glück verwandeln könnte.

König
Der wonnevoll geheim verwahrte Schatz?

Herzog
Ist eine Tochter.

König
Eine Tochter? Wie?
Und suchte, Fabelgöttern gleich, mein Oheim,
Zum niedern Kreis verstohlen hingewandt,
Sich Liebesglück und väterlich Entzücken?

Herzog
Das Große wie das Niedre nötigt uns
Geheimnisvoll zu handeln und zu wirken.
Nur allzuhoch stand jene, heimlich mir,
Durch wundersam Geschick, verbundne Frau,
Um welche noch dein Hof in Trauer wandelt,
Und meiner Brust geheime Schmerzen teilt.

König
Die Fürstin? Die verehrte, nah verwandte,
Nur erst verstorb'ne?

Herzog
War die Mutter! Laß,
O! laß mich nur von diesem Kinde reden,
Das, seiner Eltern wert und immer werter,
Mit edlem Sinne, sich des Lebens freut.
Begraben sei das Übrige mit ihr,
Der hochbegabten, hochgesinnten Frauen.
Ihr Tod eröffnet mir den Mund, ich darf
Vor meinem König meine Tochter nennen,
Ich darf ihn bitten: sie zu mir herauf,
Zu sich herauf zu heben, ihr das Recht
Der fürstlichen Geburt, vor seinem Hofe,
Vor seinem Reiche, vor der ganzen Welt,
Aus seiner Gnadenfülle zu bewähren.

König
Vereint in sich die Nichte, die du mir,
So ganz erwachsen, zuzuführen denkst,
Des Vaters und der Mutter Tugenden:
So muß der Hof, das königliche Haus,
Indem uns ein Gestirn entzogen wird,
Den Aufgang eines neuen Sterns bewundern.

Herzog
O kenne sie, eh du zu ihrem Vorteil
Dich ganz entscheidest. Laß ein Vaterwort
Dich nicht bestechen! Manches hat Natur
Für sie getan, das ich entzückt betrachte,
Und alles, was in meinem Kreise webt,
Hab' ich um ihre Kindheit hergelagert.
Schon ihren ersten Weg geleiteten
Ein ausgebildet Weib, ein weiser Mann.
Mit welcher Leichtigkeit, mit welchem Sinn
Erfreut sie sich des Gegenwärtigen,
Indes ihr Phantasie das künft'ge Glück
Mit schmeichelhaften Dichterfarben malt.
An ihrem Vater hängt ihr frommes Herz,
Und wenn ihr Geist den Lehren edler Männer,
Sich stufenweis' entwickelnd, friedlich horcht:
So mangelt Übung ritterlicher Tugend
Dem wohlgebauten festen Körper nicht.
Du selbst, mein König, hast sie unbekannt
Im wildem Drang der Jagd um dich gesehn.
Ja, heute noch! Die Amazonen-Tochter,
Die in den Fluß dem Hirsche sich zuerst
Auf raschem Pferde flüchtig nachgestürzt.

König
Wir sorgten alle für das edle Kind!
Ich freue mich, sie mir verwandt zu hören.

Herzog
Und nicht zum erstenmal empfand ich heute,
Wie Stolz und Sorge, Vaterglück und Angst,
Zu übermenschlichem Gefühl sich mischen.

König
Gewaltsam und behende riß das Pferd
Sich und die Reiterin auf jenes Ufer,
In dichtbewachs'ner Hügel Dunkelheit.
Und so verschwand sie mir.

Herzog
Noch einmal hat
Mein Auge sie gesehen, eh ich sie
Im Labyrinth der hast'gen Jagd verlor.
Wer weiß, welch ferne Gegend sie durchstreift,
Verdroßnen Muts, am Ziel sich nicht zu finden,
Wo, ihrem angebeteten Monarchen sich,
In ehrerbietiger Entfernung, anzunähern,
Allein ihr jetzt erlaubt ist, bis er sie,
Als Blüte seines hochbejahrten Stammes,
Mit königlicher Huld zu grüßen würdigt.

König
Welch ein Getümmel seh' ich dort entstehn?
Welch einen Zulauf nach den Felsenwänden?

Er winkt nach der Szene.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Graf.

König
Warum versammelt sich die Menge dort?

Graf
Die kühne Reiterin ist, eben jetzt,
Von jener Felsenwand herabgestürzt.

Herzog
Gott!

König
Ist sie sehr beschädigt?

Graf
Eilig hat
Man deinen Wundarzt, Herr, dahingerufen.

Herzog
Was zaudr' ich? Ist sie tot, so bleibt mir nichts,
Was mich im Leben länger halten kann.

Dritter Auftritt

König. Graf.

König
Kennst du den Anlaß der Begebenheit?

Graf
Vor meinen Augen hat sie sich ereignet.
Ein starker Trupp von Reitern, welcher sich
Durch Zufall von der Jagd getrennt gesehn,
Geführt von dieser Schönen, zeigte sich
Auf jener Klippen waldbewachs'ner Höhe.
Sie hören, sehen unten in dem Tal
Den Jagdgebrauch vollendet, sehn den Hirsch
Als Beute liegen seiner kläffenden
Verfolger. Schnell zerstreuet sich die Schar,
Und jeder sucht sich einzeln seinen Pfad,
Hier oder dort, mehr oder weniger
Durch einen Umweg. Sie allein besinnt
Sich keinen Augenblick, und nötiget
Ihr Pferd von Klipp' zu Klippe, grad herein.
Des Frevels Glück betrachten wir erstaunt;
Denn ihr gelingt es eine Weile, doch
Am untern steilen Abhang gehn dem Pferde
��  Die letzten, schmalen Klippenstufen aus,
Es stürzt herunter, sie mit ihm. So viel
Konnt' ich bemerken, eh der Menge Drang
Sie mir verdeckte. Doch ich hörte bald
Nach deinem Arzte rufen. So erschein' ich nun
Auf deinen Wink, den Vorfall zu berichten.

König
O möge sie ihm bleiben! Fürchterlich
Ist einer, der nichts zu verlieren hat.

Graf
So hat ihm dieser Schrecken das Geheimnis
Auf einmal abgezwungen, das er sonst,
Mit so viel Klugheit, zu verbergen strebte?

König
Er hatte schon sich völlig mir vertraut.

Graf
Die Lippen öffnet ihm der Fürstin Tod,
Nun zu bekennen, was, für Hof und Stadt,
Ein offenbar Geheimnis lange war.
Es ist ein eigner, grillenhafter Zug,
Daß wir, durch Schweigen, das Geschehene,
Für uns und Andre, zu vernichten glauben.

König
O laß dem Menschen diesen edlen Stolz.
Gar vieles kann, gar vieles muß geschehn,
Was man mit Worten nicht bekennen darf.

Graf
Man bringt sie, furcht' ich, ohne Leben her!

König
Welch unerwartet, schreckliches Ereignis!

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Eugenie (auf zusammengeflochtenen Ästen, für tot hereingetragen). Herzog. Wundarzt. Gefolge.

Herzog
(zum Wundarzt)
Wenn deine Kunst nur irgend was vermag,
Erfahrner Mann, dem unsers Königs Leben,
Das unschätzbare Gut, vertraut ist, laß
Ihr helles Auge sich noch einmal öffnen,
Daß Hoffnung mir in diesem Blick erscheine!
Daß, aus der Tiefe meines Jammers, ich
Nur Augenblicke noch gerettet werde!
Vermagst du dann nichts weiter, kannst du sie
Nur wenige Minuten mir erhalten:
So laßt mich eilen, vor ihr hinzusterben,
Daß ich im Augenblick des Todes noch
Getröstet rufe: meine Tochter lebt!

König Entferne dich, mein Oheim! daß ich hier
Die Vaterpflichten treulich übernehme.
Nichts unversucht läßt dieser wackre Mann.
Gewissenhaft, als läg' ich selber hier,
Wird er um deine Tochter sich bemühen.

Herzog
Sie regt sich!

König
Ist es wahr?

Graf
Sie regt sich!

Herzog
Starr
Blickt sie zum Himmel, blickt verirrt umher.
Sie lebt! sie lebt!

König
(ein wenig zurücktretend)
Verdoppelt eure Sorge!

Herzog
Sie lebt! sie lebt! Sie hat dem Tage wieder
Ihr Aug' eröffnet. Ja! sie wird nun bald
Auch ihren Vater, ihre Freunde kennen.
Nicht so umher, mein liebes Kind, verschwende
Die Blicke staunend, ungewiß; auf mich
Auf deinen Vater wende sie zuerst.
Erkenne mich, laß meine Stimme dir
Zuerst das Ohr berühren, da du uns,
Aus jener stummen Nacht, zurückekehrst.

Eugenie
(die indes, nach und nach, zu sich gekommen ist
und sich aufgerichtet hat)

Was ist aus uns geworden?

Herzog
Kenne mich
Nur erst! – Erkennst du mich?

Eugenie
Mein Vater!

Herzog
Ja!
Dein Vater, den, mit diesen holden Tönen,
Du aus den Armen der Verzweiflung rettest.

Eugenie
Wer bracht' uns unter diese Bäume?

Herzog
(dem der Wundarzt ein weißes Tuch gegeben)
Bleib
Gelassen, meine Tochter! Diese Stärkung
Nimm sie mit Ruhe, mit Vertrauen an!

Eugenie
(Sie nimmt dem Vater das Tuch ab, das er ihr vorgehalten und verbirgt ihr Gesicht darin. Dann sieht sie schnell auf, indem sie das Tuch vom Gesicht nimmt)

Da bin ich wieder! – Ja nun weiß ich alles.
Dort oben hielt ich, dort vermaß ich mich
Herab zu reiten, grad herab. Verzeih!
Nicht wahr, ich bin gestürzt? Vergibst du mir's?
Für tot hob man mich auf? Mein guter Vater!
Und wirst du die Verwegne lieben können,
Die solche bittre Schmerzen dir gebracht?

Herzog
Zu wissen glaubt' ich, welch ein edler Schatz
In dir, o Tochter, mir beschieden ist;
Nun steigert mir gefürchteter Verlust
Des Glücks Empfindung ins Unendliche.

König
(der sich bisher, im Grunde, mit dem Wundarzt
und dem Grafen unterhalten, zu dem letzten)

Entferne Jedermann! ich will sie sprechen.

Fünfter Auftritt

König. Herzog. Eugenie

König
(näher tretend)

Hat sich die wackre Reiterin erholt?
Hat sie sich nicht beschädigt?

Herzog Nein, mein König!
Und was noch übrig ist von Schreck und Weh,
Nimmst du, o Herr, durch deinen milden Blick,
Durch deiner Worte sanften Ton hinweg.

König
Und wem gehört es an, das liebe Kind?

Herzog
(nach einer Pause)

Da du mich fragst, so darf ich dir bekennen;
Und wem gehört es an, das liebe Kind?Da du gebietest, darf ich sie vor dich,
Und wem gehört es an, das liebe Kind?Als meine Tochter, stellen.

König
Deine Tochter?
So hat für dich das Glück, mein lieber Oheim,
Unendlich mehr als das Gesetz getan.

Eugenie
Wohl muß ich fragen: ob ich wirklich denn,
Aus jener tödlichen Betäubung, mich
Ins Leben wieder aufgerafft? und ob,
Was mir begegnet, nicht ein Traumbild sei?
Mein Vater nennt, vor seinem Könige,
Mich seine Tochter. O, so bin ich's auch!
Der Oheim eines Königes bekennt
Mich für sein Kind, so bin ich denn die Nichte
Des großen Königs. O verzeihe mir
Die Majestät! wenn aus geheimnisvollem,
Verborgnem Zustand ich, ans Licht auf einmal
Hervorgerissen und geblendet, mich,
Unsicher, schwankend, nicht zu fassen weiß.

Sie wirft sich vor dem König nieder.

König
Mag diese Stellung die Ergebenheit
In dein Geschick, von Jugend auf, bezeichnen!
Die Demut, deren unbequeme Pflicht
Du, deiner höheren Geburt bewußt,
So manches Jahr, im Stillen, ausgeübt.
Doch sei auch nun, wenn ich von meinen Füßen
Zu meinem Herzen dich herauf gehoben,

er hebt sie auf und drückt sie an sich.

Wenn ich des Oheims heil'gen Vaterkuß
Auf dieser Stirne schönen Raum gedrückt,
So sei dies auch ein Zeichen, sei ein Siegel
Dich, die Verwandte hab' ich anerkannt;
Und werde bald, was hier geheim geschah,
Vor meines Hofes Augen wiederholen.

Herzog
So große Gabe fordert ungeteilten
Und unbegrenzten Dank des ganzen Lebens.

Eugenie
Von edlen Männern hab' ich viel gelernt,
Auch manches lehrte mich mein eigen Herz;
Doch meinen König anzureden, bin
Ich, nicht entfernterweise, vorbereitet.
Doch wenn ich schon das ganz Gehörige
Dir nicht zu sagen weiß, so möcht' ich doch
Vor dir, o Herr, nicht ungeschickt verstummen.
Was fehlte dir? was wäre dir zu bringen?
Die Fülle selber, die zu dir sich drängt,
Fließt, nur für Andre, strömend wieder fort.
Hier stehen Tausende dich zu beschützen,
Hier wirken Tausende nach deinem Wink;
Und wenn der Einzelne dir Herz und Geist
Und Arm und Leben fröhlich opfern wollte;
In solcher großen Menge zählt er nicht,
Er muß vor dir und vor sich selbst verschwinden

König
Wenn dir die Menge, gutes edles Kind,
Bedeutend scheinen mag: so tadl' ich's nicht;
Sie ist bedeutend, mehr noch aber sind's
Die Wenigen, geschaffen dieser Menge,
Durch Wirken, Bilden, Herrschen vorzustehn.
Berief hiezu den König die Geburt,
So sind ihm seine nächsten Anverwandten
Geborne Räte, die, mit ihm vereint,
Das Reich beschützen und beglücken sollten.
O träte doch, in diese Regionen,
Zum Rate dieser hohen Wächter, nie
Vermummte Zwietracht, leisewirkend ein.
Dir, edle Nichte, geb' ich einen Vater,
Durch allgewalt'gen, königlichen Spruch;
Erhalte mir nun auch, gewinne mir,
Des nahverwandten Mannes Herz und Stimme
Gar viele Widersacher hat ein Fürst,
O laß ihn jene Seite nicht verstärken!

Herzog
Mit welchem Vorwurf kränkest du mein Herz!

Eugenie
Wie unverständlich sind mir diese Worte!

König
O lerne sie nicht allzufrüh verstehn!
Die Pforten unsers königlichen Hauses
Eröffn' ich dir, mit eigner Hand; ich führe
Auf glatten Marmorboden dich hinein.
Noch staunst du dich, noch staunst du alles an,
Und in den innern Tiefen ahnest du
Nur sichre Würde, mit Zufriedenheit.
Du wirst es anders finden! Ja, du bist
In eine Zeit gekommen, wo dein König
Dich nicht zum heitren, frohen Feste ruft,
Wenn er den Tag, der ihm das Leben gab,
In kurzem feiern wird; doch soll der Tag
Um deinetwillen mir willkommen sein;
Dort werd' ich dich im offnen Kreise sehn,
Und Aller Augen werden auf dir haften.
Die schönste Zierde gab dir die Natur;
Und daß der Schmuck der Fürstin würdig sei,
Die Sorge laß dem Vater, laß dem König.

Eugenie
Der freud'gen Überraschung laut Geschrei,
Bedeutender Gebärde dringend Streben,
Vermöchten sie die Wonne zu bezeugen,
Die du dem Herzen schaffend aufgeregt?
Zu deinen Füßen, Herr, laß mich verstummen.

Sie will knieen.

König
(hält sie ab)
Du sollst nicht knieen.

Eugenie
Laß, o laß mich hier
Der völligsten Ergebung Glück genießen.
Wenn wir, in raschen, mutigen Momenten,
Auf unsern Füßen stehen, strack und kühn,
Als eigner Stütze, froh uns selbst vertraun,
Dann scheint uns Welt und Himmel zu gehören.
Doch was, in Augenblicken der Entzückung,
Die Kniee beugt, ist auch ein süß Gefühl.
Und was wir unserm Vater, König, Gott,
Von Wonnedank, von ungemess'ner Liebe,
Zum reinsten Opfer bringen möchten, drückt
In dieser Stellung sich am Besten aus.

Sie fällt vor ihm nieder.

Herzog
(knieet)
Erneute Huldigung gestatte mir.

Eugenie
Zu ewigen Vasallen nimm uns an.

König
Erhebt euch denn und stellt euch neben mich,
Ins Chor der Treuen, die an meiner Seite
Das Rechte, das Beständige beschützen.
O diese Zeit hat fürchterliche Zeichen,
Das Niedre schwillt, das Hohe senkt sich nieder,
Als könnte Jeder nur am Platz des Andern
Befriedigung verworrner Wünsche finden,
Nur dann sich glücklich fühlen, wenn nichts mehr
Zu unterscheiden wäre, wenn wir alle,
Von einem Strom vermischt dahingerissen,
Im Ozean uns unbemerkt verlören.
O! laß uns widerstehen, laßt uns, tapfer,
Was uns und unser Volk erhalten kann,
Mit doppelt neuvereinter Kraft erhalten!
Laßt endlich uns den alten Zwist vergessen,
Der Große gegen Große reizt, von innen
Das Schiff durchbohrt, das, gegen äußre Wellen
Geschlossen kämpfend, nur sich halten kann.

Eugenie
Welch frisch wohltät'ger Glanz umleuchtet mich
Und regt mich auf, anstatt mich zu verblenden!
Wie! Unser König achtet uns so sehr,
Um zu gestehen daß er uns bedarf;
Wir sind ihm nicht Verwandte nur, wir sind
Durch sein Vertraun zum höchsten Platz erhoben.
Und wenn die Edlen seines Königreichs
Um ihn sich drängen, seine Brust zu schützen,
So fordert er uns auf zu größerm Dienst.
Die Herzen dem Regenten zu erhalten,
Ist jedes Wohlgesinnten höchste Pflicht;
Denn wo er wankt, wankt das gemeine Wesen,
Und wenn er fällt, mit ihm stürzt alles hin.
Die Jugend, sagt man, bilde sich zu viel
Auf ihre Kraft, auf ihren Willen ein;
Doch dieser Wille, diese Kraft, auf ewig,
Was sie vermögen, dir gehört es an.

Herzog
Des Kindes Zuversicht, erhabner Fürst,
Weißt du zu schätzen, weißt du zu verzeihen.
Und wenn der Vater, der erfahrne Mann,
Die Gabe dieses Tags, die nächste Hoffnung,
In ihrem ganzen Werte, fühlt und wägt;
So bist du seines vollen Danks gewiß.

König
Wir wollen bald einander wiedersehn,
An jenem Fest, wo sich die treuen Meinen
Der Stunde freun, die mir das Licht gegeben.
Dich geb' ich, edles Kind, an diesem Tage
Der großen Welt, dem Hofe, deinem Vater
Und mir. Am Throne glänze dein Geschick.
Doch bis dahin verlang' ich von euch beiden
Verschwiegenheit. Was unter uns geschehn,
Erfahre Niemand. Mißgunst lauert auf,
Schnell regt sie Wog' auf Woge, Sturm auf Sturm;
Das Fahrzeug treibt an jähe Klippen hin,
Wo selbst der Steurer nicht zu retten weiß.
Geheimnis nur verbürget unsre Taten;
Ein Vorsatz, mitgeteilt, ist nicht mehr dein;
Der Zufall spielt mit deinem Willen schon;
Selbst wer gebieten kann muß überraschen.
Ja, mit dem besten Willen leisten wir
So wenig, weil uns tausend Willen kreuzen.
O! wäre mir, zu meinen reinen Wünschen,
Auch volle Kraft auf kurze Zeit gegeben;
Bis an den letzten Herd im Königreich
Empfände man des Vaters warme Sorge.
Begnügte sollten unter niedrem Dach,
Benügte sollten im Palaste wohnen.
Und hätt' ich einmal ihres Glücks genossen,
Entsagt' ich gern dem Throne, gern der Welt.

Sechster Auftritt

Herzog. Eugenie.

Eugenie
O welch ein selig jubelvoller Tag!

Herzog
O möcht' ich Tag' auf Tage so erleben!

Eugenie
Wie göttlich hat der König uns beglückt.

Herzog
Genieße rein so ungehoffte Gaben.

Eugenie
Er scheint nicht glücklich, ach! und ist so gut.

Herzog
Die Güte selbst erregt oft Widerstand.

Eugenie
Wer ist so hart sich ihm zu widersetzen?

Herzog
Der Heil des Ganzen von der Strenge hofft.

Eugenie
Des Königs Milde sollte Milde zeugen.

Herzog
Des Königs Milde zeugt Verwegenheit.

Eugenie
Wie edel hat ihn die Natur gebildet.

Herzog
Doch auf zu hohen Platz hinaufgestellt.

Eugenie
Und ihn mit so viel Tugend ausgestattet.

Herzog
Zur Häuslichkeit, zum Regimente nicht.

Eugenie
Von altem Heldenstamme grünt er auf.

Herzog
Die Kraft entgeht vielleicht dem späten Zweige.

Eugenie
Die Schwäche zu vertreten sind wir da.

Herzog
Sobald er unsre Stärke nicht verkennt.

Eugenie
(nachdenklich)

Mich leiten seine Reden zum Verdacht.

Herzog
Was sinnest du? Enthülle mir dein Herz.

Eugenie
(nach einer Pause)

Auch du bist unter denen die er fürchtet.

Herzog
Er fürchte jene die zu fürchten sind.

Eugenie
Und sollten ihm geheime Feinde drohen?

Herzog
Wer die Gefahr verheimlicht ist ein Feind.
Wo sind wir hingeraten! Meine Tochter!
Wie hat der sonderbarste Zufall uns
Auf einmal weggerissen nach dem Ziel.
Unvorbereitet red' ich, übereilt
Verwirr' ich dich, anstatt dich aufzuklären.
So mußte dir der Jugend heitres Glück
Beim ersten Eintritt in die Welt verschwinden.
Du konntest nicht, in süßer Trunkenheit,
Der blendenden Befriedigung genießen.
Das Ziel erreichst du; doch des falschen Kranzes
Verborgne Dornen ritzen deine Hand.
Geliebtes Kind! so sollt' es nicht geschehn!
Erst nach und nach, so hofft' ich, würdest du
Dich aus Beschränkung an die Welt gewöhnen,
Erst nach und nach den liebsten Hoffnungen
Entsagen lernen, manchem holden Wunsch.
Und nun auf einmal, wie der jähe Sturz
Dir vorbedeutet, bist du in den Kreis
Der Sorgen, der Gefahr herabgestürzt.
Mißtrauen atmet man in dieser Luft,
Der Neid verhetzt ein fieberhaftes Blut
Und übergibt dem Kummer seine Kranken.
Ach soll ich nun nicht mehr ins Paradies,
Das dich umgab, am Abend wiederkehren,
Zu deiner Unschuld heil'gem Vorgefühl
Mich von der Welt gedrängter Posse retten!
Du wirst fortan, mit mir ins Netz verstrickt,
Gelähmt, verworren, dich und mich betrauren.

Eugenie
Nicht so, mein Vater! Konnt' ich schon bisher
Untätig, abgesondert, eingeschlossen,
Ein kindlich Nichts, die reinste Wonne dir,
Schon in des Daseins Unbedeutenheit
Erholung, Trost und Lebenslust gewähren:
Wie soll die Tochter erst, in dein Geschick
Verflochten, im Gewebe deines Lebens,
Als heitrer, bunter Faden, künftig glänzen!
Ich nehme Teil an jeder edlen Tat,
An jeder großen Handlung, die den Vater
Dem König und dem Reiche werter macht.
Mein frischer Sinn, die jugendliche Lust,
Die mich belebt, sie teilen dir sich mit,
Verscheuchen jene Träume, die der Welt
Unüberwindlich ungeheure Last
Auf Eine Menschenbrust zerknirschend wälzen.
Wenn ich dir sonst in trüben Augenblicken
Ohnmächt'gen guten Willen, arme Liebe,
Dir leere Tändeleien kindlich bot;
Nun hoff' ich, eingeweiht in deine Plane,
Bekannt mit deinen Wünschen, mir das Recht
Vollbürt'ger Kindschaft rühmlich zu erwerben.

Herzog
Was du bei diesem wicht'gen Schritt verlierst,
Erscheint dir ohne Wert und ohne Würde;
Was du erwartest schätzest du zu sehr.

Eugenie
Mit hocherhabnen, hochbeglückten Männern
Gewalt'ges Ansehn, würd'gen Einfluß teilen!
Für edle Seelen reizender Gewinn!

Herzog
Gewiß! Vergib, wenn du in dieser Stunde
Mich schwächer findest, als dem Manne ziemt.
Wir tauschten sonderbar die Pflichten um:
Ich soll dich leiten und du leitest mich.

Eugenie
Wohl denn! Mein Vater, tritt mit mir herauf,
In diese Regionen, wo mir eben
Die neue, heitre Sonne sich erhebt.
In diesen muntern Stunden lächle nur,
Wenn ich den Inbegriff von meinen Sorgen
Dir auch eröffne.

Herzog
Sage, was es ist.

Eugenie
Der wichtigen Momente gibt's im Leben
Gar manche, die mit Freude, die mit Trauer
Des Menschen Herz bestürmen. Wenn der Mann
Sein Äußeres, in solchem Fall, vergißt,
Nachlässig oft sich vor die Menge stellt,
So wünscht ein Weib noch Jedem zu gefallen,
Durch ausgesuchte Tracht, vollkommnen Schmuck,
Beneidenswert vor andern zu erscheinen.
Das hab' ich oft gehört und oft bemerkt,
Und nun empfind' ich, im bedeutendsten
Momente meines Lebens, daß auch ich
Der mädchenhaften Schwachheit schuldig bin.

Herzog
Was kannst du wünschen, das du nicht erlangst?

Eugenie
Du bist geneigt, mir alles zu gewähren,
Ich weiß es. Doch der große Tag ist nah,
Zu nah, um alles würdig zu bereiten;
Und was von Stoffen, Stickerei und Spitzen,
Was von Juwelen mich umgeben soll,
Wie kann's geschafft, wie kann's vollendet werden?

Herzog
Uns überrascht ein längst gewünschtes Glück;
Doch vorbereitet können wir's empfangen.
Was du bedarfst ist alles angeschafft,
Und heute noch, verwahrt im edlen Schrein,
Erhältst du Gaben, die du nicht erwartet.
Doch leichte Prüfung leg' ich dir dabei,
Zum Vorbild mancher künftig schweren, auf.
Hier ist der Schlüssel! den verwahre wohl;
Bezähme deine Neugier! Öffne nicht,
Eh ich dich wiedersehe, jenen Schatz.
Vertraue Niemand, sei es wer es sei.
Die Klugheit rät's, der König selbst gebeut's.

Eugenie
Dem Mädchen sinnst du harte Prüfung aus;
Doch will ich sie bestehn, ich schwör' es dir!

Herzog
Mein eig'ner wüster Sohn umlauert ja
Die stillen Wege, die ich dich geführt.
Der Güter kleinen Teil, den ich bisher
Dir schuldig zugewandt, mißgönnt er schon.
Erführ' er, daß du höher nun empor
Durch unsers Königs Gunst gehoben, bald
In manchem Recht ihm gleich dich stellen könntest;
Wie müßt' er wüten! Würd' er tückisch nicht,
Den schönen Schritt zu hindern, alles tun?

Eugenie
Laß uns, im Stillen, jenen Tag erharren.
Und wenn geschehn ist, was mich seine Schwester
Zu nennen mich berechtigt, soll's an mir,
Soll's an gefälligem Betragen, guten Worten,
Nachgiebigkeit und Neigung nicht gebrechen.
Er ist dein Sohn; und sollt' er nicht, nach dir,
Zur Liebe, zur Vernunft gebildet sein?

Herzog
Ich traue dir ein jedes Wunder zu,
Verrichte sie zu meines Hauses Bestem
Und lebe wohl. Doch ach! indem ich scheide,
Befällt mich grausend jäher Furcht Gewalt.
Hier lagst du tot in meinen Armen! Hier
Bezwang mich der Verzweiflung Tigerklaue.
Wer nimmt das Bild vor meinen Augen weg!
Dich hab' ich tot gesehn! So wirst du mir
An manchem Tag, in mancher Nacht erscheinen.
War ich entfernt von dir, nicht stets besorgt?
Nun ist's nicht mehr ein kranker Grillentraum,
Es ist ein wahres unauslöschlichs Bild:
Eugenie, das Leben meines Lebens,
Bleich, hingesunken, atemlos, entseelt.

Eugenie
Erneue nicht, was du entfernen solltest,
Laß diesen Sturz, laß diese Rettung dir
Als wertes Pfand erscheinen meines Glücks.
Lebendig siehst du sie vor deinen Augen,

indem sie ihn umarmt.

Und fühlst lebendig sie an deiner Brust.
So laß mich immer, immer wiederkehren!
Und vor dem glüh'nden, liebevollen Leben
Entweiche des verhaßten Todes Bild.

Herzog
Kann wohl ein Kind empfinden, wie den Vater
Die Sorge möglichen Verlustes quält?
Gesteh' ich's nur! Wie öfters hat mich schon
Dein überkühner Mut, mit dem du dich,
Als wie ans Pferd gewachsen, voll Gefühl
Der doppelten, zentaurischen Gewalt,
Durch Tal und Berg, durch Fluß und Graben schleuderst,
Wie sich ein Vogel durch die Lüfte wirft,
Ach! öfters mehr geängstigt als entzückt.
Daß doch gemäßigter dein Trieb fortan
Der ritterlichen Übung sich erfreue!

Eugenie
Dem Ungemess'nen beugt sich die Gefahr,
Beschlichen wird das Mäßige von ihr.
O! fühle jetzt wie damals, da du mich,
Ein kleines Kind, in ritterliche Weise,
Mit heitrer Kühnheit, fröhlich eingeweiht.

Herzog
Ich hatte damals Unrecht; soll mich nun
Ein langes Leben sorgenvoll bestrafen!
Und locket Übung des Gefährlichen
Nicht die Gefahr an uns heran?

Eugenie
Das Glück,
Und nicht die Sorge bändigt die Gefahr.
Leb wohl, mein Vater, folge deinem König,
Und sei nun, auch um deiner Tochter willen,
Sein redlicher Vasall, sein treuer Freund.
Leb wohl!

Herzog
O bleib! und steh an diesem Platz
Lebendig, aufrecht, noch einmal, wie du
Ins Leben wieder aufsprangst, wo mit Wonne
Du mein zerrissen Herz erfüllend heiltest.
Unfruchtbar bleibe diese Freude nicht!
Zum ew'gen Denkmal weih' ich diesen Ort.
Hier soll ein Tempel aufstehn, der Genesung,
Der glücklichsten, gewidmet. Rings umher
Soll deine Hand ein Feenreich erschaffen.
Den wilden Wald, das struppige Gebüsch
Soll sanfter Gänge Labyrinth verknüpfen.
Der stille Fels wird gangbar, dieser Bach
In reinen Spiegeln fällt er hier und dort.
Der überraschte Wandrer fühlt sich hier
Ins Paradies versetzt. Hier soll kein Schuß,
So lang ich lebe, fallen, hier kein Vogel
Von seinem Zweig, kein Wild in seinem Busch
Geschreckt, verwundet, hingeschmettert werden.
Hier will ich her, wenn mir der Augen Licht,
Wenn mir der Füße Kraft zuletzt versagt,
Auf dich gelehnt, wallfahrten; immer soll
Des gleichen Danks Empfindung mich beleben.
Nun aber lebe wohl! Und wie? – Du weinst?

Eugenie
O! wenn mein Vater ängstlich fürchten darf,
Die Tochter zu verlieren, soll in mir
Sich keine Sorge regen, ihn vielleicht –
Wie kann ich's denken, sagen – ihn zu missen.
Verwais'te Väter sind beklagenswert;
Allein verwais'te Kinder sind es mehr.
Und die, die Ärmste, stünde ganz allein,
Auf dieser weiten, fremden, wilden Welt,
Müßt' ich von ihm, dem Einzigen, mich trennen.

Herzog
Wie du mich stärktest, geb' ich dir's zurück.
Laß uns getrost, wie immer, vorwärts gehen.
Das Leben ist des Lebens Pfand; es ruht
Nur auf sich selbst und muß sich selbst verbürgen.
Drum laß uns eilig aus einander scheiden!
Von diesem allzuweichen Lebewohl
Soll ein erfreulich Wiedersehn uns heilen!

Sie trennen sich schnell; aus der Entfernung werfen sie sich,
mit ausgebreiteten Armen, ein Lebewohl zu und gehen
ab.

Zweiter Aufzug

Zimmer Eugeniens, im gotischen Stil.

Erster Auftritt

Hofmeisterin. Secretair

Secretair
Verdien' ich, daß du mich, im Augenblick,
Da ich erwünschte Nachricht bringe, fliehst?
Vernimm nur erst, was ich zu sagen habe!

Hofmeisterin
Wohin es deutet, fühl' ich nur zu sehr.
O laß mein Auge vom bekannten Blick,
Mein Ohr sich von bekannter Stimme wenden.
Entfliehen laß mich der Gewalt, die sonst
Durch Lieb' und Freundschaft wirksam, fürchterlich,
Wie ein Gespenst, mir nun zur Seite steht.

Secretair
Wenn ich des Glückes Füllhorn dir auf einmal,
Nach langem Hoffen, vor die Füße schütte,
Wenn sich die Morgenröte jenes Tags,
Der unsern Bund auf ewig gründen soll,
Am Horizonte feierlich erhebt;
So scheinst du nun, verlegen, widerwillig
Den Antrag eines Bräutigams zu fliehn.

Hofmeisterin
Du zeigst mir nur die eine Seite dar,
Sie glänzt und leuchtet, wie im Sonnenschein
Die Welt erfreulich daliegt; aber hinten
Droht schwarzer Nächte Graus, ich ahn' ihn schon.

Secretair
So laß uns erst die schöne Seite sehn!
Verlangst du Wohnung, mitten in der Stadt?
Geräumig, heiter, trefflich ausgestattet,
Wie man's für sich, so wie für Gäste wünscht;
Sie ist bereit, der nächste Winter findet
Uns festlich dort umgeben, wenn du willst.
Sehnst du im Frühling dich aufs Land, auch dort
Ist uns ein Haus, ein Garten uns bestimmt,
Ein reiches Feld. Und was Erfreuliches
An Waldung, Busch, an Wiesen, Bach und Seen,
Sich Phantasie zusammen drängen mag,
Genießen wir, zum Teil, als unser eignes,
Zum Teil, als allgemeines Gut. Wobei
Noch manche Rente, gar bequem, vergönnt
Durch Sparsamkeit ein sichres Glück zu steigern.

Hofmeisterin
In trübe Wolken hüllt sich jenes Bild,
So heiter du es malst, vor meinen Augen.
Nicht wünschenswert, abscheulich naht sich mir
Der Gott der Welt im Überfluß heran.
Was für ein Opfer fordert er? Das Glück
Des holden Zöglings müßt' ich morden helfen!
Und was ein solch Verbrechen mir erwarb,
Ich sollt' es je, mit freier Brust, genießen?
Eugenie! du, deren holdes Wesen
In meiner Nähe sich, von Jugend auf,
Aus reicher Fülle rein entwickeln sollte,
Kann ich noch unterscheiden, was an dir
Dein eigen ist und was du mir verdankst?
Die, die ich als mein selbst gebildet Werk
Im Herzen trage, sollt' ich nun zerstören?
Von welchem Stoffe seid ihr denn geformt,
Ihr Grausamen, daß eine solche Tat
Ihr fordern dürft und zu belohnen glaubt?

Secretair
Gar manchen Schatz bewahrt von Jugend auf
Ein edles gutes Herz und bildet ihn
Nur immer schöner, liebenswürd'ger, aus,
Zur holden Gottheit des geheimen Tempels;
Doch wenn das Mächtige, das uns regiert,
Ein großes Opfer heischt, wir bringen's doch,
Mit blutendem Gefühl, der Not zuletzt.
Zwei Welten sind es, meine Liebe, die,
Gewaltsam sich bekämpfend, uns bedrängen.

Hofmeisterin
In völlig fremder Welt für mein Gefühl
Scheinst du zu wandeln, da du deinem Herrn,
Dem edlen Herzog, solche Jammertage
Verräterisch bereitest, zur Partei
Des Sohns dich fügest – Wenn das Waltende
Verbrechen zu begünst'gen scheinen mag,
So nennen wir es Zufall; doch der Mensch,
Der ganz besonnen solche Tat erwählt,
Er ist ein Rätsel. – Doch – und bin ich nicht
Mir auch ein Rätsel? daß ich noch an dir,
Mit solcher Neigung, hänge, da du mich
Zum jähen Abgrund hinzureißen strebst.
Warum o! schuf dich die Natur, von außen,
Gefällig, liebenswert, unwiderstehlich,
Wenn sie ein kaltes Herz in deinen Busen,
Ein glückzerstörendes, zu pflanzen dachte!

Secretair
An meiner Neigung Wärme zweifelst du?

Hofmeisterin
Ich würde mich vernichten, wenn ich's könnte.
Doch ach! warum, und mit verhaßtem Plan,
Aufs Neue mich bestürmen? Schwurst du nicht,
In ew'ge Nacht das Schrecknis zu begraben?

Secretair
Ach leider drängt sich's mächtiger hervor.
Den jungen Fürsten zwingt man zum Entschluß.
Erst blieb Eugenie, so manches Jahr,
Ein unbedeutend, unbekanntes Kind.
Du hast sie selbst, von ihren ersten Tagen,
In diesen alten Sälen, auferzogen,
Von wenigen besucht und heimlich nur.
Doch wie verheimlichte sich Vaterliebe!
Der Herzog, stolz auf seiner Tochter Wert,
Läßt nach und nach sie öffentlich erscheinen;
Sie zeigt sich reitend, fahrend. Jeder fragt
Und jeder weiß zuletzt woher sie sei.
Nun ist die Mutter tot. Der stolzen Frau
War dieses Kind ein Greuel, das ihr nur
Der Neigung Schwäche vorzuwerfen schien.
Nie hat sie's anerkannt und kaum gesehn.
Durch ihren Tod fühlt sich der Herzog frei,
Entwirft geheime Plane, nähert sich
Dem Hofe wieder und entsagt zuletzt
Dem alten Groll, versöhnt sich mit dem König
Und macht sich's zur Bedingung: dieses Kind
Als Fürstin seines Stamms erklärt zu sehn.

Hofmeisterin
Und gönnt ihr dieser köstlichen Natur
Vom Fürstenblute nicht das Glück des Rechts?

Secretair
Geliebte, Teure! Sprichst du doch so leicht,
Durch diese Mauern von der Welt geschieden,
In klösterlichem Sinne von dem Wert
Der Erdengüter. Blicke nur hinaus;
Dort wägt man besser solchen edlen Schatz.
Der Vater neidet ihn dem Sohn, der Sohn
Berechnet seines Vaters Jahre, Brüder
Entzweit ein ungewisses Recht, auf Tod
Und Leben. Selbst der Geistliche vergißt
Wohin er streben soll und strebt nach Gold.
Verdachte man's dem Prinzen, der sich stets
Als einz'gen Sohn gefühlt, wenn er sich nun
Die Schwester nicht gefallen lassen will,
Die, eingedrungen, ihm das Erbteil schmälert?
Man stelle sich an seinen Platz und richte.

Hofmeisterin
Und ist er nicht schon jetzt ein reicher Fürst?
Und wird er's nicht durch seines Vaters Tod
Zum Übermaß? Wie wär' ein Teil der Güter
So köstlich angelegt, wenn er dafür
Die holde Schwester zu gewinnen wüßte?

Secretair
Willkürlich handeln ist des Reichen Glück!
Er widerspricht der Fordrung der Natur,
Der Stimme des Gesetzes, der Vernunft,
Und spendet an den Zufall seine Gaben.
Genug besitzen hieße darben. Alles
Bedürfte man! Unendlicher Verschwendung
Sind ungemess'ne Güter wünschenswert.
Hier denke nicht zu raten, nicht zu mildern;
Kannst du mit uns nicht wirken, gib uns auf.

Hofmeisterin
Und was denn wirken? Lange droht ihr schon
Von fern dem Glück des liebenswürd'gen Kindes.
Was habt ihr denn in eurem furchtbar'n Rat
Beschlossen über sie? Verlangt ihr etwa,
Daß ich mich blind zu eurer Tat geselle?

Secretair
Mit nichten! Hören kannst und sollst du gleich,
Was zu beginnen, was von dir zu fordern,
Wir selbst genötigt sind. Eugenien
Sollst du entführen! Sie muß dergestalt
Auf einmal aus der Welt verschwinden, daß
Wir sie getrost als tot beweinen können;
Verborgen muß ihr künftiges Geschick,
Wie das Geschick der Toten, ewig bleiben.

Hofmeisterin
Lebendig weiht ihr sie dem Grabe, mich
Bestimmt ihr, tückisch, zur Begleiterin.
Mich stoßt ihr mit hinab. Ich soll mit ihr,
Mit der Verratnen, der Verräterin,
Der Toten Schicksal, vor dem Tode, teilen.

Secretair
Du führst sie hin und kehrest gleich zurück.

Hofmeisterin
Soll sie im Kloster ihre Tage schließen?

Secretair
Im Kloster nicht; wir mögen solch ein Pfand
Der Geistlichkeit nicht anvertrauen, die
Es leicht als Werkzeug gegen uns gebrauchte.

Hofmeisterin
So soll sie nach den Inseln? Sprich es aus.

Secretair
Du wirst's vernehmen! Jetzt beruh'ge dich.

Hofmeisterin
Wie kann ich ruhen, bei Gefahr und Not,
Die meinen Liebling, die mich selbst bedräut?

Secretair
Dein Liebling kann auch drüben glücklich sein,
Und dich erwarten hier Genuß und Wonne.

Hofmeisterin
O, schmeichelt euch mit solcher Hoffnung nicht.
Was hilft's, in mich zu stürmen? zum Verbrechen
Mich anzulocken, mich zu drängen? Sie,
Das hohe Kind, wird euren Plan vereiteln.
Gedenkt nur nicht sie als geduld'ges Opfer
Gefahrlos wegzuschleppen. Dieser Geist,
Der mutvoll sie beseelt, ererbte Kraft,
Begleiten sie, wohin sie geht, zerreißen
Das falsche Netz, womit ihr sie umgabt.

Secretair
Sie festzuhalten, das gelinge dir!
Willst du mich überreden, daß ein Kind,
Bisher im sanften Arm des Glücks gewiegt,
Im unverhofften Fall, Besonnenheit
Und Kraft, Geschick und Klugheit zeigen werde?
Gebildet ist ihr Geist doch nicht zur Tat,
Und wenn sie richtig fühlt und weise spricht,
So fehlt noch viel daß sie gemessen handle.
Des Unerfahrnen hoher, freier Mut
Verliert sich leicht in Feigheit und Verzweiflung,
Wenn sich die Not ihm gegenüber stellt.
Was wir gesonnen, führe du es aus,
Klein wird das Übel werden, groß das Glück.

Hofmeisterin
So gebt mir Zeit zu prüfen und zu wählen!

Secretair
Der Augenblick des Handelns drängt uns schon.
Der Herzog scheint gewiß, daß ihm der König,
Am nächsten Fest, die hohe Gunst gewähren
Und seine Tochter anerkennen wolle;
Denn Kleider und Juwelen stehn bereit,
Im prächt'gen Kasten sämtlich eingeschlossen,
Wozu er selbst die Schlüssel wohl verwahrt
Und ein Geheimnis zu verwahren glaubt;
Wir aber wissen's wohl und sind gerüstet;
Geschehen muß nun schnell das Überlegte.
Heut Abend hörst du mehr. Nun lebe wohl.

Hofmeisterin
Auf düstern Wegen wirkt ihr tückisch fort;
Und wähnet euren Vorteil klar zu sehen.
Habt ihr denn jeder Ahnung euch verschlossen,
Daß über Schuld und Unschuld, lichtverbreitend,
Ein rettend, rächend Wesen göttlich schwebt?

Secretair
Wer wagt ein Herrschendes zu leugnen, das
Sich vorbehält, den Ausgang unsrer Taten,
Nach seinem einz'gen Willen, zu bestimmen?
Doch wer hat sich zu seinem hohen Rat
Gesellen dürfen? Wer Gesetz und Regel,
Wornach es ordnend spricht, erkennen mögen?
Verstand empfinden wir, uns mündig selbst
Im ird'schen Element zurecht zu finden,
Und was uns nützt, ist unser höchstes Recht.

Hofmeisterin
Und so verleugnet ihr das Göttlichste,
Wenn euch des Herzens Winke nichts bedeuten.
Mich ruft es auf, die schreckliche Gefahr
Vom holden Zögling kräftig abzuwenden,
Mich gegen dich und gegen Macht und List
Beherzt zu waffnen. Kein Versprechen soll,
Kein Drohn mich von der Stelle drängen. Hier,
Zu ihrem Heil gewidmet, steh' ich fest.

Secretair
O meine Gute! dies ihr Heil vermagst
Du ganz allein zu schaffen, die Gefahr
Von ihr zu wenden magst du ganz allein,
Und zwar indem du uns gehorchst. Ergreife
Sie schnell, die holde Tochter, führe sie,
So weit du kannst, hinweg, verbirg sie fern
Vor aller Menschen Anblick, denn – du schauderst
Du fühlst, was ich zu sagen habe. Sei's,
Weil du mich drängest, endlich auch gesagt:
Sie zu entfernen ist das Mildeste.
Willst du zu diesem Plan nicht tätig wirken,
Denkst du dich ihm geheim zu widersetzen,
Und wagtest du, was ich dir anvertraut,
Aus guter Absicht irgend zu verraten;
So liegt sie tot in deinen Armen! Was
Ich selbst beweinen werde, muß geschehn.

Zweiter Auftritt

Hofmeisterin
Die kühne Drohung überrascht mich nicht!
Schon lange seh' ich dieses Feuer glimmen,
Nun schlägt es bald in lichte Flammen aus.
Um dich zu retten, muß ich, liebes Kind,
Dich deinem holden Morgentraum entreißen.
Nur Eine Hoffnung lindert meinen Schmerz;
Allein sie schwindet, wie ich sie ergreife.
Eugenie! wenn du entsagen könntest
Dem hohen Glück, das unermeßlich scheint,
An dessen Schwelle dir Gefahr und Tod,
Verbannung, als ein Milderes, begegnet.
O dürft' ich dich erleuchten! dürft' ich         dir
Verborgne Winkel öffnen, wo die Schar
Verschworener Verfolger, tückisch, lauscht.
Ach schweigen soll ich! Leise kann ich nur
Dich ahnungsvoll ermahnen; wirst du wohl,
Im Taumel deiner Freude, mich verstehen!

Dritter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie
Sei mir gegrüßt! du Freundin meines Herzens,
An Mutter Statt geliebte, sei gegrüßt.

Hofmeisterin
Mit Wonne drück' ich dich an dieses Herz,
Geliebtes Kind, und freue mich der Freude,
Die, reich aus Lebensfülle, dir entquillt.
Wie heiter glänzt dein Auge! Welch Entzücken
Umschwebet Mund und Wange! Welches Glück
Drängt aus bewegtem Busen sich hervor!

Eugenie
Ein großes Unheil hatte mich ergriffen,
Vom Felsen stürzte Roß und Reiterin.

Hofmeisterin
O Gott!

Eugenie
Sei ruhig! Siehst du doch mich wieder,
Gesund und hochbeglückt, nach diesem Fall.

Hofmeisterin
Und wie?

Eugenie
Du sollst es hören, wie so schön
Aus diesem Übel sich das Glück entwickelt.

Hofmeisterin
Ach aus dem Glück entwickelt oft sich Schmerz.

Eugenie
Sprich böser Vorbedeutung Wort nicht aus!
Und schrecke mich der Sorge nicht entgegen.

Hofmeisterin
O! möchtest du mir alles gleich vertrauen!

Eugenie
Vor allen Menschen dir zuerst. Nur jetzt,
Geliebte, laß mich mir. Ich muß allein
Ins eigene Gefühl mich finden lernen.
Du weißt, wie hoch mein Vater sich erfreut,
Wenn unerwartet ihm ein klein Gedicht
Entgegen kommt, wie mir's der Muse Gunst,
Bei manchem Anlaß willig schenken mag.
Verlaß mich! Eben schwebt mir's heiter vor,
Ich muß es haschen, sonst entschwindet's mir.

Hofmeisterin
Wann soll wie sonst vertrauter Stunden Reihe
Mit reichlichen Gesprächen uns erquicken?
Wann öffnen wir, zufriednen Mädchen gleich,
Die ihren Schmuck einander wiederholt
Zu zeigen kaum ermüden, unsres Herzens
Geheimste Fächer, uns bequem und herzlich,
Des wechselseit'gen Reichtums zu erfreuen?

Eugenie
Auch jene Stunden werden wiederkehren,
Von deren stillem Glück man, mit Vertrauen,
Sich des Vertrau'ns erinnernd, gerne spricht.
Doch heute laß, in voller Einsamkeit,
Mich das Bedürfnis jener Tage finden

Vierter Auftritt

Eugenie, nachher Hofmeisterin außen.

Eugenie
(eine Brieftasche hervorziehend)

Und nun geschwind zum Pergament, zum Griffel!
Ich hab' es ganz und eilig fass' ich's auf,
Was ich dem Könige, zu jener Feier,
Bei der ich, neugeboren sein Wort,
Ins Leben trete, herzlich widmen soll.

Sie rezitiert langsam und schreibt.

Welch Wonneleben wird hier ausgespendet!
Willst du, o Herr der obern Regionen,
Des Neulings Unvermögen nicht verschonen?
Ich sinke hin, von Majestät geblendet.

Doch bald getrost zu dir hinauf gewendet
Erfreut's mich, an dem Fuß der festen Thronen,
Ein Sprößling deines Stamms, beglückt zu wohnen,
Und all mein frühes Hoffen ist vollendet.

So fließe denn der holde Born der Gnaden!
Hier will die treue Brust so gern verweilen
Und an der Liebe Majestät sich fassen.

Mein Ganzes hängt an einem zarten Faden,
Mir ist, als müßt' ich unaufhaltsam eilen,
Das Leben, das du gabst, für dich zu lassen.

Das Geschriebene mit Gefälligkeit betrachtend.

So hast du lange nicht, bewegtes Herz,
Dich in gemess'nen Worten ausgesprochen!
Wie glücklich! den Gefühlen unsrer Brust
Für ew'ge Zeit den Stempel aufzudrücken!
Doch ist es wohl genug? Hier quillt es fort,
Hier quillt es auf! – Du nahest, großer Tag,
Der uns den König gab und der nun mich
Dem Könige, dem Vater, mich mir selbst,
Zu ungemess'ner Wonne, geben soll.
Dies hohe Fest verherrliche mein Lied!
Beflügelt drängt sich Phantasie voraus,
Sie trägt mich vor den Thron und stellt mir vor,
Sie gibt im Kreise mir –

Hofmeisterin
(außen) Eugenie!

Eugenie
Was soll das?

Hofmeisterin
Höre mich, und öffne gleich!

Eugenie
Verhaßte Störung! Offnen kann ich nicht.

Hofmeisterin
Vom Vater Botschaft!

Eugenie
Wie? vom Vater? Gleich!
Da muß ich öffnen.

Hofmeisterin
Große Gaben scheint
Er dir zu schicken.

Eugenie
Warte!

Hofmeisterin
Hörst du?

Eugenie
Warte!
Doch wo verberg' ich dieses Blatt? Zu klar
Spricht's jene Hoffnung aus, die mich beglückt.
Hier ist nichts zum Verschließen! Und bei mir
Ist's nirgend sicher, diese Tasche kaum;
Denn meine Leute sind nicht alle treu.
Gar manches hat man schon mir, als ich schlief,
Durchblättert und entwendet. Das Geheimnis,
Das größte, das ich je gehegt, wohin,
Wohin verberg' ich's?

Indem sie sich der Seitenwand nähert.

Wohl! hier war es ja,
Wo du, geheimer Wandschrank, meiner Kindheit
Unschuldige Geheimnisse verbargst!
Du, den mir kindisch allausspähende,
Von Neugier und von Müßiggang erzeugte,
Rastlose Tätigkeit entdecken half,
Du, jedem ein Geheimnis, öffne dich!

Sie drückt an einer unbemerkten Feder und eine kleine Türe springt auf.

So wie ich sonst verbotnes Zuckerwerk,
Zu listigem Genuß, in dir versteckte,
Vertrau' ich heute meines Lebens Glück
Entzückt und sorglich dir, auf kurze Zeit.

Sie legt das Pergament in den Schrank und drückt ihn zu.

Die Tage schreiten vor und ahnungsvoller
Bewegen sich nun Freud' und Schmerz heran.

Sie öffnet die Türe.

Fünfter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin. Bediente, (die einen prächtigen Putzkasten tragen).

Hofmeisterin
Wenn ich dich störte, führ' ich gleich mit mir,
Was mich gewiß entschuld'gen soll, herbei.

Eugenie
Von meinem Vater? dieser prächt'ge Schrein!
Auf welchen Inhalt deutet solch Gefäß?

zu den Bedienten.

Verweilt!

Sie reicht ihnen einen Beutel hin.

Zum Vorschmack eures Botenlohns
Nehmt diese Kleinigkeit, das Bess're folgt.

Bediente gehen.

Und ohne Brief und ohne Schlüssel! Steht
Mir solch ein Schatz verborgen, in der Nähe?
O Neugier! O Verlangen! Ahnest du,
Was diese Gabe mir bedeuten kann?

Hofmeisterin
Ich zweifle nicht, du hast es selbst erraten.
Auf nächste Hoheit deutet sie gewiß.
Den Schmuck der Fürstentochter bringt man dir,
Weil dich der König bald berufen wird.

Eugenie
Wie kannst du das vermuten?

Hofmeisterin
Weiß ich's doch!
Geheimnisse der Großen sind belauscht.

Eugenie
Und wenn du's weißt, was soll ich dir's verbergen?
Soll ich die Neugier dies Geschenk zu sehn
Vor dir umsonst bezähmen! – Hab' ich doch
Den Schlüssel hier! – Der Vater zwar verbot's.
Doch was verbot er? Das Geheimnis nicht
Unzeitig zu entdecken; doch dir ist
Es schon entdeckt. Du kannst nicht mehr erfahren,
Als du schon weißt, und schweigst nun, mir zu Liebe.
Was zaudern wir? Komm laß uns öffnen! komm,
Daß uns der Gaben hoher Glanz entzücke.

Hofmeisterin
Halt ein! Gedenke des Verbots! Wer weiß,
Warum der Herzog weislich so befohlen?

Eugenie
Mit Sinn befahl er, zum bestimmten Zweck;
Der ist vereitelt; alles weißt du schon.
Du liebst mich, bist verschwiegen, zuverlässig.
Laß uns das Zimmer schließen! das Geheime
Laß uns sogleich, vertraulich, untersuchen.

Sie schließt die Zimmertüre und eilt gegen den Schrank.

Hofmeisterin
(sie abhaltend)

Der prächt'gen Stoffe Gold und Farbenglanz,
Der Perlen Milde, der Juwelen Strahl
Bleib' im Verborgnen! Ach sie reizen dich
Zu jenem Ziel unwiderstehlich auf.

Eugenie
Was sie bedeuten ist das Reizende.
Sie öffnet den Schrank, an der Türe zeigen sich Spiegel.
Welch köstliches Gewand entwickelt sich,
Indem ich's nur berühre, meinem Blick.
Und diese Spiegel! fordern sie nicht gleich
Das Mädchen und den Schmuck vereint zu schildern.

Hofmeisterin
Kreusas tödliches Gewand entfaltet,
So scheint es mir, sich unter meiner Hand.

Eugenie
Wie schwebt ein solcher Trübsinn dir ums Haupt?
Denk an beglückter Bräute frohes Fest.
Komm! Reiche mir die Teile, nach und nach;
Das Unterkleid! Wie reich und süß durchflimmert
Sich rein des Silbers und der Farben Blitz.

Hofmeisterin

(indem sie Eugenien das Gewand umlegt)

Verbirgt sich je der Gnade Sonnenblick,
Sogleich ermattet solch ein Wiederglanz.

Eugenie
Ein treues Herz verdient sich diesen Blick,
Und, wenn er weichen wollte, zieht's ihn an. –
Das Oberkleid, das goldne, schlage drüber,
Die Schleppe ziehe, weit verbreitet nach.
Auch diesem Gold ist, mit Geschmack und Wahl,
Der Blumen Schmelz, metallisch, aufgebrämt.
Und tret' ich so nicht schön umgeben auf?

Hofmeisterin
Doch wird von Kennern mehr die Schönheit selbst,
In ihrer eignen Herrlichkeit, verehrt.

Eugenie
Das einfach Schöne soll der Kenner schätzen;
Verziertes aber spricht der Menge zu. –
Nun leihe mir der Perlen sanftes Licht,
Auch der Juwelen leuchtende Gewalt.

Hofmeisterin
Doch deinem Herzen, deinem Geist genügt
Nur eigner innrer Wert und nicht der Schein.

Eugenie
Der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt?
Das Wesen war' es, wenn es nicht erschiene?

Hofmeisterin
Und hast du nicht in diesen Mauern selbst
Der Jugend ungetrübte Zeit verlebt?
Am Busen deiner Liebenden, entzückt,
Verborgner Wonne Seligkeit erfahren?

Eugenie
Gefaltet kann die Knospe sich genügen,
So lange sie des Winters Frost umgibt;
Nun schwillt, vom Frühlingshauche, Lebenskraft,
In Blüten bricht sie auf, an Licht und Lüfte.

Hofmeisterin
Aus Mäßigkeit entspringt ein reines Glück.

Eugenie
Wenn du ein mäßig Ziel dir vorgesteckt.

Hofmeisterin
Beschränktheit sucht sich der Genießende.

Eugenie
Du überredest die Geschmückte nicht.
O! daß sich dieser Saal erweiterte,
Zum Raum des Glanzes, wo der König thront.
Daß reicher Teppich unten, oben sich
Der goldnen Decke Wölbung breitete!
Daß hier im Kreise, vor der Majestät,
Demütig stolz, die Großen, angelacht
Von dieser Sonne, herrlich leuchteten!
Ich unter diesen Ausgezeichneten,
Am schönsten Fest die Ausgezeichnete.
O laß mir dieser Wonne Vorgefühl,
Wenn aller Augen mich zum Ziel erlesen:

Hofmeisterin
Zum Ziele der Bewundrung nicht allein,
Zum Ziel des Neides und des Hasses mehr.

Eugenie
Der Neider steht als Folie des Glücks,
Der Hasser lehrt uns immer wehrhaft bleiben.

Hofmeisterin
Demütigung beschleicht die Stolzen oft.

Eugenie
Ich setz' ihr Geistesgegenwart entgegen.

zum Schranke gewendet.
Noch haben wir nicht alles durchgesehn;
Nicht mich allein bedenk' ich diese Tage,
Für andre hoff ich manche Kostbarkeit.

Hofmeisterin
(ein Kästchen hervornehmend)
Hier aufgeschrieben steht es: »Zu Geschenken.«

Eugenie
So nimm, voraus, was dich vergnügen kann,
Von diesen Uhren, diesen Dosen. Wähle! –
Nein! überlege noch! Vielleicht verbirgt
Sich Wünschenswerteres im reichen Schrein.

Hofmeisterin
O fände sich ein kräft'ger Talisman,
Des trüben Bruders Neigung zu gewinnen!

Eugenie
Den Widerwillen tilge nach und nach
Des unbefangnen Herzens reines Wirken.

Hofmeisterin
Doch die Partei, die seinen Groll bestärkt,
Auf ewig steht sie deinem Wunsch entgegen.

Eugenie
Wenn sie bisher mein Glück zu hindern suchte,
Tritt nun Entscheidung unaufhaltsam ein,
Und ins Geschehne fügt sich jedermann.

Hofmeisterin
Das was du hoffest noch ist's nicht geschehn.

Eugenie
Doch als vollendet kann ich's wohl betrachten.

nach dem Schrank gekehrt.
Was liegt im langen Kästchen, oben an?

Hofmeisterin
(die es herausnimmt)
Die schönsten Bänder, frisch und neu gewählt –
Zerstreue nicht, durch eitles Flitterwesens
Neugierige Betrachtung, deinen Geist.
O wär' es möglich, daß du meinem Wort
Gehör verliehest, Einen Augenblick!
Aus stillem Kreise trittst du nun heraus,
In weite Räume, wo dich Sorgendrang,
Vielfach geknüpfte Netze, Tod vielleicht
Von meuchelmörderischer Hand erwartet.

Eugenie
Du scheinst mir krank! wie könnte sonst mein Glück
Dir fürchterlich, als ein Gespenst erscheinen.

In das Kästchen blickend.

Was seh' ich? Diese Rolle! Ganz gewiß
Das Ordensband der ersten Fürstentöchter!
Auch dieses werd' ich tragen! Nur geschwind!
Laß sehen, wie es kleidet? Es gehört
Zum ganzen Prunk; so sei auch das versucht!

Das Band wird umgelegt.

Nun sprich vom Tode nur! Sprich von Gefahr!
Was zieret mehr den Mann, als wenn er sich,
Im Heldenschmuck zu seinem Könige,
Sich unter seines Gleichen stellen kann?
Was reizt das Auge mehr, als jenes Kleid,
Das kriegerische lange Reihen zeichnet?
Und dieses Kleid und seine Farben sind
Sie nicht ein Sinnbild ewiger Gefahr?
Die Scherpe deutet Krieg, womit sich stolz
Auf seine Kraft ein edler Mann umgürtet.
O meine Liebe! Was bedeutend schmückt,
Es ist durchaus gefährlich. Laß auch mir
Das Mutgefühl, was mir begegnen kann,
So prächtig ausgerüstet, zu erwarten.
Unwiderruflich, Freundin, bleibt mein Glück.

Hofmeisterin
(bei Seite)
Das Schicksal, das dich trifft, unwiderruflich.

Dritter Aufzug

Vorzimmer des Herzogs, prächtig, modern.

Erster Auftritt

Secretair. Weltgeistlicher.

Secretair
Tritt still herein in diese Totenstille!
Wie ausgestorben findest du das Haus.
Der Herzog schläft, und alle Diener stehen,
Von seinem Schmerz durchdrungen, stumm gebeugt.
Er schläft! Ich segnet' ihn, als ich ihn sah,
Bewußtlos, auf dem Pfühle ruhig atmen.
Das Übermaß der Schmerzen löste sich
In der Natur balsam'schen Wohltat auf.
Den Augenblick befürcht' ich, der ihn weckt;
Euch wird ein jammervoller Mann erscheinen.

Weltgeistlicher
Darauf bin ich bereitet, zweifelt nicht.

Secretair
Vor wenig Stunden kam die Nachricht an,
Eugenie sei tot! Vom Pferd gestürzt!
An Eurem Orte sei sie beigesetzt,
Als an dem nächsten Platz, wohin man sie
Aus jenem Felsendickicht bringen können,
Wo sie verwegen sich den Tod erstürmt.

Weltgeistlicher
Und sie indessen ist schon weit entfernt?

Secretair
Mit rascher Eile wird sie weggeführt.

Weltgeistlicher
Und wem vertraut ihr solch ein schwer Geschäft?

Secretair
Dem klugen Weibe, das uns angehört.

Weltgeistlicher
In welche Gegend habt ihr sie geschickt?

Secretair
Zu dieses Reiches letztem Hafenplatz.

Weltgeistlicher
Von dorten soll sie in das fernste Land?

Secretair
Sie führt ein günst'ger Wind sogleich davon.

Weltgeistlicher
Und hier auf ewig gelte sie für tot!

Secretair
Auf deiner Fabel Vortrag kommt es an.

Weltgeistlicher
Der Irrtum soll im ersten Augenblick,
Auf alle künft'ge Zeit, gewaltig wirken.
An ihrer Gruft, an ihrer Leiche soll
Die Phantasie erstarren. Tausendfach
Zerreiß' ich das geliebte Bild und grabe
Dem Sinne des entsetzten Hörenden,
Mit Feuerzügen, dieses Unglück ein.
Sie ist dahin für Alle, sie verschwindet
Ins Nichts der Asche. Jeder kehret, schnell,
Den Blick zum Leben und vergißt, im Taumel
Der treibenden Begierden, daß auch sie
Im Reihen der Lebendigen geschwebt.

Secretair
Du trittst mit vieler Kühnheit ans Geschäft;
Besorgst du keine Reue hinten nach?

Weltgeistlicher
Welch eine Frage tust du? Wir sind fest!

Secretair
Ein innres Unbehagen fügt sich oft,
Auch wider unsern Willen, an die Tat.

Weltgeistlicher
Was hör' ich? du bedenklich? oder willst
Du mich nur prüfen, ob es euch gelang
Mich, euern Schüler, völlig auszubilden?

Secretair
Das Wichtige bedenkt man nie genug.

Weltgeistlicher
Bedenke man eh noch die Tat beginnt.

Secretair
Auch in der Tat ist Raum für Überlegung.

Weltgeistlicher
Für mich ist nichts zu überlegen mehr!
Da war' es Zeit gewesen, als ich noch
Im Paradies beschränkter Freuden weilte,
Als, von des Gartens engem Hag umschlossen,
Ich selbstgesäte Bäume selber pfropfte,
Aus wenig Beeten meinen Tisch versorgte,
Als noch Zufriedenheit, im kleinen Hause,
Gefühl des Reichtums über alles goß,
Und ich, nach meiner Einsicht, zur Gemeinde,
Als Freund, als Vater, aus dem Herzen sprach,
Dem Guten fördernd meine Hände reichte,
Dem Bösen, wie dem Übel, widerstritt.
O hätte damals ein wohltätger Geist
Vor meiner Türe dich vorbeigewiesen,
An der du müde, durstig von der Jagd
Zu klopfen kamst; mit schmeichlerischem Wesen,
Mit süßem Wort, mich zu bezaubern wußtest.
Der Gastfreundschaft geweihter, schöner Tag,
Er war der letzte reingenoss'nen Friedens.

Secretair
Wir brachten dir so manche Freude zu.

Weltgeistlicher
Und dränget mir so manch Bedürfnis auf.
Nun war ich arm, als ich die Reichen kannte;
Nun war ich sorgenvoll, denn mir gebrach's;
Nun hatt' ich Not, ich brauchte fremde Hülfe.
Ihr wart mir hülfreich, teuer büß' ich das.
Ihr nahmt mich zum Genossen eures Glücks,
Mich zum Gesellen eurer Taten auf.
Zum Sklaven, sollt' ich sagen, dingtet ihr
Den sonst so freien, jetzt bedrängten Mann.
Ihr lohnt ihm zwar, doch immer noch versagt
Ihr ihm den Lohn, den er verlangen darf.

Secretair
Vertraue, daß wir dich in kurzer Zeit,
Mit Gütern, Ehren, Pfründen überhäufen.

Weltgeistlicher
Das ist es nicht, was ich erwarten muß.

Secretair
Und welche neue Fordrung bildest du?

Weltgeistlicher
Als ein gefühllos Werkzeug braucht ihr mich
Auch diesmal wieder. Dieses holde Kind
Verstoßt ihr aus dem Kreise der Lebend'gen;
Ich soll die Tat beschönen, sie bedecken,
Und ihr beschließt, begeht sie ohne mich.
Von nun an fordr' ich mit im Rat zu sitzen,
Wo Schreckliches beschlossen wird, wo jeder
Auf seinen Sinn, auf seine Kräfte stolz
Zum unvermeidlich Ungeheuren stimmt.

Secretair
Daß du auch diesmal dich mit uns verbunden,
Erwirbt aufs Neue dir ein großes Recht.
Gar manch Geheimnis wirst du bald vernehmen,
Dahin gedulde dich und sei gefaßt.

Weltgeistlicher
Ich bin's und bin noch weiter als ihr denkt;
In eure Plane schaut' ich längst hinein.
Der nur verdient geheimnisvolle Weihe,
Der ihr durch Ahnung vorzugreifen weiß.

Secretair
Was ahnest du? was weißt du?

Weltgeistlicher
Laß uns das
Auf ein Gespräch der Mitternacht versparen.
O dieses Mädchens trauriges Geschick
Verschwindet, wie ein Bach im Ozean,
Wenn ich bedenke, wie verborgen ihr
Zu mächtiger Parteigewalt euch hebt
Und an die Stelle der gebietenden
Mit frecher List euch einzudrängen hofft.
Nicht ihr allein; denn andre streben auch,
Euch widerstrebend, nach demselben Zweck.
So untergrabt ihr Vaterland und Thron;
Wer soll sich retten, wenn das Ganze stürzt?

Secretair
Ich höre kommen! Tritt hier an die Seite!
Ich führe dich zu rechter Zeit herein.

Zweiter Auftritt

Herzog. Secretair

Herzog
Unsel'ges Licht! du rufst mich auf zum Leben,
Mich zum Bewußtsein dieser Welt zurück
Und meiner selbst. Wie öde, hohl und leer
Liegt alles vor mir da, und ausgebrannt,
Ein großer Schutt, die Stätte meines Glücks.

Secretair
Wenn jeder von den Deinen, die um dich
In dieser Stunde leiden, einen Teil
Von deinen Schmerzen übertragen könnte;
Du fühltest dich erleichtert und gestärkt.

Herzog
Der Schmerz um Liebe, wie die Liebe, bleibt
Unteilbar und unendlich. Fühl' ich doch,
Welch ungeheures Unglück den betrifft,
Der seines Tags gewohntes Gut vermißt.
Warum o laßt ihr die bekannten Wände,
Mit Farb' und Gold, mir noch entgegen scheinen,
Die mich an Gestern, mich an Ehegestern,
An jenen Zustand meines vollen Glücks
Mich kalt erinnern. O warum verhüllet
Ihr nicht Gemach und Saal mit schwarzem Krepp!
Daß, finster wie mein Innres, auch von außen
Ein ewig nächt'ger Schatten mich umfange.

Secretair
O möchte doch das Viele, das dir bleibt,
Nach dem Verlust, als Etwas dir erscheinen.

Herzog
Ein geistverlaßner, körperlicher Traum!
Sie war die Seele dieses ganzen Hauses.
Wie schwebte, beim Erwachen, sonst das Bild
Des holden Kindes dringend mir entgegen.
Hier fand ich oft ein Blatt von ihrer Hand,
Ein geistreich, herzlich Blatt, zum Morgengruß.

Secretair
Wie drückte nicht der Wunsch dich zu ergetzen
Sich, dichtrisch, oft in frühen Reimen aus.

Herzog
Die Hoffnung sie zu sehen gab den Stunden
Des mühevollen Tags den einz'gen Reiz.

Secretair
Wie oft bei Hindernis und Zögrung hat
Man ungeduldig, wie nach der Geliebten
Den raschen Jüngling, dich nach ihr gesehn.

Herzog
Vergleiche doch die jugendliche Glut,
Die selbstischen Besitz verzehrend hascht,
Nicht dem Gefühl des Vaters, der entzückt,
In heil'gem Anschaun stille hingegeben,
Sich an Entwicklung wunderbarer Kräfte,
Sich an der Bildung Riesenschritten freut.
Der Liebe Sehnsucht fordert Gegenwart;
Doch Zukunft ist des Vaters Eigentum.
Dort liegen seiner Hoffnung weite Felder,
Dort seiner Saaten keimender Genuß.

Secretair
O Jammer! diese grenzenlose Wonne,
Dies ewig frische Glück verlorst du nun.

Herzog
Verlor ich's? War es doch im Augenblick
Vor meiner Seele noch im vollen Glanz.
Ja, ich verlor's! du rufst's, Unglücklicher,
Die öde Stunde ruft mir's wieder zu.
Ja, ich verlor's! So strömt ihr Klagen denn!
Zerstöre Jammer diesen festen Bau,
Den ein zu günstig Alter noch verschont.
Verhaßt sei mir das Bleibende, verhaßt
Was mir in seiner Dauer Stolz erscheint;
Erwünscht was fließt und schwankt. Ihr Fluten schwellt,
Zerreißt die Dämme, wandelt Land in See!
Eröffne deine Schlünde, wildes Meer!
Verschlinge Schiff und Mann und Schätze! Weit
Verbreitet euch, ihr kriegerischen Reihen,
Und häuft, auf blut'gen Fluren, Tod auf Tod!
Entzünde Strahl des Himmels dich im Leeren
Und triff der kühnen Türme sichres Haupt!
Zertrümmr', entzünde sie und geißle weit,
Im Stadtgedräng, der Flamme Wut umher,
Daß ich, von allem Jammer rings umfangen,
Dem Schicksal mich ergebe, das mich traf!

Secretair
Das ungeheuer Unerwartete
Bedrängt dich fürchterlich, erhabner Mann.

Herzog
Wohl unerwartet kam's, nicht ungewarnt.
In meinen Armen ließ ein guter Geist
Sie von den Toten wieder auferstehn,
Und zeigte mir gelind, vorübereilend,
Ein Schreckliches, nun ewig Bleibendes.
Da sollt' ich strafen die Verwegenheit,
Dem Übermut mich, scheltend, widersetzen,
Verbieten jene Raserei, die sich
Unsterblich, unverwundbar wähnend, blind,
Wetteifernd mit dem Vogel, sich durch Wald
Und Fluß und Sträuche von dem Felsen stürzt.

Secretair
Was oft und glücklich unsre Besten tun,
Wie sollt' es dir des Unglücks Ahnung bringen?

Herzog
Die Ahnung dieser Leiden fühlt' ich wohl,
Als ich zum letztenmal – zum letztenmal!
Du sprichst es aus das fürchterliche Wort,
Das deinen Weg mit Finsternis umzieht.
O hätt' ich sie nur einmal noch gesehn!
Vielleicht war dieses Unglück abzuleiten.
Ich hätte flehentlich gebeten; sie, als Vater,
Zum treulichsten ermahnt, sich mir zu schonen,
Und von der Wut tollkühner Reiterei,
Um unsres Glückes willen, abzustehn.
Ach, diese Stunde war mir nicht gegönnt.
Und nun vermiss' ich mein geliebtes Kind!
Sie ist dahin! Verwegner ward sie nur
Durch jenen Sturz, dem sie so leicht entrann.
Und Niemand sie zu warnen, sie zu leiten!
Entwachsen war sie dieser Frauenzucht.
In welchen Händen ließ ich solchen Schatz?
Verzärtelnden, nachgieb'gen Weiberhänden.
Kein festes Wort! den Willen meines Kinds
Zu mäßiger Vernünftigkeit zu lenken!
Zur unbedingten Freiheit ließ man ihr,
Zu jedem kühnen Wagnis offnes Feld.
Ich fühlt' es oft und sagt' es mir nicht klar:
Bei diesem Weibe war sie schlecht verwahrt.

Secretair
O! tadle nicht die Unglückselige!
Vom tiefsten Schmerz begleitet irrt sie nun
Wer weiß in welchem Lande trostlos hin.
Sie ist entflohn. Denn wer vermöchte dir
Ins Angesicht zu sehen, der auch nur
Den fernsten Vorwurf zu befürchten hätte.

Herzog
O! laß mich ungerecht auf andre zürnen,
Daß ich mich nicht verzweiflend selbst zerreiße.
Wohl trag' ich selbst die Schuld und trag' sie schwer.
Denn rief ich nicht, mit törigem Beginnen,
Gefahr und Tod auf dieses teure Haupt?
Sie überall zu sehn als Meisterin
Das war mein Stolz! Zu teuer büß' ich ihn.
Zu Pferde sollte sie, im Wagen sie,
Die Rosse bändigend, als Heldin glänzen.
Ins Wasser tauchend, schwimmend schien sie mir
Den Elementen göttlich zu gebieten.
So, hieß es, kann sie jeglicher Gefahr
Dereinst entgehen. Statt sie zu bewahren,
Gibt Übung zur Gefahr den Tod ihr nun.

Secretair
Des edlen Pflichtgefühles Übung gibt,
Ach! unsrer Unvergeßlichen den Tod.

Herzog
Erkläre dich!

Secretair
Und weck' ich diesen Schmerz
Durch Schildrung kindlich edlen Unternehmens!
Ihr alter, erster, hochgeliebter Freund
Und Lehrer wohnt, von dieser Stadt entfernt,
Verschränkt in Trübsinn, Krankheit, Menschenhaß.
Nur sie allein vermocht' ihn zu erheitern;
Als Leidenschaft empfand sie diese Pflicht;
Nur allzuoft verlangte sie hinüber,
Und oft versagte man's. Nun hatte sie's
Planmäßig angelegt, sie nutzte kühn
Des Morgenrittes abgemess'ne Stunden,
Mit ungeheurer Schnelligkeit, zum Zweck
Den alten, vielgeliebten Mann zu sehn.
Ein einz'ger Reitknecht nur war im Geheimnis,
Er unterlegt' ihr jedesmal das Pferd,
Wie wir vermuten; denn auch er ist fort.
Der arme Mensch und jene Frau verloren,
Aus Furcht vor dir, sich in die weite Welt.

Herzog
Die Glücklichen! die noch zu fürchten haben;
Bei denen sich der Schmerz, um ihres Herrn
Verlornes Heil, in leicht verwundene,
In leicht gehobne Bangigkeit verwandelt.
Ich habe nichts zu fürchten! nichts zu hoffen!
Drum laß mich alles wissen; zeige mir
Den kleinsten Umstand an, ich bin gefaßt.

Vierter Auftritt

Herzog. Secretair. Weltgeistlicher.

Secretair
Auf diesen Augenblick, verehrter Fürst,
Hab' ich hier einen Mann zurückgehalten,
Der, auch gebeugt, vor deinem Blick erscheint.
Es ist der Geistliche, der, aus der Hand
Des Todes, deine Tochter aufgenommen,
Und sie, da keiner Hülfe Trost sich zeigte,
Mit liebevoller Sorgfalt beigesetzt.

Vierter Auftritt

Herzog. Weltgeistlicher

Weltgeistlicher
Den Wunsch vor deinem Antlitz zu erscheinen,
Erhabner Fürst, wie lebhaft hegt' ich ihn!
Nun wird er mir gewährt, im Augenblick,
Der dich und mich in tiefen Jammer senkt.

Herzog
Auch so willkommen, unwillkommner Bote!
Du hast sie noch gesehn, den letzten Blick,
Den sehnsuchtsvollen, dir ins Herz gefaßt,
Das letzte Wort bedächtig aufgenommen,
Dem letzten Seufzer Mitgefühl erwidert.
O sage: sprach sie noch? Was sprach sie aus?
Gedachte sie des Vaters? Bringst du mir,
Von ihrem Mund, ein herzlich Lebewohl?

Weltgeistlicher
Willkommen scheint ein unwillkommner Bote,
So lang er schweigt und noch der Hoffnung Raum,
Der Täuschung Raum in unserm Herzen gibt.
Der ausgesprochne Jammer ist verhaßt.

Herzog
Was zauderst du? Was kann ich mehr erfahren?
Sie ist dahin! Und diesen Augenblick
Ist über ihrem Sarge Ruh und Stille.
Was sie auch litt, es ist für sie vorbei,
Für mich beginnt es; aber rede nur!

Weltgeistlicher
Ein allgemeines Übel ist der Tod.
So denke dir das Schicksal deiner Toten,
Und finster wie des Grabes Nacht verstumme
Der Übergang, der sie hinabgeführt.
Nicht jeden leitet ein gelinder Gang,
Unmerklich, in das stille Reich der Schatten.
Gewaltsam schmerzlich reißt Zerstörung oft
Durch Höllenqualen in die Ruhe hin.

Herzog
So hat sie viel gelitten?

Weltgeistlicher
Viel, nicht lange.

Herzog
Es war ein Augenblick, in dem sie litt,
Ein Augenblick, wo sie um Hülfe rief.
Und ich? Wo war ich da? Welch ein Geschäft,
Welch ein Vergnügen hatte mich gefesselt?
Verkündigte mir nichts das Schreckliche,
Das mir das Leben von einander riß?
Ich hörte nicht den Schrei, ich fühlte nicht
Den Unfall, der mich ohne Rettung traf.
Der Ahnung heil'ges, fernes Mitgefühl
Ist nur ein Märchen. Sinnlich und verstockt,
Ins Gegenwärtige verschlossen, fühlt
Der Mensch das nächste Wohl, das nächste Weh,
Und Liebe selbst ist in der Ferne taub.

Weltgeistlicher
So viel auch Worte gelten, fühl' ich doch
Wie wenig sie zum Tröste wirken können.

Herzog
Das Wort verwundet leichter als es heilt.
Und ewig wiederholend strebt vergebens
Verlornes Glück der Kummer herzustellen.
So war denn keine Hülfe, keine Kunst
Vermögend sie ins Leben aufzurufen?
Was hast du, sage mir, begonnen? Was
Zu ihrem Heil versucht? Du hast gewiß
Nichts unbedacht gelassen.

Weltgeistlicher
Leider war
Nichts zu bedenken mehr, als ich sie fand.

Herzog
Und soll ich ihres Lebens holde Kraft
Auf ewig missen! Laß mich meinen Schmerz
Durch meinen Schmerz betrügen, diese Reste
Verewigen. O! komm, wo liegen sie?

Weltgeistlicher
In würdiger Kapelle steht ihr Sarg
Allein verwahrt. Ich sehe, vom Altar,
Durchs Gitter, jedesmal die Stätte, will
Für sie, so lang ich lebe, betend flehen.

Herzog
O komm und führe mich dahin! Begleiten
Soll uns der Ärzte vielerfahrenster.
Laß uns den schönen Körper der Verwesung
Entreißen. Laß mit edlen Spezereien
Das unschätzbare Bild zusammen halten!
Ja! die Atomen alle, die sich einst
Zur köstlichen Gestalt versammelten,
Sie sollen nicht ins Element zurück.

Weltgeistlicher
Was darf ich sagen? Muß ich dir bekennen!
Du kannst nicht hin! Ach das zerstörte Bild!
Kein Fremder sah' es ohne Jammer an!
Und vor die Augen eines Vaters – Nein,
Verhüt' es Gott! du darfst sie nicht erblicken.

Herzog
Welch neuer Qualenkrampf bedrohet mich!

Weltgeistlicher
O! laß mich schweigen, daß nicht meine Worte
Auch die Erinnrung der Verlornen schänden.
Laß mich verhehlen, wie sie durchs Gebüsch,
Durch Felsen hergeschleift, entstellt und blutig,
Zerrissen und zerschmettert und zerbrochen,
Unkenntlich, mir im Arm, zur Erde hing.
Da segnet' ich, von Tränen überfließend,
Der Stunde Heil, in der ich, feierlich,
Dem holden Vaternamen einst entsagt.

Herzog
Du bist nicht Vater! Bist der selbstischen
Verstockten, der Verkehrten einer, die
Ihr abgeschloss'nes Wesen unfruchtbar
Verzweifeln läßt. Entferne dich! Verhaßt
Erscheinet mir dein Anblick.

Weltgeistlicher
Fühlt' ich's doch!
Wer kann dem Boten solcher Not verzeihn?

Will sich entfernen.

Herzog
Vergib und bleib. Ein schön entworfnes Bild,
Das, wunderbar, dich selbst zum zweitenmal,
Vor deinen Augen zu erschaffen strebt,
Hast du entzückt es jemals angestaunt?
O hättest du's! du hättest diese Form,
Die sich zu meinem Glück, zur Lust der Welt,
In tausendfalt'gen Zügen, auferbaut,
Mir grausam nicht zerstümmelt, mir die Wonne
Der traurigen Erinnrung nicht verkümmert!

Weltgeistlicher
Was sollt' ich tun? dich zu dem Sarge führen,
Den tausend fremde Tränen schon benetzt,
Als ich das morsche, schlotternde Gebein
Zu ruhiger Verwesung eingeweiht?

Herzog
Schweig, Unempfindlicher! du mehrest nur
Den herben Schmerz, den du zu lindern denkst.
O! Wehe! daß die Elemente nun,
Von keinem Geist der Ordnung mehr beherrscht,
Im leisen Kampf das Götterbild zerstören.
Wenn über werdend Wachsendem vorher
Der Vatersinn mit Wonne brütend schwebte;
So stockt, so kehrt in Moder, nach und nach,
Vor der Verzweiflung Blick, die Lust des Lebens.

Weltgeistlicher
Was Luft und Licht Zerstörliches erbaut,
Bewahret lange das verschloss'ne Grab.

Herzog
O weiser Brauch der Alten, das Vollkommne,
Das ernst und langsam die Natur geknüpft,
Des Menschenbilds erhabne Würde, gleich
Wenn sich der Geist, der wirkende, getrennt,
Durch reiner Flammen Tätigkeit zu lösen.
Und wenn die Glut mit tausend Gipfeln sich
Zum Himmel hob, und zwischen Dampf und Wolken,
Des Adlers Fittig, deutend, sich bewegte;
Da trocknete die Träne, freier Blick
Der Hinterlass'nen stieg dem neuen Gott
In des Olymps verklärte Räume nach.
O sammle mir, in köstliches Gefäß,
Der Asche, der Gebeine trüben Rest,
Daß die vergebens ausgestreckten Arme
Nur etwas fassen, daß ich dieser Brust,
Die sehnsuchtsvoll sich in das Leere drängt,
Den schmerzlichsten Besitz entgegendrücke.

Weltgeistlicher
Die Trauer wird durch Trauren immer herber.
herzog Durch Trauren wird die Trauer zum Genuß.
O daß ich doch geschwundner Asche Rest,
Im kleinen Hause, wandernd, immer weiter,
Bis zu dem Ort, wo ich zuletzt sie sah,
Als Büßender, mit kurzen Schritten trüge!
Dort lag sie tot in meinen Armen, dort
Sah ich, getäuscht, sie in das Leben kehren.
Ich glaubte sie zu fassen, sie zu halten,
Und nun ist sie auf ewig mir entrückt.
Dort aber will ich meinen Schmerz verew'gen.
Ein Denkmal der Genesung hab' ich dort,
In meines Traums Entzückungen, gelobt –
Schon führet klug des Gartenmeisters Hand
Durch Busch und Fels bescheidne Wege her,
Schon wird der Platz gerundet, wo mein König,
Als Oheim, sie an seine Brust geschlossen,
Und Ebenmaß und Ordnung will den Raum
Verherrlichen, der mich so hoch beglückt.
Doch jede Hand soll feiern! Halb vollbracht,
Soll dieser Plan, wie mein Geschick erstarren!
Das Denkmal nur, ein Denkmal will ich stiften,
Von rauhen Steinen ordnungslos getürmt,
Dort hin zu wallen, stille zu verweilen,
Bis ich vom Leben endlich selbst genese.
O laßt mich dort, versteint, am Steine ruhn!
Bis aller Sorgfalt lichtgezogne Spur
Aus dieser Wüste Trauersitz verschwindet.
Mag sich umher der freie Platz berasen!
Mag sich der Zweig dem Zweige wild verflechten,
Der Birke hangend Haar den Boden schlagen,
Der junge Busch zum Baume sich erheben,
Mit Moos der glatte Stamm sich überziehn;
Ich fühle keine Zeit; denn sie ist hin,
An deren Wachstum ich die Jahre maß.

Weltgeistlicher
Den vielbewegten Reiz der Welt zu meiden,
Das Einerlei der Einsamkeit zu wählen,
Wird sich's der Mann erlauben, der sich oft
Wohltätiger Zerstreuung übergab,
Wenn Unerträgliches, mit Felsenlast
Herbei sich wälzend, ihn bedrohend schlich?
Hinaus! mit Flügelschnelle durch das Land,
Durch fremde Reiche, daß vor deinem Sinn
Der Erde Bilder heilend sich bewegen.

Herzog
Was hab' ich in der Welt zu suchen, wenn
Ich sie nicht wiederfinde, die allein
Ein Gegenstand für meine Blicke war.
Soll Fluß und Hügel, Tal und Wald und Fels
Vorüber meinen Augen gehn, und nur
Mir das Bedürfnis wecken, jenes Bild,
Das einzige geliebte, zu erhaschen?
Vom hohen Berg hinab, ins weite Meer,
Was soll für mich ein Reichtum der Natur,
Der an Verlust und Armut mich erinnert.

Weltgeistlicher
Und neue Güter eignest du dir an!

Herzog
Nur durch der Jugend frisches Auge mag
Das längst bekannte neubelebt uns rühren,
Wenn das Erstaunen, das wir längst verschmäht,
Von Kindes Munde hold uns wiederklingt.
So hofft' ich ihr des Reichs bebaute Flächen,
Der Wälder Tiefen, der Gewässer Flut
Bis an das offne Meer zu zeigen, dort
Mich ihres trunknen Blicks ins Unbegrenzte,
Mit unbegrenzter Liebe zu erfreun.

Weltgeistlicher
Wenn du, erhabner Fürst, des großen Lebens
Beglückte Tage der Beschauung nicht
Zu widmen trachtetest, wenn Tätigkeit
Fürs Wohl Unzähliger, am Throne dir,
Zum Vorzug der Geburt, den herrlichem
Des allgemeinen, edlen Wirkens gab;
So ruf ich dich, im Namen Aller, auf:
Ermanne dich! und laß die trüben Stunden,
Die deinen Horizont umziehn, für Andre,
Durch Trost und Rat und Hülfe, laß für dich
Auch diese Stunden so zum Feste werden.

Herzog
Wie schal und abgeschmackt ist solch ein Leben,
Wenn alles Regen, alles Treiben stets
Zu neuem Regen, neuem Treiben führt
Und kein geliebter Zweck euch endlich lohnt.
Den sah ich nur in ihr, und so besaß
Und so erwarb ich mit Vergnügen, ihr
Ein kleines Reich anmut'gen Glücks zu schaffen.
So war ich heiter, aller Menschen Freund,
Behülflich, wach, zu Rat und Tat bequem.
Den Vater lieben sie! so sagt' ich mir,
Dem Vater danken sie's, und werden auch
Die Tochter einst als werte Freundin grüßen.

Weltgeistlicher
Zu süßen Sorgen bleibt nun keine Zeit!
Ganz andre fordern dich, erhabner Mann!
Darf ich's erwähnen? ich der unterste
Von deinen Dienern? Jeder ernste Blick,
In diesen trüben Tagen, ist auf dich,
Auf deinen Wert, auf deine Kraft gerichtet.

Herzog
Der Glückliche nur fühlt sich Wert und Kraft.

Weltgeistlicher
So tiefer Schmerzen heiße Qual verbürgt
Dem Augenblick unendlichen Gehalt,
Mir aber auch Verzeihung, wenn sich, kühn,
Vertraulichkeit von meinen Lippen wagt,
Wie heftig wilde Gärung unten kocht,
Wie Schwäche kaum sich oben schwankend hält;
Nicht Jedem wird es klar, dir aber ist's
Mehr als der Menge, der ich angehöre.
O zaudre nicht, im nahen Sturmgewitter,
Das falsch gelenkte Steuer zu ergreifen!
Zum Wohle deines Vaterlands verbanne
Den eignen Schmerz; sonst werden tausend Väter,
Wie du, um ihre Kinder weinen, tausend
Und aber tausend Kinder ihre Väter
Vermissen, Angstgeschrei der Mütter, gräßlich,
An hohler Kerkerwand verklingend hallen.
O bringe deinen Jammer, deinen Kummer,
Auf dem Altar des allgemeinen Wohls,
Zum Opfer dar, und Alle, die du rettest,
Gewinnst du dir, als Kinder, zum Ersatz.

Herzog
Aus grauenvollen Winkeln führe nicht
Mir der Gespenster dichte Schar heran,
Die meiner Tochter liebliche Gewalt
Mir zaubrisch oft und leicht hinweggebannt.
Sie ist dahin, die schmeichlerische Kraft,
Die meinen Geist in holde Träume sang.
Nun drängt das Wirkliche, mit dichten Massen,
An mich heran, und droht mich zu erdrücken.
Hinaus, hinaus! Von dieser Welt hinweg!
Und lügt mir nicht das Kleid, in dem du wandelst;
So führe mich zur Wohnung der Geduld,
Ins Kloster führe mich und laß mich dort,
Im allgemeinen Schweigen, stumm, gebeugt,
Ein müdes Leben in die Grube senken.

Weltgeistlicher
Mir ziemt es kaum dich an die Welt zu weisen;
Doch andre Worte sprech' ich kühner aus.
Nicht in das Grab, nicht übers Grab verschwendet
Ein edler Mann der Sehnsucht hohen Wert.
Er kehrt in sich zurück und findet staunend,
In seinem Busen, das Verlorne wieder.

Herzog
Daß ein Besitz so fest sich hier erhält,
Wenn das Verlorne fern und ferner flieht,
Das ist die Qual, die das geschiedene,
Für ewig losgeriss'ne Glied aufs Neue
Dem schmerzergriffnen Körper fügen will.
Getrenntes Leben, wer vereinigt's wieder?
Vernichtetes, wer stellt es her?

Weltgeistlicher
Der Geist!
Des Menschen Geist, dem nichts verloren geht,
Was er, von Wert, mit Sicherheit besessen.
So lebt Eugenie vor dir, sie lebt
In deinem Sinne, den sie sonst erhub,
Dem sie das Anschaun herrlicher Natur
Lebendig aufgeregt, so wirkt sie noch,
Als hohes Vorbild, schützet vor Gemeinem,
Vor Schlechtem dich, wie's jede Stunde bringt,
Und ihrer Würde wahrer Glanz verscheuchet
Den eitlen Schein, der dich bestechen will.
So fühle dich durch ihre Kraft beseelt!
Und gib ihr so ein unzerstörlich Leben,
Das keine Macht entreißen kann, zurück.

Herzog
Laß eines dumpfen, dunklen Traumgeflechtes
Verworrne Todesnetze mich zerreißen!
Und bleibe mir, du vielgeliebtes Bild,
Vollkommen, ewig jung und ewig gleich!
Laß deiner klaren Augen reines Licht
Mich immerfort umglänzen! Schwebe vor,
Wohin ich wandle, zeige mir den Weg
Durch dieser Erde Dornenlabyrinth!
Du bist kein Traumbild, wie ich dich erblicke;
Du warst, du bist. Die Gottheit hatte dich
Vollendet einst gedacht und dargestellt.
So bist du teilhaft des Unendlichen,
Des Ewigen, und bist auf ewig mein.

Vierter Aufzug

Platz am Hafen. Zur einen Seite ein Palast, auf der andern eine Kirche, im Grund eine Reihe Bäume, durch die man nach dem Hafen
hinabsieht.

Erster Auftritt

Eugenie (in einen Schleier gehüllt, auf einer Bank im Grunde, mit dem Gesicht nach der See). Hofmeisterin, Gerichtsrat (im
Vordergrunde).

Hofmeisterin
Drängt, unausweichlich, ein betrübt Geschäft
Mich aus dem Mittelpunkt des Reiches, mich
Aus dem Bezirk der Hauptstadt, an die Grenze
Des festen Lands, zu diesem Hafenplatz:
So folgt mir, streng, die Sorge, Schritt vor Schritt,
Und deutet mir, bedenklich, in die Weite.
Wie müssen Rat und Anteil eines Manns,
Der Allen edel, zuverlässig gilt,
Mir, als ein Leitstern, wonniglich erscheinen.
Verzeih daher, wenn ich mit diesem Blatt,
Das mich zu solcher schweren Tat berechtigt,
Zu dir mich wendend komme, den, so lange
Man im Gericht, wo viel Gerechte wirken,
Erst pries als Beistand, nun als Richter preis't.

Gerichtsrat

(der indessen das Blatt nachdenkend angesehen)

Nicht mein Verdienst, nur mein Bemühen war
Vielleicht zu preisen. Sonderbar jedoch
Will es mich dünken, daß du eben diesen,
Den du gerecht und edel nennen willst,
In solcher Sache fragen, ihm getrost
Solch ein Papier vors Auge bringen magst,
Worauf er nur mit Schauder blicken kann.
Nicht ist von Recht, noch von Gericht die Rede;
Hier ist Gewalt! entsetzliche Gewalt,
Selbst wenn sie klug, selbst wenn sie weise handelt.
Anheimgegeben ward ein edles Kind,
Auf Tod und Leben, sag' ich wohl zuviel?
Anheimgegeben deiner Willkür. Jeder,
Sei er Beamter, Kriegsmann, Bürger! Alle
Sind angewiesen dich zu schützen, sie
Nach deines Worts Gesetzen zu behandeln.

Er gibt das Blatt zurück.

Hofmeisterin
Auch hier beweise dich gerecht und laß
Nicht dies Papier allein als Kläger sprechen,
Auch mich, die hart Verklagte, höre nun
Und meinen offnen Vortrag, günstig, an.
Aus edlem Blut entsproß die Treffliche;
Von jeder Gabe, jeder Tugend schenkt
Ihr die Natur den allerschönsten Teil,
Wenn das Gesetz ihr andre Rechte weigert.
Und nun verbannt! Ich sollte sie dem Kreise
Der Ihrigen entführen, sie hierher,
Hinüber nach den Inseln sie geleiten.

Gerichtsrat
Gewissem Tod entgegen, der im Qualm
Erhitzter Dünste schleichend überfällt.
Dort soll verwelken diese Himmelsblume,
Die Farbe dieser Wange dort verbleichen!
Verschwinden die Gestalt, die sich das Auge
Mit Sehnsucht immer zu erhalten wünscht.

Hofmeisterin
Bevor du richtest, höre weiter an!
Unschuldig ist, bedarf es wohl Beteurung?
Doch vieler Übel Ursach dieses Kind.
Sie, als des Haders Apfel, warf ein Gott,
Erzürnt, ins Mittel zwischen zwei Parteien,
Die sich, auf ewig nun getrennt, bekämpfen.
Sie will der eine Teil zum höchsten Glück
Berechtigt wissen, wenn der andre sie
Hinabzudrängen strebt. Entschieden beide. –
Und so umschlang ein heimlich Labyrinth
Verschmitzten Wirkens doppelt ihr Geschick,
So schwankte List um List im Gleichgewicht,
Bis ungeduld'ge Leidenschaft, zuletzt,
Den Augenblick entschiedenes Gewinns
Beschleunigte. Da brach, von beiden Seiten,
Die Schranke der Verstellung, drang Gewalt,
Dem Staate selbst gefährlich, drohend los,
Und nun, sogleich der Schuld'gen Schuld zu hemmen,
Zu tilgen, trifft ein hoher Götterspruch
Des Kampfs unschuld'gen Anlaß, meinen Zögling,
Und reißt, verbannend, mich mit ihm dahin.

Gerichtsrat
Ich schelte nicht das Werkzeug, rechte kaum
Mit jenen Mächten, die sich solche Handlung
Erlauben können. Leider, sind auch sie
Gebunden und gedrängt. Sie wirken selten
Aus freier Überzeugung. Sorge, Furcht
Vor größerm Übel nötiget Regenten
Die nützlich ungerechten Taten ab.
Vollbringe was du mußt, entferne dich
Aus meiner Enge reingezognem Kreis.

Hofmeisterin
Den eben such' ich auf! da dring' ich hin!
Dort hoff ich Heil! du wirst mich nicht verstoßen.
Den werten Zögling wünscht' ich lange schon
Vom Glück zu überzeugen, das im Kreise
Des Bürgerstandes hold genügsam weilt.
Entsagte sie der nicht gegönnten Höhe,
Ergäbe sich des biedern Gatten Schutz
Und wendete von jenen Regionen,
Wo sie Gefahr, Verbannung, Tod umlauern,
Ins Häusliche den liebevollen Blick;
Gelös't war' alles, meiner strengen Pflicht
' ich entledigt, könnt' im Vaterland
Vertrauter Stunden mich verweilend freuen.

Gerichtsrat
Ein sonderbar Verhältnis zeigst du mir!

Hofmeisterin
Dem klug entschloss'nen Manne zeig' ich's an.

Gerichtsrat
Du gibst sie frei, wenn sich ein Gatte findet?

Hofmeisterin
Und reichlich ausgestattet geb' ich sie.

Gerichtsrat
So übereilt, wer dürfte sich entschließen?

Hofmeisterin
Nur übereilt bestimmt die Neigung sich.

Gerichtsrat
Die Unbekannte wählen wäre Frevel.

Hofmeisterin
Dem ersten Blick ist sie gekannt und wert.

Gerichtsrat
Der Gattin Feinde drohen auch dem Gatten.

Hofmeisterin
Versöhnt ist alles, wenn sie Gattin heißt.

Gerichtsrat
Und ihr Geheimnis wird man's ihm entdecken?

Hofmeisterin
Vertrauen wird man dem Vertrauenden.

Gerichtsrat
Und wird sie frei solch einen Bund erwählen?

Hofmeisterin
Ein großes Übel dränget sie zur Wahl.

Gerichtsrat
In solchem Fall zu werben ist es redlich?

Hofmeisterin
Der Rettende faßt an und klügelt nicht.

Gerichtsrat
Was forderst du vor allen andern Dingen?

Hofmeisterin
Entschließen soll sie sich im Augenblick.

Gerichtsrat
Ist euer Schicksal ängstlich so gesteigert?

Hofmeisterin
Im Hafen regt sich emsig schon die Fahrt.

Gerichtsrat
Hast du ihr früher solchen Bund geraten?

Hofmeisterin
Im Allgemeinen deutet' ich dahin.

Gerichtsrat
Entfernte sie unwillig den Gedanken?

Hofmeisterin
Noch war das alte Glück ihr allzunah.

Gerichtsrat
Die schönen Bilder werden sie entweichen?

Hofmeisterin
Das hohe Meer hat sie hinweggeschreckt.

Gerichtsrat
Sie fürchtet sich vom Vaterland zu trennen?

Hofmeisterin
Sie fürchtet's und ich fürcht' es wie den Tod.
O! laß uns, Edler, glücklich Aufgefundner,
Vergebne Worte nicht bedenklich wechseln!
Noch lebt in dir, dem Jüngling, jede Tugend,
Die mächt'gen Glaubens, unbedingter Liebe
Zu nie genug geschätzter Tat bedarf.
Gewiß umgibt ein schöner Kreis dich auch
Von Ähnlichen! Von Gleichen sag' ich nicht!
O! sieh dich um in deinem eignen Herzen,
In deiner Freunde Herzen sieh umher,
Und findest du ein überfließend Maß
Von Liebe, von Ergebung, Kraft und Mut;
So werde dem Verdientesten dies Kleinod
Mit stillem Segen heimlich übergeben!

Gerichtsrat
Ich weiß, ich fühle deinen Zustand, kann
Und mag nicht mit mir selbst, bedächtig erst,
Wie Klugheit forderte, zu Rate gehn!
Ich will sie sprechen.

Hofmeisterin tritt zurück gegen Eugenien.

Gerichtsrat
Was geschehen soll,
Es wird geschehn! In ganz gemeinen Dingen
Hängt viel von Wahl und Wollen ab; das Höchste,
Was uns begegnet, kommt wer weiß woher.

Zweiter Auftritt

Eugenie. Gerichtsrat.

Gerichtsrat
Indem du mir, verehrte Schöne, nahst,
So zweifl' ich fast, ob man mich treu berichtet.
Du bist unglücklich, sagt man; doch du bringst,
Wohin du wandelst, Glück und Heil heran.

Eugenie
Find' ich den ersten, dem aus tiefer Not
Ich Blick und Wort entgegen wenden darf,
So mild und edel, als du mir erscheinst;
Dies Angstgefühl, ich hoffe, wird sich lösen.

Gerichtsrat
Ein Vielerfahrner wäre zu bedauern,
Wär' ihm das Los gefallen, das dich trifft;
Wie ruft nicht erst bedrängter Jugend Kummer
Die Mitgefühle hülfsbedürftig an!

Eugenie
So hob ich mich vor Kurzem aus der Nacht
Des Todes an des Tages Licht herauf,
Ich wußte nicht wie mir geschehn! wie hart
Ein jäher Sturz mich lähmend hingestreckt.
Da rafft' ich mich empor, erkannte wieder
Die schöne Welt, ich sah den Arzt bemüht
Die Flamme wieder anzufachen, fand,
In meines Vaters liebevollem Blick,
An seinem Ton mein Leben wieder. Nun,
Zum zweitenmal, von einem jähern Sturz,
Erwach' ich! Fremd und schattengleich erscheint
Mir die Umgebung, mir der Menschen Wandeln,
Und deine Milde selbst ein Traumgebild.

Gerichtsrat
Wenn Fremde sich in unsre Lage fühlen,
Sind sie wohl näher als die Nächsten, die
Oft unsern Gram, als wohlbekanntes Übel,
Mit lässiger Gewohnheit übersehn.
Dein Zustand ist gefährlich! ob er gar
Unheilbar sei, wer wagt es zu entscheiden!

Eugenie
Ich habe nichts zu sagen! Unbekannt
Sind mir die Mächte, die mein Elend schufen.
Du hast das Weib gesprochen, jene weiß;
Ich dulde nur dem Wahnsinn mich entgegen.

Gerichtsrat
Was auch der Obermacht gewalt'gen Schluß
Auf dich herabgerufen, leichte Schuld,
Ein Irrtum, den der Zufall schädlich leitet;
Die Achtung bleibt, die Neigung spricht für dich.

Eugenie
Des reinen Herzens treulich mir bewußt,
Sinn' ich der Wirkung kleiner Fehler nach.

Gerichtsrat
Auf ebnem Boden straucheln ist ein Scherz,
Ein Fehltritt stürzt vom Gipfel dich herab.

Eugenie
Auf jenen Gipfeln schwebt' ich, voll Entzücken.
Der Freuden Übermaß verwirrte mich.
Das nahe Glück berührt' ich schon im Geist,
Ein köstlich Pfand lag schon in meinen Händen.
Nur wenig Ruhe! wenige Geduld!
Und alles war, so darf ich glauben, mein.
Doch übereilt' ich's, überließ mich, rasch,
Zudringlicher Versuchung. – War es das? –
Ich sah, ich sprach, was mir zu sehn, zu sprechen
Verboten war. Wird ein so leicht Vergehn
So hart bestraft? Ein läßlich scheinendes,
Scherzhafter Probe gleichendes Verbot,
Verdammt's den Übertreter, ohne Schonung?
O so ist's wahr was uns der Völker Sagen
Unglaublich überliefern! Jenes Apfels
Leichtsinnig augenblicklicher Genuß
Hat aller Welt unendlich Weh verschuldet.
So ward auch mir ein Schlüssel anvertraut!
Verbotne Schätze wagt' ich aufzuschließen,
Und aufgeschlossen hab' ich mir das Grab.

Gerichtsrat
Des Übels Quelle findest du nicht aus,
Und aufgefunden fließt sie ewig fort.

Eugenie
In kleinen Fehlern such' ich's, gebe mir
Aus eitlem Wahn die Schuld so großer Leiden.
Nur höher! höher wende den Verdacht!
Die beiden, denen ich mein ganzes Glück
Zu danken hoffte, die erhabnen Männer,
Zum Scheine reichten sie sich Hand um Hand.
Der innre Zwist unsicherer Parteien,
Der nur in düstern Höhlen sich geneckt,
Er bricht vielleicht ins Freie bald hervor!
Und was mich erst, als Furcht und Sorg', umgeben,
Entscheidet sich, indem es mich vernichtet,
Und droht Vernichtung aller Welt umher.

Gerichtsrat
Du jammerst mich! das Schicksal einer Welt
Verkündest du nach deinem Schmerzgefühl.
Und schien dir nicht die Erde froh und glücklich,
Als du, ein heitres Kind, auf Blumen schrittest?

Eugenie
Wer hat es reizender als ich gesehn,
Der Erde Glück mit allen seinen Blüten.
Ach! Alles um mich her, es war so reich,
So voll und rein, und was der Mensch bedarf,
Es schien zur Lust, zum Überfluß gegeben.
Und wem verdankt' ich solch ein Paradies?
Der Vaterliebe dankt' ich's, die besorgt
Ums Kleinste wie ums Größte mich verschwendrisch
Mit Prachtgenüssen zu erdrücken schien,
Und meinen Körper, meinen Geist zugleich,
Ein solches Wohl zu tragen, bildete.
Wenn alles weichlich Eitle mich umgab,
Ein wonniges Behagen mir zu schmeicheln;
So rief mich ritterlicher Trieb hinaus,
Zu Roß und Wagen, mit Gefahr zu kämpfen.
Oft sehnt' ich mich in ferne Weiten hin,
Nach fremder Lande seltsam neuen Kreisen.
Dorthin versprach der edle Vater mich,
Ans Meer versprach er mich zu führen, hoffte
Sich meines ersten Blicks ins Unbegrenzte,
Mit liebevollem Anteil, zu erfreun –
Da steh' ich nun und schaue weit hinaus,
Und enger scheint mich's, enger zu umschließen.
O Gott, wie schränkt sich Welt und Himmel ein,
Wenn unser Herz in seinen Schranken banget.

Gerichtsrat
Unselige! die mir, aus deinen Höhen,
Ein Meteor, verderblich niederstreifst,
Und meiner Bahn Gesetz berührend störst!
Auf ewig hast du mir den heitern Blick
Ins volle Meer getrübt. Wenn Phöbus nun
Ein feuerwallend Lager sich bereitet,
Und jedes Auge von Entzücken tränt,
Da werd' ich weg mich wenden, werde dich
Und dein Geschick beweinen. Fern, am Rande
Des nachtumgebnen Ozeans erblick' ich
Mit Not und Jammer deinen Pfad umstrickt!
Entbehrung alles nötig lang Gewohnten,
Bedrängnis neuer Übel, ohne Flucht.
Der Sonne glühendes Geschoß durchdringt
Ein feuchtes, kaum der Flut entriss'nes Land.
Um Niederungen schwebet, gift'gen Brodens,
Blaudunst'ger Streifen angeschwollne Pest.
Im Vortod seh' ich, matt und hingebleicht,
Von Tag zu Tag ein Kummerleben schwanken.
O die, so blühend, heiter vor mir steht,
Sie soll, so früh, langsamen Tods, verschwinden!

Eugenie
Entsetzen rufst du mir hervor! Dorthin?
Dorthin verstößt man mich! In jenes Land,
Als Höllenwinkel mir, von Kindheit auf,
In grauenvollen Zügen dargestellt.
Dorthin, wo sich, in Sümpfen, Schlang' und Tiger,
Durch Rohr und Dorngeflechte, tückisch drängen.
Wo, peinlich quälend als belebte Wolken,
Um Wandrer sich Insektenscharen ziehn,
Wo jeder Hauch des Windes, unbequem
Und schädlich, Stunden raubt und Leben kürzt.
Zu bitten dacht' ich; flehend siehst du nun
Die Dringende. Du kannst, du wirst mich retten.

Gerichtsrat
Ein mächtig ungeheurer Talisman
Liegt in den Händen deiner Führerin.

Eugenie
Was ist Gesetz und Ordnung? Können sie
Der Unschuld Kindertage nicht beschützen?
Wer seid denn ihr, die ihr, mit leerem Stolz,
Durchs Recht Gewalt zu bänd'gen euch berühmt?

Gerichtsrat
In abgeschloss'nen Kreisen lenken wir,
Gesetzlich streng, das in der Mittelhöhe
Des Lebens wiederkehrend Schwebende.
Was droben sich in ungemess'nen Räumen,
Gewaltig seltsam, hin und her bewegt,
Belebt und tötet, ohne Rat und Urteil,
Das wird nach anderm Maß, nach andrer Zahl
Vielleicht berechnet, bleibt uns rätselhaft.

Eugenie
Und das ist alles? Hast du weiter nichts
Zu sagen, zu verkünden?

Gerichtsrat
Nichts!

Eugenie
Ich glaub' es nicht!
Ich darf's nicht glauben.

Gerichtsrat
Laß! o laß mich fort!
Soll ich als feig, als unentschlossen gelten?
Bedauern, jammern? Soll nicht, irgendhin,
Mit kühner Hand, auf deine Rettung deuten?
Doch läge nicht, in dieser Kühnheit selbst,
Für mich die gräßlichste Gefahr, von dir
Verkannt zu werden? mit verfehltem Zweck
Als frevelhaft unwürdig zu erscheinen?

Eugenie
Ich lasse dich nicht los, den mir das Glück,
Mein altes Glück, vertraulich zugesendet.
Mich hat's von Jugend auf gehegt, gepflegt,
Und nun, im rauhen Sturme, sendet mir's
Den edlen Stellvertreter seiner Neigung.
Sollt' ich nicht sehen, fühlen, daß du Teil
An mir und meinem Schicksal nimmst? Ich stehe
Nicht ohne Wirkung hier! du sinnst! du denkst! –
Im weiten Kreise rechtlicher Erfahrung
Schaust du, zu meinen Gunsten, um dich her.
Noch bin ich nicht verloren! Ja du suchst
Ein Mittel mich zu retten; hast es wohl
Schon ausgefunden! Mir bekennt's dein Blick,
Dein tiefer, ernster, freundlich trüber Blick.
O! kehre dich nicht weg! O! sprich es aus,
Ein hohes Wort, das mich zu heilen töne.

Gerichtsrat
So wendet, voll Vertraun, zum Arzte sich
Der Tieferkrankte, fleht um Linderung,
Fleht um Erhaltung schwer bedrohter Tage.
Als Gott erscheint ihm der erfahrne Mann.
Doch ach! Ein bitter, unerträglich Mittel
Wird nun geboten. Ach! soll ihm, vielleicht,
Der edlen Glieder grausame Verstümmlung,
Verlust, statt Heilung, angekündigt werden?
Gerettet willst du sein! Zu retten bist du,
Nicht herzustellen. Was du warst ist hin,
Und was du sein kannst, magst du's übernehmen?

Eugenie
Um Rettung aus des Todes Nachtgewalt,
Um dieses Lichts erquickenden Genuß,
Um Sicherheit des Daseins, ruft zuerst,
Aus tiefer Not, ein Halbverlorner noch.
Was dann zu heilen sei, was zu erstatten,
Was zu vermissen, lehre Tag um Tag.

Gerichtsrat
Und nächst dem Leben was erflehst du dir?

Eugenie
Des Vaterlandes vielgeliebten Boden!

Gerichtsrat
Du forderst viel im einz'gen, großen Wort!

Eugenie
Ein einzig Wort enthält mein ganzes Glück.

Gerichtsrat
Den Zauberbann, wer wagt's ihn aufzulösen?

Eugenie
Der Tugend Gegenzauber siegt gewiß!

Gerichtsrat
Der oberen Macht ist schwer zu widerstehen.

Eugenie
Allmächtig ist sie nicht die obre Macht.
Gewiß! dir gibt die Kenntnis jener Formen,
Für Hohe wie für Niedre gleich verbindlich,
Ein Mittel an. Du lächelst. Ist es möglich!
Das Mittel ist gefunden! Sprich es aus!

Gerichtsrat
Was hülf es, meine Beste, wenn ich dir
Von Möglichkeiten spräche! Möglich scheint
Fast alles unsern Wünschen; unsrer Tat
Setzt sich, von innen wie von außen, viel,
Was sie durchaus unmöglich macht, entgegen;
Ich kann, ich darf nicht reden, laß mich los!

Eugenie
Und wenn du täuschen solltest! – Wäre nur,
Für Augenblicke, meiner Phantasie
Ein zweifelhafter, leichter Flug vergönnt!
Ein Übel um das andre biete mir!
Ich bin gerettet, wenn ich wählen kann.

Gerichtsrat
Ein Mittel gibt es, dich im Vaterland
Zurück zu halten. Friedlich ist's und Manchem
Erschien es auch erfreulich. Große Gunst
Hat es vor Gott und Menschen. Heil'ge Kräfte
Erheben's über alle Willkür. Jedem,
Der's anerkennt, sich's anzueignen weiß,
Verschafft es Glück und Ruhe. Vollbestand
Erwünschter Lebensgüter sind wir ihm,
So wie der Zukunft höchste Bilder schuldig.
Als allgemeines Menschengut verordnet's
Der Himmel selbst, und ließ dem Glück, der Kühnheit
Und stiller Neigung Raum sich's zu erwerben.

Eugenie
Welch Paradies in Rätseln stellst du dar?

Gerichtsrat
Der eignen Schöpfung himmlisch Erdenglück.

Eugenie
Was hilft mein Sinnen! ich verwirre mich!

Gerichtsrat
Errätst du's nicht; so liegt es fern von dir.

Eugenie
Das zeige sich sobald du ausgesprochen.

Gerichtsrat
Ich wage viel! Der Ehstand ist es!

Eugenie
Wie?

Gerichtsrat
Gesprochen ist's, nun überlege du.

Eugenie
Mich überrascht, mich ängstet solch ein Wort.

Gerichtsrat
Ins Auge fasse was dich überrascht.

Eugenie
Mir lag es fern in meiner frohen Zeit,
Nun kann ich seine Nähe nicht ertragen;
Die Sorge, die Beklemmung mehrt sich nur.
Von meines Vaters, meines Königs Hand,
Mußt' ich dereinst den Bräutigam erwarten.
Voreilig schwärmte nicht mein Blick umher
Und keine Neigung wuchs in meiner Brust.
Nun soll ich denken was ich nie gedacht,
Und fühlen was ich, sittsam, weggewiesen;
Soll mir den Gatten wünschen, eh ein Mann
Sich liebenswert und meiner wert gezeigt,
Und jenes Glück, das Hymen uns verspricht,
Zum Rettungsmittel meiner Not entweihen.

Gerichtsrat
Dem wackern Mann vertraut ein Weib getrost,
Und war' er fremd, ein zweifelhaft Geschick.
Der ist nicht fremd, wer Teil zu nehmen weiß.
Und schnell verbindet ein Bedrängter sich
Mit seinem Retter. Was im Lebensgange
Dem Gatten seine Gattin fesselnd eignet,
Ein Sicherheitsgefühl, ihr werd' es nie
An Rat und Trost, an Schutz und Hülfe fehlen
Das flößt, im Augenblick, ein kühner Mann,
Dem Busen des gefahrumgebnen Weibes,
Durch Wagetat, auf ew'ge Zeiten, ein.

Eugenie
Und mir, wo zeigte sich ein solcher Held?

Gerichtsrat
Der Männer Schar ist groß in dieser Stadt.

Eugenie
Doch allen bin und bleib' ich unbekannt.

Gerichtsrat
Nicht lange bleibt ein solcher Blick verborgen!

Eugenie
O täusche nicht ein leichtbetrognes Hoffen!
Wo fände sich ein Gleicher, seine Hand
Mir, der Erniedrigten, zu reichen? Dürft' ich
Dem Gleichen selbst ein solches Glück verdanken?

Gerichtsrat
Ungleich erscheint im Leben viel, doch bald
Und unerwartet ist es ausgeglichen.
In ew'gem Wechsel wiegt ein Wohl das Weh
Und schnelle Leiden unsre Freuden auf.
Nichts ist beständig! Manches Mißverhältnis
Lös't, unbemerkt, indem die Tage rollen,
Durch Stufenschritte sich in Harmonie.
Und ach! den größten Abstand weiß die Liebe,
Die Erde mit dem Himmel, auszugleichen.

Eugenie
In leere Träume denkst du mich zu wiegen.

Gerichtsrat
Du bist gerettet, wenn du glauben kannst.

Eugenie
So zeige mir des Retters treues Bild.

Gerichtsrat
Ich zeig' ihn dir, er bietet seine Hand!

Eugenie
Du! welch ein Leichtsinn überraschte dich?

Gerichtsrat
Entschieden bleibt auf ewig mein Gefühl.

Eugenie
Der Augenblick! vermag er solche Wunder?

Gerichtsrat
Das Wunder ist des Augenblicks Geschöpf.

Eugenie
Und Irrtum auch der Übereilung Sohn.

Gerichtsrat
Ein Mann, der dich gesehen, irrt nicht mehr.

Eugenie
Erfahrung bleibt des Lebens Meisterin.

Gerichtsrat
Verwirren kann sie, doch das Herz entscheidet.
O! laß dir sagen: wie, vor wenig Stunden,
Ich mit mir selbst zu Rate ging und mich
So einsam fühlte; meine ganze Lage,
Vermögen, Stand, Geschäft ins Auge faßte
Und, um mich her, nach einer Gattin sann;
Da regte Phantasie mir manches Bild,
Die Schätze der Erinnrung sichtend auf,
Und wohlgefällig schwebten sie vorüber.
Zu keiner Wahl bewegte sich mein Herz.
Doch du erscheinest, ich empfinde nun
Was ich bedurfte. Dies ist mein Geschick.

Eugenie
Die Fremde, Schlechtumgebne, Mißempfohlne,
Sie könnte frohen stolzen Trost empfinden,
Sich so geschätzt, sich so geliebt zu sehn;
Bedächte sie nicht auch des Freundes Glück,
Des edlen Manns, der unter allen Menschen
Vielleicht zuletzt, ihr Hülfe bieten mag.
Betrügst du dich nicht selbst? und wagst du dich
Mit jener Macht, die mich bedroht, zu messen?

Gerichtsrat
Mit jener nicht allein! – Dem Ungestüm
Des rohen Drangs der Menge zu entgehn,
Hat uns ein Gott den schönsten Port bezeichnet.
Im Hause, wo der Gatte sicher waltet,
Da wohnt allein der Friede, den, vergebens,
Im Weiten, du, da draußen, suchen magst.
Unruh'ge Mißgunst, grimmige Verleumdung,
Verhallendes, parteiisches Bestreben,
Nicht wirken sie auf diesen heil'gen Kreis!
Vernunft und Liebe hegen jedes Glück,
Und jeden Unfall mildert ihre Hand.
Komm! Rette dich zu mir! Ich kenne mich!
Und weiß was ich versprechen darf und kann.

Eugenie
Bist du in deinem Hause Fürst?

Gerichtsrat
Ich bin's!
Und jeder ist's, der Gute wie der Böse.
Reicht eine Macht denn wohl in jenes Haus,
Wo der Tyrann die holde Gattin kränkt,
Wenn er, nach eignem Sinn, verworren handelt;
Durch Launen, Worte, Taten, jede Lust,
Mit Schadenfreude, sinnreich untergräbt?
Wer trocknet ihre Tränen? Welch Gesetz,
Welch Tribunal erreicht den Schuldigen?
Er triumphiert, und schweigende Geduld
Senkt nach und nach, verzweifelnd, sie ins Grab.
Notwendigkeit, Gesetz, Gewohnheit gaben
Dem Mann so große Rechte; sie vertrauten
Auf seine Kraft, auf seinen Biedersinn. –
Nicht Heldenfaust, nicht Heldenstamm, Geliebte,
Verehrte Fremde, weiß ich dir zu bieten!
Allein des Bürgers hohen Sicherstand.
Und bist du mein, was kann dich mehr berühren?
Auf ewig bist du mein, versorgt, beschützt.
Der König fordre dich von mir zurück;
Als Gatte kann ich mit dem König rechten.

Eugenie
Vergib! Mir schwebt noch allzulebhaft vor
Was ich verscherzte! Du, Großmütiger,
Bedenkest nur was mir noch übrig blieb.
Wie wenig ist es! Dieses Wenige
Lehrst du mich schätzen, gibst mein eignes Wesen,
Durch dein Gefühl, belebend mir zurück.
Verehrung zoll' ich dir. Wie soll ich's nennen?
Dankbare, schwesterlich entzückte Neigung!
Ich fühle mich als dein Geschöpf und kann
Dir leider, wie du wünschest, nicht gehören.

Gerichtsrat
So schnell versagst du dir und mir die Hoffnung!

Eugenie
Das Hoffnungslose kündet schnell sich an!

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Hofmeisterin.

Hofmeisterin
Dem günst'gen Wind gehorcht die Flotte schon,
Die Segel schwellen, alles eilt hinab.
Die Scheidenden umarmen tränend sich,
Und von den Schiffen, von dem Strande wehn
Die weißen Tücher noch den letzten Gruß.
Bald lichtet unser Schiff die Anker auch!
Komm! Laß uns gehen! Uns begleitet nicht
Ein Scheidegruß, wir ziehen unbeweint.

Gerichtsrat
Nicht unbeweint, nicht ohne bittern Schmerz
Zurückgelass'ner Freunde, die, nach euch,
Die Arme rettend strecken. O! Vielleicht
Erscheint, was ihr im Augenblick verschmäht,
Euch bald ein sehnsuchtswertes, fernes Bild.

Zu Eugenien.

Vor wenigen Minuten nannt' ich dich
Entzückt willkommen! Soll ein Lebewohl,
Behend, auf ewig, unsre Trennung siegeln?

Hofmeisterin
Der Unterredung Inhalt, ahn' ich ihn?

Gerichtsrat
Zum ew'gen Bunde siehst du mich bereit.

Hofmeisterin
(zu Eugenien)
Und wie erkennst du solch ein groß Erbieten?

Eugenie
Mit höchst gerührten Herzens reinstem Dank.

Hofmeisterin
Und ohne Neigung diese Hand zu fassen?

Gerichtsrat
Zur Hülfe bietet sie sich dringend an.

Eugenie
Das Nächste steht oft unergreifbar fern.

Hofmeisterin
Ach! fern von Rettung stehn wir nur zu bald.

Gerichtsrat
Und hast du künftig Drohendes bedacht?

Eugenie
Sogar das letzte Drohende, den Tod.

Hofmeisterin
Ein angebotnes Leben schlägst du aus?

Gerichtsrat
Erwünschte Feier froher Bundestage.

Eugenie
Ein Fest versäumt' ich, keins erscheint mir wieder.

Hofmeisterin
Gewinnen kann, wer viel verloren, schnell.

Gerichtsrat
Nach glänzendem ein dauerhaft Geschick.

Eugenie
Hinweg die Dauer, wenn der Glanz verlosch.

Hofmeisterin
Wer Mögliches bedenkt läßt sich genügen.

Gerichtsrat
Und wem genügte nicht an Lieb' und Treue?

Eugenie
Den Schmeichelworten widerspricht mein Herz,
Und widerstrebt euch beiden, ungeduldig.

Gerichtsrat
Ach allzulästig scheint, ich weiß es wohl,
Uns unwillkommne Hülfe! Sie erregt
Nur innern Zwiespalt. Danken möchten wir,
Und sind undankbar, da wir nicht empfangen.
Drum laßt uns scheiden! doch des Hafenbürgers
Gebrauch und Pflicht vorher an euch erfüllen,
Aufs unfruchtbare Meer, von Landesgaben,
Zum Lebewohl, Erquickungsvorrat widmen.
Dann werd' ich stehen, werde starres Blicks
Geschwollne Segel ferner, immer ferner,
Und Glück und Hoffnung weichend schwinden sehn.

Vierter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie
In deiner Hand, ich weiß es, ruht mein Heil,
So wie mein Elend. Laß dich überreden!
Laß dich erweichen! Schiffe mich nicht ein!

Hofmeisterin
Du lenkest nur was uns begegnen soll,
Du hast zu wählen! Ich gehorche nur
Der starken Hand, sie stößt mich vor sich hin.

Eugenie
Und nennst du Wahl, wenn Unvermeidliches
Unmöglichem sich gegenüber stellt?

Hofmeisterin
Der Bund ist möglich wie der Bann vermeidlich.

Eugenie
Unmöglich ist was Edle nicht vermögen.

Hofmeisterin
Für diesen biedern Mann vermagst du viel.

Eugenie
In bess're Lagen führe mich zurück;
Und sein Erbieten lohn' ich grenzenlos.

Hofmeisterin
Ihn lohne gleich was ihn allein belohnt,
Zu hohen Stufen heb' ihn deine Hand!
Wenn Tugend, wenn Verdienst den Tüchtigen
Nur langsam fördern, wenn er still entsagend
Und kaum bemerkt sich andern widmend strebt;
So führt ein edles Weib ihn leicht ans Ziel.
Hinunter soll kein Mann die Blicke wenden;
Hinauf zur höchsten Frauen kehr' er sich!
Gelingt es ihm sie zu erwerben, schnell
Geebnet zeigt des Lebens Pfad sich ihm.

Eugenie
Verwirrender, verfälschter Worte Sinn,
Entwickl' ich wohl aus deinen falschen Reden,
Das Gegenteil erkenn' ich nur zu klar:
Der Gatte zieht sein Weib unwiderstehlich
In seines Kreises abgeschloss'ne Bahn.
Dorthin ist sie gebannt, sie kann sich nicht
Aus eigner Kraft besondre Wege wählen,
Aus niedrem Zustand führt er sie hervor,
Aus höhern Sphären lockt er sie hernieder.
Verschwunden ist die frühere Gestalt,
Verloschen jede Spur vergangner Tage.
Was sie gewann, wer will es ihr entreißen ?
Was sie verlor, wer gibt es ihr zurück ?

Hofmeisterin
So brichst du, grausam, dir und mir den Stab.

Eugenie
Noch forscht mein Blick nach Rettung hoffnungsvoll.

Hofmeisterin
Der Liebende verzweifelt, kannst du hoffen?

Eugenie
Ein kalter Mann verlieh' uns bessern Rat.

Hofmeisterin
Von Rat und Wahl ist keine Rede mehr;
Du stürzest mich ins Elend, folge mir!

Eugenie
O daß ich dich noch einmal, freundlich hold,
Vor meinen Augen sähe, wie du stets
Von früher Zeit herauf mich angeblickt!
Der Sonne Glanz, die alles Leben regt,
Des klaren Monds erquicklich leiser Schein,
Begegneten mir holder nicht als du.
Was konnt' ich wünschen? Vorbereitet war's.
Was durft' ich fürchten? Abgelehnt war alles!
Und zog sich ins Verborgene meine Mutter,
Vor ihres Kindes Blicken, früh zurück;
So reichtest du ein überfließend Maß
Besorgter Mutterliebe mir entgegen.
Bist du denn ganz verwandelt? Äußerlich
Erscheinst du mir die vielgeliebte selber;
Doch ausgewechselt ist, so scheint's, dein Herz –
Du bist es noch, die ich um Klein und Großes
So oft gebeten, die mir nichts verweigert.
Gewohnter Ehrfurcht kindliches Gefühl,
Es lehrt mich nun das Höchste zu erbitten.
Und könnt' es mich erniedrigen, dich nun
An Vaters, Königs, dich an Gottes Statt,
Gebognen Knies um Rettung anzuflehen?

Sie knieet.

Hofmeisterin
In dieser Lage scheinst du meiner nur
Verstellt zu spotten. Falschheit rührt mich nicht.

hebt Eugenien mit Heftigkeit auf.

Eugenie
So hartes Wort, so widriges Betragen,
Erfahr' ich das, erleb' ich das von dir?
Und mit Gewalt verscheuchst du meinen Traum.
Im klaren Lichte seh' ich mein Geschick!
Nicht meine Schuld, nicht jener Großen Zwist,
Des Bruders Tücke hat mich hergestoßen,
Und mitverschworen hältst du mich gebannt.

Hofmeisterin
Dein Irrtum schwankt nach allen Seiten hin,
Was will der Bruder gegen dich beginnen?
Den bösen Willen hat er, nicht die Macht.

Eugenie
Sei's wie ihm wolle! Noch verschmacht' ich nicht
In ferner Wüste hoffnungslosen Räumen.
Ein lebend Volk bewegt sich um mich her,
Ein liebend Volk, das auch den Vaternamen,
Entzückt, aus seines Kindes Mund vernimmt.
Die fordr' ich auf. Aus roher Menge kündet
Ein mächt'ger Ruf mir meine Freiheit an.

Hofmeisterin
Die rohe Menge hast du nie gekannt,
Sie starrt und staunt und zaudert, läßt geschehn;
Und regt sie sich, so endet ohne Glück,
Was ohne Plan zufällig sie begonnen.

Eugenie
Den Glauben wirst du mir mit kaltem Wort
Nicht, wie mein Glück mit frecher Tat, zerstören.
Dort unten hoff ich Leben, aus dem Leben,
Dort wo die Masse, tätig strömend, wogt,
Wo jedes Herz, mit Wenigem befriedigt,
Für holdes Mitleid gern sich öffnen mag.
Du hältst mich nicht zurück! Ich rufe laut,
Wie furchtbar mich Gefahr und Not bedrängen,
Ins wühlende Gemisch mich stürzend, aus.

Fünfter Aufzug

Platz am Hafen.

Erster Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin.

Eugenie
Mit welchen Ketten führst du mich zurück?
Gehorch' ich, wider Willen, diesmal auch!
Fluchwürdige Gewalt der Stimme, die
Mich einst, so glatt, zur Folgsamkeit gewöhnte,
Die meines ersten bildsamen Gefühls
Im ganzen Umfang sich bemeisterte!
Du warst es, der ich dieser Worte Sinn
Zuerst verdanke, dieser Sprache Kraft
Und künstliche Verknüpfung; diese Welt
Hab' ich aus deinem Munde, ja, mein eignes Herz.
Nun brauchst du diesen Zauber gegen mich,
Du fesselst mich, du schleppst mich hin und wieder,
Mein Geist verwirrt sich, mein Gefühl ermattet,
Und zu den Toten sehn' ich mich hinab.

Hofmeisterin
O! hätte diese Zauberkraft gewirkt,
Als ich dich dringend, flehentlich, gebeten,
Von jenen hohen Planen abzustehn.

Eugenie
Du ahnetest solch ungeheures Übel
Und warntest nicht den allzusichern Mut?

Hofmeisterin
Wohl durft' ich warnen, aber leise nur;
Die ausgesprochne Sylbe trug den Tod.

Eugenie
Und hinter deinem Schweigen lag Verbannung!
Ein Todeswort, willkommner war es mir.

Hofmeisterin
Dies Unglück, vorgesehen oder nicht,
Hat mich und dich in gleiches Netz verschlungen.

Eugenie
Was kann ich wissen welch ein Lohn dir wird,
Um deinen armen Zögling zu verderben.

Hofmeisterin
Er wartet wohl am fremden Strande mein!
Das Segel schwillt und führt uns beide hin.

Eugenie
Noch hat das Schiff in seine Kerker nicht
Mich aufgenommen. Sollt' ich willig gehn?

Hofmeisterin
Und riefst du nicht das Volk zur Hülfe schon?
Es staunte nur dich an und schwieg und ging.

Eugenie
Mit ungeheurer Not im Kampfe, schien
Ich dem gemeinen Blick des Wahnsinns Beute.
Doch sollst du mir mit Worten, mit Gewalt,
Den mut'gen Schritt nach Hülfe nicht verkümmern.
Die Ersten dieser Stadt erheben sich,
Aus ihren Häusern, dem Gestade zu,
Die Schiffe zu bewundern, die, gereiht,
Uns unerwünscht, das hohe Meer gewinnen.
Schon regt sich am Palast des Gouverneurs
Die Wache. Jener ist es, der die Stufen
Von Mehreren begleitet niedersteigt.
Ich will ihn sprechen, ihm den Fall erzählen!
Und ist er wert, an meines Königs Platz,
Den wichtigsten Geschäften vorzustehn;
So weis't er mich nicht unerhört von hinnen.

Hofmeisterin
Ich hindre dich an diesem Schritte nicht,
Doch nennst du keinen Namen, nur die Sache.

Eugenie
Den Namen nicht, bis ich vertrauen darf.

Hofmeisterin
Es ist ein edler junger Mann und wird
Was er vermag mit Anstand gern gewähren.

Zweiter Auftritt

Die Vorigen. Der Gouverneur. Adjutanten.

Eugenie
Dir in den Weg zu treten, darf ich's wagen?
Wirst du der kühnen Fremden auch verzeihn?

Gouverneur
(nachdem er sie aufmerksam betrachtet)
Wer sich, wie du, dem ersten Blick empfiehlt,
Der ist gewiß des freundlichsten Empfangs.

Eugenie
Nicht froh und freundlich ist es was ich bringe,
Entgegen treibt mich dir die höchste Not.

Gouverneur
Ist sie zu heben möglich, sei mir's Pflicht;
Ist sie auch nur zu lindern, soll's geschehn.

Eugenie
Von hohem Haus entsproß die Bittende:
Doch, leider, ohne Namen tritt sie auf.

Gouverneur
Ein Name wird vergessen; dem Gedächtnis
Schreibt solch ein Bild sich unauslöschlich ein.

Eugenie
Gewalt und List entreißen, führen, drängen
Mich von des Vaters Brust ans wilde Meer.

Gouverneur
Wer durfte sich an diesem Friedensbild
Mit ungeweihter Feindeshand vergreifen?

Eugenie
Ich selbst vermute nur! Mich überrascht,
Aus meinem eignen Hause, dieser Schlag.
Von Eigennutz und bösem Rat geleitet
Sann mir ein Bruder dies Verderben aus,
Und diese hier, die mich erzogen, steht,
Mir unbegreiflich, meinen Feinden bei.

Hofmeisterin
Ihr steh' ich bei und mildre großes Übel,
Das ich zu heilen leider nicht vermag.

Eugenie
Ich soll zu Schiffe steigen fordert sie!
Nach jenen Ufern führt sie mich hinüber!

Hofmeisterin
Geb' ich auf solchem Weg ihr das Geleit,
So zeigt es Liebe, Muttersorgfalt an.

Gouverneur
Verzeiht, geschätzte Frauen, wenn ein Mann,
Der, jung an Jahren, Manches in der Welt
Gesehn und überlegt, im Augenblick,
Da er euch sieht und hört, bedenklich stutzt.
Vertrauen scheint ihr beide zu verdienen,
Und ihr mißtraut einander beide selbst,
So scheint es wenigstens. Wie soll ich nun
Des wunderbaren Knotens Rätselschlinge,
Die euch umstrickt, zu lösen übernehmen?

Eugenie
Wenn du mich hören willst, vertrau' ich mehr.

Hofmeisterin
Auch ich vermöchte manches zu erklären.

Gouverneur
Daß uns, mit Fabeln, oft ein Fremder täuscht,
Muß auch der Wahrheit schaden, wenn wir sie
In abenteuerlicher Hülle sehn.

Eugenie
Mißtraust du mir, so bin ich ohne Hülfe.

Gouverneur
Und traut' ich auch, ist doch zu helfen schwer.

Eugenie
Nur zu den Meinen sende mich zurück.

Gouverneur
Verlorne Kinder aufzunehmen, gar
Entwendete, verstoßne zu beschützen,
Bringt wenig Dank dem wohlgesinnten Mann.
Um Gut und Erbe wird sogleich ein Streit,
Um die Person, ob sie die rechte sei,
Gehässig aufgeregt, und wenn Verwandte
Ums Mein und Dein gefühllos hadern, trifft
Den Fremden, der sich eingemischt, der Haß
Von beiden Teilen, und nicht selten gar,
Weil ihm der strengere Beweis nicht glückt,
Steht er zuletzt auch vor Gericht beschämt.
Verzeih mir also, wenn ich nicht sogleich
Mit Hoffnung dein Gesuch erwidern kann.

Eugenie
Ziemt eine solche Furcht dem edlen Mann,
Wohin soll sich ein Unterdrückter wenden?

Gouverneur
Doch wenigstens entschuldigst du gewiß,
Im Augenblick wo ein Geschäft mich ruft,
Wenn ich, auf morgen frühe, dich hinein
In meine Wohnung lade, dort genauer
Das Schicksal zu erfahren, das dich drängt.

Eugenie
Mit Freuden werd' ich kommen! Nimm voraus
Den lauten Dank für meine Rettung an!

Hofmeisterin
(die ihm ein Papier überreicht)
Wenn wir auf deine Ladung nicht erscheinen,
So ist dies Blatt Entschuldigung genug.

Gouverneur
(der es aufmerksam eine Weile angesehn, es zurückgebend)
So kann ich freilich nur beglückte Fahrt,
Ergebung ins Geschick und Hoffnung wünschen.

Dritter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin

Eugenie
Ist dies der Talisman, mit dem du mich
Entführst, gefangen hältst, der alle Guten,
Die sich zu Hülfe mir bewegen, lähmt?
Laß mich es ansehn, dieses Todes-Blatt!
Mein Elend kenn' ich, nun so laß mich auch,
Wer es verhängen konnte, laß mich's wissen.

Hofmeisterin
(die das Blatt offen darzeigt)

Hier! Sieh herein.

Eugenie
(sich wegwendend)
Entsetzliches Gefühl!
Und überlebt' ich's, wenn des Vaters Name,
Des Königs Name mir entgegen blitzte!
Noch ist die Täuschung möglich, daß, verwegen,
Ein Kronbeamter die Gewalt mißbraucht,
Und, meinem Bruder fröhnend, mich verletzt.
Da bin ich noch zu retten. Eben dies
Will ich erfahren! Zeige her!

Hofmeisterin
(wie oben) Du siehst's!

Eugenie
(wie oben)
Der Mut verläßt mich! Nein, ich wag' es nicht.
Sei's wie es will, ich bin verloren, bin
Aus allem Vorteil dieser Welt gestoßen;
Entsag' ich denn auf ewig dieser Welt!
O dies vergönnst du mir! du willst es ja,
Die Feinde wollen meinen Tod, sie wollen
Mich lebend eingescharrt. Vergönne mir
Der Kirche mich zu nähern, die begierig
So manch unschuldig Opfer schon verschlang.
Hier ist der Tempel, diese Pforte führt
Zu stillem Jammer, wie zu stillem Glück.
Laß diesen Schritt mich ins Verborgne tun;
Was mich daselbst erwartet, sei mein Los.

Hofmeisterin
Ich sehe die Äbtissin steigt, begleitet
Von zwei der ihren, zu dem Platz herab;
Auch sie ist jung, von hohem Haus entsprossen;
Entdeck' ihr deinen Wunsch, ich hindr' es nicht.

Vierter Auftritt

Die Vorigen. Äbtissin. Zwei Nonnen.

Eugenie
Betäubt, verworren, mit mir selbst entzweit
Und mit der Welt, verehrte heil'ge Jungfrau,
Siehst du mich hier. Die Angst des Augenblicks,
Die Sorge für die Zukunft treiben mich
In deine Gegenwart, in der ich Lindrung
Des Ungeheuern Übels hoffen darf.

Äbtissin
Wenn Ruhe, wenn Besonnenheit und Friede
Mit Gott und unserm eignen Herzen sich
Mitteilen läßt; so soll es, edle Fremde,
Nicht fehlen an der Lehre treuem Wort,
Dir einzuflößen, was der Meinen Glück
Und meins, für heut so wie auf ewig, fördert.

Eugenie
Unendlich ist mein Übel, schwerlich möcht'
Es durch der Worte göttliche Gewalt
Sogleich zu heilen sein. O! nimm mich auf
Und laß mich weilen, wo du weilst, mich erst
In Tränen lösen diese Bangigkeit
Und mein erleichtert Herz dem Tröste weihen.

Äbtissin
Wohl hab' ich oft im heiligen Bezirk
Der Erde Tränen sich in göttlich Lächeln
Verwandeln sehn, in himmlisches Entzücken,
Doch drängt man sich gewaltsam nicht herein;
Gar manche Prüfung muß die neue Schwester,
Und ihren ganzen Wert, uns erst entwickeln.

Hofmeisterin
Entschiedner Wert ist leicht zu kennen, leicht
Was du bedingen möchtest zu erfüllen.

Äbtissin
Ich zweifle nicht am Adel der Geburt,
Nicht am Vermögen, dieses Hauses Rechte,
Die groß und wichtig sind, dir zu gewinnen.
Drum laßt mich bald vernehmen was ihr denkt.

Eugenie
Gewähre meine Bitte, nimm mich auf!
Verbirg mich vor der Welt, im tiefsten Winkel,
Und meine ganze Habe nimm dahin.
Ich bringe viel und hoffe mehr zu leisten.

Äbtissin
Kann uns die Jugend, uns die Schönheit rühren,
Ein edles Wesen spricht's an unser Herz;
So hast du viele Rechte, gutes Kind.
Geliebte Tochter! komm an meine Brust!

Eugenie
Mit diesem Wort, mit diesem Herzensdruck
Besänftigst du auf einmal alles Toben
Der aufgeregten Brust. Die letzte Welle
Umspült mich weichend noch. Ich bin im Hafen.

Hofmeisterin
(dazwischentretend)

Wenn nicht ein grausam Schicksal widerstünde!
Betrachte dieses Blatt, uns zu beklagen.

Sie reicht der Äbtissin das Blatt.

Äbtissin
(die gelesen)
Ich muß dich tadeln, daß du wissentlich
So manch vergeblich Wort mit angehört.
Ich beuge vor der höhern Hand mich tief,
Die hier zu walten scheint.

Fünfter Auftritt

Eugenie. Hofmeisterin

Eugenie
Wie? höhre Hand?
Was meint die Heuchlerin? Versteht sie Gott?
Der himmlisch Höchste hat gewiß nicht hier,
Mit dieser Freveltat, zu tun. Versteht
Sie unsern König? Wohl! ich muß es dulden
Was dieser über mich verhängt. Allein
Ich will nicht mehr in Zweifel, zwischen Furcht
Und Liebe schweben, will nicht weibisch mehr,
Indem ich untergehe, noch des Herzens
Und seiner weichlichen Gefühle schonen.
Es breche, wenn es brechen soll, und nun
Verlang' ich dieses Blatt zu sehen, sei
Von meinem Vater, sei von meinem König
Das Todesurteil unterzeichnet. Jener
Gereizten Gottheit, die mich niederschmettert,
Will ich getrost ins Auge schauend stehn.
O! daß ich vor ihr stünde. Fürchterlich
Ist der bedrängten Unschuld letzter Blick.

Hofmeisterin
Ich hab' es nie verweigert, nimm es hin.

Eugenie
(das Papier von außen ansehend)
Das ist des Menschen wunderbar Geschick,
Daß bei dem größten Übel noch die Furcht
Vor fernerem Verlust ihm übrig bleibt.
Sind wir so reich, ihr Götter! daß ihr uns
Mit Einem Schlag nicht alles rauben könnt?
Des Lebens Glück entriß mir dieses Blatt,
Und läßt mich größern Jammer noch befürchten.

Sie entfaltet's.

Wohlan! Getrost mein Herz und schaudre nicht
Die Neige dieses bittern Kelchs zu schlürfen.

blickt hinein.

Des Königs Hand und Siegel!

Hofmeisterin
(die das Blatt abnimmt)
Gutes Kind,
Bedaure mich, indem du dich bejammerst.
Ich übernahm das traurige Geschäft,
Der Allgewalt Befehl vollzieh' ich nur,
Um dir in deinem Elend beizustehn,
Dich keiner fremden Hand zu überlassen.
Was meine Seele peinigt, was ich noch
Von diesem schrecklichen Ereignis kenne,
Erfährst du künftig. Jetzt verzeihe mir,
Wenn mich die eiserne Notwendigkeit
Uns unverzüglich einzuschiffen zwingt.

Sechster Auftritt

Eugenie (allein), hernach Hofmeisterin (im Grunde).

Eugenie
So ist mir denn das schönste Königreich,
Der Hafenplatz, von Tausenden belebt,
Zur Wüste worden und ich bin allein.
Hier sprechen edle Männer, nach Gesetzen,
Und Krieger lauschen auf gemess'nes Wort.
Hier flehen heilig Einsame zum Himmel;
Beschäftigt strebt die Menge nach Gewinn.
Und mich verstößt man, ohne Recht und Urteil,
Nicht Eine Hand bewaffnet sich für mich,
Man schließt mir die Asyle, niemand mag
Zu meinen Gunsten wenig Schritte wagen.
Verbannung! Ja, des Schreckenworts Gewicht
Erdrückt mich schon, mit allen seinen Lasten,
Schon fühl' ich mich ein abgestorbnes Glied,
Der Körper, der gesunde, stößt mich los.
Dem selbstbewußten Toten gleich' ich, der,
Ein Zeuge seiner eigenen Bestattung,
Gelähmt, in halbem Traume, grausend liegt.
Entsetzliche Notwendigkeit! Doch wie?
Ist mir nicht eine Wahl verstattet? Kann
Ich nicht des Mannes Hand ergreifen, der
Mir einzig edel, seine Hülfe beut? –
Und könnt' ich das? Ich könnte die Geburt,
Die mich so hoch hinaufgerückt, verleugnen!
Von allem Glanze jener Hoffnung mich
Auf ewig trennen! Das vermag ich nicht!
O fasse mich, Gewalt, mit ehrnen Fäusten;
Geschick, du blindes, reiße mich hinweg!
Die Wahl ist schwerer als das Übeln selbst,
Die zwischen zweien Übeln schwankend bebt.

Hofmeisterin, mit Leuten, welche Gepäcke tragen, geht schweigend hinten vorbei.

Sie kommen! tragen meine Habe fort,
Das letzte was von köstlichem Besitz
Mir übrig blieb. Wird es mir auch geraubt?
Man bringt's hinüber, und ich soll ihm nach.
Ein günst'ger Wind bewegt die Wimpel seewärts,
Bald werd' ich alle Segel schwellen sehn.
Die Flotte löset sich vom Hafen ab!
Und nun das Schiff, das mich Unsel'ge trägt.
Man kommt! Man fordert mich an Bord. O Gott!
Ist denn der Himmel ehern über mir?
Dringt meine Jammerstimme nicht hindurch?
So sei's! Ich gehe! Doch mich soll das Schiff,
In seines Kerkers Räume, nicht verschlingen.
Das letzte Brett, das mich hinüber führt,
Soll meiner Freiheit erste Stufe werden.
Empfangt mich dann, ihr Wellen, faßt mich auf,
Und, festumschlingend, senket mich hinab,
In eures tiefen Friedens Grabesschoß.
Und wenn ich dann vom Unbill dieser Welt
Nichts mehr zu fürchten habe, spült zuletzt
Mein bleichendes Gebein dem Ufer zu,
Daß eine fromme Seele mir das Grab,
Auf heim'schem Boden wohlgesinnt bereite.

Mit einigen Schritten.

Wohlan denn!

Hält inne.

Will mein Fuß nicht mehr gehorchen?
Was fesselt meinen Schritt, was hält mich hier?
Unsel'ge Liebe zum unwürd'gen Leben!
Du führest mich zum harten Kampf zurück.
Verbannung, Tod, Entwürdigung umschließen
Mich fest und ängsten mich einander zu.
Und wie ich mich von einem schaudernd wende,
So grinst das andre mir, mit Höllenblick.
Ist denn kein menschlich, ist kein göttlich Mittel,
Von tausendfacher Qual mich zu befreien?
O! daß ein einzig ahnungsvolles Wort,
Zufällig, aus der Menge, mir ertönte!
O, daß ein Friedensvogel mir vorbei
Mit leisem Fittig leitend sich bewegte!
Gern will ich hin, wohin das Schicksal ruft,
Es deute nur! und ich will gläubig folgen.
Es winke nur, ich will dem heil'gen Winke,
Vertrauend, hoffend, ungesäumt mich fügen.

��         Siebenter Auftritt

Eugenie. Mönch.

Eugenie
(die eine Zeitlang vor sich hingesehen, indem sie
die Augen aufhebt und den Mönch erblickt)

Ich darf nicht zweifeln, ja! ich bin gerettet!
Ja! dieser ist's, der mich bestimmen soll.
Gesendet auf mein Flehn erscheint er mir,
Der Würdige, Bejahrte, dem das Herz,
Beim ersten Blick, vertraut entgegen fliegt.

Ihm entgegen gehend.

Mein Vater! laß den, ach! mir nun versagten,
Verkümmerten, verbotnen Vaternamen
Auf dich, den edlen Fremden, übertragen.
Mit wenig Worten höre meine Not.
Nicht als dem weisen, wohlbedächt'gen Mann,
Dem gottbegabten Greise leg' ich sie,
Mit schmerzlichem Vertraun, dir an die Brust.

Mönch
Was dich bedrängt eröffne freien Mutes.
Nicht ohne Schickung trifft der Leidende
Mit dem zusammen, der, als höchste Pflicht,
Die Linderung der Leiden üben soll.

Eugenie
Ein Rätsel statt der Klagen wirst du hören,
Und ein Orakel fordr' ich, keinen Rat.
Zu zwei verhaßten Zielen liegen mir
Zwei Wege vor den Füßen, einer dorthin,
Hierhin der andre, welchen soll ich wählen?

Mönch
Du führst mich in Versuchung! Soll ich nur
Als Los entscheiden?

Eugenie
Als ein heilig Los.

Mönch
Begreif' ich dich; so hebt aus tiefer Not,
Zu höhern Regionen, sich dein Blick.
Erstorben ist im Herzen eigner Wille,
Entscheidung hoffst du dir vom Waltenden.
Ja wohl! das ewig Wirkende bewegt,
Uns unbegreiflich, dieses oder jenes,
Als wie von ohngefähr, zu unserm Wohl,
Zum Rate, zur Entscheidung, zum Vollbringen,
Und wie getragen werden wir ans Ziel.
Dies zu empfinden ist das höchste Glück,
Es nicht zu fordern ist bescheidne Pflicht,
Es zu erwarten, schöner Trost im Leiden.
O! wär' ich doch gewürdigt, nun für dich,
Was dir am besten frommte, vorzufühlen.
Allein die Ahnung schweigt in meiner Brust,
Und kannst du mehr nicht mir vertraun; so nimm
Ein fruchtlos Mitleid hin zum Lebewohl.

Eugenie
Schiffbrüchig fass' ich noch die letzte Planke!
Dich halt' ich fest und sage, wider Willen,
Zum letztenmal, das hoffnungslose Wort:
Aus hohem Haus entsprossen, werd' ich nun
Verstoßen, übers Meer verbannt und könnte
Mich durch ein Ehebündnis retten, das
Zu niedren Sphären mich herunter zieht.
Was sagt nun dir das Herz? verstummt es noch?

Mönch
Es schweige, bis der prüfende Verstand
Sich als ohnmächtig selbst bekennen muß.
Du hast nur Allgemeines mir vertraut,
Ich kann dir nur das Allgemeine raten.
Bist du zur Wahl genötigt, unter zwei
Verhaßten Übeln; fasse sie ins Auge,
Und wähle was dir noch den meisten Raum
Zu heil'gem Tun und Wirken übrig läßt,
Was deinen Geist am wenigsten begrenzt,
Am wenigsten die frommen Taten fesselt.

Eugenie
Die Ehe, merk' ich, rätst du mir nicht an.

Mönch
Nicht eine solche, wie sie dich bedroht.
Wie kann der Priester segnen, wenn das Ja
Der holden Braut nicht aus dem Herzen quillt.
Er soll nicht Widerwärt'ges aneinander,
Zu immer neu erzeugtem Streite, ketten;
Den Wunsch der Liebe, die zum All das Eine,
Zum Ewigen das Gegenwärtige,
Das Flüchtige zum Dauernden erhebt,
Den zu erfüllen ist sein göttlich Amt.

Eugenie
Ins Elend übers Meer verbannst du mich.

Mönch
Zum Troste jener drüben ziehe hin.

Eugenie
Wie soll ich trösten, wenn ich selbst verzweifle?

Mönch
Ein reines Herz, wovon dein Blick mir zeugt,
Ein edler Mut, ein hoher, freier Sinn,
Erhalten dich und andre, wo du auch
Auf dieser Erde wandelst. Wenn du nun,
In frühen Jahren, ohne Schuld, verbannt,
Durch heil'ge Fügung, fremde Fehler büßest,
So führst du, wie ein überirdisch Wesen,
Der Unschuld Glück und Wunderkräfte mit.
So ziehe denn hinüber! Trete frisch
In jenen Kreis der Traurigen. Erheitre,
Durch dein Erscheinen, jene trübe Welt.
Durch mächt'ges Wort, durch kräft'ge Tat, errege
Der tiefgebeugten Herzen eigne Kraft;
Vereine die Zerstreuten um dich her,
Verbinde sie einander, alle dir;
Erschaffe was du hier verlieren sollst,
Dir Stamm und Vaterland und Fürstentum.

Eugenie
Getrautest du zu tun was du gebietest?

Mönch
Ich tat's! – Als jungen Mann entführte schon,
Zu wilden Stämmen, mich der Geist hinüber.
Ins rohe Leben bracht' ich milde Sitte,
Ich brachte Himmelshoffnung in den Tod.
O! hätt' ich nicht, verführt von treuer Neigung
Dem Vaterland zu nützen, mich zurück,
Zu dieser Wildnis frechen Städtelebens,
In diesem Wust verfeinerter Verbrechen,
Zu diesem Pfuhl der Selbstigkeit gewendet!
Hier fesselt mich des Alters Unvermögen,
Gewohnheit, Pflichten; ein Geschick vielleicht,
Das mir die schwerste Prüfung spät bestimmt.
Du aber, jung, von allen Banden frei,
Gestoßen in das Weite, dringe vor,
Und rette dich! Was du als Elend fühlst,
Verwandelt sich in Wohltat! Eile fort!

Eugenie
Eröffne klarer! was befürchtest du?

Mönch
Im Dunklen drängt das Künft'ge sich heran,
Das künftig Nächste selbst erscheinet nicht
Dem offnen Blick der Sinne, des Verstands.
Wenn ich, beim Sonnenschein, durch diese Straßen,
Bewundernd wandle, der Gebäude Pracht,
Die felsengleich getürmten Massen schaue,
Der Plätze Kreis, der Kirchen edlen Bau,
Des Hafens masterfüllten Raum betrachte;
Das scheint mir alles für die Ewigkeit
Gegründet und geordnet; diese Menge
Gewerksam Tätiger, die, hin und her,
In diesen Räumen wogt, auch die verspricht
Sich unvertilgbar ewig herzustellen.
Allein wenn dieses große Bild bei Nacht
In meines Geistes Tiefen sich erneut,
Da stürmt ein Brausen durch die düstre Luft,
Der feste Boden wankt, die Türme schwanken,
Gefugte Steine lösen sich herab
Und so zerfällt in ungeformten Schutt
Die Prachterscheinung. Wenig lebendes
Durchklimmt, bekümmert, neuentstandne Hügel,
Und jede Trümmer deutet auf ein Grab.
Das Element zu bändigen vermag
Ein tiefgebeugt, vermindert Volk nicht mehr,
Und rastlos wiederkehrend füllt die Flut
Mit Sand und Schlamm des Hafens Becken aus.

Eugenie
Die Nacht entwaffnet erst den Menschen, dann
Bekämpft sie ihn mit nichtigem Gebild.

Mönch
Ach! bald genug steigt, über unsern Jammer,
Der Sonne trübgedämpfter Blick heran.
Du aber fliehe, die ein guter Geist
Verbannend segnete. Leb wohl und eile!

Achter Auftritt

Eugenie
(allein)
Vom eignen Elend leitet man mich ab
Und fremden Jammer prophezeit man mir.
Doch wär' es fremd, was deinem Vaterland
Begegnen soll? Dies fällt mit neuer Schwere
Mir auf die Brust! Zum gegenwärt'gen Übel
Soll ich der Zukunft Geistesbürden tragen?
So ist's denn wahr, was, in der Kindheit schon,
Mir um das Ohr geklungen! was ich erst
Erhorcht, erfragt und nun zuletzt, sogar
Aus meines Vaters, meines Königs Mund,
Vernehmen mußte. Diesem Reiche droht
Ein jäher Umsturz. Die zum großen Leben
Gefugten Elemente wollen sich
Nicht wechselseitig mehr mit Liebeskraft
Zu stets erneuter Einigkeit umfangen.
Sie fliehen sich, und einzeln tritt nun jedes
Kalt in sich selbst zurück. Wo blieb der Ahnherrn
Gewalt'ger Geist, der sie zu Einem Zweck
Vereinigte, die feindlich kämpfenden,
Der diesem großen Volk als Führer sich,
Als König und als Vater dargestellt?
Er ist entschwunden! Was uns übrig bleibt
Ist ein Gespenst, das mit vergebnem Streben
Verlorenen Besitz zu greifen wähnt.
Und solche Sorge nähm' ich mit hinüber?
Entzöge mich gemeinsamer Gefahr?
Entflöhe der Gelegenheit, mich kühn
Der hohen Ahnen würdig zu beweisen,
Und jeden, der mich ungerecht verletzt,
In böser Stunde hülfreich zu beschämen?
Nun bist du Boden meines Vaterlands
Mir erst ein Heiligtum, nun fühl' ich erst
Den dringenden Beruf mich anzuklammern.
Ich lasse dich nicht los, und welches Band
Mich dir erhalten kann, es ist nun heilig.
Wo find' ich jenen gutgesinnten Mann,
Der mir die Hand so traulich angeboten.
An ihn will ich mich schließen! Im Verborgnen
Verwahr' er mich, als reinen Talisman.
Denn, wenn ein Wunder auf der Welt geschieht;
Geschieht's durch liebevolle, treue Herzen.
Die Größe der Gefahr betracht' ich nicht,
Und meine Schwäche darf ich nicht bedenken,
Das alles wird ein günstiges Geschick,
Zu rechter Zeit, auf hohe Zwecke leiten.
Und wenn mein Vater, mein Monarch mich einst
Verkannt, verstoßen, mich vergessen, soll
Erstaunt ihr Blick auf der Erhaltnen ruhn,
Die das, was sie im Glücke zugesagt,
Aus tiefem Elend zu erfüllen strebt.
Er kommt! Ich seh' ihm freudiger entgegen
Als ich ihn ließ. Er kommt. Er sucht mich auf!
Zu scheiden denkt er, bleiben werd' ich ihm.

Neunter Auftritt

Eugenie. Gerichtsrat. Ein Knabe (mit einem schönen Kästchen).

Gerichtsrat
Schon ziehn die Schiffe nach einander fort,
Und bald, so fürcht' ich, wirst auch du berufen.
Empfange noch ein herzlich Lebewohl
Und eine frische Gabe, die auf langer Fahrt
Beklommnen Reisenden Erquickung atmet.
Gedenke mein! O daß du meiner nicht
Am bösen Tage sehnsuchtsvoll gedenkest!

Eugenie
Ich nehme dein Geschenk mit Freuden an,
Es bürgt mir deine Neigung, deine Sorgfalt;
Doch send' es eilig in dein Haus zurück!
Und wenn du denkst wie du gedacht, empfindest
Wie du empfunden, wenn dir meine Freundschaft
Genügen kann, so folg' ich dir dahin.

Gerichtsrat
(nach einer Pause, den Knaben durch einen
Wink entfernend)

Ist's möglich? hätte sich, zu meiner Gunst,
In kurzer Zeit, dein Wille so verändert?

Eugenie
Er ist verändert! aber denke nicht,
Daß Bangigkeit mich dir entgegen treibe.
Ein edleres Gefühl, laß mich's verbergen!
Hält mich am Vaterland, an dir, zurück.
Nun sei's gefragt: Vermagst du, hohen Muts,
Entsagung der Entsagenden zu weihen?
Vermagst du zu versprechen: mich, als Bruder,
Mit reiner Neigung zu empfangen? Mir,
Der liebevollen Schwester, Schutz und Rat,
Und stille Lebensfreude zu gewähren?

Gerichtsrat
Zu tragen glaub' ich alles, nur das eine,
Dich zu verlieren, da ich dich gefunden,
Erscheint mir unerträglich. Dich zu sehen,
Dir nah zu sein, für dich zu leben, wäre
Mein einzig höchstes Glück. Und so bedinge
Dein Herz allein das Bündnis, das wir schließen.

Eugenie
Von dir allein gekannt muß ich, fortan,
Die Welt vermeidend, im Verborgnen leben.
Besitzest du ein still entferntes Landgut;
So widm' es mir und sende mich dahin.

Gerichtsrat
Ein kleines Gut besitz' ich, wohlgelegen;
Doch alt und halb verfallen ist das Haus.
Du kannst jedoch in jener Gegend bald
Die schönste Wohnung finden, sie ist feil.

Eugenie
Nein! In das altverfallne laß mich ziehn,
Zu meiner Lage stimmt es, meinem Sinn.
Und wenn er sich erheitert, find' ich gleich
Der Tätigkeit bereiten Stoff und Raum.
Sobald ich mich die Deine nenne, laß
Von irgend einem alten zuverläss'gen Knecht
Begleitet, mich in Hoffnung einer künft'gen
Beglückten Auferstehung, mich begraben.

Gerichtsrat
Und zum Besuch, wann darf ich dort erscheinen?

Eugenie
Du wartest meinen Ruf geduldig ab.
Auch solch ein Tag wird kommen, uns vielleicht
Mit ernsten Banden enger zu verbinden.

Gerichtsrat
Du legest mir zu schwere Prüfung auf.

Eugenie
Erfülle deine Pflichten gegen mich;
Daß ich die meinen kenne, sei gewiß.
Indem du, mich zu retten, deine Hand
Mir bietest, wagst du viel. Werd' ich entdeckt,
Werd' ich's zu früh; so kannst du vieles dulden.
Ich sage dir das tiefste Schweigen zu.
Woher ich komme, niemand soll's erfahren,
Ja, die entfernten Lieben will ich nur
Im Geist besuchen, keine Zeile soll,
Kein Bote dort mich nennen, wo vielleicht
Zu meinem Heil ein Funke glühen möchte.

Gerichtsrat
In diesem wicht'gen Fall was soll ich sagen?
Uneigennütz'ge Liebe kann der Mund
Mit Frechheit oft beteuern, wenn im Herzen
Der Selbstsucht Ungeheuer lauschend grins't.
Die Tat allein beweis't der Liebe Kraft.
Indem ich dich gewinne, soll ich allem
Entsagen, deinem Blick sogar! Ich will's.
Wie du zum erstenmale mir erschienen,
Erscheinst du bleibend mir, ein Gegenstand
Der Neigung, der Verehrung. Deinetwillen
Wünsch' ich zu leben, du gebietest mir.
Und wenn der Priester sich, sein Lebenlang,
Der unsichtbaren Gottheit niederbeugt,
Die im beglückten Augenblick vor ihm,
Als höchstes Musterbild, vorüberging;
So soll von deinem Dienste mich fortan,
Wie du dich auch verhüllest, nichts zerstreun.

Eugenie
Ob ich vertraue, daß dein Äußres nicht,
Nicht deiner Worte Wohllaut lügen kann;
Daß ich empfinde, welch ein Mann du bist,
Gerecht, gefühlvoll, tätig, zuverlässig,
Davon empfange den Beweis, den höchsten,
Den eine Frau besonnen geben kann!
Ich zaudre nicht, ich eile dir zu folgen!
Hier meine Hand; wir gehen zum Altar.

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