Wilhelm Tell (Erster Aufzug,  Erste Szene) by Friedrich Schiller
Wilhelm Tell (Erster Aufzug,  Erste Szene) by Friedrich Schiller

Wilhelm Tell (Erster Aufzug, Erste Szene)

Friedrich Schiller * Track #1 On Wilhelm Tell (Deutsch)

Wilhelm Tell (Erster Aufzug, Erste Szene) Annotated

[1]
Erster Aufzug

Erste Scene

Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt.

Fischerknabe singt im Kahn
(Melodie des Kuhreihens)
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradieß.
[2]

Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spühlen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.

Hirte (auf dem Berge)
(Variation des Kuhreihens)
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonn’gen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
[3]

Alpenjäger (erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen)
(Zweite Variation)
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riß nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.

(Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend)

Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, seine Handbube, folgt ihm)
[4]

Ruodi
Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.
Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mytenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken.

Kuoni
’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

Werni
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

Kuoni (zum Buben)
Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

Seppi
Die braune Lisel kenn ich am Geläut.

Kuoni
So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

Ruodi
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
[5]

Werni
Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?

Kuoni
Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

Ruodi
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht

Kuoni
Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.

Ruodi
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –

Werni
Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

Ruodi (zum Hirten)
Treibt ihr jetzt heim?
[6]

Kuoni
Die Alp ist abgeweidet.

Werni
Glücksel’ge Heimkehr, Senn!

Kuoni
Die wünsch ich Euch,
Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.

Ruodi
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.

Werni
Ich kenn’ ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.

Konrad Baumgarten (atemlos hereinstürzend)

Baumgarten
Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn!

Ruodi
Nun, nun, was giebts so eilig?

Baumgarten
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über!

Kuoni
Landsmann, was habt ihr?
[7]

Werni
Wer verfolgt euch denn?

Baumgarten (zum Fischer)
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

Ruodi
Warum verfolgen euch die Reisigen?

Baumgarten
Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.

Werni
Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?

Baumgarten
Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –

Kuoni
Der Wolfenschießen? Läßt euch der verfolgen?

Baumgarten
Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen.

Alle (fahren zurück)
Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?
[8]

Baumgarten
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.

Kuoni
Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?

Baumgarten
Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

Werni
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

Kuoni
O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.

Baumgarten
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
„Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.“
[9]

Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet.

Werni
Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten.

Kuoni
Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.

Baumgarten
Die That ward ruchbar, mir wird nachgesezt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
(es fängt an zu donnern)

Kuoni
Frisch Fährmann – schaff den Biedermann hinüber.

Ruodi
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müßt warten.

Baumgarten
Heilger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –
[10]

Kuoni (zum Fischer)
Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
(Brausen und Donnern)

Ruodi
Der Föhn ist los, ihr seht’ wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.

Baumgarten (umfaßt seine Knie)
So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet –

Werni
Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

Kuoni
’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
(Wiederholte Donnerschläge)

Ruodi
Was? Ich hab’ auch ein Leben zu verlieren,
Hab’ Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin,
Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.
[11]

Baumgarten (noch auf den Knien)
So muß ich fallen in des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen!

Kuoni
Seht, wer da kommt!

Werni
Es ist der Tell aus Bürglen.

Tell mit der Armbrust.

Tell
Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?

Kuoni
’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein’ Ehr
Vertheidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß –
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,
Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
[12]

Ruodi
Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.
(Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf)

Ruodi
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das thäte keiner, der bei Sinnen ist.

Tell
Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.

Ruodi
Vom sichern Port läßt sich’s gemächlich rathen,
Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!

Tell
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es Fährmann!

Hirten und Jäger
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

Ruodi
Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,
[13]

Es kann nicht seyn, ’s ist heut Simons und Judä,
Da ras’t der See und will sein Opfer haben.

Tell
Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?

Ruodi
Nein, nicht ich!

Tell
In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.

Kuoni
Ha wackrer Tell!

Werni
Das gleicht dem Waidgesellen!

Baumgarten
Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell!

Tell
Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch,
Aus Sturmes Nöthen muß ein Andrer helfen.
[14]

Doch besser ist’s, ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen!
(zu dem Hirten)
Landsmann, tröstet ihr
Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet,
Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen konnte.
(er springt in den Kahn)

Kuoni (zum Hirten)
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet ihr nicht wagen?

Ruodi
Wohl beßre Männer thuns dem Tell nicht nach,
Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge.

Werni (ist auf den Fels gestiegen)
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

Kuoni (am Ufer)
Die Flut geht drüber weg – Ich seh’s nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
[15]

Seppi
Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.

Kuoni
Weiß Gott, sie sinds! Das war Hülf in der Noth

Ein Trupp Landenbergischer Reiter

Erster Reiter
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.

Zweiter
Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.

Kuoni und Ruodi
Wen meint ihr, Reiter?

Erster Reiter (entdeckt den Nachen)
Ha, was seh ich! Teufel!

Werni (oben)
Ist’s der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!
Wenn ihr frisch beilegt, hohlt ihr ihn noch ein.

Zweiter
Verwünscht! Er ist entwischt.

Erster (zum Hirten und Fischer)
Ihr habt ihm fortgeholfen,
[16]

Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Heerde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!
(eilen fort)

Seppi (stürzt nach)
O meine Lämmer!

Kuoni (folgt)
Weh mir! Meine Heerde!

Werni
Die Wüthriche!

Ruodi (ringt die Hände)
Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
(folgt ihnen)

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