Heinrich Heine
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Die zwei Stellen im älteren Faustbuch, welche sich auf die schöne Helena beziehen, lauten wie folgt:
»Am Weißen Sonntag kamen oftgemeldete Studenten unversehens wieder in D. Fausti Behausung zum Nachtessen, brachten ihr Essen und Trank mit sich, welches angenehme Gäste waren. Als nun der Wein einging, wurde am Tisch von schönen Weibsbildern geredet, da einer unter ihnen anfing, daß er kein Weibsbild lieber sehen wollte, als die schöne Helenam aus Graecia, derowegen die schöne Stadt Troja zugrund gegangen wäre, sie müßte schön gewesen sein, weil sie so oft geraubt worden, und wodurch solche Empörung entstanden wäre. Weil ihr denn so begierig seid, die schöne Gestalt der Königin Helenae, Menelai Hausfrau, oder Tochter Tyndari und Laedae, Castoris und Pollucis Schwester (welche die Schönste in Graecia gewesen sein soll) zu sehen, will ich euch dieselbe fürstellen, damit ihr persönlich ihren Geist in Form und Gestalt, wie sie im Leben gewesen, sehen sollt, dergleichen ich auch Kaiser Carolo Quinto auf sein Begehren, mit Fürstellung Kaiser Alexandri Magni und seiner Gemahlin, willfahren habe. Darauf verbot D. Faustus, daß keiner nichts reden sollte, noch vom Tische aufstehen, oder sie zu empfahen sich anmaßen, und geht zur Stube hinaus. Als er wieder hineingeht, folgte ihm die Königin Helena auf dem Fuße nach, so wunderschön, daß die Studenten nicht wußten, ob sie bei sich selbst wären oder nicht, so verwirrt und inbrünstig waren sie. Diese Helena erschien in einem köstlichen schwarzen Purpurkleid, ihr Haar hatte sie herabhängen, das so schön und herrlich als Goldfarbe schien, auch so lang, daß es ihr bis in die Kniebiegen hinabging, mit schönen kohlschwarzen Augen, ein lieblich Angesicht, mit einem runden Köpflein, ihre Lefzen rot wie Kirschen, mit einem kleinen Mündlein, einen Hals wie ein weißer Schwan, rote Bäcklein wie ein Röslein, ein überaus schön gleißend Angesicht, eine länglichte aufgerichtete grade Person. In summa, es war an ihr kein Untädlein zu finden, sie sahe sich allenthalben in der Stube um, mit gar frechem und bübischem Gesicht, daß die Studenten gegen sie in Liebe entzündet wurden, weil sie es aber für einen Geist achteten, verginge ihnen solche Brunst leichtlich, und ging also Helena mit D. Fausto wiederum zur Stube hinaus. Als die Studenten solches alles gesehen, baten sie D. Faustum, er solle ihnen so viel zu Gefallen tun, und sie morgen wiederum fürstellen, so wollten sie einen Maler mit sich bringen, der sollte sie abkonterfeien, welches ihnen aber D. Faustus abschlug und sagte, daß er ihren Geist nicht alle Zeit erwecken könnte. Er wollte ihnen aber ein Konterfei davon zukommen lassen, welches sie, die Studenten, abreißen lassen möchten, was dann auch geschah, und welches die Maler hernach weit hin und wieder schickten, denn es war eine sehr herrliche Gestalt eines Weibsbildes. Wer aber solches Gemälde dem Fausto abgerissen, hat man nicht erfahren können. Die Studenten aber, als sie zu Bett gekommen, haben wegen der Gestalt und Form, so sie sichtbarlich gesehen, nicht schlafen können. Hieraus ist dann zu sehen, daß der Teufel oft die Menschen in Liebe entzündet und verblendet, daß man ins Hurenleben gerät, und hernach nicht leicht wieder herauszubringen ist.«
Später heißt es in dem alten Buche:
»Damit nun der elende Faustus seines Fleisches Lüsten genugsam Raum gebe, fällt ihm um Mitternacht, als er erwachte, die Helena aus Graecia, die er vormals den Studenten am Weißen Sonntag erweckt hat, in den Sinn, deshalben er morgens seinen Geist anmahnt, er sollte ihm die Helenam darstellen, die seine Konkubine sein möchte, was auch geschah, und diese Helena war ebenmäßiger Gestalt, wie er sie den Studenten erweckt hat, mit lieblichem und holdseligem Anblicken. Als nun D. Faustus solches sah, hat sie ihm sein Herz dermaßen gefangen, daß er mit ihr anfing zu buhlen, und sie für sein Schlafweib bei sich behielt, die er so liebgewann, daß er schier keinen Augenblick von ihr sein konnte, wurde also im letzten Jahre schwangeres Leibs von ihm, gebar ihm einen Sohn, dessen sich Faustus heftig freute, und ihn Justum Faustum nannte. Dies Kind erzählet D. Fausto viel zukünftige Dinge, die in allen Ländern sollten geschehen. Als er aber hernach um sein Leben kam, verschwanden zugleich mit ihm Mutter und Kind.«
Da die meisten Volksbücher über Faust aus dem Widmanschen Werke entstanden, so geschieht darin von der schönen Helena nur kärgliche Erwähnung und ihre Bedeutsamkeit konnte leicht übersehen werden. Auch Goethe übersah sie anfänglich, wenn er überhaupt, als er den ersten Teil des Faust schrieb, jene Volksbücher kannte und nicht bloß in den Puppenspielen schöpfte. Erst vier Dezennien später, als er den zweiten Teil zum Faust dichtete, läßt er darin auch die Helena auftreten, und in der Tat, er behandelte sie con amore. Es ist das Beste oder vielmehr das einzig Gute in besagtem zweiten Teile, in dieser allegorischen und labyrinthischen Wildnis, wo jedoch plötzlich, auf erhabenem Postamente, ein wunderbar vollendetes griechisches Marmorbild sich erhebt und uns mit den weißen Augen so heidengöttlich liebreizend anblickt, daß uns fast wehmütig zu Sinne wird. Es ist die kostbarste Statue, welche jemals das Goethesche Atelier verlassen und man sollte kaum glauben, daß eine Greisenhand sie gemeißelt. Sie ist aber auch viel mehr ein Werk des ruhig besonnenen Bildens, als eine Geburt der begeisterten Phantasie, welche letztere bei Goethe nie mit besonderer Stärke hervorbrach, bei ihm ebensowenig wie bei seinen Lehrmeistern und Wahlverwandten, ich möchte fast sagen bei seinen Landsleuten, den Griechen. Auch diese besaßen mehr harmonischen Formensinn als überschwellende Schöpfungsfülle, mehr gestaltende Begabnis als Einbildungskraft, ja, ich will die Ketzerei aussprechen, mehr Kunst als Poesie.
Sie werden, teuerster Freund, nach obigen Andeutungen leicht begreifen, warum ich der schönen Helena einen ganzen Akt in meinem Ballette gewidmet habe. Die Insel, wohin ich sie versetzt, ist übrigens nicht von meiner eigenen Erfindung. Die Griechen hatten sie schon längst entdeckt, und nach der Behauptung der alten Autoren, besonders des Pausanias und des Plinius, lag sie im Pontus Euxinus, ungefähr bei der Mündung der Donau, und sie führte den Namen Achillea, wegen des Tempels des Achilles, der sich darauf befand. Er selbst, hieß es, der aus dem Grab erstandene Pelide, wandle dort umher in Gesellschaft der andern Berühmtheiten des Trojanischen Krieges, worunter auch die ewig blühende Helena von Sparta. Heldentum und Schönheit müssen zwar frühzeitig untergehen, zur Freude des Pöbels und der Mittelmäßigkeit, aber großmütige Dichter entreißen sie der Gruft und bringen sie rettend nach irgendeiner glückseligen Insel, wo weder Blumen noch Herzen welken.
Ich habe über den zweiten Teil des Goetheschen Faustes etwas mürrisch abgeurteilt, aber ich kann wirklich nicht Worte finden um meine ganze Bewunderung auszusprechen über die Art und Weise, wie die schöne Helena darin behandelt ist. Hier blieb Goethe auch dem Geiste der Sage getreu, was leider, wie ich schon bemerkt, so selten bei ihm der Fall, ein Tadel, den ich nicht oft genug wiederholen kann. In dieser Beziehung hat sich am meisten der Teufel über Goethe zu beklagen. Sein Mephistopheles hat nicht die mindeste innere Verwandtschaft mit dem wahren »Mephistopheles«, wie ihn die älteren Volksbücher nennen. Auch hier bestärkt sich meine Vermutung, daß Goethe letztere nicht kannte, als er den ersten Teil des Faustes schrieb. Er hätte sonst in keiner so säuisch spaßhaften, so zynisch skurrilen Maske den Mephistopheles erscheinen lassen. Dieser ist kein gewöhnlicher Höllenlump, er ist ein »subtiler Geist«, wie er sich selbst nennt, sehr vornehm und nobel und hochgestellt in der unterweltlichen Hierarchie, im höllischen Gouvernemente, wo er einer jener Staatsmänner ist, woraus man einen Reichskanzler machen kann. Ich verlieh ihm daher eine Gestalt, die seiner Würde angemessen. Verwandelte sich doch der Teufel immer am liebsten in ein schönes Frauenzimmer, und im älteren Faustbuche weiß auch Mephistopheles den armen Doktor in dieser Gestalt zu kirren, wenn den Ärmsten manchmal fromme Skrupel überschlichen. Das alte Faustbuch erzählt ganz naiv:
»Wenn der Faust allein war, und dem Wort Gottes nachdenken wollte, schmücket sich der Teuffel in Gestalt einer schönen Frauwen für ihn, hälset ihn, und trieb mit ihm alle Unzucht, also daß er des göttlichen Worts bald vergaß, und in Wind schlug, und in seinem bösen Fürhaben fortfuhr.«
Indem ich den Teufel und seine Gesellen als Tänzerinnen erscheinen lasse, bin ich der Tradition treuer geblieben als Sie vermuten. Daß es zur Zeit des Doktor Faust schon Corps de ballets von Teufeln gegeben hat, ist keine Fiktion Ihres Freundes, sondern es ist eine Tatsache, die ich mit Stellen aus dem Leben des Christoph Wagner, welcher Fausts Schüler war, beweisen kann. In dem sechzehnten Kapitel dieses alten Buches lesen wir, daß der arge Sünder ein Gastgelag in Wien gab, wo die Teufel in Frauenzimmergestalt, mit Saitenspielen die schönste und lieblichste Musik machten und andre Teufel »allerlei seltsame und unzüchtige Tänze tanzten«. Auch in Affengestalt tanzten sie bei dieser Gelegenheit und da heißt es: »Bald kamen zwölf Affen, die machten einen Reigen, tanzten französische Ballette, wie jetzt die Leute in Welschland, Frankreich und Deutschland zu tun pflegen, sprungen und hüpften sehr wohl, daß sich männiglich verwunderte.« Der Teufel Auerhahn, der dem Wagner als dienender Geist angehörte, zeigte sich gewöhnlich in der Gestalt eines Affen. Er debütiert ganz eigentlich als Tanzaffe. Als Wagner ihn beschwur, ward er ein Affe, erzählt das alte Buch und da heißt es: »Der sprang auf und nieder, tanzte Gaillard und andere üppige Tänze, schlug bisweilen auf dem Hackebrett, pfiff auf der Querpfeife, blies auf der Trompete, als wären ihrer hundert.«
Ich kann hier, liebster Freund, der Versuchung nicht widerstehen, Ihnen zu erklären, was der Biograph des Nekromanten unter dem Namen »Gaillard tanzen« versteht. Ich finde nämlich in einem noch ältern Buche von Johann Prätorius, welches 1668 zu Leipzig gedruckt ist und Nachrichten über den Blocksberg enthält, die merkwürdige Belehrung, daß oberwähnter Tanz vom Teufel erfunden worden; der ehrbare Autor sagt dabei ausdrücklich:
»Von der neuen giallardischen Volta, einem welschen Tanze, wo man einander an schamigen Orten fasset und wie ein getriebener Topf herumhaspelt und wirbelt, und welcher durch die Zauberer aus Italien nach Frankreich ist gebracht worden, mag man auch wohl sagen, daß zu dem, daß solcher Wirbeltanz voller schändlicher untätiger Gebärden und unzüchtiger Bewegungen ist, er auch das Unglück auf sich trage, daß unzählig viel Morde und Mißgeburten daraus entstehen. Welches wahrlich bei einer wohlbestellten Polizei ist wahrzunehmen und aufs allerschärfste zu verbieten. Und dieweil die Stadt Genf fürnehmlich das Tanzen hasset, so hat der Satan eine junge Tochter von Genf gelehret, alle die tanzend und springend zu machen, die sie mit einer eisernen Gerte oder Rute, welche der Teufel ihr gegeben gehabt, möchte berühren. Auch hat sie der Richter gespottet, und gesagt, sie werden sie nicht mögen umbringen; hat deshalb der Übeltat nie keine Reue gehabt.«
Sie sehen aus dieser Zitation, liebster Freund, erstens, was die Gaillarde ist, und zweitens, daß der Teufel die Tanzkunst aus dem Grunde fördert, um den Frommen ein Ärgernis zu geben. Daß er gar die fromme Stadt Genf, das calvinistische Jerusalem, mit seiner Zaubergerte zum Tanzen zwang, das war der Gipfel seiner Frevelhaftigkeit! Denken Sie sich alle diese kleinen Genfer Heiligen, alle diese gottesfürchtigen Uhrmacher, alle diese Auserwählten des Herrn, alle diese tugendhaften Erzieherinnen, diese steifen, eckigen Prediger- und Schulmeisterfiguren, welche auf einmal die Gaillarde zu tanzen beginnen! Die Geschichte muß wahr sein, denn ich erinnere mich sie auch in der »Daemonomania« des Bodinus gelesen zu haben, und ich hätte nicht übel Lust, sie zu einem Ballette zu bearbeiten, betitelt: das tanzende Genf!
Der Teufel ist ein großer Tanzkünstler, wie Sie sehen, und es darf wahrlich niemanden wundern, wenn er in der Gestalt einer Tänzerin sich einem verehrungswerten Publiko präsentiert. Eine minder natürliche, aber sehr tiefsinnige Metamorphose ist es, daß sich, im älteren Faustbuche, der Mephistopheles in ein geflügeltes Roß verwandelt und auf seinem Rücken den Faust nach allen Ländern und Orten brachte, wohin dessen Sinn oder Sinnlichkeit begehrte. Der Geist hat hier nicht bloß die Geschwindigkeit des Gedankens, sondern auch die Macht der Poesie; er ist hier ganz eigentlich der Pegasus, der den Faust zu allen Herrlichkeiten und Genüssen dieser Erde hinträgt, in der kürzesten Frist. Er bringt ihn im Nu nach Konstantinopel und zwar direkt in den Harem des Großtürken, wo Faust unter den erstaunten Odalisken, die ihn für den Gott Mahomet hielten, sich göttlich ergötzt. Auch trägt er ihn nach Rom und hier direkt in den Vatikan, wo Faust, unsichtbar allen Augen, dem Papste seine besten Gerichte und Getränke vor der Nase wegstibitzt und sich selber zu Gemüte führt; manchmal lacht er laut auf, so daß der Papst, der sich im Zimmer allein glaubte, innerlich erschrak. Eine Animosität gegen Papsttum und katholische Kirche überhaupt tritt überall grell hervor in der Faustsage. In dieser Beziehung ist es auch charakteristisch, daß Faust, nach den ersten Beschwörungen, dem Mephistopheles ausdrücklich befiehlt, ihm hinfüro, wenn er ihn rufe, in der Kutte eines Franziskaners zu erscheinen. In dieser Mönchstracht zeigen ihn uns die alten Volksbücher (nicht die Puppenspiele), zumal, wenn er mit Faust über Religionsthemata disputiert. Hier weht der Atem der Reformationszeit.